Leitsatz (amtlich)
Die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen haften nach § 69 Satz 1 AO 1977 i. V. m. § 37 Abs. 1 und § 3 Abs. 3 AO 1977 auch für Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge, die infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. § 69 Satz 2 AO 1977 läßt keinen gegenteiligen Schluß zu. Diese Vorschrift betrifft ausschließlich die Haftung für Säumniszuschläge, die infolge von Pflichtverletzungen der gesetzlichen Vertreter juristischer Personen entstanden sind.
Normenkette
AO 1977 § 3 Abs. 3, § 37 Abs. 1, §§ 69, 240
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH. Er beantragte am 28. November 1977 die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH. Die Eröffnung des Verfahrens wurde jedoch mangels Masse abgelehnt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erließ am 8. Februar 1978 gegen den Kläger einen Haftungsbescheid wegen von der GmbH nicht abgeführter Lohnsteuer der Monate Juli, August und Oktober 1977 sowie wegen Verspätungszuschlägen zur Lohnsteuer der Monate März bis August 1977 und des Monats Oktober 1977 von 1 798,60 DM. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage insoweit statt, als das FA den Kläger für Verspätungszuschläge haftbar gemacht hatte. Wegen der Haftung des Klägers für die Lohnsteuern wies das FG die Klage ab. Es führte unter anderem aus:
Der Kläger hafte als gesetzlicher Vertreter der GmbH für die nichtabgeführten Lohnsteuern. Er habe grobfahrlässig seine Pflicht verletzt, die angemeldeten Lohnsteuerabzugsbeträge für die Monate Juli, August und Oktober 1977 spätestens bis zum 10. Tag nach Ablauf des betreffenden Kalendermonats an das FA abzuführen. Hierdurch seien diese Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht erfüllt worden. Gemäß einem Umkehrschluß aus § 69 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) hafte der Kläger nicht für die vom FA angeforderten Verspätungszuschläge (so auch Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung 9. Aufl., Tz. 10 zu § 152 AO 1977).
Das FA legte gegen dieses Urteil Revision ein. Es rügt die Verletzung von Vorschriften materiellen Rechts. Es ist der Ansicht, das FG habe zu Unrecht die Haftung des Klägers für die im Haftungsbescheid angeforderten Verspätungszuschläge verneint. Das FG hätte seine Entscheidung nicht allein auf die Ausführungen von Tipke/Kruse (a. a. O., Tz. 10 zu § 152 AO 1977) stützen dürfen. Dieselben Autoren verträten an anderer Stelle ihres Kommentars zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, nämlich in Tz. 13 zu § 69 AO 1977, ebenso wie die herrschende Meinung in der Literatur zu Recht den Standpunkt, daß die Haftung nach § 69 AO 1977 alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i. S. des § 37 AO 1977 umfasse, mithin auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen i. S. des § 3 Abs. 3 AO 1977. Hierzu gehörten auch Verspätungszuschläge.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung insoweit aufzuheben, als dort die Inanspruchnahme des Klägers für Verspätungszuschläge von insgesamt 1 798,60 DM für unzulässig erklärt wurde.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Der Arbeitgeber hat nach § 38 Abs. 3 Satz 1 und § 41 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1977 die Pflicht, bei jeder Lohnzahlung die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers vom Arbeitslohn einzubehalten und sie bei monatlichen Lohnsteueranmeldungen spätestens am 10. Tag nach Ablauf eines jeden Monats dem Betriebstätten-FA anzumelden und dorthin abzuführen. Bei juristischen Personen haben diese Pflichten nach § 34 Abs. 1 AO 1977 deren gesetzliche Vertreter zu erfüllen. Sie müssen insbesondere dafür sorgen, daß die Steuern aus den von ihnen verwalteten Mitteln entrichtet werden. Sie haften nach § 69 Satz 1 i. V. m. § 37 Abs. 1 AO 1977, soweit Ansprüche aus dem Schuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden.
