Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozeßkostenvorschuß als außergewöhnliche Belastung
Leitsatz (NV)
1. Kosten eines Rechtsstreits wegen einer fehlgeschlagenen Heilbehandlung sind außergewöhnlich.
2. Führt den Rechtsstreit ein Dritter, dem der Steuerpflichtige einen Prozeßkostenvorschuß leistet, so ist für die Frage der Zwangsläufigkeit nicht von ausschlaggebender Bedeutung, ob der Rechtsstreit für den Dritten zwangsläufig ist.
3. Hat der Steuerpflichtige jedoch die Ursache dafür, daß er einen Prozeßkostenvorschuß leisten muß, selbst gesetzt, indem er die Klageerhebung veranlaßt oder nicht abgewendet hat, obwohl ihm das möglich und zumutbar war, kann er sich auf Zwangsläufigkeit allenfalls dann berufen, wenn der Rechtsstreit für den Dritten zwangsläufig war.
4. Selbst bei hinreichender Erfolgsaussicht ist ein Rechtsstreit im allgemeinen nicht zwangsläufig, es sei denn, die Verwirklichung bestimmter Rechte erfordert selbst bei Einvernehmen der Betroffenen zwingend eine gerichtliche Entscheidung; ferner kann Zwangsläufigkeit in Betracht gezogen werden, wenn ein Rechtsstreit einen für den Steuerpflichtigen existentiell wichtigen Bereich berührt (st. Rspr.).
Normenkette
EStG § 33
Tatbestand
Bei dem im Streitjahr (1986) 24jährigen Sohn der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist eine Fehlstellung der Zähne von 1971 bis 1979 fachärztlich behandelt worden. 1983 erhob der Sohn der Kläger gegen die behandelnde Ärztin Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld, weil er aufgrund unzureichender Diagnosen falsch behandelt worden sei. Die Klage ist in drei Instanzen ohne Erfolg geblieben. Die durch den Rechtsstreit entstandenen Kosten von insgesamt ... DM beglichen die Kläger und machten sie erfolglos als außergewöhnliche Belastung geltend.
Gegen das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 757 veröffentlichte Urteil des Finanzgerichts (FG) richtet sich die vom FG zugelassene Revision der Kläger, zu deren Begründung im wesentlichen folgendes vorgetragen wird:
Sie, die Kläger, hätten sich den Aufwendungen aufgrund ihrer Unterhaltsverpflichtung aus rechtlichen Gründen nicht entziehen können. Der Schadensersatzprozeß sei für ihren Sohn eine lebenswichtige Angelegenheit gewesen. Die Rechtsverfolgung gegen die behandelnde Ärztin sei ihnen auch aufgrund der Angaben von Fachleuten als aussichtsreich erschienen; sie hätten sich deshalb zur Leistung des Prozeßkostenvorschusses verpflichtet gesehen.
Der vorliegende Fall liege anders als die durch Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 27. Februar 1987 III R 209/81 (BFHE 149, 240, BStBl II 1987, 432) entschiedene Streitsache. Es sei im Streitjahr nicht abzusehen gewesen, wann sich die Einkommens- und Vermögenslage ihres Sohnes ändern würde. Mangels eigener Einkünfte und eigenen Vermögens für eine noch unabsehbare Zeit sei eine Kreditfinanzierung des Prozesses unrealistisch und unzumutbar gewesen.
Sie, die Kläger, hätten eine Garantenstellung gehabt, weshalb sie sich auch aus sittlichen Gründen den streitigen Aufwendungen nicht hätten entziehen können. Ihre Garantenstellung ergebe sich aus ihrer Unterhaltsverpflichtung sowie aus ihrer Sachherrschaft über die bei ihrem Sohn durchgeführte Behandlung. Sie hätten ihren Sohn noch als Kind der betreffenden Fachärztin zugeführt. Ihr Sohn habe die Fehlbehandlung nicht erkennen und sich ihr wegen seines geringen Alters auch nicht entziehen können.
