Entscheidungsstichwort (Thema)
Kunstfotografien als abgabenbegünstigte Sammlungsstücke
Leitsatz (NV)
Künstlerische Fotografien, die auf Grund besonderer Umstände einen geschichtlichen Wert aufweisen, kommen als zoll- und einfuhrumsatzsteuerbegünstigte "Sammlungsstücke" in Betracht.
Normenkette
KN Pos. 9705, 4911; KN Anm. 1d zu Kap. 49; KN Anm. 4a zu Kap. 97; UStG 1980 § 12 Abs. 2 Nr. 1 S. 1; UStG 1980 Anl. Nr. 54 Buchst. b
Tatbestand
Das klagende und revisionsbeklagte Bundesland (Kläger) ließ im März 1990 bei dem beklagten und revisionsklagenden Hauptzollamt (HZA) 20 für insgesamt 150 000 $ von einer Galerie in New York für die Sammlung der B- Galerie, Museum für moderne Kunst, Fotografie und Architektur, erworbene Fotografien von X (gest. 19..) als zollfreie und einfuhrumsatzsteuerermäßigte "Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert" zum (unbeschränkt) freien Verkehr abfertigen. Aufgrund einer Überprüfung gelangte das HZA zu der Auffassung, daß keine "Sammlungsstücke" der Position 9705 der Kombinierten Nomenklatur (KN), sondern (nicht abgabenbegünstigte) "andere" Fotografien der Unterposition 4911 9180 KN vorlägen, und forderte Zoll und Einfuhrumsatzsteuer nach (Bescheid vom 19. Dezember 1990, bestätigt durch Einspruchsentscheidung vom 23. September 1991).
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied nach Einholung eines Sachverständigengutachtens, die Voraussetzungen für die Anerkennung als abgabenbegünstigte "Sammlungsstücke" seien gegeben. Die Fotos hätten insbesondere (kunst-)geschichtlichen Wert; es handele sich um aus den 30er Jahren stammende Arbeiten der experimentellen surrealistischen Fotografie, in Gestalt der jeweils einzigen Abzüge eines nicht mehr verfügbaren Negativs, gefertigt zu bestimmten Themenkreisen -- Eros/Tod, Schönheit/Vergänglichkeit, Lebendigkeit/Erstarrung usw. -- in Anwendung bisher unüblicher Methoden durch einen der nach fachlicher Ansicht weltbesten Fotokünstler. Diese Beurteilung gelte für sämtliche Fotografien, da diese ungeachtet der verwendeten Technik und der jeweiligen Motive künstlerisch und preislich gleichwertig seien.
Mit seiner Revision gegen dieses Urteil, auf dessen in Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1996, 350 wiedergegebene Begründung im übrigen verwiesen wird, rügt das HZA unzureichende Sachaufklärung und rechtsfehlerhafte Auslegung der Position 9705. Das FG berücksichtige nicht hinreichend die hohen Anforderungen, die sich aus dem Senatsurteil vom 29. November 1988 VII R 29/86 (BFHE 155, 219) ergäben. In der Anwendung neuartiger Methoden liege lediglich ein künstlerisches Ausdrucksmittel, was jedoch noch keinen (kunst-)geschichtlichen Wert begründe. Dieser hätte hinsichtlich jeder einzelnen Fotografie gesondert belegt werden müssen. Es sei auch nicht erkennbar, welche technische Entwicklung der Fotografie von X vorangetrieben worden sei.
Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er regt an, zur Auslegung der Position 9705 KN gegebenenfalls eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) einzuholen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei entschieden, daß die vom Kläger eingeführten Fotografien zollfreie und gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1980 mit Anlage Nr. 54 Buchst. b i. d. F. der Verordnung vom 7. März 1988 (BGBl I 1988, 204, BStBl I 1988, 117) einfuhrumsatzsteuerermäßigte "Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert" der Position 9705 KN sind, mit der Folge, daß der von einer anderen zolltariflichen Beurteilung ausgehende angefochtene Nacherhebungsbescheid, wie geschehen, aufzuheben war. Ohne Bedeutung ist, ob die Fotografien bei entsprechender Abfertigung (zur damaligen Freigutverwendung) gemäß Art. 51, Anhang II Abschn. B der Verordnung (EWG) Nr. 918/83 des Rates vom 28. März 1983 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 105/1) unabhängig von ihrer Tarifierung zollfrei gewesen wären.
