Entscheidungsstichwort (Thema)
Pfändung von Geldforderungen durch die Vollstreckungsbehörde - zusätzlicher Pfändungsbetrag nach § 319 AO 1977 i.V.m. § 850f Abs.2 ZPO - Konkurrenz von öffentlich-rechtlichem Steueranspruch bzw. Haftungsanspruch und zivilrechtlichem Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung gemäß §§ 823 ff. BGB - Steuerhinterziehung kein Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs.2 BGB - Verhältnis des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens zum Vollstreckungsverfahren nach der ZPO
Leitsatz (amtlich)
1. In der Verwaltungsvollstreckung nach der AO 1977 gilt § 850f Abs.2 ZPO aufgrund § 319 AO 1977 sinngemäß. Mithin hat die Vollstreckungsbehörde darüber zu befinden, ob die Voraussetzungen für die Festsetzung eines die Pfändungsschutzgrenzen übersteigenden zusätzlichen Pfändungsbetrags erfüllt sind, ob insbesondere die zu vollstreckende Forderung auch unter dem Gesichtspunkt einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung i.S. der §§ 823 ff. BGB begründet ist.
2. Der Straftatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO 1977) ist kein Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs.2 BGB.
Orientierungssatz
1. Das im Verhältnis zur Regelung der Vollstreckung in der ZPO eigenständige System der Verwaltungsvollstreckung in der AO 1977 gebietet es in Fällen, in denen aus Gründen der gesetzestechnischen Vereinfachung in der AO 1977 auf eine sinngemäße oder entsprechende Anwendung von ZPO-Vorschriften verwiesen wird, die darin dem Vollstreckungsgericht eingeräumten Befugnisse grundsätzlich den Finanzbehörden in ihrer Eigenschaft als Vollstreckungsbehörde zuzuweisen. Dieser Grundsatz gilt nur dann nicht, wenn die AO 1977 ausdrücklich auf den Zivilrechtsweg verweist, den Zivilgerichten bestimmte Befugnisse vorbehält oder etwa sonst zwingende Gründe ersichtlich sind (Ausführungen zu seinem Wesen nach auf Zugriff, nicht auf Verhandlung angelegten und daher nicht kontradiktorisch ausgestalteten Vollstreckungsverfahren nach der ZPO).
2. Das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs.2 ZPO beruht auf der Erwägung, daß der Schuldner für vorsätzliches unerlaubtes Handeln bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit einstehen soll. Bei der zu vollstreckenden Forderung muß es sich also selbst entweder um einen deliktischen Schadensersatzanspruch i.S. der §§ 823 ff. BGB handeln oder, sofern dies nicht der Fall ist, muß aus demselben Lebenssachverhalt wenigstens ein mit der zu vollstreckenden Forderung konkurrierender deliktischer Schadensersatzanspruch gegeben sein. Sowohl der Steueranspruch als auch der Haftungsanspruch wegen Steuerhinterziehung --als Ansprüche aus dem eigenständig geregelten Steuerschuldverhältnis-- fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 823 BGB.
2. Eine unerlaubte Handlung i.S. des § 850f Abs.2 ZPO liegt nicht schon allein dann vor, wenn die allgemeinen Rechtsbeziehungen, die zwischen allen Personen bestehen und von jedem zu beachten sind, verletzt werden, wenn also widerrechtlich in eine fremde Rechtssphäre eingegriffen wird und als selbständige Folge der Handlung in der Regel eine Schadensersatzpflicht entsteht.
4. Im Finanzprozeß über die Rechtmäßigkeit des nach § 319 AO 1977, § 850f Abs.2 ZPO festgesetzten zusätzlichen Pfändungsbetrags muß das Gericht umfassend prüfen, ob die zu vollstreckende Forderung unter dem Gesichtspunkt einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung begründet wäre.
5. Ein Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs.2 BGB ist eine Norm, die nach Zweck und Inhalt wenigstens auch auf den Schutz von Individualinteressen vor einer näher bestimmten Art ihrer Verletzung ausgerichtet ist. Es genügt nicht, daß der Individualschutz durch Befolgen der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er muß im Aufgabenbereich der Norm liegen. Andererseits muß sich das Schutzgesetz auch nicht in der Gewährung von Individualschutz erschöpfen; es reicht aus, daß dieses eines der gesetzlichen Anliegen der Norm ist, selbst wenn auf die Allgemeinheit gerichtete Schutzzwecke ganz im Vordergrund stehen (Anschluß an die BGH-Rechtsprechung).
Normenkette
AO 1977 § 191 Abs. 1, §§ 249, 319, 37 Abs. 1, §§ 370, 38, 71; BGB § 823 Abs. 2, § 823; ZPO §§ 850c, 850f Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) schuldete Steuern und steuerliche Nebenleistungen aufgrund eines Haftungsbescheids wegen Umsatzsteuerrückständen, bei dem in der Begründung dargelegt worden ist, daß außer der Haftung nach § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) zugleich die Voraussetzungen des § 71 AO 1977 erfüllt sind. Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung pfändete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) deswegen die gegenwärtigen und zukünftigen Ansprüche des Klägers aus dem zwischen diesem und der Firma F GmbH (Drittschuldnerin) bestehenden Dienst-/Arbeitsverhältnis und verfügte ihre Einziehung.