Sie hätten sich den Aufwendungen schließlich auch aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen können, nämlich weil Verjährung drohte und mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu rechnen gewesen sei.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und ... DM als außergewöhnliche Belastung steuermindernd zu berücksichtigen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastungen), wird die Einkommensteuer gemäß § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nach Maßgabe der in dieser Vorschrift getroffenen näheren Regelungen ermäßigt. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen (vgl. z. B. die Urteile des erkennenden Senats vom 23. Mai 1990 III R 145/85, BFHE 161, 73, BStBl II 1990, 895, und III R 63/85, BFHE 161, 69, BStBl II 1990, 894, sowie vom 12. Juli 1991 III R 23/88, BFH/NV 1992, 172). Die typischen Aufwendungen der Lebensführung sind hingegen aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen. Sie sind durch den Grundfreibetrag des § 32 a EStG bzw., soweit es sich um familienbedingte Mehraufwendungen handelt, durch die Regelungen des Kinderlastenausgleichs (vgl. jetzt § 31 EStG i. d. F. des Jahressteuergesetzes 1996, BGBl I 1995, 1250) abgegolten. Nicht nach § 33 EStG zu berücksichtigen sind insbesondere die in § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG bezeichneten Aufwendungen (§ 33 a Abs. 5 EStG), und zwar auch wenn bei dem Steuerpflichtigen die Voraussetzungen des § 33 a Abs. 1 EStG nicht vorliegen, etwa weil es sich um seine eigenen Kinder handelt, für die er einen Kinderfreibetrag und Kindergeld erhält (vgl. Senatsbeschluß vom 17. 4. 1997 III B 216/96). Zu den nach § 33 a Abs. 5 EStG nicht zu berücksichtigenden Aufwendungen gehören nach ständiger Rechtsprechung des BFH allerdings nur die typischen Unterhaltsaufwendungen (vgl. BFH-Urteil vom 10. August 1990 III R 30/87, BFHE 162, 52, BStBl II 1991, 73). Denn der Begriff "Aufwendungen für den Unterhalt" in § 33 a Abs. 1 EStG umfaßt einen engeren Bereich als im bürgerlichen Recht (vgl. §§ 1601 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --, insbesondere § 1610 Abs. 2 BGB; BFH-Urteil vom 10. August 1990 III R 45/87, BFHE 162, 55, BStBl II 1991, 74; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 21. Aufl., § 33 a EStG Anm. 38; Schmidt/Glanegger, Einkommensteuergesetz, 16. Aufl. 1997, § 33 a Rz. 13; Fitsch in Lademann/Söffing/Brockhoff, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 33 a Rdnr. 22; Blümich/Oepen, Einkommensteuergesetz, 15. Aufl., § 33 a Rdnr. 84). Atypische Unterhaltsaufwendungen können hingegen nach § 33 EStG berücksichtigt werden.
2. Die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen erfüllen nach den vorgenannten gesetzlichen Regelungen die Voraussetzungen einer außergewöhnlichen Belastung nicht.
a) Die Aufwendungen gehören freilich nicht zu den typischen Unterhaltsaufwendungen, sondern sind atypisch und i. S. des § 33 EStG außergewöhnlich.
Zu den typischen Unterhaltskosten rechnen die üblichen für den Lebensunterhalt des Empfängers bestimmten Leistungen wie Aufwendungen zur Befriedigung leiblicher Bedürfnisse wie Wohnung, Ernährung und Kleidung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 162, 55, BStBl II 1991, 74) oder zur Bestreitung der sonstigen üblichen, mit einer normalen Lebensführung verbundenen laufenden Kosten wie z. B. für Krankenversicherungsbeiträge (vgl. BFH-Urteil vom 31. Oktober 1973 VI R 206/70, BFHE 110, 547, BStBl II 1974, 86). Die Übernahme von Krankheitskosten hingegen hat der BFH in dem Urteil vom 19. Februar 1993 III R 42/92 (BFHE 170, 406, BStBl II 1993, 495) zu den besonderen Unterhaltsaufwendungen gerechnet, die gemäß § 33 EStG berücksichtigungsfähig sein können, wenn sie von Dritten getragen werden (vgl. auch BFH- Urteile vom 11. Juli 1990 III R 111/86, BFHE 162, 231, BStBl II 1991, 62; vom 9. November 1984 VI R 40/83, BFHE 142, 450, BStBl II 1985, 135, und vom 28. April 1978 VI R 145/75, BFHE 125, 167, BStBl II 1978, 456). Das gleiche muß erst recht für von dem Unterhaltsverpflichteten getragene Kosten eines Rechtsstreits wegen einer fehlgeschlagenen Heilbehandlung gelten, zumal wenn es sich darum handelt, daß der Unterhaltsberechtigte eine dauerhafte, seine körperliche Unversehrtheit nachhaltig beeinträchtigende Schädigung infolge eines ärztlichen Kunstfehlers geltend machen will. Ein solcher Rechtsstreit gehört wegen seines Gegenstandes nicht zu den außer gewöhnlichen Vorgängen des täglichen Lebens, so daß die Annahme des FG nicht gerechtfertigt ist, durch ihn verursachte Kosten des Unterhaltspflichtigen seien typisierend im Rahmen des § 33 a Abs. 1 EStG bzw. des Familienleistungsausgleichs durch Kinderfreibetrag und Kindergeld berücksichtigt und folglich durch die diesbezüglichen Vorschriften abgegolten.
