Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzungszinsen
Leitsatz (NV)
1. Wer als Rechtsnachfolger ein vom Rechtsvorgänger begonnenes Rechtsbehelfs- oder Klageverfahren fortführt, ist im Unterliegensfalle Schuldner der Aussetzungszinsen.
2. Bei Inanspruchnahme als Gesamtrechtsnachfolger ist der Bescheid nicht nichtig, wenn das Gesamtrechtsnachfolgeverhältnis sich aus erläuternden Hinweisen im Bescheid ergibt; Mängel der Bezeichnung im Bescheid können in der Einspruchsentscheidung geheilt werden.
Normenkette
AO 1977 §§ 44-45, 125, 157, 234, 237, 239
Tatbestand
In ihren Einkommensteuererklärungen 1975 bis 1978 machten die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und ihr im Jahre 1983 verstorbener Ehemann bei der Zusammenveranlagung Verluste aus einem landwirtschaftlichen Anwesen geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ließ den Verlust nicht zum Ausgleich mit den anderen Einkünften zu. Daraufhin legte der Ehemann der Klägerin gegen die Einkommensteuerbescheide 1975 bis 1977 Einsprüche ein und beantragte gleichzeitig die Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerabschlußzahlungen. Gegen den Einkommensteuerbescheid 1978 legten die Klägerin und ihr Ehemann Einspruch ein und beantragten ebenfalls Aussetzung der Vollziehung. Die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide wurde vom FA mit Bescheiden vom 6. März und 15. Juni 1981 ausgesetzt. Im Betreff des Aussetzungsbescheides für die Jahre 1975 bis 1977 vom 6. März 1981 war als Steuerpflichtiger die Firma des Ehemannes, im Betreff des Aussetzungsbescheides 1978 der Ehemann als Steuerpflichtiger bezeichnet. Nach bestandskräftigem Abschluß des Einspruchsverfahrens gegen die Steuerbescheide 1975 bis 1978 durch Einspruchsentscheidung vom 15. Januar 1985 setzte das FA mit Bescheid vom 4. April 1985 Aussetzungszinsen gemäß § 237 der Abgabenordnung (AO 1977) gegen die Klägerin fest. Der Bescheid war adressiert an ,,Frau . . . für Herrn und Frau . . . und . . .". Hinsichtlich der Erfolglosigkeit der Einsprüche wurde in dem Zinsbescheid auf die Einspruchsentscheidung in der Einkommensteuersache vom 15. Januar 1985 verwiesen.
Dagegen legte die Klägerin Einspruch ein. Sie führte zur Begründung aus, aufgrund überhöhter Vorauszahlungen für spätere Veranlagungszeiträume hätten den nachzuzahlenden Steuerbeträgen erhebliche Erstattungsansprüche aus den Veranlagungen zur Einkommensteuer 1981 und 1982 gegenübergestanden. Die ausgesetzten Beträge 1975 bis 1978 hätten mit dem Guthaben 1981 verrechnet werden können.Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das FA wies den Einspruch mit Entscheidung vom 3. Juli 1985 als unbegründet zurück. Als Einspruchsführer bezeichnete das FA im Tenor der Einspruchsentscheidung Frau . . . für Herrn und Frau . . . und . . . In dem ersten Satz der Entscheidungsgründe führte das FA weiter aus, daß der Bescheid an die Klägerin zugleich als Gesamtrechtsnachfolgerin nach ihrem verstorbenen Ehemann, Herrn . . . ergangen sei.
Die Klage dagegen führte zur Aufhebung des Zinsbescheids und der Einspruchsentscheidung.
Dagegen richtet sich die vom erkennenden Senat gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassene Revision des FA, mit der u. a. geltend gemacht wird, die Entscheidung des Finanzgerichts (FG) weiche von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. Dezember 1987 II R 47/84 (BFH/NV 1989, 350) ab.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).
1. Nach § 237 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist der geschuldete Steuerbetrag zu verzinsen, soweit ein Einspruch gegen den Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg gehabt hat. Auf die Zinsen sind gemäß § 239 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 grundsätzlich die für Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Daraus folgt, daß der Zinsbescheid förmlich und inhaltlich den Anforderungen des § 157 AO 1977 genügen muß, d. h. er muß schriftlich erteilt werden, den Zinsschuldner angeben und die Zinsen nach Art und Betrag bezeichnen (BFH-Urteil vom 22. Mai 1984 VIII R 60/79, BFHE 141, 211, BStBl II 1984, 697).
2. a) Das FG ist davon ausgegangen, die Klägerin habe nicht selbst den Tatbestand verwirklicht, der zur Entstehung der Zinsschuld führte.
