Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung an angestellten Versicherungsvertreter für Verkleinerung seines Bezirks als tarifbegünstigte Entschädigung
Leitsatz (amtlich)
Eine Abfindung, die ein angestellter Versicherungsvertreter von seinem Arbeitgeber für die Verkleinerung seines Bezirks erhält, kann eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG sein, die nach § 34 Abs. 1, 2 EStG tarifbegünstigt zu besteuern ist.
Normenkette
EStG § 24 Nr. 1, § 34
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Alleinerbe seines Vaters (Steuerpflichtiger), der am 2. April 1995 starb.
Der Steuerpflichtige schloss am 22. November 1991 mit der L-Versicherungs AG (kurz: AG) einen schriftlichen Vertrag über seine Anstellung als Leiter der Geschäftsstelle A. Danach hatte er den Außen- und den Innendienst der Geschäftsstelle zu leiten bzw. zu beaufsichtigen mit dem Ziel, unter Benutzung der von der AG zur Verfügung gestellten Einrichtungen (Büroräume, Inventar u.ä.) und der Versicherungsbestände, die Geschäfte nach Weisungen der AG und den Grundsätzen eines ordentlichen Kaufmanns zu führen, den vorhandenen Mitarbeiterstab durch zuverlässige leistungsfähige Vertreter auszuweiten und den Kundenkreis zu vergrößern. Er war berechtigt, Mitarbeiter einzustellen. Seine Vergütung setzte sich zusammen aus einem monatlichen Bruttogehalt, einer sog. Geschäftsbeteiligung sowie Barprovisionen und Reisekostenvergütungen. Die Geschäftsbeteiligung errechnete sich aus dem Saldo von Gutschriften (2,5 % der Netto-Abschluss-Provisions-Gutschriften; 1 1/3 % bzw. 0,8 % der Steigerung der Prämieneinnahmen gegenüber dem Vorjahr; 20 % der Ersparnis von Kosten) und Belastungen (Mehrkostenverbrauch, Unkostenbeteiligung). Die Barprovision sollte der Steuerpflichtige für persönliche Versicherungsabschlüsse erhalten. Im Übrigen sollten für das Dienstverhältnis die §§ 59 ff. des Handelsgesetzbuches (HGB) gelten.
Die AG beschloss, zum 1. Januar 1993 den ―unter der Oberleitung des Steuerpflichtigen― im Jahr 1991 neu gegründeten Organisationsbereich E aus dem räumlich vom Steuerpflichtigen betreuten Gebiet auszugliedern und hierfür eine neue Niederlassung zu gründen. Für die teilweise Abtretung des Bestandes an den neu zu errichtenden Geschäftskreis, der nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten für den Steuerpflichtigen mit einem erheblichen Substanzverlust verbunden war, machte die AG dem Steuerpflichtigen das Angebot, ab dem Streitjahr 1993 jährlich Abfindungen in Höhe von 5 % des Netto-Abschluss-Provisions-Aufkommens der neu gegründeten Niederlassung auf die Dauer von 10 Jahren zu zahlen. Damit sollten die künftig jährlich fortfallenden durchschnittlichen Einnahmen für die Zeit vom 1. Januar 1993 bis zum 31. Dezember 2002 abgegolten werden. Auf Wunsch des Steuerpflichtigen einigte man sich darauf, diese Zahlungen zu kapitalisieren. Dem Steuerpflichtigen floss dementsprechend im Streitjahr 1993 eine Einmalzahlung in Höhe von 730 000 DM zu. Die Abfindung sollte bei Tod oder Erwerbsunfähigkeit des Steuerpflichtigen nicht zurückgezahlt werden.
Der Steuerpflichtige beantragte, die Abfindung bei der Veranlagung 1993 nach § 34 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermäßigt zu besteuern. Dem folgte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) zunächst, versagte aber im Rahmen des sich aus anderen Gründen anschließenden Einspruchsverfahrens ―nach entsprechendem Hinweis― die Steuervergünstigung mit der Begründung, dass aufgrund der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses lediglich ein bereits vertraglich bestehender Vergütungsanspruch teilweise abgelöst worden sei. Die bloße Änderung der Zahlungsmodalität beruhe nicht auf einer neuen Rechtsgrundlage.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2000, 367).