Das FG hat im Streitfall den gegen den Kläger als ehemaligen Geschäftsführer der GmbH erlassenen Haftungsbescheid bezüglich der von der GmbH nicht abgeführten Lohnsteuer für die Monate Juli, August und Oktober 1977 ohne Rechtsverstoß für rechtmäßig angesehen. Es hat jedoch zu Unrecht die Haftung des Klägers für die auf die Lohnsteuer entfallenden Verspätungszuschläge verneint.
Zu den Ansprüchen aus den Steuerschuldverhältnissen, für die der Kläger als gesetzlicher Vertreter der GmbH haftet, gehören nach § 69 Satz 1 i. V. m. § 37 Abs. 1 AO 1977 auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen. Zu ihnen zählen nach § 3 Abs. 3 AO 1977 unter anderem auch Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge. Das entspricht der herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 AO 1977 Anm. 19; Kühn/Kutter, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 69 AO 1977 Anm. 4 Abs. 1; Tipke/Kruse, a. a. O., § 69 AO 1977 Tz. 13; Koch, Kommentar zur Abgabenordnung, 2. Aufl., § 69 AO 1977 Tz. 4; Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 69 AO 1977 Anm. 17).
Entgegen der Ansicht des FG und den Ausführungen von Tipke/Kruse (a. a. O., in Tz. 10 letzter Absatz zu § 152 AO 1977) läßt sich aus einem Umkehrschluß aus § 69 Satz 2 AO 1977 nicht die Folgerung ziehen, die vorgenannte Haftung erstrecke sich nicht auf die Verspätungszuschläge. § 69 Satz 2 AO 1977 besagt lediglich, die Haftung nach § 69 Satz 1 AO 1977 umfasse "auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge". Die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen haften zwar, wie erwähnt, für Säumniszuschläge auch nach § 69 Satz 1 AO 1977 i. V. m. § 37, § 3 Abs. 3 AO 1977. Satz 2 des § 69 AO 1977 geht dem § 69 Satz 1 AO 1977 jedoch bezüglich der Haftung für Säumnis- und Verspätungszuschläge nicht im Range vor. § 69 Satz 2 AO 1977 hat im Verhältnis zu Satz 1 dieser Vorschrift eine ganz andere Bedeutung. Die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen müssen, wie ausgeführt, nach § 69 Satz 1 i. V. m. § 37 und § 3 AO 1977 für die Säumniszuschläge einstehen, die infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Satz 2 des § 69 AO 1977 erweitert diese Haftung auch auf solche Säumniszuschläge, die infolge von Pflichtverletzungen nach § 240 AO 1977 entstanden sind, weil die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen pflichtwidrig nicht dafür sorgten, daß die Steuern bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wurden (vgl. auch v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., und Kühn/Kutter, a. a. O.). Es kommt hier also im Gegensatz zu Satz 1 des § 69 AO 1977 nur auf Pflichtverletzungen beim Entstehen von Säumniszuschlägen und nicht darauf an, ob die Verwirklichung des Anspruchs des Staates auf Zahlung der Säumniszuschläge durch Pflichtwidrigkeiten dieser Personen verhindert oder verzögert wurde.
Diese Auslegung entspricht auch der Entstehungsgeschichte des § 69 Satz 2 AO 1977. Die Vorschrift geht zurück auf den gleichlautenden § 69 Abs. 1 Satz 2 des Entwurfs einer AO 1974 (Bundestagsdrucksache VI/1982 S. 28). In der Begründung hierzu in dieser Bundestagsdrucksache S. 119 heißt es, die Neufassung solle klarstellen, "daß sich die Haftung auch auf die infolge der Pflichtverletzung entstandenen Säumniszuschläge erstreckt".
Die Vorentscheidung war daher teilweise aufzuheben. Die Sache ist entscheidungsreif. Da das FA den Kläger zu Recht auch für die Verspätungszuschläge von 1 798,60 DM haftbar gemacht hat, war die Klage insoweit ebenfalls als unbegründet abzuweisen.
Fundstellen
BStBl II 1980, 375 |
BFHE 1980, 128 |
NJW 1980, 2151 |