Zugleich mit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung wurde angeordnet, daß gemäß § 850f Abs.2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) über den nach § 850c ZPO pfändbaren Lohnanteil hinaus ein weiterer Betrag von monatlich ... DM pfändbar sei. Die Drittschuldnerin erkannte die gepfändete Forderung lediglich in Höhe von ... DM, dem von ihr in der Drittschuldnererklärung angegebenen Betrag des monatlichen Nettolohns, an. Zusammen mit einer Abschrift der Pfändungs- und Einziehungsverfügung übersandte das FA dem Kläger eine Erläuterung zur Berechnung des zusätzlichen Betrags nach § 850f Abs.2 ZPO.
Nach erfolgloser Beschwerde erhob der Kläger Klage mit dem Antrag, die Pfändungs- und Einziehungsverfügung insoweit aufzuheben, als gemäß § 850f Abs.2 ZPO über den nach § 850c ZPO pfändbaren Lohnanteil hinaus ein Betrag von monatlich ... DM für pfändbar erklärt worden ist. Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, daß § 850f Abs.2 ZPO zwar im Steuervollstreckungsverfahren Anwendung finde und das FA als Vollstreckungsbehörde anstelle des Vollstreckungsgerichts für Beschlüsse nach dieser Vorschrift über § 319 AO 1977 auch zuständig sei, daß aber das FA im Streitfall § 850f Abs.2 ZPO rechtsirrig angewendet habe. Die im Rahmen von § 319 AO 1977 vorgesehene analoge Anwendung des § 850f Abs.2 ZPO setze voraus, daß die Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung betrieben werde. Dies sei im Falle einer Steuerhinterziehung nicht gegeben. Die Steuerhinterziehung habe auf die Entstehung der Steuer keinen Einfluß; Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entständen kraft Gesetzes. Auch sei § 370 AO 1977 kein Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs.2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), weil diese Strafnorm nicht einem gezielten Individualzweck diene. Daher könne eine vorsätzlich unerlaubte Handlung auch nicht über diesen Weg angenommen werden. Infolgedessen habe das FA die Pfändungs- und Einziehungsverfügung zu Unrecht auf den zusätzlichen Betrag in Höhe von ... DM erstreckt. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 300 abgedruckte Urteil der Vorinstanz in einem Parallelfall verwiesen.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 319 AO 1977 i.V.m. § 850f Abs.2 ZPO und § 71 AO 1977. Das FG habe verkannt, daß die Vollstreckung im Streitfall auf § 71 AO 1977 beruhe und aufgrund der Steuerhinterziehung neben der Steuerschuld eine Haftung und damit eine eigenständige Forderung aus einer vorsätzlich unerlaubten Handlung entstanden sei. Die Steuerhinterziehung (§ 370 AO 1977) sei eine unerlaubte Handlung i.S. des § 850f Abs.2 ZPO, denn eine solche liege nicht nur vor, wenn die Voraussetzungen des 25.Titels des BGB griffen, sondern immer dann, wenn die allgemeinen Rechtsbeziehungen, die zwischen allen Personen beständen und von jedem beachtet werden müßten, verletzt würden und als selbständige Folge (in der Regel) eine Schadensersatzpflicht entstände. Mit einer Steuerhinterziehung werde widerrechtlich in die Rechtssphäre des Fiskus eingegriffen. Die Haftung des Steuerhinterziehers nach § 71 AO 1977 habe Schadensersatzcharakter.
Darüber hinaus könne die Schadensersatzverpflichtung --im Wege der Anspruchshäufung-- auch auf § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 370 AO 1977 gestützt werden. § 370 AO 1977 habe nämlich entgegen der Auffassung des FG Schutzgesetzcharakter, was sich schon aus der Gesetzgebungsgeschichte der Vorschrift ergebe. Die Finanzbehörde habe die Wahl, den Haftungsanspruch öffentlich-rechtlich durch Haftungsbescheid oder privatrechtlich vor den Zivilgerichten zu verfolgen. In beiden Fällen handele es sich um die Durchsetzung einer Forderung aus unerlaubter Handlung. Gehe die Finanzbehörde mit Haftungsbescheid vor, müsse ihr das Pfändungsprivileg des § 850f Abs.2 ZPO über § 319 AO 1977 ebenso zukommen, wie wenn sie zivilrechtlich gegen den Schädiger vorginge. Nur diese Entscheidung entspreche auch dem Zweck der Norm, daß der vorsätzlich unerlaubt Handelnde bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit einstehen solle.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, daß sich das FA für eine Erweiterung seiner Pfändungsbefugnis über die Unpfändbarkeitsgrenzen des § 850c ZPO hinaus nicht mit Erfolg auf § 850f Abs.2 ZPO stützen kann.
