Leitsatz (amtlich)
1. Wird ein Erstattungsanspruch auf Grund des § 17 GrEStG 1940 in einem gesonderten Erstattungsverfahren geltend gemacht, so handelt es sich bei der nach Ablehnung des Antrages mit dem Ziel der Verurteilung zur Erstattung erhobenen Klage um eine Verpflichtungsklage in Gestalt der Vornahmeklage.
2. Hat das FG im Falle einer solchen Klage unter Berufung auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO ohne Entscheidung in der Sache selbst die Einspruchsentscheidung aufgehoben, so braucht der BFH auf die Revision vor einer Zurückverweisung nicht zu befinden, ob § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO auf Verpflichtungsklagen in Gestalt von Vornahmeklagen zur Anwendung kommt, wenn er zu dem Ergebnis gelangt, daß nach den gegebenen Umständen eine fehlerfreie, von der Ermächtigung zur bloßen Kassation Gebrauch machende Ermessensentscheidung i. S. des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO ausgeschlossen ist.
2. Zur Ermessensausübung im Rahmen des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
Normenkette
FGO § 100 Abs. 2 S. 2; GrEStG 1940 § 17
Verfahrensgang
Tatbestand
Eine Kommanditgesellschaft (KG) verkaufte Grundstückstrennstücke bzw. Teilflächen von diesen an ihr gesellschaftsrechtlich verbundene Erwerberinnen. Eine von diesen ist die Klägerin. Hierwegen wurde Grunderwerbsteuer festgesetzt. Die Steuer ist entrichtet.
Zu der beabsichtigten Teilung des Areals kam es nicht. Vielmehr trafen die KG und die Erwerberinnen eine schriftliche Vereinbarung, in der die Erwerberinnen feststellten, daß die Vertragsbedingungen nicht erfüllt worden seien und nicht erfüllt werden könnten. Deshalb machten sie von ihren Rechten aus §§ 323, 325 oder 326 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) Gebrauch, wobei sie Rückzahlung des von ihnen bereits geleisteten Kaufpreises unter gleichzeitiger Zurverfügungstellung des ihnen eingeräumten Besitzes an den Grundstücken forderten. Die KG erklärte, daß sie dem Verlangen der Erwerberinnen keine begründeten Einwendungen entgegenzusetzen vermöge. Dementsprechend vereinbarte sie mit den Erwerberinnen die Einzelheiten der Rückabwicklung der Kaufverträge.
Sodann beantragte die Klägerin die Erstattung der gezahlten Grunderwerbsteuer durch das beklagte Finanzamt (FA) gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 2 des seinerzeit in Berlin geltenden Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) - = § 17 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG 1940 -, und zwar mit der Begründung, daß die zwischen ihr und der KG geschlossenen Kaufverträge aufgrund eines Rechtsanspruchs rückgängig gemacht worden seien.
Das FA lehnte den Antrag ab. Es führte hierbei aus, die Vertragsaufhebung sei nicht aufgrund eines durch Nichterfüllung oder Wegfall der Geschäftsgrundlage entstandenen Rechtsanspruchs, sondern einvernehmlich vorgenommen worden. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos.
Auf die Klage hat das Finanzgericht (FG) die Einspruchsentscheidung gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aufgehoben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Zur Begründung hat das FG ausgeführt, die tatsächlichen Feststellungen des FA reichten zur Beantwortung der entscheidungserheblichen Fragen nicht aus, ob die Voraussetzungen für einen Rücktritt der Klägerin von den Kaufverträgen wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage, Schuldnerverzuges oder positiver Vertragsverletzung vorlagen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung von Bundesrecht und macht geltend, ihr auf Verurteilung zur Erstattung gerichteter Klageantrag sei nicht beschieden worden. Das FG habe lediglich die Einspruchsentscheidung nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO aufgehoben und dabei nicht beachtet, daß diese Vorschrift nur für Anfechtungsklagen gelte, nicht aber für eine Verpflichtungsklage, wie sie im vorliegenden Fall gegeben sei. Das FG sei außerdem seiner Aufklärungspflicht (§§ 76 und 79 i. V. m. § 100 FGO) nicht nachgekommen. Schließlich hätte das FG bei Anwendung des § 100 FGO es nicht bei einer Aufhebung der Einspruchsentscheidung bewenden lassen dürfen; dies wäre nur dann statthaft gewesen, wenn sie, die Klägerin, ausnahmsweise nur durch die Einspruchsentscheidung beschwert gewesen wäre, was jedoch nicht zutreffe.
