Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStEigWoG ist im Falle des Erwerbs von Miteigentumsanteilen durch Ehegatten im Wege der Rechtsfortbildung durch Lückenausfüllung dahin gehend zu vervollständigen, daß es für die Grunderwerbsteuerbefreiung beider Ehegatten ausreicht, wenn die Eltern eines Ehegatten eine Wohnung des erworbenen Zweifamilienhauses bewohnen.
Normenkette
GrEStEigWoG § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und ihr Ehemann erwarben 1979 ein mit einem Zweifamilienhaus bebautes Grundstück als Miteigentümer je zur ideellen Hälfte. Sie beantragten, diesen Erwerb nach dem Gesetz zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen vom 11. Juli 1977 (GrEStEigWoG) von der Steuer freizustellen, und erklärten gegenüber dem beklagten Finanzamt (FA), daß eine Wohnung des (im übrigen fremdvermieteten) Zweifamilienhauses von den Eltern des Ehemannes der Klägerin bewohnt werde. Das FA entsprach dem Antrag für den von der Klägerin verwirklichten Erwerbsvorgang nicht und unterwarf den anteiligen Erwerb der Klägerin der Grunderwerbsteuer in Höhe von 6 650 DM.
Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids in Form der Einspruchsentscheidung.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit der in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1982, 258 veröffentlichten Entscheidung abgewiesen.
Mit der vom FG zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Der anteilige Grundstückserwerb der Klägerin unterliegt zwar gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) in der seinerzeit in Baden-Württemberg geltenden Fassung der Grunderwerbsteuer. Er ist aber gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStEig-WoG materiell vorläufig von der Grunderwerbsteuer befreit. Nach dieser Vorschrift ist von der Grunderwerbsteuer auf Antrag ausgenommen der Erwerb eines Grundstücks mit einem Zweifamilienhaus, wenn mindestens eine Wohnung des Zweifamilienhauses innerhalb von fünf Jahren mindestens ein Jahr lang von dem Erwerber, seinem Ehegatten oder einem seiner Verwandten in gerader Linie ununterbrochen bewohnt wird. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die begehrte (materiell vorläufige) Steuerbefreiung sind im vorliegenden Fall erfüllt.
Von der Befreiungsvorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStEigWoG werden auch die Fälle erfaßt, in denen - wie hier - ein Miteigentumsanteil an dem begünstigten Objekt erworben wird. Werden Miteigentumsanteile an einem Grundstück erworben, so liegen auch grunderwerbsteuerrechtlich mehrere Erwerbsvorgänge vor. Entsprechend erstreckt sich eine Befreiung von der Steuer auch auf den Erwerb von Miteigentum nach Maßgabe der weiteren Anforderungen des Befreiungstatbestandes (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Januar 1972 II 115/65, BFHE 105, 58, BStBl II 1972, 474, und vom 23. Juni 1976 II R 139/71, BFHE 119, 510, BStBl II 1976, 693). Die Steuerbefreiung tritt nur ein, soweit der für die Berechnung maßgebende Wert den Betrag von 300 000 DM nicht übersteigt (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GrEStEigWoG), wobei dieser Freibetrag für das Grundstück im ganzen gilt und bei Erwerb von Miteigentum anteilig zu gewähren ist (§ 1 Abs. 2 Satz 2 GrEStEigWoG). Der die Befreiung in Anspruch nehmende Erwerber ist verpflichtet, den Bezug einer Wohnung des Zweifamilienhauses durch sich selbst oder eine Person aus dem begünstigten Personenkreis anzuzeigen, und hat spätestens einen Monat nach Ablauf der Fünf-Jahres-Frist nachzuweisen, daß die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung erfüllt sind (§ 2 GrEStEigWoG).
Der hälftige Erwerb der Klägerin kann somit nur dann nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStEigWoG steuerbefreit sein, wenn gerade in bezug auf ihn alle Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift erfüllt sind.
Das ist hier der Fall.
Nach den unangefochtenen und somit für den Senat bindenden Feststellungen des FG hat die Klägerin dem FA mitgeteilt, daß die nicht fremdvermietete Wohnung des Zweifamilienhauses von den Eltern ihres Ehemannes bewohnt werde. Diese Erklärung der Klägerin - daß eine Wohnung von ihren Schwiegereltern bewohnt werde - ist (jedenfalls) ausreichend, um den klägerischen Erwerb materiell vorläufig von der Grunderwerbsteuer freizustellen, weil auch die Schwiegereltern der Klägerin unter den "begünstigten Personenkreis" fallen.