1. Gemäß § 309 AO 1977 erfolgt die Pfändung von Geldforderungen aufgrund vollstreckbarer Verwaltungsakte (§ 251 Abs.1 AO 1977), mit denen u.a. eine Geldleistung gefordert wird (§ 249 Abs.1 Satz 1 AO 1977), im Verwaltungsweg durch Pfändungsverfügung der Vollstreckungsbehörden. Vollstreckungsbehörden sind die Finanzämter und die Hauptzollämter im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten (§ 249 Abs.1 Satz 3 AO 1977). Im Streitfall, in dem aufgrund eines Haftungsbescheids wegen Umsatzsteuerhinterziehung (§ 191 Abs.1, § 71 AO 1977) auf in Geld gerichtete Ansprüche aus Arbeitseinkommen des Klägers gegen seinen Arbeitgeber gepfändet worden sind, besteht kein Zweifel an der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit des FA als Vollstreckungsbehörde.
2. Bei Forderungspfändungen durch die Vollstreckungsbehörde gelten nach § 319 AO 1977 Beschränkungen und Verbote, die u.a. nach den §§ 850 bis 852 ZPO für die Pfändung von Forderungen bestehen, sinngemäß (vgl. Senatsurteile vom 20. Dezember 1983 VII R 80/80, BFHE 140, 404, BStBl II 1984, 419; vom 29. September 1987 VII R 140/83, BFH/NV 1988, 413; vom 12. Juni 1991 VII R 54/90, BFHE 164, 399, BStBl II 1991, 747).
Das FG hat zutreffend erkannt, daß die Verweisung in § 319 AO 1977 die im Streitfall maßgebliche Vorschrift des § 850f Abs.2 ZPO erfaßt. Indem diese Vorschrift die Möglichkeit eröffnet, daß beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens ohne Rücksicht auf die in § 850c ZPO vorgesehenen Beschränkungen bestimmt werden kann, nimmt sie für einen Teilbereich die in § 850c ZPO generell angeordneten Vollstreckungsbeschränkungen wieder zurück. Systematisch handelt es sich bei § 850f Abs.2 ZPO um eine Ausnahme von der Vollstreckungsbeschränkung des § 850c ZPO, nicht aber --wie beispielsweise bei § 850h ZPO-- um eine gegenüber dem Grundtatbestand des § 829 ZPO (bzw. § 309 AO 1977) vorgesehene Erweiterung der Möglichkeit der Forderungspfändung. Daher wäre selbst bei strenger wörtlicher Auslegung des § 319 AO 1977 § 850f Abs.2 ZPO infolge seines ausdrücklich angesprochenen Zusammenhangs mit § 850c ZPO als eine Regelung der §§ 850 bis 852 ZPO zu qualifizieren, die als eine Beschränkung für die Pfändung von Forderungen i.S. des § 319 AO 1977 anzusehen ist. Es wäre auch nicht einsichtig, weshalb zwar § 850c ZPO als pfändungsbeschränkende Norm über § 319 AO 1977 bei der Verwaltungsvollstreckung sinngemäße Anwendung finden sollte, nicht aber auch die den § 850c ZPO lediglich modifizierende Norm des § 850f Abs.2 ZPO. Die sinngemäße Anwendung der eindeutig pfändungsbeschränkenden Norm des § 850c ZPO schließt die sinngemäße Anwendung der diese Norm lediglich modifizierenden Norm des § 850f Abs.2 ZPO mit ein, soweit jedenfalls auch die modifizierende Norm zwanglos in die Bandbreite der Normen (hier: §§ 850 bis 852 ZPO) eingereiht werden kann, auf die § 319 AO 1977 verweist (ebenso O. Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10.Aufl., § 319 AO 1977 Rz.76 a; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 5.Aufl. 1995, § 319 Anm.1; Strunk, Der Anwendungsbereich des § 319 der Abgabenordnung, Betriebs-Berater --BB-- 1992, 1907; Urban, "Beschränkungen und Verbote" bei der Forderungspfändung durch die Finanzämter - Zur Auslegung der §§ 319 AO, 850h und 850f II ZPO, Die Steuerberatung --Stbg-- 1991, 132; a.A. Schneider, Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht 1989, 622).
Im übrigen geht auch der ZPO-Gesetzgeber erkennbar von einem einheitlichen Regelungszusammenhang der §§ 850a bis 850k ZPO aus, wenn er in § 850 Abs.1 ZPO anordnet, daß in Geld zahlbares Arbeitseinkommen nur nach Maßgabe der §§ 850a bis 850k ZPO gepfändet werden kann. Schon aus diesem, in der Art einer Pfändungsbeschränkung für Arbeitseinkommen formulierten Obersatz ließe sich über § 319 AO 1977 eine sinngemäße Anwendung aller darin bezeichneten Vorschriften, darunter also auch des § 850f Abs.2 ZPO, bei der Pfändung von Arbeitseinkommen im Wege der Verwaltungsvollstreckung ableiten.
