Leitsatz (amtlich)
1. Die in § 27 Abs. 15 UStG 1973 angeordnete rückwirkende Besteuerung von Selbstverbrauchvorgängen nach § 30 UStG 1973, welche in die Zeit vom 9. Mai bis 28. Juni 1973 fallen, verletzt Verfassungsrecht nicht.
2. Hat ein Unternehmer vor dem 9. Mai 1973 mit vorbereitenden Erdarbeiten für ein nach dem 28. Juni vollendetes Bauvorhaben begonnen und den Bauantrag erst nach dem 8. Mai 1973 gestellt, ist in der nach § 27 Abs. 15 UStG 1973 gebotenen Heranziehung zur Selbstverbrauchsteuer keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung zu sehen.
Normenkette
UStG 1973 §§ 30, 27 Abs. 15
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist ein Unternehmen der Verpackungsindustrie. Sie errichtete in den Jahren 1973 und 1974 im Rahmen eines mehrstufigen Ausbaues ihres Unternehmens als zweite Ausbaustufe eine Halle zur Aufnahme von Verpackungsmaschinen und nahm diese Halle im Jahre 1974 in Betrieb. Das Bauvorhaben war bereits lange vor dem 9. Mai 1973 vorgeplant gewesen. Die für die Halle bestimmten Maschinen hatte die Klägerin am 29. April 1973 bestellt. Zu diesem Zeitpunkt lagen die Maße der geplanten Halle fest. Ein Mitarbeiter des bauleitenden Architekten war seit dem 19. März 1973 ausschließlich für das Bauprojekt abgestellt worden. Da der Bauplatz im ehemaligen Überschwemmungsgebiet eines Flusses lag, begann die Klägerin bereits vor dem 9. Mai 1973 mit Bauarbeiten zur Befestigung des Geländes, um die notwendige Belastbarkeit für das Fundament der Maschinenhalle zu erhalten. Der Bauantrag wurde erst am 1. Juni 1973 gestellt. Die Herstellungskosten für die Halle beliefen sich auf ingesamt 1 005 160 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) zog die Klägerin wegen dieses Vorganges im Rahmen der Umsatzsteuerveranlagung 1974 zur Umsatzsteuer heran und setzte unter Anwendung eines Steuersatzes von 11 v. H. eine Selbstverbrauchsteuer von 110 567,60 DM fest.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage, mit der sich die Klägerin gegen ihre Heranziehung zur Selbstverbrauchsteuer gewendet hat, abgewiesen und im wesentlichen ausgeführt: Die Vorschrift des § 27 Abs. 15 letzter Satz des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1973) enthalte eine besondere Bestimmung des Beginns der Herstellung bei Gebäuden und beinhalte insofern eine gesetzliche Typisierung im Interesse von Rechtsklarheit und -sicherheit. Es solle mit ihrer Hilfe vermieden werden, daß Streitigkeiten über den Beginn der Gebäudeherstellung entstehen. Auf den Baubeginn komme es deshalb nicht an. Die Rückwirkung dieser am 27. Juni 1973 in Kraft getretenen Vorschrift auf den 9. Mai 1973 sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Auch § 30 UStG 1973 wirke nicht in verfassungswidriger Weise zurück. Die Individualinteressen der betroffenen Unternehmer seien bewußt vom Gesetz eben dem Allgemeininteresse an einem wirksamen Gesetzesvollzug angesichts einer bedrohlichen Wirtschaftsentwicklung untergeordnet worden. Der Wirtschaft und somit auch der Klägerin sei spätestens ab dem 9. Mai 1973 die Wiedereinführung einer Selbstverbrauchsteuer bekannt gewesen. Die Vorschrift des § 27 Abs. 15 letzter Satz UStG 1973 als eine dem § 51 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG 1967) nachgebildete Vorschrift bestimme im Rahmen dieser zulässigen Rückwirkung auf den 9. Mai 1973 lediglich den Zeitpunkt des Baubeginns. Dabei sei der Gesetzgeber typisierend davon ausgegangen, daß der Bauwerber unter Beachtung der baurechtlichen Vorschriften erst nach erteilter Baugenehmigung mit den Bauarbeiten beginne. Da sich die Klägerin bauordnungswidrig verhalten habe, weil sie schon vor Genehmigung ihres Bauantrages mit den Bauarbeiten begonnen habe, müsse sie auch die steuerlichen Folgen ihres konjunkturpolitisch unerwünschten Verhaltens tragen.