Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbindliche Zusagen der Finanzbehörden
Leitsatz (NV)
1. Hat die Finanzbehörde einem Steuerpflichtigen zugesichert, einen konkreten Sachverhalt, der für die wirtschaftlichen Dispositionen des Steuerpflichtigen bedeutsam ist, bei der Besteuerung in einem bestimmten Sinn zu beurteilen und hat der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die Zusicherung der Finanzbehörde disponiert, so kann die Finanzbehörde nach dem Grundsatz von Treu und Glauben an ihre Zusage gebunden sein.
2. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben wird nicht nur das Vertrauen des Steuerpflichtigen im Hinblick auf die Verwirklichung des Steuertatbestands, sondern auch hinsichtlich eines verfahrensrechtlichen Besitzstands geschützt.
Normenkette
AO 1977 § 204 ff.; BGB § 242
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Inhaber einer . . . Im Anschluß an eine Betriebsprüfung änderte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) u. a. die Gewerbesteuermeßbescheide 1976 und 1977. Die Änderungen beruhten auf einer Erhöhung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb um einen Sicherheitszuschlag von 2 000 DM. Die Änderungsbescheide vom 20. Dezember 1983 wurden dem Kläger am 22. Dezember 1983 zugestellt.
Gegen die Änderungsbescheide erhob der Kläger am 27. Februar 1984 Einspruch. Während des Einspruchsverfahrens teilte das FA dem Kläger mit Schreiben vom 9. April 1984 mit, daß es an dem Sicherheitszuschlag nicht mehr festhalte. In dem Schreiben heißt es wörtlich: ,,Die Steuerbescheide 1976 und 1977 werden im Rahmen der weiteren Bearbeitung des Einspruchs insoweit geändert werden."
Mit einem weiteren Schreiben vom 31. Oktober 1984 an den Kläger bat das FA im Hinblick darauf, daß die Einsprüche verspätet eingelegt wurden, um deren Zurücknahme. Der Kläger hielt seine Einsprüche jedoch aufrecht und beantragte wegen der Verspätung der Einspruchseinlegung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Mit Entscheidung vom 10. Juli 1985 verwarf das FA die Einsprüche als unzulässig, weil sie verspätet eingelegt worden seien und keine Wiedereinsetzungsgründe vorlägen.
Der Klage gab das Finanzgericht (FG) statt. Die verspätete Einspruchseinlegung sei zwar nicht gemäß § 110 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) entschuldigt, so daß keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Das FA sei aber infolge seiner Zusage im Schreiben vom 9. April 1984 verpflichtet gewesen, die streitigen Gewerbesteuermeßbescheide dahin zu ändern, daß von einem Sicherheitszuschlag abgesehen werde. Eine Finanzbehörde könne sich im Hinblick auf die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides binden; bevor sie einen solchen Steuerbescheid erlasse, könne sie sich verbindlich verpflichten, es in einem bestimmten Sinne zu tun. Der Verpflichtungscharakter einer Zusage entfalle nicht deshalb, weil der Steuerpflichtige keine entsprechenden Dispositionen getroffen habe. Bei der ,,Vorwegregelung" eines zu erlassenden Steuerbescheides seien Dispositionen des Steuerpflichtigen nicht erforderlich. - Eine einmal erteilte verbindliche Zusage könne nicht nachträglich korrigiert werden. Soweit ein Steuerbescheid bestimmten Inhalts zugesagt worden sei, seien die §§ 206 und 207 AO 1977 entsprechend anzuwenden (Hinweis auf Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., vor § 204 AO 1977 Tz. 16). Hiernach komme eine Änderung der Zusage nur gemäß § 207 Abs. 3 AO 1977 i. V. m. § 130 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AO 1977 in Betracht. Die Voraussetzungen hierfür (Erlaß des Bescheides durch eine unzuständige Behörde; Erwirken der Zusage durch unlautere Mittel wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung) hätten im Streitfall nicht vorgelegen.
Mit der - vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen - Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Der Auffassung des FG, das FA sei nach dem Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet gewesen, die Änderungsbescheide vom 20. Dezember 1983 entsprechend der in seinem Schreiben vom 9. April 1984 gemachten Äußerung zu ändern, kann nicht gefolgt werden.
1. Die Voraussetzungen, unter denen nach der Regelung in der AO 1977 eine Finanzbehörde eine verbindliche Zusage geben kann, haben im Streitfall nicht vorgelegen. In der AO 1977 wird nur die verbindliche Zusage im Anschluß an eine Außenprüfung geregelt (vgl. §§ 204 bis 207 AO 1977). Eine derartige Zusage lag hier unbestritten nicht vor.
2. Eine Finanzbehörde kann allerdings auch in anderen Fällen Auskünfte mit bindender Wirkung (Zusage) erteilen. Ob die Voraussetzungen für eine solche - außerhalb einer Außenprüfung gegebene - bindende Zusage vorliegen, ist nach den von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Rechtslage nach der Reichsabgabenordnung (AO) aus Treu und Glauben abgeleiteten Grundsätzen zu entscheiden (Urteil vom 13. Dezember 1989 X R 208/87, BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274).