3. a) Die sinngemäße Geltung des § 850f Abs.2 ZPO in der Verwaltungsvollstreckung bedeutet zunächst, daß anstelle des für die Vollstreckung nach der ZPO zuständigen Vollstreckungsgerichts die Vollstreckungsbehörde --und zwar ungeachtet eines Antrags des Gläubigers, weil im Vollstreckungsverfahren stets die Körperschaft als Gläubigerin des zu vollstreckenden Anspruchs gilt, der die Vollstreckungsbehörde angehört (§ 252 AO 1977)-- darüber befinden kann, ob neben dem nach § 850c ZPO pfändbaren Betrag ggf. ein zusätzlicher Betrag nach § 850f Abs.2 ZPO bis zur Grenze des notwendigen Unterhalts sowie der ggf. für die Erfüllung der laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten erforderlichen Mittel in Beschlag zu nehmen ist.
Dies steht nicht im Widerspruch zu dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 15. Februar 1989 4 AZR 401/88 (BAGE 61, 109 = Zeitschrift für Wirtschaftsrecht --ZIP-- 1989, 738 = Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1989, 2148). Dort hat das BAG im bewußten Gegensatz zur damaligen Vorinstanz, dem Landesarbeitsgericht Frankfurt (vgl. Urteil vom 22. April 1988 13 Sa 1469/87, Der Betrieb --DB-- 1988, 2572) ausdrücklich offengelassen, ob bei einer sinngemäßen Anwendung des § 850f Abs.2 ZPO im Rahmen des § 319 AO 1977 der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens nur durch das Vollstreckungsgericht oder unmittelbar durch die Vollstreckungsbehörde festgesetzt werden kann (a.A. Loritz, Das Steuerrecht in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte, Steuerliche Vierteljahresschrift --StVj-- 1991, 170, 172, der dem BAG-Urteil zu Unrecht die Ansicht unterstellt, nur ein Vollstreckungsgericht könne eine Anordnung i.S. des § 850f Abs.2 ZPO treffen).
Nach Auffassung des Senats gebietet es das auch im Verhältnis zur Regelung der Vollstreckung in der ZPO eigenständige System der Regelung der Verwaltungsvollstreckung in der AO 1977 (vgl. dazu Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., Vor § 249 AO 1977 Rz.27 f.) in Fällen, in denen aus Gründen der gesetzestechnischen Vereinfachung in den verwaltungsvollstreckungsrechtlichen Vorschriften auf eine sinngemäße oder entsprechende Anwendung von ZPO-Vorschriften verwiesen wird, die darin dem Vollstreckungsgericht eingeräumten Befugnisse grundsätzlich den Finanzbehörden in ihrer Eigenschaft als Vollstreckungsbehörden zuzuweisen (vgl. dazu Beermann, a.a.O., § 249 AO 1977 Rz.38 ff.). Der Gesetzgeber hat das Verwaltungsvollstreckungsverfahren bewußt so ausgestaltet, daß grundsätzlich die Vollstreckungsbehörde für Entscheidungen allzuständig ist. Dies bedeutet kein Defizit an Rechtsschutz für den Bürger, weil die Vollstreckungsbehörde als Teil der Exekutivgewalt sowohl dem Vorrang als auch dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegt und ihre Entscheidungen durch die Finanzgerichtsbarkeit überprüft und ggf. korrigiert werden können (vgl. Strunk, Wer ist Vollstreckungsgericht im steuerlichen Vollstreckungsverfahren?, Der Steuerberater 1993, 247).
Nur wenn die Vollstreckungsvorschriften der AO 1977 ausdrücklich auf den Zivilrechtsweg verweisen (s. z.B. § 262 Abs.1, § 293 Abs.2, § 320 Abs.4 AO 1977), den Zivilgerichten bestimmte Befugnisse vorbehalten (s. z.B. § 284 Abs.7, § 287 Abs.4 AO 1977) oder etwa sonst zwingende Gründe ersichtlich sind (genannt wird hier im Schrifttum § 850e Nr.4 ZPO zwecks Auflösung einer Pfändungskonkurrenz), unterliegt dieser Grundsatz Ausnahmen. Einen zwingenden Grund für die Verlagerung der Entscheidungsbefugnis auf das Vollstreckungsgericht nach der ZPO im Rahmen der Anwendung des § 850f Abs.2 ZPO in der Verwaltungsvollstreckung kann der Senat indessen nicht erkennen. Insbesondere bietet das seinem Wesen nach auf Zugriff, nicht auf Verhandlung, angelegte und daher (s. auch das Anhörungsverbot des § 834 ZPO) nicht kontradiktorisch ausgestaltete Vollstreckungsverfahren nach der ZPO (vgl. dazu das Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 30. November 1989 III ZR 215/88, BGHZ 109, 275, 280) für die Prüfung des Bestehens materiell-rechtlicher Schadensersatzansprüche keine höhere Richtigkeitsgewähr als das Verwaltungsvollstreckungsverfahren nach der AO 1977. Denn im Verwaltungsvollstreckungsverfahren findet auf entsprechendes Betreiben des Vollstreckungsschuldners immerhin eine sich unter der Geltung des Amtsuntersuchungsgrundsatzes vollziehende doppelte Kontrolle der von der Vollstreckungsbehörde getroffenen Entscheidung, und zwar sowohl im verwaltungsinternen Rechtsbehelfsverfahren als auch im gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren vor dem FG, statt (vgl. Beermann, a.a.O., § 249 AO 1977 Rz.41 ff.).