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Sie habe mit dem Bau der Maschinenhalle durch die Aufnahme der Erdarbeiten begonnen. Als Baubeginn (als Beginn der Herstellung) werde nicht nur nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, sondern auch aus steuerrechtlicher Sicht derjenige Zeitpunkt angesehen, in dem die Bauarbeiten auf der Baustelle (durch Trümmerbeseitigung oder Beginn der Schachtarbeiten) aufgenommen werden (vgl. Abschn. 50 Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1953 und Abschn. 69 Abs. l EStR 1955 bis 1961). Der Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung sei demgegenüber nur eine Vorbereitungshandlung und stehe dem Erwerb des Baulandes und der Planung durch den Architekten gleich. Auch unter dem geltenden Einkommensteuerrecht gebe es noch Regelungen, die von diesem Verständnis getragen seien (so § 6 Abs. 3 EStG). Demgegenüber definierten andere Vorschriften wie § 51 Abs. 2 Nr. 2 EStG den Baubeginn mit dem Zeitpunkt des Antrages auf Erteilung der Baugenehmigung. Solche Abweichungen vom allgemeinen Auslegungsverständnis verfolgten bestimmte steuerliche Ziele. Dem § 27 Abs. 15 letzter Satz UStG 1973 könne aber ein solches besonderes steuerrechtliches Ziel, vornehmlich die rückwirkende Einbeziehung bereits begonnener Bauvorhaben in die Selbstverbrauchsteuer, nicht beigelegt werden. Dies ergäbe sich aus Vorgängen anläßlich des Kabinettsbeschlusses der Bundesregierung vom 9. Mai 1973, mit dem diese das Vorhaben einer Wiedereinführung einer Selbstverbrauchsteuer angezeigt habe. Die Bundesregierung habe nämlich zugleich dem Bundesrat den Entwurf einer Dritten Konjunkturverordnung zugeleitet und in seiner Begründung u. a. ausgeführt, die vorgeschlagenen Maßnahmen auf einkommensteuerlichem Sektor böten allein keine ausreichende Gewähr für eine den konjunkturpolitischen Erfordernissen genügende Nachfragedämpfung. Es müsse dabei noch berücksichtigt werden, daß eine Verzögerungswirkung dadurch eintrete, " daß durch eine aus Gründen des Vertrauensschutzes erforderliche Übergangsregelung Investitionen, bei denen der Zeitpunkt der Bestellung oder des Beginns der Herstellung vor dem Tag der Bekanntmachung des Gesetzgebungsvorhabens liegt, von der umsatzsteuerlichen Belastung nicht betroffen werden". Weder im Bulletin der Bundesregierung vom 11. Mai 1973, mit dem sie den Kabinettsbeschluß vom 9. Mai 1973 bekanntgegeben habe, noch an anderer Stelle sei die Öffentlichkeit darüber informiert worden, daß als Beginn der Herstellung von Gebäuden etwas anderes gelten solle als das, was man allgemein darunter verstehe. Es sei mithin davon auszugehen, daß auch die Bundesregierung die bereits am 9. Mai 1973 begonnenen Bauvorhaben nicht habe erfassen wollen. Auch dem Gesetzgeber könne nichts anderes vorgeschwebt haben. Er habe geglaubt, mit der Regelung des § 27 Abs. 15 letzter Satz UStG 1973 seine Vorstellung realisiert zu haben, daß denjenigen Unternehmern, die mit der Herstellung eines Gebäudes bereits vor dem 9. Mai 1973 begonnen hatten, voller Vertrauensschutz gewährt werde. Für die Zeit bis zum 28. Juni 1973 sei § 27 Abs. 15 letzter Satz UStG 1973 auf bereits begonnene Bauvorhaben nicht anwendbar. Dieser Vertrauensschutz rechtfertige sich daraus, daß der Baubeginn ein stichtagsbezogener Begriff sei und damit einen Sachverhalt beinhalte, der als abgeschlossen zu beurteilen