Das FA ist der Revision der Klägerin entgegengetreten.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO und macht geltend, die zitierte Vorschrift sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da von der Klägerin nicht eine Anfechtungsklage, sondern eine sog. sonstige Leistungsklage erhoben worden sei, auf die statt des § 100 FGO der § 101 FGO zur Anwendung komme.
Entscheidungsgründe
Auf die Revisionen der Klägerin und des FA wird das angefochtene Urteil aufgehoben; die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Beide Revisionen sind zulässig, insbesondere fehlt es nicht an der erforderlichen Beschwer. Die Klägerin ist dadurch beschwert, daß das FG nicht auch die Ablehnungsverfügung - ersatzlos - aufgehoben und eine Verpflichtung des FA zur Erstattung ausgesprochen hat, wie dies von der Klägerin beantragt wird. Die Beschwer des FA ergibt sich daraus, daß entgegen dem Antrag des FA das FG nicht die Klage abgewiesen, sondern statt dessen die Einspruchsentscheidung aufgehoben hat.
2. Beide Revisionen sind auch begründet; denn das angefochtene Urteil verletzt gegenüber beiden Verfahrensbeteiligten Bundesrecht (vgl. §§ 118 Abs. 1 Satz 1, 115 FGO i. V. m. § 550 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Das FG hat unter Berufung auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO zu Unrecht ohne eigene Entscheidung in der Sache dahin erkannt, daß die Einspruchsentscheidung aufgehoben wird. Die Verletzung gegenüber der Klägerin besteht darin, daß ohne entsprechende rechtliche Grundlage ein Teil ihres Klagebegehrens, nämlich das Begehren nach Aufhebung des ablehnenden Bescheides und Verurteilung zur Erstattung, unbeschieden gelassen und die Klägerin mit ihrem Erstattungsbegehren aus dem gerichtlichen in das außergerichtliche Vorverfahren zurückversetzt worden ist. Gegenüber dem FA liegt eine Verletzung in der Hinsicht vor, daß das FG ohne entsprechende rechtliche Befugnis die Einspruchsentscheidung aufgehoben hat.
3. Die Klage ist eine Verpflichtungsklage, wenngleich sie sich auch gegen den die Erstattung ablehnenden Verwaltungsakt richtet. Das Wesen der vorliegenden Klage wird jedoch nicht durch den Antrag auf Aufhebung des ablehnenden Verwaltungsaktes bestimmt, sondern durch den begehrten gerichtlichen Ausspruch über die Erstattungspflicht der Finanzbehörde.
Die Auffassung, daß es sich um eine Verpflichtungsklage handelt, stimmt mit der Rechtsprechung des Senats zur materiell-rechtlichen Bedeutung der Vorschrift des § 17 GrEStG 1940 überein. Zur materiell-rechtlichen Bedeutung dieser Vorschrift hat der Senat entschieden, daß die Steuer mit der Verwirklichung des Tatbestandes des § 17 GrEStG 1940 "entfällt" (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. Februar 1975 II R 173/71, BFHE 116, 50, 51, BStBl II 1975, 675, und vom 14. Juni 1978 II R 90/76, BFHE 125, 403, 405, BStBl II 1978, 573). Das bedeutet, daß der Steueranspruch in diesem Zeitpunkt erlischt oder, wenn die Steuerschuld zu diesem Zeitpunkt bereits durch Zahlung erloschen war, daß der Steueranspruch nicht mehr den rechtlichen Grund für die geleistete Zahlung abgeben kann (vgl. § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Verfahrensmäßig wird über den Erstattungsanspruch nach § 17 GrEStG 1940 im Regelfall durch Erstattungsverfügung entschieden (vgl. BFH-Urteil vom 11. Mai 1966 II 73/62, BFHE 86, 308, 309, BStBl III 1966, 491) und nur ausnahmsweise in einem Rechtsbehelfsverfahren gegen die Steuerfestsetzung (vgl. BFH-Urteil vom 27. Januar 1982 II R 119/80, BFHE 135, 224, 225, BStBl II 1982, 425). Im vorliegenden Rechtsstreit ist ein Regelfall gegeben, in dem durch Erstattungsverfügung über den geltend gemachten Erstattungsanspruch zu entscheiden ist; sie muß mit der Verpflichtungsklage angefochten werden, und zwar in Gestalt der sog. Vornahmeklage, die auf den Erlaß eines abgelehnten Verwaltungsaktes gerichtet ist (§ 40 Abs. 1 FGO).