b) Ist mithin die Vollstreckungsbehörde für die Entscheidung im Rahmen des § 319 AO 1977 i.V.m. § 850f Abs.2 ZPO zuständig, so darf die Herabsetzung des pfändungsfreien Betrags nur dann erfolgen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind, wenn also die Vollstreckung "wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung" betrieben wird. Im Streitfall ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, wie das FG zutreffend erkannt hat.
aa) Das Vollstreckungsprivileg des § 850f Abs.2 ZPO beruht auf der Erwägung, daß der Schuldner für vorsätzliches unerlaubtes Handeln bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit einstehen soll (vgl. Stöber in Zöller, Zivilprozeßordnung, 19.Aufl. 1995, § 850f Rz.8). Nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte muß der dem Vollstreckungsgläubiger zuerkannte Anspruch, dessentwegen die Vollstreckung erfolgt, (mindestens auch) unter dem Gesichtspunkt der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung i.S. der §§ 823 ff. BGB begründet sein (vgl. etwa BGHZ 109, 275 sowie die Nachweise bei Stein/Jonas/Brehm, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 21.Aufl. 1995, § 850f Rz.10, und bei Smid in Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Bd.3, 1992, § 850f Rz.14-16). Bei der zu vollstreckenden Forderung muß es sich also entweder selbst um einen deliktischen Schadensersatzanspruch i.S. der §§ 823 ff. BGB handeln oder, sofern dies nicht der Fall ist, muß aus demselben Lebenssachverhalt wenigstens ein mit der zu vollstreckenden Forderung konkurrierender deliktischer Schadensersatzanspruch gegeben sein.
Nicht zutreffend ist demgegenüber die Ansicht des FA, eine unerlaubte Handlung i.S. des § 850f Abs.2 ZPO liege immer schon dann vor, wenn die allgemeinen Rechtsbeziehungen, die zwischen allen Personen bestehen und von jedem zu beachten sind, verletzt würden, wenn also widerrechtlich in eine fremde Rechtssphäre eingegriffen werde und als selbständige Folge der Handlung in der Regel eine Schadensersatzpflicht entstehe. Dies sei stets der Fall, wenn der Schuldner vorsätzlich eine Steuerhinterziehung begangen und damit unter Verstoß gegen die Strafnorm des § 370 AO 1977 widerrechtlich in die Rechtssphäre des Fiskus eingegriffen habe. Diese Auffassung übersieht, daß die §§ 823 ff. BGB keine generelle Schadensersatzpflicht bei Verstoß gegen Strafnormen vorsehen und nicht das Vermögen als solches schützen, sondern nur punktuelle Schadensersatzansprüche, im wesentlichen bei Verletzung absoluter Rechtsgüter bzw. von Schutzgesetzen, begründen. Daher kann auch Auffassungen in Rechtsprechung und Schrifttum nicht gefolgt werden, die bei der Frage der Anwendung des § 850f Abs.2 ZPO ohne weitere Begründung unterstellen, daß zu den unerlaubten Handlungen in diesem Sinne auch die Steuerhinterziehung nach § 370 AO 1977 gehöre (so z.B. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Juni 1987 I K 342/85, EFG 1987, 598 = Deutsche Steuerzeitung --DStZ-- 1988, 386 mit ablehnender Anmerkung von Grundmann; E. Wolf in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5.Aufl. 1996, § 319 Rz.3/7).
Die vom FA zur Unterstützung seiner Auffassung angezogenen BGH-Urteile vom 20. März 1956 I ZR 162/55 (NJW 1956, 911) und vom 6. November 1973 VI ZR 199/71 (NJW 1974, 410) tragen diese Auffassung nicht. Sie beziehen sich auf den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung i.S. des § 32 ZPO, wo der Begriff der unerlaubten Handlung anerkanntermaßen nicht auf die Tatbestände der §§ 823 ff. BGB beschränkt ist, sondern umfassendere Bedeutung hat. Für die Auslegung des Ausdrucks "Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung" in § 850f Abs.2 ZPO läßt sich daraus indessen nichts herleiten.
Auch die über die Verweisnorm des § 319 AO 1977 angeordnete, lediglich "sinngemäße" Geltung des § 850f Abs.2 ZPO rechtfertigt es nicht, in der Verwaltungsvollstreckung von dem tatbestandlichen Erfordernis des Vorliegens eines auf die §§ 823 ff. BGB gegründeten Deliktsanspruchs abzusehen. Insofern hat § 319 AO 1977 den Charakter einer Rechtsgrundverweisung.
Im Streitfall ist der Zahlungsanspruch, den das FA gegen den Kläger vollstreckt, kein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung. Steuer- und Haftungsansprüche des Fiskus gegen den Bürger sind eigenständige, dem öffentlichen Recht zugehörige Anspruchsgründe. Es handelt sich um Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs.1 AO 1977), die sowohl nach ihrer Entstehung als auch nach ihrem Inhalt und ihrer Durchsetzung eigenen, von den zivilrechtlichen Deliktsansprüchen unterschiedlichen Regeln unterliegen.