sei. Im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Rückwirkung von Steuergesetzen auf abgeschlossene Sachverhalte sei festzustellen, daß ihre Rechtsposition durch eine dem § 27 Abs. 15 letzter Satz UStG 1973 beigelegte Rückwirkung entwertet werden würde. Für den Fall einer beabsichtigten Rückwirkung hätte die Bundesregierung im Bulletin vom 11. Mai 1973 klarstellen müssen, daß sie unter dem Beginn der Herstellung von Gebäuden die Einreichung des Bauantrages verstehe. Aufgrund des allgemeinen Sprachverständnisses sei dies nicht überflüssig, sondern aus Gründen des Vertrauensschutzes notwendig gewesen. Eine Versagung dieses Vertrauensschutzes könne nicht mit dem Argument begründet werden, sie - die Klägerin - habe sich baurechtlich gesehen nicht ordnungsgemäß verhalten. Die Gesamtkonzeption ihres Werkes sei vor Beginn des ersten Bauabschnitts mit den Planungsbehörden der Stadt abgestimmt worden. Der zweite Bauabschnitt habe sich in diesen Gesamtplan eingefügt; über den Beginn der Bauarbeiten sei wegen des öffentlichen Interesses an der Schaffung von Arbeitsplätzen, die zur Förderung durch die öffentliche Hand geführt habe, in der örtlichen Presse berichtet worden. Bei der am 1. Juni 1973 eingereichten Baugenehmigung habe es sich um eine Formsache von untergeordneter Bedeutung gehandelt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
1. Durch Art. 6 des Steueränderungsgesetzes vom 26. Juni 1973 - StÄndG 1973 - (BGBl I 1973, 676, BStBl I 1973, 545) ist erneut eine Selbstverbrauchsteuer eingeführt worden, deren Steuertatbestände als § 30 i. V. m. § 27 Abs. 15 UStG 1973 geregelt sind. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat im Urteil vom 14. Dezember 1978 V R 32/75 (BFHE 127, 77, BStBl II 1979, 289) diese Steuer aufgrund ihrer wirtschaftspolitischen Zielsetzung als eine Investitionssteuer beurteilt, die von der Selbstverbrauchsteuer i. S. des § 30 UStG 1967 wesensverschieden ist. Die neue Selbstverbrauchsteuer knüpft vorrangig an den Investitionsentschluß des Unternehmers an, auf den zur Dämpfung der Nachfrage prohibitiv eingewirkt werden sollte.
Der Investitionsentschluß eines Unternehmers schlägt sich hauptsächlich in der Bestellung von Wirtschaftsgütern oder in dem Beginn ihrer Herstellung (bzw. ihres Herstellenlassens) nieder. Davon geht das Gesetz in den den Besteuerungstatbestand ausweitenden bzw. einengenden Regelungen des § 27 Abs. 15 Sätze 2 und 3 UStG 1973 ausdrücklich aus. Für Gebäude ist dagegen in § 27 Abs. 15 letzter Satz UStG 1973 festgelegt, daß als Beginn der Herstellung der Zeitpunkt gilt, in dem der Antrag auf Baugenehmigung gestellt wird. Diese Regelung, die anderen gesetzlichen Vorbildern folgt, sichert eine gleichmäßige Handhabung des Gesetzes, welche wegen der Vielgestaltigkeit der Lebensvorgänge und der möglichen Wahl anderer Anknüpfungspunkte geboten ist. Die Anknüpfung an den Antrag auf Baugenehmigung ist auch deshalb sachgerecht, weil damit ein Merkmal gewählt worden ist, das typischerweise allen Fällen anhaftet und in besonderem Maße geeignet ist, Streitfragen über den Herstellungsbeginn auszuschließen. Geht man ferner davon aus, daß im Regelfall der investitionswillige Bauwerber unter Beachtung der bauordnungsrechtlichen Vorschriften mit den eigentlichen Bauarbeiten erst beginnt, wenn der Bauantrag gestellt und genehmigt worden ist, dann hat das Gesetz für den Eintritt der Selbstverbrauchbesteuerung einen Zeitpunkt gewählt, zu dem Bauwerber regelmäßig noch keine rechtlichen oder wirtschaftlichen Bindungen eingegangen sind. Denn erst mit der Erteilung der Baugenehmigung weiß der Bauwerber, ob und wie er bauen darf.
