Entscheidungsstichwort (Thema)
Anschlußrevision und Gegenrüge
Leitsatz (NV)
1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der unselbständigen Anschlußrevision ist nicht zu gewähren, wenn der Prozeßbevollmächtigte der Anschlußrevisionsklägerin zur Begründung erklärt, ihm sei 1983 die im August 1981 veröffentlichte, einschlägige Rechtsprechung des BFH nicht bekannt gewesen.
2. Zu den Anforderungen an eine wirksame Gegenrüge.
Normenkette
FGO § 155; ZPO § 556
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Umsatzsteuervoranmeldungen der Klägerin gingen nach dem Eingangsstempel des FA um einen Tag verspätet ein. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hatte behauptet, er habe die Umsatzsteuervoranmeldungen selbst am letzten Tag der Frist gegen 23 Uhr in den Außenbriefkasten des FA eingeworfen. Das FA setzte gegen die Klägerin einen Verspätungszuschlag fest. Die nach erfolglosem Beschwerdeverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das FA rügt mit der Revision fehlerhafte Anwendung des § 152 AO 1977.
Die Klägerin tritt der Revision des FA entgegen und beantragt Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das FG. Wegen Versäumung der Frist für die Einlegung und Begründung der Anschlußrevision bittet sie um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und führt zur Begründung an, ihrem Prozeßbevollmächtigten sei das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 8. April 1981 II R 4/78 (BFHE 133, 155, BStBl II 1981, 534) nicht bekannt gewesen. Der Sachantrag - so führt sie weiter aus - sei gerechtfertigt, weil das FA aufgrund unzulässiger vorweggenommener Beweiswürdigung eine verspätete Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung I/1981 angenommen habe.
Der BFH hob die Vorentscheidung auf die Revision des FA auf und wies die Klage ab. Insoweit ist das Urteil veröffentlicht in BFHE 154, 23, BStBl II 1988, 929.
Zur Anschlußrevision der Klägerin führte der BFH aus:
Entscheidungsgründe
Die Anschlußrevision der Klägerin:
1. Die nach Ablauf der Revisionsfrist (§ 115 Abs. 5 Satz 3, § 120 Abs. 1 FGO) von der Klägerin eingelegte Anschlußrevision ist als unselbständige Anschlußrevision statthaft (§ 155 FGO, § 556 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung - ZPO -), weil das FA zulässig Hauptrevision eingelegt hat.
Die unselbständige Anschlußrevision der Klägerin ist aber unzulässig, weil sie verspätet eingelegt worden ist. Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung einzulegen und innerhalb derselben Frist zu begründen (ständige Rechtsprechung des BFH in BFHE 133, 155, BStBl II 1981, 534):
Die Revisionsbegründung des FA gilt der Klägerin als am 10. März 1983 zugestellt (§ 53 Abs. 2 FGO, § 4 Abs. 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG -). Die am 25. April 1983 eingegangene Anschlußrevision ist daher verspätet eingelegt worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) ist der Klägerin nicht zu gewähren, weil sie sich die Unkenntnis ihres Prozeßbevollmächtigten von der in BStBl II Heft 16 vom 31. August 1981 veröffentlichten Änderung der Rechtsprechung zur Frist für die Einlegung einer unselbständigen Anschlußrevision (BFHE 133, 155, BStBl II 1981, 534) als Verschulden anrechnen lassen muß (§ 155 FGO i. V. m. § 51 Abs. 2, § 85 Abs. 2 ZPO).
Ein geschäftsmäßig mit der Wahrnehmung der Interessen seiner Mandanten beauftragter Prozeßbevollmächtigter muß das einschlägige Verfahrensrecht kennen (BFH, ständige Rechtsprechung z. B. Beschluß vom 11. März 1986 IX R 5/81, BFH/NV 1986, 544). Die Aufforderung der Geschäftsstelle des Senats in der Verfügung vom 2. März 1983 an den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, sich auf die ihm übersandte Abschrift der Revisionsbegründung des FA bis zum 25. April 1983 zu äußern, beseitigt das Verschulden nicht. Die Aufforderung war ohne Verschulden nicht dahin mißzuverstehen, daß eine Anschlußrevision noch in einer etwaigen mündlichen Verhandlung hätte beantragt werden können.
2. Soweit sich die Klägerin gegen die Beurteilung des FG wendet, daß ihr Prozeßbevollmächtigter die Umsatzsteuervoranmeldung I/1981 am 17. März 1981 und damit verspätet beim FA angebracht habe, kann ihrem Vorbringen auch keine wirksame Gegenrüge entnommen werden (vgl. zu den Voraussetzungen einer Gegenrüge BFH-Urteil vom 19. März 1970 IV R 72/69, BFHE 99, 21, BStBl II 1970, 497). Es fehlt nicht nur eine in der gesetzlichen Form des § 120 Abs. 2 FGO (zu den Anforderungen vgl. BFH-Urteil vom 26. Februar 1985 VII R 137/81, BFH/NV 1986, 136) erhobene Verfahrensrüge (vgl. BFH-Urteil vom 25. November 1986 V R 109/78, BFHE 148, 351, BStBl II 1987, 228), sondern auch ein Verfahrensmangel. Das FG hat die erwähnte Feststellung aufgrund einer dem sachlichen Recht zuzuordnenden Beweiswürdigung (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 23. August 1985 IV B 52/85, BFH/NV 1986, 739) ohne Verstoß gegen den Grundsatz des Verbots der Vorwegnahme der Beweiswürdigung getroffen.
Fundstellen
BFH/NV 1989, 375 |
BFHE 1989, 23 |