Für den Steueranspruch ist dies weitgehend anerkannt. Der Steueranspruch entsteht, unabhängig von der Frage einer Steuerhinterziehung, mit der Verwirklichung des Tatbestands, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO 1977). Damit beruht der Steueranspruch jedenfalls nicht auf einer unerlaubten Handlung des Steuerschuldners, so daß § 850f Abs.2 ZPO nicht zu Lasten des Steuerschuldners zur Anwendung kommt (vgl. BAGE 61, 109; App, Erleichterte Pfändung von Arbeitseinkommen nach Steuerhinterziehung, DStZ 1984, 280; Buciek, Vollstreckung von Steuerforderungen und § 850f ZPO, DB 1988, 882; Loritz, StVj 1991, 170, 172; O. Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 319 AO 1977 Rz.76 a; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., § 319 AO 1977 Rz.26 a; Klein/Orlopp, a.a.O., § 319 Anm.8; E. Wolf in Koch/Scholtz, a.a.O., § 319 Rz.3/7; a.A. Urban, Stbg 1991, 132; für Hinterziehungszinsen nach § 235 AO 1977 --was hier nicht zu entscheiden ist-- wollen die Anwendung des § 850f Abs.2 ZPO zulassen: FG Baden-Württemberg, EFG 1987, 598; App, DStZ 1984, 280; E. Wolf in Koch/Scholtz, a.a.O., § 319 Rz.3/7; Klein/Orlopp, a.a.O., § 319 Anm.8).
Nichts anderes kann aber auch für den Haftungsanspruch wegen Steuerhinterziehung aus § 71 i.V.m. § 370 AO 1977 gelten, um den es im Streitfall allein geht. Auch dieser Anspruch ist wie der Steueranspruch ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs.1 AO 1977). Auch er entsteht (als abstrakter, materiell-rechtlicher Anspruch) kraft Gesetzes mit der Verwirklichung des Tatbestands, an den das Gesetz die Leistungspflicht (hier: die Haftungsfolge) knüpft (§ 38 AO 1977). Das bedeutet zunächst, daß der Haftungstatbestand, die Steuerhinterziehung nach § 370 AO 1977, erfüllt sein muß. Damit knüpft der Haftungsanspruch zwar an die Begehung einer Steuerhinterziehung an, was aber für sich noch nicht besagt, daß mit der Steuerhinterziehung eine unerlaubte Handlung i.S. der §§ 823 ff. BGB verwirklicht worden ist. Des weiteren ist zur Entstehung des Haftungsanspruchs nach § 71 AO 1977 wegen seiner Akzessorietät erforderlich, daß auch die Steuerschuld, für die gehaftet werden soll, entstanden ist und noch besteht (vgl. Senatsurteil vom 15. Oktober 1996 VII R 46/96, BFHE 181, 392 m.w.N.), ein zusätzliches Erfordernis, welches ein bloßer Deliktsanspruch nicht zu erfüllen braucht. Zwar hat der Haftungsanspruch nach der ständigen Rechtsprechung des Senats Schadensersatzcharakter (vgl. z.B. das Senatsurteil vom 26. August 1992 VII R 50/91, BFHE 169, 13, BStBl II 1993, 8); das macht den Haftungsanspruch aber noch nicht zum Schadensersatzanspruch i.S. der §§ 823 ff. BGB. Aus den genannten Gründen ist auch der Haftungsanspruch nach § 71 i.V.m. § 370 AO 1977 keine "Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung" i.S. des § 850f Abs.2 ZPO (a.A. Urban, Stbg 1991, 132; offen Buciek, DB 1988, 882).
bb) Damit käme im Streitfall eine Anwendung des § 850f Abs.2 ZPO nur in Betracht, wenn sich das FA auf einen mit dem Haftungsanspruch nach § 71 i.V.m. § 370 AO 1977 konkurrierenden zivilrechtlichen Deliktsanspruch stützen könnte. Daß eine solche Konkurrenz denkbar ist, belegen die Gesetzgebungsmaterialien zu § 71 AO 1977 (vgl. BTDrucks VI/1982 S.120). Dort heißt es: "Soweit sich aus der Steuerhinterziehung oder der Steuerhehlerei Schadensersatzansprüche des Steuergläubigers --etwa auf Grund der Vorschriften über unerlaubte Handlungen-- ergeben, werden sie durch § 71 nicht ausgeschlossen. § 71 führt nur eine steuerrechtliche Haftung ein, die durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden kann. Die Vorschriften über die unerlaubte Handlung sichern dagegen den vollen Ausgleich des eingetretenen Schadens. Zwar werden Ansprüche aus unerlaubter Handlung im allgemeinen nicht praktisch werden. Es sind aber durchaus Fälle denkbar, in denen es zweckmäßig ist, den Anspruch aus unerlaubter Handlung zu verfolgen."