Das Gesetz knüpft zwar die Besteuerung in erster Linie an den Investitionsentschluß des Unternehmers an; die Selbstverbrauchbesteuerung wird jedoch erst und dann ausgelöst, wenn der Unternehmer seinen Investitionsentschluß in der Weise verwirklicht, daß er den Investitionsgegenstand der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zuführt. Eine Selbstverbrauchsteuerpflicht tritt nicht ein, wenn der Unternehmer ein Wirtschaftsgut bestellt, herstellt oder herstellen läßt, aber nicht als Anlagevermögen einsetzt, sondern beispielsweise (möglicherweise auch aufgrund eines nachträglich gefaßten Entschlusses) weiterveräußert oder zunächst von einer Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen Abstand nimmt. Der Fall der ersten Alternative sollte nach dem Willen des Gesetzgebers, nach dem die Investitionsnachfrage gedämpft werden sollte, von der Selbstverbrauchsteuer nicht erfaßt werden. Für die Fälle der zweiten Alternative ist der Gesetzgeber offensichtlich davon ausgegangen, daß der Unternehmer aus wirtschaftlichen Erwägungen Investitionsentschlüsse zu Ende führt und nicht auf halbem Wege stehenbleibt.
Aus vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß sich der die Selbstverbrauchsteuer auslösende Lebenssachverhalt nicht in dem Entschlusse des Unternehmers erschöpft, zum Zwecke des Investierens Wirtschaftsgüter zu bestellen, herzustellen oder herstellen zu lassen, sondern daß der Gesamtvorgang, an den die Selbstverbrauchsteuer anknüpft, aus dem getroffenen Investitionsentschluß und seiner Verwirklichung durch Investieren besteht. Der der Selbstverbrauchsteuer unterliegende Vorgang wird mit dem verwirklichten Entschluß des Unternehmers, ein Wirtschaftsgut zu bestellen, es herzustellen oder herstellen zu lassen, begonnen und mit der Zuführung des Wirtschaftsguts zur Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen beendet. Innerhalb dieses Lebenssachverhalts, auf den die Selbstverbrauchsteuer einwirken will, sind die Bestellung und der Beginn der Herstellung nur Teilvorgänge.
2. a) Die die neue Selbstverbrauchsteuer regelnden Vorschriften des § 27 Abs. 15 und des § 30 UStG 1973 sind als Teil des Steueränderungsgesetzes 1973 am 28. Juni 1973 im Bundesgesetzblatt verkündet worden und gemäß Art. 13 StÄndG 1973 am 29. Juni 1973 in Kraft getreten. § 27 Abs. 15 UStG 1973 bestimmt, daß der Selbstverbrauchsteuer grundsätzlich alle Zuführungen von Wirtschaftsgütern zur Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen der Selbstverbrauchsteuer unterliegen, die auf Investitionsentschlüssen beruhen, welche nach dem 8. Mai 1973 vom Unternehmer gefaßt und insonderheit durch Bestellung, Beginn der Herstellung oder des Herstellenlassens verwirklicht worden sind (vgl. BFHE 127, 77, BStBl II 1979, 289). Damit wirkt § 30 UStG 1973 auf den 9. Mai 1973 zurück und erfaßt auch diejenigen Investionsvorgänge, die in die Zeit vom 9. Mai bis 28. Juni 1973 fallen. Von dieser Rückwirkung des Gesetzes sind betroffen Vorgänge, bei denen der Unternehmer in dem fraglichen Zeitraum sowohl den Investitionsentschluß durch Bestellung usw. verwirklicht als auch die Zuführung des Wirtschaftsguts zum Anlagevermögen vorgenommen hat, und Vorgänge, bei denen nur der Investitionsentschluß in den fraglichen Zeitraum fiel, die Zuführung zum Anlagevermögen dagegen nach dem 28. Juni 1973 lag. Aus der Sicht des § 30 i. V. m. § 27 Abs. 15 UStG 1973 ist im ersten Falle ein abgewickelter Sachverhalt gegeben, im zweiten Fall ein begonnener, aber nicht beendeter Investitionsvorgang (vgl. Abschn. 1 der Gründe).
b) Die Regelung des § 30 Abs. 2 i. V. m. § 27 Abs. 15 UStG 1973, soweit sie (abgeschlossene und nicht abgeschlossene) in die Zeit vom 9. Mai bis 28. Juni 1973 fallende Investitionsvorgänge erfaßte, verstößt nicht gegen das Grundgesetz (GG).
