Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmißbräuchliche Gestaltung trotz erheblicher Kosteneinsparung bei Übertragung sämtlicher Anteile einer grundbesitzenden Personengesellschaft
Leitsatz (NV)
1. Eine mißbräuchliche Rechtsgestaltung zur Steuerumgehung liegt vor, wenn die Vertragsparteien unter Ausnutzung einer zivilrechtlichen Wahlmöglichkeit, d.h. der Möglichkeit verschiedener Gestaltung, den vom Steuergesetz erfaßten - angemessenen - Weg vermeiden und statt dessen einen Weg beschreiben, der zwar nach der Wertung des Steuergesetzes ebenfalls besteuerungswürdig ist, aber als solcher keinen Steuertatbestand erfüllt.
2. Für die Prüfung, ob ein bestimmter zivilrechtlich verfolgter Weg angemessen und deshalb der Besteuerung zugrunde zu legen ist, kann nicht darauf abgestellt werden, ob mit der einen oder der anderen Gestaltung Folgen verbunden sind, die zwar der Erreichung des beabsichtigten wirtschaftlichen Ziels nicht entgegenstehen, die es aber aus anderen Gründen, z.B. zur Ersparung von Kosten, sinnvoll erscheinen lassen, nicht die typische vom Steuergesetz umschriebene zivilrechtliche Gestaltung zu wählen, sondern eine Gestaltung, bei der diese Folgen vermieden werden können und auch tatsächlich vermieden werden; die Besteuerungswürdigkeit des Vorgangs wird dadurch nicht berührt.
3. Bei der Anwendung des § 42 AO 1977 geht es nicht darum, die Steuerpflichtigen zu zwingen, zivilrechtlich die steuerrechtlich gesetzestypische Form zu wählen und damit ggf. die mit dieser Gestaltung verbundenen Nachteile auf sich zu nehmen; die zivilrechtlich gewählte Gestaltung bleibt mit ihren jeweiligen Folgen bestehen. Entscheidend ist lediglich, ob die gewählte Gestaltung, ungeachtet dessen, daß sie zivilrechtlich Bestand hat, in ihrer steuerrechtlichen Auswirkung zu berücksichtigen ist. Dafür ist maßgebend, ob das von den Parteien verfolgte Ziel auf dem von dem Steuergesetz vorgezeichneten zivilrechtlichen Weg hätte erreicht werden können.
4. Das Ziel, Notar- und Gerichtskosten einzusparen, rechtfertigt es nicht, von der Erhebung der Grunderwerbsteuer für die Übertragung sämtlicher Anteile an einer nur Grundbesitz haltenden Personengesellschaft (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG i.V.m. § 42 AO 1977) abzusehen.
Normenkette
AO 1977 § 42; GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Durch Vereinbarungen vom ... 1983 erwarben die Herren R und H sämtliche Anteile an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) in der Weise, daß jeder einen Anteil der beiden bisherigen Gesellschafter übernahm und diese damit aus der Gesellschaft ausschieden. Einziges Vermögen der Gesellschaft war das Grundstück A-Straße in B. Der Kaufpreis betrug insgesamt 3060000 DM. Das Finanzamt, der Beklagte und Revisionskläger (FA), unterwarf den Vorgang gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) i.V.m. § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) der Grunderwerbsteuer.
Auf die Klage hob das Finanzgericht (FG) die Steuerfestsetzung auf.
Es liege keine Steuerumgehung i.S. des § 42 AO 1977 vor, weil die Klägerin, die aus den neuen Gesellschaftern bestehende GbR, beachtliche außersteuerliche Gründe für die von ihr gewählte rechtliche Gestaltung vorgetragen habe.
Hiergegen hat das FA Revision eingelegt und Verletzung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG i.V.m. § 42 AO 1977 gerügt. Es beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat sich zu der Revision des FA nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen.
1. Zwar ist das FG, entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (vgl. zuletzt Urteil vom 31. Juli 1991 II R 17/88, BFHE 165, 297, BStBl II 1991, 891 mit Nachweisen) davon ausgegangen, daß die Übertragung sämtlicher Anteile an einer nur Grundbesitz haltenden Personengesellschaft gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG i.V.m. § 42 AO 1977 der Grunderwerbsteuer unterliegen kann, weil durch den vollständigen Wechsel im Personenstand einer Personengesellschaft, der als solcher nicht der Grunderwerbsteuer unterliegt, dasselbe Ergebnis erreicht wird, wie durch den Abschluß eines auf Übereignung des Grundstücks gerichteten Kaufvertrages zwischen Alt- und Neugesellschaftern in ihrer jeweiligen gesamthänderischen Verbundenheit, der den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erfüllen würde. Das FG hat jedoch zu Unrecht angenommen, daß im Streitfall der Tatbestand des Rechtsmißbrauchs nicht erfüllt sei, weil bei der gewählten Gestaltung - Übertragung des Grundbesitzes auf die neuen Gesellschafter im Wege der Anteilsübertragung - die bei dem Abschluß von Kaufverträgen auf Übereignung des Grundbesitzes anfallenden - erheblichen - Notar- und Gerichtskosten gespart worden seien. Damit hat das FG die rechtliche Tragweite des § 42 AO 1977 nicht zutreffend beurteilt.