Der erkennende Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Anwendung des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO im vorliegenden Fall bereits deshalb nicht in Betracht kommt, weil die Klage in erster Linie auf die Verpflichtung des FA zur Erstattung der festgesetzten und gezahlten Grunderwerbsteuer gerichtet ist (§ 101 FGO), während der ebenfalls gestellte Antrag auf Aufhebung der ablehnenden Verfügung und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung demgegenüber zurücktritt. Er kann auch unentschieden lassen, ob § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO deshalb anwendbar ist, weil das begehrte Verpflichtungsurteil ohne Aufhebung des ablehnenden Verwaltungsaktes nicht möglich ist (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Juli 1983 V R 3/77, BFHE 139, 17, BStBl II 1983, 742). Auch bei Bejahung der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Urteil keinen Bestand haben.
4. Ob das Gericht im Fall einer Erfüllung der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO von der Möglichkeit der bloßen Kassation Gebrauch macht, ist in das - im Revisionsverfahren nachprüfbare - Ermessen des Gerichts gestellt (vgl. Ziemer/Haarmann/Lohse/Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnrn. 9558 und 9563 f.; vgl. auch BFH-Urteile vom 10. November 1966 V 74/64, BFHE 87, 128, BStBl III 1967, 54; vom 8. Dezember 1976 I R 240/74, BFHE 121, 142, 148 f., BStBl II 1977, 321, und vom 18. Dezember 1979 VIII R 27/77, BFHE 130, 7, 8, BStBl II 1980, 330). Im Rahmen der entsprechenden Erwägungen, die das Gericht anstellen muß, hat erhebliches Gewicht der voraussichtliche Aufwand an Kosten und Zeit bei den noch zu treffenden Ermittlungsmaßnahmen. Außerdem kommt besondere Bedeutung der Frage zu, ob der Kläger ein anerkennenswertes Interesse daran hat, die Möglichkeit der erstmaligen gründlichen Sachaufklärung im Verwaltungsverfahren, einschließlich des außergerichtlichen Vorverfahrens, nicht zu verlieren, oder ob sein Interesse im Gegenteil dahin geht, daß der Sachverhalt gerade durch das Gericht aufgeklärt wird. Für letztere Annahme kann von ausschlaggebender Bedeutung sein, daß der Finanzbehörde immerhin ein wesentlicher Verfahrensmangel angelastet wird; denn ohne vorherige Feststellung eines wesentlichen Verfahrensmangels sind Überlegungen zur Ermessensausübung im Rahmen des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO überhaupt nicht anzustellen.
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß § 28 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG (= § 17 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG 1940) anzuwenden ist, wenn der Erwerber einseitig die Rückgängigmachung gegen den Willen des Vertragspartners würde verlangen und durchsetzen können. Unter solchen Umständen sei es nicht schädlich, wenn der Vertrag durch freiwillige Vereinbarung aller Beteiligten rückgängig gemacht werde, sofern vor Abschluß der freiwilligen Vereinbarung das Recht des Erwerbers zur Rückgängigmachung unbestritten feststehe und die freiwillige Vereinbarung nur noch die Anerkennung dieses Rechts darstelle (vgl. BFH-Urteile vom 21. Dezember 1960 II 194/57 U, BFHE 72, 444, BStBl III 1961, 163, und vom 10. Juni 1969 II 41/65, BFHE 96, 76, BStBl II 1969, 559 für die insoweit vergleichbare Regelung des § 17 Abs. 2 Nr. 3 GrEStG 1940). Das FG hat ferner in Betracht gezogen, daß ein solches Recht der Klägerin nach § 326 BGB, nach den Grundsätzen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage oder aufgrund einer positiven Vertragsverletzung seitens der Veräußerin zustehen könnte. Es hat jedoch keine entsprechenden Feststellungen getroffen und hat im Hinblick auf die von ihm bemängelten fehlenden Feststellungen seitens des FA die aufgeworfenen Rechtsfragen letztlich unbeantwortet gelassen.