Es verstößt nicht schlechthin gegen rechtsstaatliche Grundsätze, wenn ein Gesetz anordnet, daß die in ihm bestimmten Rechtswirkungen mit Wirkung von einem vor der Verkündung liegenden Zeitpunkt eintreten (BVerfGE 1, 264, 280). Jedoch sind belastende Gesetze, die sich echte Rückwirkung beilegen, regelmäßig mit dem Gebote der Rechtsstaatlichkeit unvereinbar (BVerfGE 23, 12, 32). Eine echte Rückwirkung liegt nur vor, wenn das Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (BVerfGE 11, 139, 145). Belastende Steuergesetze, die diese Wirkung entfalten, sind wegen Verstoßes gegen das im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes im allgemeinen verfassungswidrig (BVerfGE 13, 261, 271; 30, 272, 285; 30, 392, 401). Der Grundsatz der Unzulässigkeit rückwirkender belastender Normsetzung läßt jedoch Ausnahmen zu, die mit der Tragweite des Vertrauensschutzes für die Bürger zusammenhängen. Vertrauensschutz kann da nicht vor zulässiger Rückwirkung schützen, wo das Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt wäre (BVerfGE 13, 261, 271; 19, 187, 195; 30, 272, 285). Das Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen, für den Staatsbürger günstigen Rechtslage ist jedenfalls dann nicht schutzwürdig, wenn zwingende Gründe des gemeinen Wohls, die dem Gebote der Rechtssicherheit übergeordnet sind, eine Rückwirkungsanordnung rechtfertigen oder wenn der Bürger nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, mit dieser Regelung rechnen mußte (BVerfGE 13, 261, 271; 30, 272, 285; 37, 363, 397).
Aus dem Gebote der Rechtsstaatlichkeit ergeben sich auch verfassungsrechtliche Grenzen für belastende Steuergesetze mit unechter Rückwirkung. Es handelt sich hier um gesetzliche Eingriffe, die zwar unmittelbar nur auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirken, damit aber zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich im ganzen entwerten (BVerfGE 14, 76, 104; 14, 288, 297; 18, 135, 144; 30, 250, 267; 30, 392, 401 ). Hier ist zur Bestimmung der verfassungsrechtlichen Grenze das Vertrauen des einzelnen auf den Fortbestand einer bestimmten Gesetzeslage mit der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit abzuwägen (BVerfGE 30, 250, 268; 30, 392, 401). Während eine echte Rückwirkung grundsätzlich nur dann als zulässig angesehen wird, wenn zwingende, dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnete Gründe des allgemeinen Wohls die Rückwirkung rechtfertigen, ist für die Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung ausreichend, wenn die Abwägung ergibt, daß das Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage keinen Vorrang verdient (BVerfGE 30, 250, 268).
c) Das Steueränderungsgesetz 1973 war ein Teilstück zur Verwirklichung des von der Bundesregierung vorgelegten Stabilitätsprogramms zur Bekämpfung der Inflation. Es handelt sich bei diesem Gesetz, das die Einführung der neuen Selbstverbrauchsteuer einschloß, um ein Maßnahmegesetz mit wirtschaftspolitischer Zwecksetzung. Als sich Anfang des Jahres 1973 erste Überhitzungserscheinungen der Wirtschaft bei anhaltendem Preisauftrieb abzeichneten, beschloß die Bundesregierung erste Maßnahmen zur Abschöpfung von Liquidität und Kaufkraft, die auch steuerpolitische Maßnahmen einschlossen (vgl. Regierungsentwurf eines Steueränderungsgesetzes 1973, Bundestags-Drucksache 7/419 vom 28. März 1973). Sie basierten auf den Annahmen und Zielprojektionen ihres Jahreswirtschaftsberichts 1973. Ein Sondergutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und zur konjunkturpolitischen Lage im Mai 1973 markierte eine weitere und in dieser Form nicht vorausgesehene Zuspitzung der Lage in Form einer abermals beschleunigten inflatorischen Entwicklung. In dieser Lage beschloß die Bundesregierung am 9. Mai 1973 ein Zweites Stabilitätsprogramm, das im Verein mit geld- und kreditpolitischen, haushaltspolitischen, handelspolitischen sowie wettbewerbs- und verbraucherpolitischen Maßnahmen auch eine Reihe einschneidender zusätzlicher steuerpolitischer Maßnahmen vorsah (vgl. Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags, Abschnitt Regierungsprogramm, Bundestags-Drucksache 7/592). Die Opposition erkannte die Notwendigkeit eingreifender Maßnahmen an. Der Finanzausschuß des Deutschen Bundestags sah im Entwurf des Steueränderungsgesetzes 1973 ein wesentliches Teilstück zur Verwirklichung der Aufgabe, eine Tendenzwende in der Inflationsmentalität der Bevölkerung herbeizuführen (vgl. Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags, a. a. O.). Der Berichterstatter des Finanzausschusses, der Abgeordnete Dr. Sprung (CDU/CSU), hat in der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs (Stenografischer Bericht der 35. Sitzung des Deutschen Bundestags - 7. Wahlperiode - vom 23. Mai 1973 S. 1939) ergänzend darauf hingewiesen, daß die Preissteigerungsrate Ende April 1973 die nach dem Kriege noch nie erreichte Höhe von 7, 5 v. H. erreicht habe. Die Entwicklung nehme boomhafte Züge an. Eine gefährliche Inflationsmentalität breite sich aus. Harte und durchgreifende Maßnahmen seien unerläßlich, um die überbordende Nachfrage nach Investitions- und Verbrauchsgütern drastisch zu beschneiden. Der Abgeordnete Pieroth (CDU/CSU) betonte als Sprecher der Opposition, daß in der Diagnose der Situation Einigkeit bestehe. Die eingetretene Inflation gefährde in nie gekannter Weise die Preisstabilität. Einigkeit bestehe auch über das Ziel der notwendigen Therapie, nämlich die Nachfrage zu dämpfen und Kaufkraft stillzulegen. Jedoch seien die vorgeschlagenen Wege zur Erreichung dieses Zieles nicht wirksam genug (Stenografischer Bericht, a. a. O., S. 1945).
Der erkennende Senat sieht in diesen, im Grundsatz von allen Parteien des Deutschen Bundestags getragenen Bestrebungen, durch ein Bündel von sofort greifenden Maßnahmen eine akute inflatorische Entwicklung zu bremsen, zwingende Gründe des Allgemeinwohls verwirklicht. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat im Jahresgutachten 1972/1973 (Tz. 313 ff.) die schädlichen Auswirkungen einer inflatorischen Entwicklung im einzelnen dargelegt und betont, daß sie sich nicht nur auf die Einkommens- und Vermögensverteilung beschränke, sondern auch Auswirkungen auf Art und Menge der produzierten Güter habe und damit auf den Wohlstand im ganzen zurückwirke und dies in einer das Problem verschärfenden Weise. Damit war eine Situation gegeben, die eine Wiederherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erforderte, zu der Bund und Länder gemäß § 1 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 (BGBl I 1967, 582) verpflichtet sind.
In Zeiten ständiger schleichender Geldentwertung mit den dargestellten nachteiligen, das Gemeinwesen und seine Bürger treffenden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Folgen wird man gesetzliche Maßnahmen mit Rückwirkungscharakter nicht fortlaufend unter Hinweis auf die beabsichtigte Zielsetzung der Sicherung des Allgemeinwohls rechtfertigen können. Mit Recht betont das BVerfG, daß nur zwingende Gründe des Allgemeinwohls eine Hintanstellung des Gebots der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und damit einen gesetzlichen Eingriff in abgeschlossene Tatbestände erlauben. Zwingende Gründe in diesem Sinne sind nach Auffassung des erkennenden Senats jedenfalls dann zu bejahen, wenn die gesetzlichen Maßnahmen sofort greifen müssen, um der Allgemeinheit drohende Nachteile abzuwenden. Dies gilt besonders dann, wenn die Ankündigung eines Gesetzgebungsvorhabens bis zu seiner Verwirklichung eine eher gegenteilige Wirkung zu Lasten des Allgemeinwohls erzeugen würde. So hatte gerade die Ankündigung der Erhebung einer Investitionssteuer ab der Verkündung des Gesetzes eine besondere Investitionsnachfrage ausgelöst und damit die inflatorische Entwicklung nachhaltig verschlimmert.