b) Es fehlt jedoch an der Zwangsläufigkeit der von den Klägern erbrachten Aufwendungen. Maßgeblich ist dabei, ob die Gründe der Zwangsläufigkeit bei den Klägern vorliegen (vgl. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 33 EStG Anm. 187; Arndt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 33 Rdnr. C 12); ob sich ihr Sohn als derjenige, dem die Aufwendungen der Kläger zugute kamen und der als Kläger in dem eingeleiteten Zivilprozeß auftrat, in einer Zwangslage i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG befand, ist hingegen grundsätzlich nicht von ausschlaggebender Bedeutung (Urteil des Senats in BFHE 161, 73, BStBl II 1990, 895; einschränkend Schmidt/Drens eck, a.a.O., § 33 Rz. 22).
aa) Die Aufwendungen waren für die Kläger nicht aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig. Die Kläger haben nicht deshalb Aufwendungen erbracht, weil sie nicht anders handeln konnten, sondern weil sie meinten, aus rechtlichen und sittlichen Gründen nicht anders handeln zu dürfen.
bb) Die Aufwendungen waren auch aus rechtlichen Gründen nicht zwangsläufig. Denn rechtliche Gründe der Zwangsläufigkeit ergeben sich nicht aus einem unter Umständen aus § 1610 Abs. 2 BGB herzuleitenden Anspruch des Sohnes der Kläger auf einen Prozeßkostenvorschuß.
Ob volljährige Kinder aus § 1610 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf einen Prozeßkostenvorschuß herleiten können und ob dies insbesondere z. B. dann anzunehmen ist, wenn die Ansprüche im Verwandtschaftsverhältnis wurzeln (so Köhler in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl. 1992, § 1610 Rdnr. 15) oder wenn es sich um "lebenswichtige persönliche Angelegenheiten" handelt (vgl. z. B. Oberlandesgericht -- OLG -- Zweibrücken, Beschluß vom 25. Oktober 1995 5 UF 39/95, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht -- FamRZ -- 1996, 891), wird allerdings in der Rechtsprechung der Familiengerichte unterschiedlich beurteilt (grundsätzlich bejahend u. a. OLG Zweibrücken in FamRZ 1996, 891; OLG Köln, Beschluß vom 9. Februar 1994 5 W 2/94, FamRZ 1994, 1409, m. z. N.; a. A. OLG Hamm, Beschluß vom 4. Januar 1995 10 WF 264/94, FamRZ 1995, 1068 unter Berufung auf das Urteil des Bundesgerichtshofs -- BGH -- vom 9. November 1983 IVb ZR 14/83, BGHZ 89, 33; Kammergericht, Urteil vom 13. Juni 1996 16 WF 4044/96, FamRZ 1997, 694). Vom BGH und vom BFH ist die Frage bislang nicht entschieden worden (vgl. Urteil des erkennenden Senats in BFHE 161, 73, BStBl II 1990, 895; BFH- Beschluß vom 13. Januar 1997 X B 87/95, BFH/NV 1997, 433). Auch der Streitfall erfordert keine Stellungnahme zu dieser Frage. Denn selbst wenn der Sohn der Kläger nach § 1610 Abs. 2 BGB hätte verlangen können, daß die Kosten eines von ihm gegen seine frühere Zahnärztin angestrengten Schadensersatzprozesses von seinen Eltern vorgestreckt und im Falle seines endgültigen Unterliegens übernommen werden, wären die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen nicht als aus rechtlichen Gründen zwangsläufig entstandene Belastungen zu behandeln.