Das FA kann nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gebunden sein, wenn es einem Steuerpflichtigen zugesichert hat, einen konkreten Sachverhalt, dessen steuerrechtliche Beurteilung zweifelhaft erscheint und der für die wirtschaftliche Disposition des Steuerpflichtigen bedeutsam ist, bei der Besteuerung in einem bestimmten Sinne zu beurteilen (BFH-Urteile vom 4. August 1961 VI 269/60 S, BFHE 73, 813, BStBl III 1961, 562; vom 19. März 1981 IV R 49/77, BFHE 133, 144, BStBl II 1981, 538; vom 16. März 1983 IV R 36/79, BFHE 138, 223, BStBl II 1983, 459, und in BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274).
Die Auffassung des FG, eine Zusage könne auch dann einen verpflichtenden Charakter haben, wenn der Steuerpflichtige auf die Zusage hin keine entsprechenden Dispositionen getroffen hat, ist unzutreffend. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann ein durch die Zusage geschaffener Vertrauenstatbestand nur dann zu einer Verpflichtung der Finanzverwaltung führen, wenn der Steuerpflichtige im Vertrauen auf das Verhalten der Finanzbehörde disponiert hat; das Verhalten der Finanzbehörde muß mithin ursächlich für das Verhalten des Steuerpflichtigen gewesen sein (BFH-Urteile vom 19. Dezember 1973 II R 180/72, BFHE 111, 188 BStBl II 1974, 182; vom 14. September 1978 IV R 89/74, BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121, und vom 11. Dezember 1987 III R 168/86, BFHE 152, 29, BStBl II 1988, 232). Hat der auf das Verhalten der Finanzbehörde vertrauende Steuerpflichtige keine derartigen Dispositionen getroffen, so ist für die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben kein Raum (BFH-Urteil vom 12. Januar 1983 IV R 180/80, BFHE 137, 481, BStBl II 1983, 595).
Der Senat verkennt nicht, daß der Begriff ,,wirtschaftliche Disposition" einer weiten Auslegung bedarf und deshalb nicht nur ,,vermögenswerte" Dispositionen umfaßt. Er schließt sich insoweit der vom X. Senat des BFH in seinem Urteil vom 29. Oktober 1987 X R 1/80 (BFHE 151, 118, BStBl II 1988, 121) vertretenen Auffassung an, nach der das Vertrauen des Steuerpflichtigen nicht nur im Hinblick auf die Verwirklichung eines Steuertatbestandes, sondern auch hinsichtlich eines ,,verfahrensrechtlichen Besitzstandes" zu schützen sein kann. Einen Fall letzterer Art hat der X. Senat darin gesehen, daß das FA in der mündlichen Verhandlung vor dem FG den Erlaß eines Änderungsbescheides zugunsten des Steuerpflichtigen zugesagt hat und die Beteiligten daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Auch in einem solchen Fall ist das FA nach Treu und Glauben an seine Zusage gebunden.
3. Geht man von diesen Rechtsgrundsätzen im Streitfall aus, so konnte das FA an seine im Schreiben vom 9. April 1984 geäußerte Absicht, die angefochtenen Bescheide hinsichtlich der Sicherheitszuschläge zu ändern, nicht nach Treu und Glauben gebunden sein. Denn es sind keine Umstände erkennbar, die darauf schließen lassen, daß der Kläger im Vertrauen auf dieses Schreiben Dispositionen getroffen hat. Als eine durch das Schreiben vom 9. April 1984 verursachte Disposition kann es insbesondere nicht angesehen werden, daß sich der Kläger durch dieses Schreiben möglicherweise davon abhalten ließ, rechtzeitig einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO 1977) gegen die Versäumung der Einspruchsfrist zu stellen. Denn der Kläger hatte schon nach seinem eigenen Vorbringen bereits am 13. Februar 1984 erkannt, daß die Einspruchsfrist abgelaufen ist. Unter diesen Umständen hätte er spätestens bis zum Ablauf der Monatsfrist des § 110 Abs. 2 AO - also bis zum 13. März 1984 - die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen müssen. Wenn der Kläger die rechtzeitige Stellung des Wiedereinsetzungsantrags unterließ, so kann hierfür nicht das Schreiben des FA vom 9. April 1984 ursächlich gewesen sein. In der Unterlassung der rechtzeitigen Antragstellung kann somit keine Disposition über einen ,,verfahrensrechtlichen Besitzstand" gesehen werden. Mangels einer entsprechenden Disposition des Klägers ist das FA deshalb nicht an die von ihm im Schreiben vom 9. April 1984 geäußerte Rechtsauffassung gebunden.
Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, ob - und ggf. unter welchen Voraussetzungen - das FA seine Zusage noch nachträglich hätte ändern können.
Fundstellen