In dieser Situation kann die Rückwirkung der Selbstverbrauchsteuer auf Investitionsentschlüsse in der Zeit vom 9. Mai bis 28. Juni 1973 und der damit verbundene Einbruch in den Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht ohne Blick auf das am 9. Mai 1973 beschlossene und unverzüglich bekanntgegebene Zweite Stabilitätsprogramm der Bundesregierung gewürdigt werden. Ungeachtet der mehrfach vom BVerfG bekundeten Auffassung, daß das Vertrauen des Bürgers nicht durch einen Gesetzentwurf, sondern erst durch einen Gesetzesbeschluß des Bundestags berührt werde (vgl. BVerfGE 13, 261, 272; 27, 167, 173; 31, 222, 227), ist der Senat der Auffassung, daß der Beschluß der Bundesregierung jedenfalls geeignet war, die Beeinträchtigung des Vertrauensschutzes in starkem Maße abzumildern und der aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls gebotenen Rückwirkung auf den Tag der Beschlußfassung der Bundesregierung in der Gewichtung zwischen Maßnahmeziel und Einzelinteresse die Schärfe zu nehmen. In der damaligen besonderen Situation war für alle Beteiligten einsichtig, daß eine Selbstverbrauchsteuer, die nicht am 9. Mai 1973, sondern erst später greifen würde, weitestgehend ihren Sinn verlieren mußte, denn die Unternehmer hätten im Rahmen des Möglichen ihre Investitionsentschlüsse vorgezogen und damit den beabsichtigten Zweck einer Dämpfung der Investitionsnachfrage weitestgehend konterkariert. Das Vertrauen auf diese Möglichkeit mußte zerstört werden. Die verfassungsrechtliche Ordnung erlaubte dazu keinen anderen Weg als den, den die Bundesregierung beschritten hat. Der Senat sieht für die Fälle der dargestellten Ausnahmesituation in dem von der Bundesregierung gesetzten Ankündigungseffekt ein auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht erlaubtes Mittel, eine zwingend gebotene Rückwirkung des Gesetzes durchzuführen und gleichwohl das Vertrauen der Bürger in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage nicht in unangemessener Weise zu verletzen.
3. Investitionen, die auf vor dem 9. Mai 1973 getroffenen Entschlüssen des Unternehmers beruhen, waren entsprechend diesem Verständnis von der Selbstverbrauchbesteuerung ausgenommen. § 27 Abs. 15 Satz 3 UStG 1973 bestimmt nämlich, daß § 30 UStG 1973 nicht anzuwenden ist, wenn der Selbstverbrauch auf ein Wirtschaftsgut entfällt, das vom Unternehmer nachweislich vor dem 9. Mai 1973 bestellt worden ist oder mit dessen Herstellung der Unternehmer vor diesem Zeitpunkt begonnen hat. Auf die Errichtung von Gebäuden findet diese Regelung jedoch keine Anwendung. Hier gilt gemäß § 27 Abs. 15 letzter Satz UStG 1973 als Beginn der Herstellung derjenige Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Baugenehmigung gestellt wird. Mit dieser Regelung ist die Auswirkung verbunden, daß Bauinvestitionen, mit denen nachweislich vor dem 9. Mai 1973 begonnen wurde, dem § 30 UStG 1973 unterfallen, wenn der Bauantrag erst nach dem 8. Mai 1973 gestellt worden ist. Der Unternehmer wird hier so gestellt, wie wenn er erst in der Zeit vom 9. Mai bis 28. Juni 1973 mit dem Bau begonnen hätte.
Die gesetzliche Einwirkung ergreift damit nicht nur Fallgestaltungen, in denen der Investitionsentschluß in der Zeit vom 9. Mai bis 28. Juni 1973 gefaßt und in die Tat umgesetzt wurde, sondern auch zeitlich davor liegende Investitionsentschlüsse. Es wird im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung der Zulässigkeit solcher Einwirkungen vom Regelfall auszugehen sein, daß das fertige Gebäude noch nicht im Zeitraum vom 9. Mai bis 28. Juni 1973 dem Anlagevermögen zugeführt worden ist, vielmehr in dieser Zeit nur der Bauantrag nachgereicht wurde. So liegt es auch in dem zu entscheidenden Fall. Es ist mithin eine gesetzliche Einwirkung auf einen nicht abgeschlossenen Sachverhalt gegeben.
Im Fall einer solchen unechten Rückwirkung muß ein Eingriff vorliegen, der die betroffene Rechtsposition im ganzen nachträglich entwertet. Er verletzt Verfassungsrecht, wenn die Abwägung zwischen übergeordneten Gründen des Allgemeinwohls mit dem Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage ergibt, daß diese keinen Vorrang verdient (vgl. Abschn. 2 der Gründe).