Denn dafür wäre neben einem solchen Anspruch zusätzlich Voraussetzung, daß Gründe der Zwangsläufigkeit in der Person der Kläger nicht nur hinsichtlich der Übernahme der ihrem Sohn entstehenden Prozeßkosten, sondern auch hinsichtlich des von ihrem Sohn angestrengten Rechtsstreits als der unmittelbaren, adäquaten Ursache des Anspruchs auf Prozeßkostenvorschuß vorlagen. Hat nämlich der Steuerpflichtige die Ursache dafür, daß er nach § 1610 Abs. 2 BGB Prozeßkosten tragen muß, selbst gesetzt, kann er sich allenfalls dann darauf berufen, ihm seien zwangsläufige Belastungen erwachsen, wenn der Rechtsstreit selbst zwangsläufig war. Denn er befindet sich dann unter dem Gesichtspunkt der Zwangsläufigkeit der ihm entstehenden Aufwendungen in keiner wesentlich anderen Lage, als wenn er selbst einen Prozeß führt. Das gleiche gilt, wenn der Steuerpflichtige den Prozeß des Unterhaltsberechtigten und damit die Kostenlast nicht von sich abwendet, obwohl ihm dies möglich und zumutbar ist. Denn es fehlt nach der Rechtsprechung des Senats an Gründen der Zwangsläufigkeit auch dann, wenn der Steuerpflichtige eine auf ihn zukommende Belastung nicht vermeidet, es sei denn, jede Möglichkeit dafür ist ausgeschlossen (BFH-Urteile vom 18. November 1977 VI R 142/75, BFHE 124, 39, BStBl II 1978, 147; in BFHE 149, 240, BStBl II 1987, 432, und vom 15. November 1991 III R 1/91, BFH/NV 1992, 302) oder von ihr Gebrauch zu machen ist nicht zumutbar (vgl. Senatsurteil vom 6. Mai 1994 III R 27/92, BFHE 175, 332, BStBl II 1995, 104 zur Pflicht, eine Belastung durch Abschluß einer Versicherung abzuwenden).
cc) Trotz der Parteistellung des Sohnes der Kläger in dem fraglichen Zivilprozeß und dessen Prozeßfähigkeit würde es an der Zwangsläufigkeit der geltend gemachten Aufwendungen also fehlen, wenn die Kläger die Einleitung und Durchführung jenes Rechtsstreits durch ihren Sohn entweder selbst veranlaßt haben oder ihrem Sohn ungeachtet ihrer Vorschußpflicht bei der Prozeßführung freie Hand ließen, ohne sich dafür auf Gründe der Zwangsläufigkeit berufen zu können.
Das FG hat nicht festgestellt und die Kläger haben auch selbst nicht behauptet, daß sie die Prozeßführung weder selbst veranlaßt haben noch die Möglichkeit hatten, die Erhebung der Zivilklage ihres Sohnes sowie die Einlegung von Berufung und Revision abzuwenden. Vielmehr haben die Kläger sich nach dem Tatbestand des angefochtenen Urteils vor allem darauf berufen, sie hätten sich als Eltern zur Unterstützung ihres Sohnes bei der Führung des Zivilrechtsstreits verpflichtet gefühlt. Ihr Vorbringen läuft sinngemäß darauf hinaus, sie selbst hätten im wohlverstandenen Interesse ihres Sohnes und aufgrund einer ihm gegenüber bestehenden sittlichen Verpflichtung dafür Sorge getragen, daß wegen der fehlerhaften zahnärztlichen Behandlung ihres Sohnes vor Ablauf der Verjährungsfrist Klage erhoben werde. Der fragliche Rechtsstreit beruhte also entscheidend nicht auf einem Betreiben des inzwischen allerdings volljährigen Sohnes der Kläger, sondern auf der Entscheidung seiner Eltern, die als Rechtsanwälte sachkundig waren, die Risiken und Aussichten eines Schadensersatzprozesses, wegen dessen Verlauf das FG auf die bei den Akten des FA befindlichen Urteile Bezug genommen hat (vgl. BFH-Urteil vom 20. August 1986 I R 87/83, BFHE 147, 521, BStBl II 1987, 75), einzuschätzen und ihren Sohn in erster Instanz auch selbst vertreten haben.