Einen solchen atypischen Anwendungsfall der vorgenannten Anspruchskonkurrenz, bei dem es zweckmäßig ist, den Anspruch aus unerlaubter Handlung zu verfolgen, bietet möglicherweise die Vorschrift des § 850f Abs.2 ZPO. Denn durch die Berufung auf den Anspruchsgrund der unerlaubten Handlung kann das FA im Vollstreckungsverfahren ggf. ein "Mehr an Recht", nämlich einen höheren Pfändungsbetrag, erlangen, als es ihm aufgrund der Berufung lediglich auf den Haftungsanspruch nach § 71 i.V.m. § 370 AO 1977 möglich wäre. Es erscheint auch nicht angebracht, dem Vollstreckungsgläubiger, gerade weil er im "Erkenntnisverfahren" den Haftungsanspruch und nicht den möglicherweise gegebenen Deliktsanspruch geltend gemacht hat, im Vollstreckungsverfahren die Berufung auf einen Deliktsanspruch abzuschneiden, denn es entspricht, wie der BGH für die Vollstreckung nach der ZPO entschieden hat (BGHZ 109, 275, 276), dem Gebot der Gerechtigkeit, den durch eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung Geschädigten auch in einem solchen Fall in den Genuß des Vollstreckungsprivilegs des § 850f Abs.2 ZPO gelangen zu lassen. Im Finanzprozeß über die Rechtmäßigkeit des nach § 319 AO 1977 i.V.m. § 850f Abs.2 ZPO festgesetzten zusätzlichen Pfändungsbetrags hat das Gericht damit umfassend zu prüfen, ob die zu vollstreckende Forderung unter dem Gesichtspunkt einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung begründet wäre.
cc) Diese Prüfung führt im Streitfall in Übereinstimmung mit der Vorinstanz und entgegen der Ansicht des FA zu einem negativen Ergebnis.
Ein deliktischer Anspruch aus § 823 Abs.1 BGB kommt von vornherein nicht in Betracht, da die begangene Steuerhinterziehung lediglich zu einem Vermögensschaden des Fiskus geführt hat und das Vermögen als solches kein absolut geschütztes Rechtsgut i.S. des § 823 Abs.1 BGB ist (vgl. nur Thomas in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 55.Aufl. 1996, § 823 Rz.31). Für einen Anspruch auf Schadensersatz wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB bestehen keine tatsächlichen Anhaltspunkte. Als deliktische Anspruchsgrundlage käme somit allein § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 370 AO 1977 in Betracht. Dies setzte voraus, daß der Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 AO 1977 als Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs.2 BGB anzusehen wäre. Diese Frage ist, soweit ersichtlich, bislang höchstrichterlich nicht entschieden.
Schutzgesetzcharakter bejahen: App, DStZ 1984, 280; Klein/Orlopp, a.a.O., § 71 Anm.5 (jeweils ohne nähere Begründung), sowie Urban, Stbg 1991, 132 mit der Begründung, die Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO 1977 stelle nur einen spezifischen Betrugstatbestand (§ 263 des Strafgesetzbuchs --StGB--) dar, und da das Betrugsverbot eindeutig ein Individualschutzgesetz sei, müsse dies auch für seine Spezialform, die Steuerhinterziehung, gelten. Den Schutzgesetzcharakter verneint mit ausführlicher Begründung, daß § 370 AO 1977 keinen Individualschutz bezwecke, Grundmann in einer Urteilsanmerkung zu FG Baden-Württemberg (EFG 1987, 598), DStZ 1988, 387. Die gängigen Zivilrechtskommentare enthalten sich, ebenso wie die Steuerrechtskommentare (mit Ausnahme von Klein/Orlopp), einer eindeutigen Stellungnahme zu dem Problem.
In der Tat ist anerkannt, daß § 263 StGB ein Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs.2 BGB ist (BGH-Urteil vom 14. Oktober 1971 VII ZR 313/69, BGHZ 57, 137; s. auch FG München, Urteil vom 10. Juni 1985 XII (XIII) 161/82 AO, EFG 1986, 266). Das gleiche gilt für die Spezialformen des Subventionsbetrugs nach § 264 StGB (BGH-Urteil vom 13. Dezember 1988 VI ZR 235/87, BGHZ 106, 204) und des Kapitalanlagebetrugs nach § 264a StGB (BGH-Urteil vom 21. Oktober 1991 II ZR 204/90, BGHZ 116, 7). Es ist sicherlich richtig, daß § 370 AO 1977 nach dem Grundsatz der Spezialität dem allgemeinen Betrugstatbestand des § 263 StGB sowie den Sonderformen des Betrugs (§§ 264, 264a StGB) vorgeht und diese Tatbestände im Konkurrenzfall verdrängt (vgl. Klein/Orlopp, a.a.O., § 370 Anm.27). Damit ist aber nicht gesagt --und gerade das ist für die Anwendung des § 823 Abs.2 BGB wichtig--, daß auch der Schutzzweck des § 370 AO 1977 mit den Schutzzwecken der Betrugstatbestände identisch sein muß. Darüber hinaus ist auch die Struktur der Tatbestände so unterschiedlich --§ 370 AO 1977 setzt im Unterschied zum Betrugstatbestand des § 263 Abs.1 StGB weder eine Täuschungshandlung des Täters noch einen dadurch bewirkten Irrtum der Behörde voraus (vgl. Scheurmann-Kettner in Koch/ Scholtz, a.a.O., § 370 Rz.14)--, daß aus dem Schutzgesetzcharakter der Betrugstatbestände keinerlei Rückschlüsse auf einen möglichen Schutzgesetzcharakter des § 370 AO 1977 gezogen werden können.