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 24 Nr. 1 Buchst. a und b, § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG und beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben. Entgegen der Auffassung des FG erfüllt die dem Steuerpflichtigen im Streitfall gezahlte Abfindung für die Ausgliederung des Bezirks E nicht den Tatbestand des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG. Die Annahme, dass die Abfindung insgesamt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG sei, wird durch die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht getragen. Die Sache ist zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG ist die Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen, soweit in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten sind. Als außerordentliche Einkünfte kommen u.a. Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 EStG in Betracht, die ―wie im Streitfall― dem Steuerpflichtigen in einem Veranlagungszeitraum zufließen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 4. März 1998 XI R 46/97, BFHE 185, 429, BStBl II 1998, 787; vom 16. März 1993 XI R 10/92, BFHE 170, 445, BStBl II 1993, 497).
1. Die Annahme einer Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG scheitert im Streitfall daran, dass das Rechtsverhältnis des Steuerpflichtigen mit der AG anlässlich der geographischen Neugliederung der Versicherungsbezirke nicht beendet wurde.
a) Mit Urteil vom 12. April 2000 XI R 1/99 (BFH/NV 2000, 1195) hat der erkennende Senat entschieden, dass der Tatbestand des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nur bei Beendigung des bestehenden Rechtsverhältnisses erfüllt ist. In diesem Sinne hatte der Senat auch schon die Ablösung eines im Arbeitsvertrag zugesagten Wohnrechts bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht als Entschädigung beurteilt (BFH-Urteil vom 25. August 1993 XI R 7/93, BFHE 172, 427, BStBl II 1994, 185, m.w.N.). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zitierten Entscheidungen Bezug genommen.
b) Die Rechtsgrundsätze dieser Entscheidungen gelten nicht nur für die dort entschiedenen Fälle der Abgeltung künftig wegfallender Nebenverpflichtungen des Arbeitgebers, sondern auch dann, wenn die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers auf Veranlassung des Arbeitgebers ―quantitativ oder qualitativ― eingeschränkt wird (vgl. BFH in BFH/NV 2000, 1195).
c) Die quantitative Einschränkung der Arbeitnehmerleistung ist auch nicht mit der Veräußerung oder Aufgabe eines Teilbetriebs i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG vergleichbar (vgl. hierzu BFH in BFH/NV 2000, 1195). Teilbetrieb kann nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur ein mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestatteter, organisch geschlossener Teil eines Gesamtbetriebes sein, der für sich allein lebensfähig ist (Schmidt/ Wacker, Einkommensteuergesetz, 19. Aufl., § 16 Rdnr. 143, m.w.N.). Die bloße räumliche Abtrennung eines von einem Versicherungsvertreter betreuten Gebietes erfüllt diese Merkmale nicht.
2. Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG können Zahlungen, die für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit, für die Aufgabe einer Gewinnbeteiligung oder einer Anwartschaft auf eine solche gewährt werden, steuerbegünstigte Entschädigungen sein.
a) § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG erfasst nicht nur den Ausgleich finanzieller Einbußen anlässlich der Beendigung eines Rechtsverhältnisses, sondern auch Entschädigungen für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit und damit Gegenleistungen für den Verzicht auf eine mögliche Einkunftserzielung (vgl. BFH-Urteil vom 12. Juni 1996 XI R 43/94, BFHE 180, 433, BStBl II 1996, 516, m.w.N.). Die Vorschrift verlangt nur die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit, nicht des Berufs (vgl. Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, § 24 EStG Rdnr. 50, m.w.N.). Da ein Rechtsverhältnis zwischen Entschädigendem und Entschädigtem in diesen Fällen noch nicht bestanden haben muss, ist die Beendigung der Rechtsbeziehungen nicht Voraussetzung für die Annahme einer Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG.