a) In Beziehung auf ein Rücktrittsrecht aufgrund Schuldnerverzuges hat das FG Feststellungen des FA zu den Fragen für notwendig gehalten, ob sich die Veräußerin überhaupt in Verzug befunden hat, ob die Klägerin der Veräußerin eine angemessene Frist gesetzt hat oder ob wegen eines entsprechenden Verzichts der Veräußerin oder wegen einer ernsthaften und endgültigen Leistungsverweigerung seitens der Veräußerin eine Fristsetzung entbehrlich gewesen ist, ob die Klägerin selbst leistungsbereit gewesen ist und ob bei der Klägerin ein Interessenverlust i. S. des § 326 Abs. 2 BGB vorgelegen hat. Welche Ermittlungen hierzu im einzelnen nach seiner Ansicht hätten getroffen werden müssen, ist vom FG nur in der Hinsicht näher erläutert worden, es sei noch aufzuklären, welche Erklärungen, Verhandlungen usw. zu welchen Zeitpunkten der Vereinbarung vorausgegangen seien.
b) Die diesbezüglichen noch erforderlichen Feststellungen hat das FG auch im Hinblick darauf für notwendig erachtet, daß geklärt werden müsse, ob sich für die Klägerin ein Rücktrittsrecht wegen positiver Vertragsverletzung ergeben habe.
c) Zur Frage, ob die Klägerin wegen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage zum Rücktritt berechtigt gewesen sei, hat das FG beanstandet, daß vom FA nicht ein Vergleich zwischen dem von der Veräußerin insgesamt erzielten Kaufpreis einerseits und den wenigstens annähernd ermittelten Kosten andererseits angestellt worden sei, die sich durch die Erfüllung von Bedingungen und Auflagen wegen der Teilungsgenehmigung ergeben hätten.
Die Beanstandung des FG an der nach seiner Auffassung unzureichenden Ermittlungstätigkeit des FA und die für notwendig erachteten weiteren Aufklärungen betreffen sämtlich Fragen, deren Beantwortung vom FG selbst mit Hilfe richterlicher Aufklärungsverfügungen (vgl. §§ 76 Abs. 1 und 77 Abs. 1 und 2 FGO) und unter Umständen auch im Rahmen eines Erörterungstermins (vgl. § 79 FGO) hätte erreicht werden können. Es gibt keine Anhaltspunkte für die Annahme, daß nach derartigen Ermittlungsmaßnahmen seitens des FG überhaupt noch in wesentlichem Umfang eine Beweiserhebung (vgl. §§ 81 ff. FGO) hätte notwendig werden können. Außerdem ist der Hinweis geboten, daß gemäß § 81 Abs. 2 FGO das Gericht in geeigneten Fällen schon vor der mündlichen Verhandlung durch eines seiner Mitglieder als beauftragtem Richter Beweise erheben lassen kann.
Hiernach kann der Senat der Auffassung des FG nicht folgen, die weitere Aufklärung erfordere einen erheblichen Aufwand an Kosten und Zeit i. S. des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO. Aber selbst wenn dies vernachlässigt würde, ließe sich die Entscheidung des FG dennoch nicht als ermessensfehlerfrei ansehen. Dann nämlich hätte das Interesse der Klägerin daran, nach rund neunjähriger Dauer der Bearbeitung ihres Erstattungsantrages und des Vorverfahrens möglichst rasch eine gerichtliche Entscheidung zur Sache zu erlangen, den Ausschlag für ein Absehen von der Anwendung des § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO geben müssen, selbst wenn mit einem mehr als nur unerheblichen Aufwand an Kosten und Zeit durch die weitere Aufklärung seitens des FG zu rechnen gewesen wäre.
Fundstellen
BStBl II 1984, 446 |
BFHE 1984, 13 |