Die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStEigWoG ist im Falle des Erwerbs von Miteigentumsanteilen durch Ehegatten dahin gehend zu verstehen, daß es für die Grunderwerbsteuerbefreiung beider Ehegatten ausreicht, wenn die Eltern eines Ehegatten das erworbene Objekt bewohnen.
Bei der Auslegung einer Vorschrift ist der zum Ausdruck gekommene objektivierte Wille des Gesetzgebers zu ermitteln, so wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den die Vorschrift gestellt ist. Ausgangspunkt jeder Auslegung muß dabei der Wortlaut des Gesetzes sein. Befreiungsvorschriften sind dabei nicht buchstäblich eng, sondern unter sinnvoller Würdigung des mit ihnen verfolgten Zwecks auszulegen (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juli 1970 II R 93/66, BFHE 100, 228, BStBl II 1970, 872). Allerdings muß der Befreiungswille des Gesetzgebers im Wortlaut des Gesetzes einen - wenn auch nur unvollkommenen, aber doch erkennbaren und auch inhaltlich abgrenzbaren - Ausdruck gefunden haben.
Seinem Wortlaut nach geht § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrEStEigWoG davon aus, daß die mindestens einjährige ununterbrochene Wohnnutzung entweder vom Erwerber selbst oder von seinem Ehegatten oder einem seiner Verwandten in gerader Linie zu verwirklichen ist. In dieser Wortfassung kommt der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, falls - wie im vorliegenden Fall - die geforderte "Eigennutzung" weder durch den Erwerber noch seinen Ehegatten erfüllt wird, die Steuerbefreiung nur dann zu gewähren, wenn Erwerber und Bewohner in einem bestimmten (Verwandtschafts-) Verhältnis zueinander stehen. Nach dem Gesetzeswortlaut sind das nur Personen, deren eine von der anderen abstammt, also in gerader Linie miteinander verwandt sind (§ 1589 Abs. 1 Satz 1 BGB). Zu diesem Personenkreis zählen die Eltern des Ehemannes der Klägerin nicht. Sie sind vielmehr mit der Klägerin verschwägert (§ 1590 BGB).
Wenngleich der nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder dem besonderen Sprachgebrauch des Gesetzes (noch) mögliche Wortsinn des Gesetzes eine Grenze der Auslegung im engeren Sinne bildet (vgl. dazu Larenz, Allgemeiner Teil des deutschen Bürgerlichen Rechts, 6. Aufl. S. 77), so sieht sich der Senat jedoch im vorliegenden Fall dazu verpflichtet, über den Gesetzeswortlaut hinauszugehen. Eine solche ausdehnende und damit über den Wortlaut hinausgehende Auslegung einer Vorschrift ist in Betracht zu ziehen, wenn das Gesetz lückenhaft ist, d. h. keine Regelung für den zu beurteilenden Sachverhalt enthält. Eine Lücke des Gesetzes liegt dort vor, wo es gemessen an seiner eigenen Absicht unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung (auf bestimmte Tatbestände) widerspricht (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl., 1983, 354 f.).
Daß der Gesetzgeber die Frage der "zugelassenen Bewohner" im Falle des Erwerbs von Miteigentumsanteilen durch Ehegatten nicht geregelt hat, stellt sich unter Berücksichtigung des gesetzgeberischen Plans und des damit verfolgten Zwecks als eine Lücke innerhalb des Regelungszusammenhangs des Gesetzes dar. Um eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes handelt es sich schon deshalb, weil nach der zugrunde liegenden Regelungsabsicht eine Regelung auch dieser Fälle (d. h. des Erwerbs von Miteigentumsanteilen) erwartet werden muß.
Mit der Schaffung des GrEStEigWoG verfolgte der Gesetzgeber nicht nur eine vermögenspolitische, städtebauliche und wohnungspolitische Zielsetzung; vielmehr sollte das Gesetz auch eine starke familienpolitische Komponente enthalten. Der Kreis der für die Eigennutzung zugelassenen Bewohner sollte sich auf den Erwerber selbst, seinen Ehegatten und Verwandte in gerader Linie erstrecken. Versteht man diesen Personenkreis als "Familienmitglieder im engeren Sinne", zeigt sich eine Verknüpfung auch mit den Verwandten in gerader Linie des Ehegatten, wie sie im allgemeinen wohl auch den Vorstellungen über die "Familie" - als Familienband - entspricht (vgl. dazu Boruttau/Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 11. Aufl., Anhang Anm. 1852).