Allerdings ist nicht jede Entschädigung, die anlässlich einer (Änderungs-)Kündigung gezahlt wird, eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG. Wird ein Vertragsverhältnis beendet, so wird im Allgemeinen die Entschädigung für die entgangenen oder entgehenden Einnahmen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, nicht aber "für" die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit gezahlt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 180, 433, BStBl II 1996, 516).
b) Im Streitfall besteht die Besonderheit, dass dem Steuerpflichtigen durch die räumliche Einschränkung des Bezirks untersagt wurde, in dem ausgegliederten Bezirksteil E seine Vertretertätigkeit weiterhin auszuüben. Die Übertragung eines bestimmten Bezirks steckt zwar zunächst nur das räumliche Tätigkeitsfeld des ―selbständigen oder unselbständigen― Versicherungsvertreters ab und untersagt noch nicht ein Tätigwerden in anderen Bezirken. Hat ein Versicherungsunternehmen aber sein Absatzgebiet in Bezirke aufgeteilt und mit Versicherungsagenten besetzt, so ist es den Vertretern verboten, bezirksfremd tätig zu werden (vgl. Staub/Brüggemann, Handelsgesetzbuch, 1995, § 92 Rdnr. 8; Küstner/v. Manteuffel/Evers, Handbuch des gesamten Außendienstrechts, 1995, Bd. 1 Rdnr. 892; Heymann/ Sonnenschein/Weitemeyer, Handelsgesetzbuch, 2. Aufl., § 87 Rdnr. 22). Mit der Ausgliederung des Organisationsbereichs E war damit dem Steuerpflichtigen eine Tätigkeit in diesem Bereich untersagt worden. Hierin kann der Verzicht auf eine mögliche künftige Einkunftserzielung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG liegen; denn nicht unwesentlicher Teil des Gehalts des Steuerpflichtigen war der Anteil am Netto-Abschluss-Provisions-Aufkommen. Dass er der Umgliederung letztlich zustimmte, ist unschädlich (vgl. BFH-Urteil vom 2. April 1976 VI R 67/74, BFHE 119, 141, BStBl II 1976, 490).
3. Eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. c EStG i.V.m. § 89b HGB scheidet im Streitfall aus. Gemäß § 89b i.V.m. § 84 Abs. 1 HGB hat nur der als selbständiger Gewerbetreibende tätige Handels- oder Versicherungsvertreter (vgl. § 89b Abs. 5 HGB) unter den dort genannten Voraussetzungen einen gesetzlichen Ausgleichsanspruch. Dem nach den Feststellungen des FG bei der AG im Rahmen eines Anstellungsvertrages tätigen Steuerpflichtigen stand daher kein gesetzlicher Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB zu (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 3. Juni 1958 2 AzR 638/57, Betriebs-Berater 1958, 775; Küstner/v. Manteuffel/Evers, a.a.O., Bd. 2 Rdnr. 51, m.w.N.).
4. Das FG wird im zweiten Rechtsgang nunmehr feststellen müssen, ob und ggf. in welchem Umfang die Abfindung für die Nichtausübung der Tätigkeit im Bereich E bezahlt wurde. Dabei muss es insbesondere den Teil der Entschädigung, der auf entgangene oder entgehende Einnahmen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG entfiel, und für den eine Steuerbegünstigung mangels Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in Betracht kommt, ermitteln. Nur der Teil, der für die Nichtausübung der Tätigkeit als Versicherungsagent im ausgegliederten E-Gebiet bezahlt wurde, kann danach steuerbegünstigt sein.
Fundstellen
Haufe-Index 588347 |
BFH/NV 2001, 1061 |
BStBl II 2001, 541 |
BFHE 194, 411 |
BFHE 2002, 411 |
BB 2001, 1287 |
DB 2001, 1393 |
DStR 2001, 979 |
DStRE 2001, 697 |
DStZ 2001, 560 |
HFR 2001, 768 |
StE 2001, 354 |