Nach der Rechtsprechung des BGH (s. etwa das BGH-Urteil vom 3. Februar 1987 VI ZR 32/86, BGHZ 100, 13, m.w.N.) ist Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs.2 BGB eine Norm, die nach Zweck und Inhalt wenigstens auch auf den Schutz von Individualinteressen vor einer näher bestimmten Art ihrer Verletzung ausgerichtet ist. Es genügt nicht, daß der Individualschutz durch Befolgen der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er muß im Aufgabenbereich der Norm liegen. Andererseits muß sich das Schutzgesetz auch nicht in der Gewährleistung von Individualschutz erschöpfen; es reicht aus, daß dieser eines der gesetzlichen Anliegen der Norm ist, selbst wenn auf die Allgemeinheit gerichtete Schutzzwecke ganz im Vordergrund stehen.
Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung des BGH an und entscheidet auf der Grundlage dieser Rechtsprechung, daß § 370 AO 1977 kein Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs.2 BGB ist.
Nach weitaus überwiegender Ansicht ist das in § 370 AO 1977 geschützte Rechtsgut der Anspruch des Staates auf den vollen und rechtzeitigen Ertrag aus jeder einzelnen Steuer (vgl. Scheurmann-Kettner in Koch/Scholtz, a.a.O., § 370 Rz.8, m.w.N., u.a. auch mit dem Verweis auf das BGH-Urteil vom 28. November 1957 4 StR 180/57, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1958, 145, 147). Die Strafvorschrift soll sicherstellen, daß dem Staat die finanziellen Mittel zufließen, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt (vgl. dazu und zum folgenden Grundmann, DStZ 1988, 387). Die ordnungsgemäße und gesicherte Erfüllung staatlicher Aufgaben liegt im Interesse der Allgemeinheit. Dieses geht dahin, daß der Staat mit den ihm durch die Steuererhebung zur Verfügung gestellten Mitteln die gesetzlichen und ordnungspolitischen Maßnahmen ergreift, die zum guten Funktionieren des Gemeinwesens erforderlich sind. Zudem trägt der Straftatbestand der Steuerhinterziehung dazu bei, daß die Steuerlast entsprechend dem Gebot der Gleichmäßigkeit der Besteuerung von allen Steuerpflichtigen gleichmäßig getragen wird. Damit bezweckt § 370 AO 1977 allein den Schutz der Interessen der Allgemeinheit. Ein Individualschutz durch die Vorschrift ist vom Gesetzgeber augenscheinlich nicht bezweckt; ein solcher kann allenfalls im Wege eines Reflexes entstehen, wenn angenommen wird, daß die der Allgemeinheit dienende Sicherung des Mittelzuflusses auf jeden einzelnen Bürger des Gemeinwesens zurückschlägt.
Aus der Natur des § 370 AO 1977 als Strafgesetz ergibt sich nichts anderes (a.A. App, DStZ 1984, 280), denn nicht jedes Strafgesetz bezweckt einen Individualschutz (vgl. z.B. BGHZ 100, 13: Die Urkundenfälschung des § 267 StGB ist kein Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs.2 BGB; ebensowenig die sog. Staatsschutzdelikte des StGB). Im übrigen ist es nach Anlage und Systematik der Rechtsordnung nicht erforderlich, an jede Form der Steuerhinterziehung eine deliktische Einstandspflicht zu knüpfen, denn die Belange des Staates sind durch die Möglichkeiten, die ihm die Steuergesetze und die Steuererhebung durch Befehl und Zwang bieten, ausreichend gesichert (vgl. Grundmann, DStZ 1988, 387, 388).
Auch die Gesetzgebungsgeschichte des § 71 AO 1977 zwingt zu keiner anderen Entscheidung. Die erwähnten Motive halten zwar ausdrücklich, auch wenn sie dies in der Anwendung für wenig praktisch erachten, eine Konkurrenzlage des Steuerhaftungsanspruchs mit Ansprüchen aus unerlaubter Handlung für möglich; es wird jedoch dabei nicht gesagt, daß diese Ansprüche aus unerlaubter Handlung gerade auch einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 71 AO 1977 als Schutzgesetz einschließen.
Ist mithin ein Anspruchsgrund aus unerlaubter Handlung im Streitfall nicht gegeben, insbesondere deshalb, weil § 370 AO 1977 nicht als Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs.2 BGB anerkannt werden kann, liegen die Voraussetzungen für die Festsetzung eines zusätzlichen Pfändungsbetrags gemäß § 319 AO 1977 i.V.m. § 850f Abs.2 ZPO nicht vor, so daß die Revision keinen Erfolg haben konnte.
Fundstellen
Haufe-Index 65841 |
BFH/NV 1997, 196 |
BStBl II 1997, 308 |
BFHE 181, 552 |
BFHE 1997, 552 |
BB 1997, 671 |
DStRE 1997, 304-308 (Leitsatz und Gründe) |
HFR 1997, 373 |
StE 1997, 189 |