Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzinsung von Steuernachforderungen gemäß § 233a AO 1977 i.d.F. des StRG 1990
Leitsatz (NV)
Führt die Steuerfestsetzung zu einer (noch so geringen) Steuernachforderung i.S. des § 233a Abs. 1 Satz 1 AO 1977 i.d.F. des StRG 1990, ist für die Berechnung der Zinsen zwingend der Unterschiedsbetrag gemäß § 233a Abs. 3 oder Abs. 5 Satz 2 AO 1977 maßgebend.
Normenkette
AO 1977 § 233a Abs. 1 S. 1, Abs. 3, 5 S. 2
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (EFG 1996, 637) |
Tatbestand
I. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) erließ gegen die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) am 25. Oktober 1994 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1987 bis 1989. Für die Jahre 1987 und 1988 ergab sich eine Erstattung von insgesamt 862 DM, für das Jahr 1989 eine Nachzahlung von 1 010 DM. Das FA verrechnete die Beträge in den Bescheiden unter Teil B "Abrechnung" und stellte im Einkommensteuerbescheid für 1989 nur den Differenzbetrag von 148 DM zum 28. November 1994 fällig. Zugleich setzte das FA Nachzahlungszinsen in Höhe von 210 DM fest, wobei es die Zinsen aus dem (von 1 010 DM) auf 1 000 DM abgerundeten Unterschiedsbetrag zwischen der für das Jahr 1989 im Änderungsbescheid festgesetzten Steuer und der vorher festgesetzten Steuer berechnete.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen erhobenen Klage statt und setzte die Zinsen unter Änderung des Zinsbescheids auf 21 DM fest. Das FG war der Auffassung, eine Steuernachforderung gemäß § 233a Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) liege nur in Höhe von 148 DM vor und dieser Betrag sei (nach Abrundung auf 100 DM) auch für die Zinsberechnung maßgebend, auch wenn dadurch die Regelung des § 233a Abs. 3 AO 1977 gegenstandslos werde. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 637 veröffentlicht.
Mit der Revision macht das FA Verletzung materiellen Rechts geltend. Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger haben auf eine Äußerung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Das Urteil des FG beruht auf der Verletzung von § 233a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 2 AO 1977 i.d.F. des Steuerreformgesetzes 1990 (StRG 1990) vom 25. Juli 1988 (BGBl I, 1093, BStBl I, 224).
Führt die Steuerfestsetzung zu einer Steuernachforderung i.S. des § 233a Abs. 1 Satz 1 AO 1977 in der für den Streitfall geltenden Fassung des StRG 1990, dann ist für die Berechnung der Zinsen entgegen der Auffassung des FG zwingend der Unterschiedsbetrag gemäß § 233a Abs. 3 oder Abs. 5 Satz 2 AO 1977 maßgebend.
Eine Steuernachforderung ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Steuerzahlungsschuld, der zumindest im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung die Eignung zukommt, noch fällig werden zu können (BFH-Urteile vom 15. März 1995 I R 56/93, BFHE 177, 204, BStBl II 1995, 490; vom 27. August 1998 III R 243/94, BFH/NV 1999, 288; vom 13. November 1996 XI R 56/96, BFHE 181, 405; vom 11. Juli 1996 V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259). Die Entstehung von Nachzahlungszinsen setzt danach voraus, dass im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung noch irgendeine Schuld hinsichtlich der festgesetzten Steuer offen ist. Folglich entstehen keine Nachzahlungszinsen, wenn die Steuer im Zeitpunkt der Steuerfestsetzung durch eine vorherige freiwillige Zahlung des Steuerpflichtigen oder wegen Verrechnung bereits vollständig getilgt war.
Führt die Steuerfestsetzung jedoch zu einer noch so geringen Steuernachforderung, dann richtet sich die Berechnung der Höhe der Nachzahlungszinsen nicht nach der Höhe der noch offenen Steuerschuld, sondern ―bei Änderung der Steuerfestsetzung― gemäß § 233a Abs. 5 Satz 2 AO 1977 zwingend nach dem Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten und der vorher festgesetzten Steuer, jeweils vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge und die anzurechnende Körperschaftsteuer (s. BFH-Urteile in BFH/NV 1999, 288, und in BFHE 177, 204, BStBl II 1995, 490, unter II. 5.). Dieses Ergebnis kann entgegen dem FG nicht durch eine Auslegung des § 233a Abs. 5 Satz 2 AO 1977 gegen seinen Wortlaut, sondern nur durch Billigkeitsmaßnahmen korrigiert werden.
2. Die Sache ist spruchreif. Der angefochtene Zinsbescheid des FA ist rechtmäßig.
Die Festsetzung der Einkommensteuer 1989 hat zu einer gemäß § 233a Abs. 1 Satz 1 AO 1977 i.d.F. des StRG 1990 zu verzinsenden Steuernachforderung geführt. Dabei kann offen bleiben, ob zum Zeitpunkt der Steuerfestsetzung eine Steuernachforderung in Höhe von 1 010 DM oder ―aufgrund einer wirksamen Verrechnung mit den Ansprüchen auf Einkommensteuererstattung für die Jahre 1987 und 1988― nur noch in Höhe von 148 DM bestand.
Jedenfalls lag eine Steuernachforderung vor und der Zinsanspruch war damit dem Grunde nach entstanden. Die Zinsberechnung richtete sich daher (s.o. II. 1.) ―unabhängig von der Höhe der Steuernachforderung― gemäß § 233a Abs. 5 Satz 2 AO 1977 nach dem Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer und der vorher festgesetzten Steuer, jeweils vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge und die anzurechnende Körperschaftsteuer. Entgegen der Auffassung des FG hat das FA daher zu Recht die Zinsen aus dem gemäß § 238 Abs. 2 AO 1977 auf 1 000 DM abgerundeten Unterschiedsbetrag berechnet.
3. Der Senat hat nicht zu entscheiden, ob die vom FA festgesetzten Nachzahlungszinsen im Billigkeitswege (teilweise) zu erlassen sind. Der Billigkeitserlass ist gemäß § 163 AO 1977 einem besonderen Verwaltungsverfahren vorbehalten, das nicht Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens ist. Der Senat weist jedoch darauf hin, dass der Anwendungserlass zur Abgabenordnung i.d.F. vom 15. Juli 1998 (BStBl I 1998, 630) ausdrücklich vorsieht, dass Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen sind, soweit der Steuerpflichtige auf die sich aus der Steuerfestsetzung ergebende Steuerzahlungsforderung bereits vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung freiwillige Leistungen erbracht und das Finanzamt diese Leistungen angenommen und behalten hat (Zu § 233a AO 1977 Nr. 70; vgl. BFH in BFH/NV 1999, 288; s. auch Zweiter Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 1997, BTDrucks 13/5952, S. 56). Dabei kommt im Streitfall in Betracht, dass eine freiwillige Leistung im Sinne dieser Regelung durch den Abschluss eines Verrechnungsvertrages (Verrechnung der Erstattungsbeträge für die Jahre 1987 und 1988 mit dem Nachzahlungsbetrag für das Jahr 1989) erbracht wurde (vgl. Baum, Die Vollverzinsung nach § 233a AO, 1997, Rdnr. 503).
Fundstellen
BFH/NV 2000, 1177 |
HFR 2000, 775 |