Es war nicht i. S. des § 33 EStG zwangsläufig, daß die Kläger die Erhebung einer Schadensersatzklage ihres Sohnes veranlaßt haben.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist eine gerichtliche Rechtsverfolgung, selbst bei hinreichender Erfolgsaussicht, im allgemeinen nicht zwangsläufig; sie ist vielmehr Ergebnis einer Abwägung von Für und Wider und Ausdruck des Entschlusses des Steuerpflichtigen, wegen der von einem günstigen Ausgang des Rechtsstreits erwarteten Vorteile das Prozeßkostenrisiko auf sich zu nehmen (Senatsurteil vom 9. Mai 1996 III R 224/94, BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596, m. w. N.). Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur denkbar, wenn die Verwirklichung bestimmter Rechte selbst bei Einvernehmen der Betroffenen eine gerichtliche Entscheidung, z. B. ein familienrechtliches Gestaltungsurteil, zwingend erfordert, was bei einem Schadensersatzprozeß nicht der Fall ist. Ferner hat der Senat eine Ausnahme in Betracht gezogen, wenn ein Rechtsstreit einen für den Steuerpflichtigen existentiell wichtigen Bereich berührt, so daß für jenen die Verfolgung seiner rechtlichen Interessen unter Umständen trotz unsicherer Erfolgsaussichten existentiell erforderlich ist, weil er sonst Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse im üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können (Urteil des Senats in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596). So liegt es hier ebenfalls nicht. Denn der Sohn der Kläger ist trotz des körperlichen Schadens, den er nach seinen Behauptungen aufgrund ärztlicher Kunstfehler erlitten hat, offenkundig nicht auf die eingeklagten Schadensersatzleistungen angewiesen; er benötigt sie insbesondere nicht, weil er nur mit ihrer Hilfe seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte.
Unter diesen Umständen könnten sich die Kläger dafür, daß sie ihren Sohn bei der Prozeßführung unterstützten, selbst dann nicht auf Gründe der Zwangsläufigkeit berufen, wenn sie ihn in einem von ihm selbst gefaßten Entschluß, Zivilklage zu erheben, lediglich sollten gewähren haben lassen statt sich von der Last, die Prozeßkosten zu tragen, dadurch zu befreien, daß sie ihren Sohn durch entsprechenden elterlichen (und zugleich anwaltlichen) Rat von einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit seiner früheren Ärztin abhielten. Sie hätten damit insbesondere nicht lediglich einer sittlichen Pflicht ihrem Sohn gegenüber entsprochen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist nämlich eine Zwangsläufigkeit gemäß § 33 Abs. 2 EStG begründende sittliche Pflicht nur zu bejahen, wenn diese so unabwendbar auftritt, daß sie ähnlich einer Rechtspflicht von außen her als eine Forderung oder zumindest Erwartung der Gesellschaft derart auf den Steuerpflichtigen einwirkt, daß ihre Erfüllung als eine selbstverständliche Handlung erwartet und die Mißachtung dieser Erwartung als moralisch anstößig angesehen wird (vgl. u. a. Urteile vom 24. Juli 1987 III R 208/82, BFHE 150, 351, BStBl II 1987, 715, und vom 27. Oktober 1989 III R 205/82, BFHE 158, 431, BStBl II 1990, 294). Es ist indes nicht moralisch anstößig, auf den Entschluß eines anderen Einfluß zu nehmen, einen für ihn nicht existentiell notwendigen Schadensersatzprozeß mit unsicherem Ausgang, jedoch hohem Prozeßkostenrisiko anzustrengen. Daß es verständlich und billigenswert sein kann, wenn Eltern die Entscheidung über eine Klageerhebung ganz allein ihren (volljährigen) Kindern überlassen, macht die ihnen aufgrund einer solchen Haltung erwachsenden Aufwendungen nicht unausweichlich im Sinne des dargelegten Begriffs der Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen (vgl. Senatsurteil in BFHE 149, 240, BStBl II 1987, 432). Das gilt auch dann, wenn sie dem Gegenstand des Rechtsstreits nicht gleichsam unbeteiligt gegenüberstehen, sondern den streitigen Schaden hätten abwenden können oder aufgrund einer Garantenstellung zumindest Verantwortung für ihn tragen.
Fundstellen
Haufe-Index 422366 |
BFH/NV 1997, 755 |
DStRE 1998, 478 |