§ 42 AO 1977 versagt die Berufung auf die auf der Grundlage der Privatautonomie gewählte zivilrechtliche Form dann, wenn die Prüfung der rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen, die formal nicht der in dem Steuergesetz bezeichneten typischen wirtschaftlichen Form entsprechen, ergibt, daß der zum Ausdruck kommende rechtsgeschäftliche Wille der im Steuergesetz umschriebenen typischen zivilrechtlichen Gestaltung entspricht. § 42 AO 1977 bewirkt so die Besteuerung entsprechend dem Zweck des Steuergesetzes, wenn dessen tatbestandsmäßig mit einem anderen Rechtstyp beschriebener wirtschaftlicher Zweck erreicht wird (BFH-Urteil vom 6. März 1990 II R 88/87, BFHE 160, 57, BStBl II 1990, 446). Eine mißbräuchliche Rechtsgestaltung zur Steuerumgehung liegt danach vor, wenn die Parteien unter Ausnutzung einer zivilrechtlichen Wahlmöglichkeit, also der Möglichkeit verschiedener Gestaltung, den vom Steuergesetz erfaßten - angmessenen - Weg vermeiden und statt dessen einen Weg beschreiben, der zwar nach der Wertung des Steuergesetzes ebenfalls besteuerungswürdig ist, aber als solcher keinen Steuertatbestand erfüllt. Der durch die tatsächlich gewählte Gestaltung verdeckte, nach der Wertung des Steuergesetzes angemessene zivilrechtliche (Gestaltungs-)Weg muß den Parteien daher als eigentlich naheliegende Möglichkeit zur Erreichung ihres wirtschaftlichen Zieles zur Verfügung gestanden haben (vgl. BFH-Urteil vom 31. Juli 1991 II R 79/88, BFH/NV 1992, 410).
Hieraus folgt, daß für die Prüfung, ob ein bestimmter zivilrechtlich verfolgter Weg angemessen und deshalb der Besteuerung zugrunde zu legen ist, nicht darauf abgestellt werden kann, ob mit der einen oder der anderen Gestaltung Folgen verbunden sind, die zwar der Erreichung des beabsichtigten wirtschaftlichen Ziels nicht entgegenstehen, die es aber aus anderen, insbesondere - wie im Streitfall - aus Kostengründen sinnvoll erscheinen lassen, nicht die typische vom Steuergesetz umschriebene zivilrechtliche Gestaltung zu wählen, sondern eine Gestaltung, bei der diese Folgen vermieden werden können und auch tatsächlich vermieden werden. Die an der Wertung des Steuergesetzes zu messende Besteuerungswürdigkeit wird nicht dadurch berührt, daß die Parteien eine Gestaltung wählen, mit der sie (Neben-)Folgen vermeiden können, die bei der vom Steuergesetz vorgesehenen Gestaltung eintreten würden. Denn es geht nicht darum, die Steuerpflichtigen zu zwingen, zivilrechtlich die gesetzestypische Form zu wählen und damit ggf. die mit dieser Gestaltung verbundenen Nachteile auf sich zu nehmen; die zivilrechtlich gewählte Gestaltung bleibt mit ihren jeweiligen Folgen bestehen, auch wenn sie der im Steuergesetz vorgesehenen typischen Form nicht entspricht. Dies hat das FG nicht hinreichend bedacht, sonst wäre es nicht zu einer Entscheidung gelangt, die im Kern auf dem Satz beruht, daß die Klägerin gerade wegen der von ihr tatsächlich erreichten Ein-sparung von Kosten und Gebühren auch die Grunderwerbsteuer nicht zu entrichten brauche. Dies geht aber an dem Regelungsgehalt des § 42 AO 1977 vorbei. Entscheidend ist vielmehr, ob die gewählte Gestaltung, ungeachtet dessen, daß sie zivilrechtlich Bestand hat, in ihrer steuerrechtlichen Auswirkung zu berücksichtigen ist. Hierfür kann - wie dargelegt - nicht maßgebend sein, ob bei Einhaltung der im Steuergesetz umschriebenen typischen zivilrechtlichen Gestaltung Nebenfolgen eintreten würden, sondern nur, ob das von den Parteien verfolgte Ziel auf dem von dem Steuergesetz vorgezeichneten zivilrechtlichen Weg hätte erreicht werden können oder ob dies, wie der Senat in den Urteilen in BFHE 160, 57, BStBl II 1990, 446, und in BFH/NV 1992, 410 für die dort zu beurteilenden Sachverhalte anerkannt hat, nicht möglich gewesen wäre, so daß die abweichende Gestaltung als angemessen zu beurteilen ist.
2. Für den dem Streitfall zugrunde liegenden Sachverhalt kann danach von einer angemessenen Gestaltung nicht ausgegangen werden. Die Steuerfestsetzung ist zu Recht erfolgt. Die Vereinbarungen vom ... 1983 sind so zu besteuern, als wären zwischen den Alt- und Neugesellschaftern der Klägerin jeweils in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit Kaufverträge über den Grundbesitz der Gesellschaft abgeschlossen worden, die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG der Steuer unterlägen. Das Ziel, Notar- und Gerichtskosten, wenn auch in beträchtlicher Höhe, einzusparen, rechtfertigt es nicht, von der Erhebung der Grunderwerbsteuer abzusehen. Andere Gründe, die den von den Parteien eingeschlagenen Weg rechtfertigen könnten, liegen nach den Feststellungen des FG nicht vor; Sachverhaltsrügen sind insoweit nicht erhoben worden (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
Fundstellen
Haufe-Index 419820 |
BFH/NV 1994, 903 |