Die Klägerin hatte mit dem ungenehmigten Baubeginn keine Rechtsposition erlangt, für die sie verfassungsrechtlichen Schutz aus dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes beanspruchen kann. Die Selbstverbrauchsteuer wirkte lediglich auf einen tatsächlichen Zustand ein, nämlich auf vorbereitende Erdarbeiten. Der eigentliche Baubeginn stand unter dem Vorbehalt der Erteilung einer Baugenehmigung. Erst ab diesem Zeitpunkt ist der Bauwerber in der Lage, den beabsichtigten Investitionsentschluß in die Tat umzusetzen. Vorher befindet er sich im Stadium der Planung. Auch kann er nach der Erteilung der Baugenehmigung für immer oder für eine bestimmte Zeit davon Abstand nehmen, zu bauen. Wenn der Gesetzgeber in § 27 Abs. 15 letzter Satz UStG 1973 nicht von dem an sich sachgerechten Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung ausgegangen ist, sondern bereits vom Zeitpunkt der Antragstellung, geschah dies aus der Überlegung, dem Vertrauen des Bürgers in den Fortbestand der bisherigen Rechtslage möglichst weitgehend Rechnung zu tragen. Er hat deshalb schon dem Bauwerber mit der Antragstellung eine schutzwürdige Rechtsposition zuerkennen wollen.
Daraus ergibt sich zugleich, daß er demjenigen, der noch vor Antragstellung mit dem Bauen begann, keinen Schutz gewähren wollte. Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Die gesetzliche Regelung hält sich an den Normalfall, daß Bauantrag und Baugenehmigung dem Baubeginn zeitlich vorangehen und damit schutzwürdige Rechtspositionen des Bauwerbers frühestens mit Stellung des Bauantrags begründet werden können, nämlich dann, wenn aufgrund von Vorverhandlungen mit der Baubehörde und Vorprüfung der Unterlagen die Genehmigung des gestellten Antrags nicht mehr zweifelhaft ist. Beginnt dagegen jemand mit dem Bau, ohne einen Antrag gestellt zu haben und ohne eine Baugenehmigung zu besitzen, dann bewegt er sich auf rechtlich ungesichertem Boden. Jedenfalls kann er nicht aus der Abweichung von der üblichen Verhaltensnorm eine Ungleichheit der Lebenssachverhalte herleiten, die eine Differenzierung in der Besteuerung hier durch Beanspruchung einer verfassungsrechtlich geschützten Rechtsposition gebiete. Bei dieser Sachlage kommt es auf das Vorbringen der Klägerin, der von der Bundesregierung mit dem Kabinettsbeschluß vom 9. Mai 1973 gesetzte Ankündigungseffekt sei, was den Beginn der Herstellung von Gebäuden anbetreffe, nicht hinreichend konkretisiert gewesen, nicht an.
Wenn man deshalb davon ausgeht, daß die gesetzliche Regelung auf eine Situation eingewirkt hat, die sich die Klägerin durch den tatsächlichen Baubeginn geschaffen hatte, ist Verfassungsrecht nicht verletzt. Die Abwägung der zwingenden Gründe des Allgemeinwohls (vgl. Abschn. 2 der Gründe) mit dem Vertrauen der Klägerin auf einen Fortbestand der bisherigen Rechtslage führt zu dem Ergebnis, daß die Erwartung der Klägerin, sie könne den ungenehmigten Bau in der vorgesehenen Weise weiterführen, hinter dem Allgemeinwohl zurücktreten muß. Die Verfassung schützt nicht die bloße Erwartung, das geltende Steuerrecht werde fortbestehen (vgl. BVerfGE 27, 375, 386; 30, 250, 269). Insbesondere war der Gesetzgeber nicht gehalten, aus verfassungsrechtlichen Gründen besondere gesetzliche Vorkehrungen für diejenigen Fallgestaltungen zu treffen, in denen der Bürger durch eigenes atypisches Verhalten eine aus seiner Sicht gesteigerte Erwartungshaltung erzeugt hat. Vielmehr ist der Gesetzgeber aus den dargelegten Gründen zur Sicherung des Allgemeinwohls davon ausgegangen, daß Grenzfälle dieses Zeitgesetzes nicht nur unter dem Gesichtspunkt von Individualinteressen, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der im Allgemeininteresse liegenden konjunkturpolitischen Zielsetzung gewürdigt werden müssen. Eine gewisse Strenge des Gesetzes und der in ihm enthaltenen Abgrenzung wurde im Interesse des Vollzugs ausdrücklich gebilligt (vgl. Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags, Abschnitt: Schwerpunkte der Ausschußberatung, Bundestags-Drucksache 7/592 S. 5).
Fundstellen
Haufe-Index 413616 |
BStBl II 1981, 595 |
BFHE 1981, 106 |