Diese beabsichtigte ehe- und familienfreundliche Ausgestaltung des Befreiungstatbestandes ist vom Gesetzgeber jedoch in bezug auf den Erwerb von Miteigentumsanteilen durch Ehegatten nicht erreicht worden. Die Gesamtregelung, die den "engeren Familienkreis" begünstigen wollte, wäre entwertet, wollte man bei einem anteiligen Erwerb durch Ehegatten das Bewohnen durch die Eltern eines der Ehegatten nicht für eine Steuerbefreiung beider Ehegatten ausreichen lassen.
Es konnte daher - auch im Hinblick auf Art. 6 des Grundgesetzes (GG) - nicht in der Regelungsabsicht des Gesetzgebers liegen, in einem solchen Fall eine Steuerbefreiung (beider Ehegatten) nicht zuzulassen und die dabei auftretenden Härten bewußt in Kauf zu nehmen. Vielmehr hat der Gesetzgeber die beim Erwerb von Miteigentumsanteilen durch Ehegatten auftretende Problematik, bedingt durch die vorgenommene Einengung des zugelassenen Benutzerkreises, überhaupt nicht gesehen. Es ist heute weit verbreitete Übung, daß beim Grundstückskauf durch Ehegatten nicht ein Ehegatte Alleineigentum begründet, sondern beide Ehegatten das Grundstück zu Miteigentum erwerben. Diesen Lebenssachverhalt hat der Gesetzgeber bei der Bestimmung der für eine Eigennutzung zugelassenen Bewohner offensichtlich übersehen und für diese Fallgestaltung keine Regelung getroffen.
Es liegt somit eine Gesetzeslücke vor, die im Wege der Vervollständigung des Gesetzes zu schließen ist.
Das gefundene Ergebnis wird auch durch die Entstehungsgeschichte des GrEStEigWoG bestätigt. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung machte die Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb eines Einfamilienhauses, eines Zweifamilienhauses oder einer Eigentumswohnung davon abhängig, daß das Objekt binnen fünf Jahren mindestens ein Jahr lang ununterbrochen vom Erwerber oder einem seiner Angehörigen bewohnt wird (vgl. Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Vergünstigungen bei der Herstellung oder Anschaffung bestimmter Wohngebäude vom 14. April 1977, BT-Drucks. 8/286). Der Bundesrat hat diese vorgesehene Ausdehnung der begünstigten Eigennutzung auf Angehörige für zu weitgehend gehalten und angeregt, daß in jedem Falle die Nutzung durch den Erwerber selbst vorausgesetzt werden sollte. In seiner schriftlichen Stellungnahme (vgl. BT-Drucks. 8/286, Anlage 2 S. 20) heißt es hierzu wörtlich: "Im Regelfall wird der Erwerber eines Ein- oder Zweifamilienhauses dieses auch für eigene Wohnzwecke nutzen. Diese Erwerbergruppe würde daher von der Streichung der Formulierung 'oder einem seiner Angehörigen' nicht betroffen. Die Angehörigenklausel wird zu einer Ausweitung der Begünstigung führen, wenn ein (kapitalkräftiger) Erwerber mehrere Eigentumswohnungen erwirbt und diese seinen Verwandten im Sinne des weiten Angehörigenbegriffes des § 15 AO 1977 für Wohnzwecke zur Verfügung stellt." Der Finanzausschuß des Deutschen Bundestages hielt in seinem Schriftlichen Bericht (BT-Drucks. 8/463) angesichts der weiten Fassung des § 15 der Abgabenordnung (AO 1977) eine Lösung auf mittlerer Linie für geboten und hat beschlossen, die Steuerbefreiung von der Nutzung durch den Erwerber, seinen Ehegatten oder einen seiner Verwandten in gerader Linie abhängig zu machen. Der Ausschuß hat damit - der Anregung des Bundesrates folgend - nicht alle im Katalog des § 15 AO 1977 aufgezählten Personen als "zugelassene Bewohner" angesehen, sondern den Kreis der in Betracht kommenden Angehörigen auf den Ehegatten und auf die Verwandten gerader Linie beschränkt. Es sollte dadurch, entsprechend der Regelungsabsicht des Gesetzes, eine Begrenzung auf den "engeren Familienverband" erreicht werden. Diese Absicht ist aber im Falle des anteiligen Erwerbs durch Ehegatten durch die vom Ausschuß vorgeschlagene und zum Gesetz gewordene Fassung nicht erreicht worden.
Die Frage, ob das Grundstück in einer für die materiell endgültige Befreiung erforderlichen Weise genutzt wurde, kann erst im Rahmen der Nachversteuerung entschieden werden.
Fundstellen
Haufe-Index 74898 |
BStBl II 1984, 225 |
BFHE 1984, 111 |