Die nach der Rechtsprechung des EuGH und des Senats aufgestellten Erfordernisse für "Sammlungsstücke" (zu ihnen etwa Senat, Urteil vom 29. Oktober 1986 VII R 110/82, BFHE 148, 90, 92) sind nach den das Revisionsgericht gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden tatsächlichen Feststellungen erfüllt. Das wird hinsichtlich der Eigenschaft als Sammlungsstück auch vom HZA anerkannt, gilt aber ebenso hinsichtlich des erforderlichen geschichtlichen Wertes.
Das FG beurteilt die Fotografien als -- einmalige, nicht reproduzierbare -- exemplarische Veranschaulichungen eines Abschnitts der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften, hier der abstrakten surrealistischen Kunstfotografie der 30er Jahre. Der dabei angelegte Beurteilungsmaßstab hält sich im Rahmen der nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu beachtenden Vorgaben für die Beurteilung eines geschichtlichen Wertes, der auch kunst- oder kulturhistorischer Art sein kann (BFHE 155, 219, 222) und -- anders als das HZA anscheinend meint -- bei Fotografien keineswegs auf technische Entwicklungen beschränkt ist (vgl. im übrigen auch die nationalen Erläuterungen zu Abschn. XXI Rz. 07.1). Daß es sich bei X nicht um den einzigen Vertreter der bezeichneten Kunstrichtung gehandelt hat, steht bei Berücksichtigung der festgestellten Besonderheiten seines künstlerischen Schaffens der hier erfolgten Bewertung nicht entgegen. Diese Besonderheiten erschöpfen sich nicht in der Wahl bestimmter Methoden, so daß es keines Eingehens auf die Frage bedarf, ob allein dieser Gesichtspunkt die Zuerkennung eines geschichtlichen Wertes gerechtfertigt hätte.
Ebenfalls nicht zu beanstanden ist, daß das FG alle 20 Fotografien in gleicher Weise beurteilt hat. Aus der Vorentscheidung ergibt sich, daß die Einzelstücke "Überschneidungen" in technischer und motivischer Hinsicht aufweisen, sie also schon bei isolierter Betrachtung jeweils den Anforderungen entsprechen. Ob die vom FG zusätzlich angestellte "Gesamtbetrachtung" ausreichend gewesen wäre, braucht nicht entschieden zu werden. Im übrigen hat das HZA nicht vorgetragen, daß es entscheidungserhebliche Unterschiede zwischen den Fotografien geltend gemacht hätte. Seine Verfahrensrüge (§ 76 FGO) ist mangels näherer Ausführung unzulässig.
Die Rechtsprechung zur zolltariflichen Einreihung von "Kunstfotografien" und "Kunstgegenständen" bietet, wie vom FG richtig erkannt, keinen Anlaß, das hier gefundene Ergebnis in Frage zu stellen. Zwar gehören Kunstfotografien in das Papier-Kapitel (EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1989 Rs 1/89, EuGHE 1989, 4432, 4438; Senat, Urteil vom 25. Juni 1992 VII R 45/91, BFH/NV 1992, 847) -- jetzt zu Position 4911 --, doch gilt dies nur in Hinblick auf einen durch die Auswahl des abgebildeten Gegenstandes und der angewandten Techniken begründeten künstlerischen Wert, nicht bezüglich eines geschichtlichen Wertes, wie er ausnahmsweise gegeben sein kann. Eine Konkurrenz mit Position 9705 ist immerhin möglich (vgl. Anm. 1d zu Kap. 49) und, falls vorliegend, zugunsten der bezeichneten Position zu lösen (Anm. 4a zu Kap. 97). Der Umstand, daß die bloße Eigenschaft als "Kunstgegenstand" noch nicht die Zuweisung zu dieser Position rechtfertigt (BFHE 155, 219, 221; Senat, Urteil vom 8. Januar 1991 VII R 16- 19/89, BFH/NV 1991, 850, 852), schließt, wie ausgeführt, die Anerkennung als "Sammlungsstück ... " nicht generell aus. Liegen die Voraussetzungen dafür einschließlich des geschichtlichen (kunsthistorischen) Wertes vor, so stellen sich auch künstlerische Fotografien als "Sammlungsstücke" im zolltariflichen Sinne dar. Hiervon ist im Streitfall aufgrund der verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommenen tatrichterlichen Feststellungen und ihrer möglichen und deshalb den Senat gleichfalls bindenden Bewertung durch das FG auszugehen.
Soweit die Entscheidung nicht nur auf der Anwendung feststehender Rechtsgrundsätze, sondern auch auf einer Auslegung von Gemeinschaftsrecht (Positionen 9705, 4911 KN) beruht, entspricht diese der Rechtsprechung des EuGH und ist offenkundig. Es ist mithin nicht veranlaßt, eine Vorabentscheidung zur Auslegung einzuholen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs 283/81, EuGHE 1982, 3415, 3430).
Fundstellen