Hinsichtlich der Aussetzungszinsen 1975 bis 1977 ergibt sich dies nach Auffassung des FG daraus, daß nicht die Klägerin, sondern nur ihr verstorbener Ehemann Einspruch eingelegt hat. Schuldner der Aussetzungszinsen ist allerdings nur der Rechtsbehelfsführer, der den Bescheid, dessen Vollziehung ausgesetzt wurde, angefochten hat. Hat das von mehreren Gesamtschuldnern nur einer getan, so schuldet nur dieser die Zinsen (vgl. BFH-Urteil vom 6. November 1974 II R 18/72, BFHE 113, 426, BStBl II 1975, 129; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 237 AO 1977 Tz. 7; Klein / Orlopp, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 237 Anm. 8; Höllig in Koch, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 237 Rz. 18); dies gilt auch für die Einkommensteuer bei Ehegatten, die zusammen veranlagt werden (vgl. § 44 Abs. 1 AO 1977). Im Streitfall ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes das von diesem eingeleitete Einspruchsverfahren fortgeführt hat und so in die Rechte und Pflichten aus diesem Verfahren eingetreten ist. Nach dem Tode des Ehemannes der Klägerin führte diese als dessen Erbin das Verfahren fort (vgl. u. a. BFH-Urteile vom 21. März 1969 VI R 208/67, BFHE 96, 19, BStBl II 1969, 520; vom 9. Februar 1977 I R 60-68/73, BFHE 121, 381, BStBl II 1977, 428; vom 16. Dezember 1977 III R 35/77, BFHE 124, 477, BStBl II 1978, 383; vom 9. August 1989 X R 76/87, BFH/NV 1990, 303); die Einspruchsentscheidung durfte nach dem Tode des Ehemannes nur noch an die Klägerin als dessen Rechtsnachfolgerin und Fortführerin des Einspruchsverfahrens ergehen (BFH-Urteile vom 17. Juli 1986 V R 37/77, BFH/NV 1987, 111, und vom 21. Juli 1987 IX R 80/83, BFH/NV 1988, 213). Als Rechtsnachfolgerin des bisherigen Einspruchsführers muß die Klägerin sich die Einspruchseinlegung durch diesen und die daraus sich gemäß § 237 AO 1977 ergebende Zinspflicht so zurechnen lassen, als ob sie selbst als Rechtsnachfolgerin den Einspruch eingelegt hätte. Damit hat auch die Klägerin selbst den Tatbestand des § 237 AO 1977 erfüllt und konnte somit als Zinsschuldnerin aus eigener, nicht nur aus übernommener Verbindlichkeit in Anspruch genommen werden. Nichts anderes gilt für die Aussetzungszinsen zur Einkommensteuer 1978, da die Klägerin auch insoweit nicht nur das von ihr selbst, sondern auch das von ihrem Ehemann eingeleitete Einspruchsverfahren fortgeführt hat. Deshalb kann insoweit offenbleiben, ob, wie das FG meint, eine originäre eigene Zinspflicht der Klägerin entfällt, weil im Bescheid vom 15. Juni 1981 als Adressat der Aussetzungsverfügung nur der Ehemann der Klägerin genannt war.
3. Aber auch unabhängig davon kann das FG-Urteil keinen Bestand haben. Geht man nämlich mit dem FG davon aus, nicht die Klägerin, sondern nur ihr verstorbener Ehemann habe den Tatbestand des § 237 AO 1977 verwirklicht, so konnte die Klägerin doch als Gesamtrechtsnachfolgerin in Anspruch genommen werden (§ 45 Abs. 2 AO 1977). Soll ein Gesamtrechtsnachfolger für die Steuerschuld des Rechtsvorgängers in Anspruch genommen werden, so geschieht dies durch einen Steuerbescheid, der den Erfordernissen des § 157 AO 1977 zu genügen hat. Der Steuerbescheid muß an den Gesamtrechtsnachfolger als Steuerschuldner gerichtet sein (BFH-Urteile vom 28. April 1965 II 9/62 U, BFHE 82, 484, BStBl III 1965, 422; vom 25. November 1987 II R 227/84, BFHE 152, 10, BStBl II 1988, 410). Entsprechendes gilt für einen Bescheid über Aussetzungszinsen. Ein Steuerbescheid und auch ein Zinsbescheid, der den Schuldner nicht, falsch oder so ungenau bezeichnet, daß Verwechslungen nicht ausgeschlossen sind, ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH unwirksam (vgl. z. B. Urteil vom 22. Juni 1983 I R 55/80, BFHE 139, 291, BStBl II 1984, 63, und Beschluß vom 21. Oktober 1985 GrS 4/84, BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230, mit weiteren Nachweisen). Ein Mangel dieser Art kann nicht geheilt werden, auch nicht im Einspruchsverfahren. Vielmehr muß ein neuer Bescheid gegen den richtig bezeichneten Schuldner ergehen (BFH-Urteil vom 17. März 1970 II 65/63, BFHE 99, 96, BStBl II 1970, 598; Urteil in BFHE 147, 211, BStBl II 1986, 834; Schreiben des Bundesminsters der Finanzen - BMF - vom 8. April 1991, BStBl I 1991, 398, 413).
Ein Mangel haftete dem Bescheid - geht man von der Inanspruchnahme der Klägerin als Rechtsnachfolgerin aus - insoweit an, als das Gesamtrechtsnachfolgeverhältnis nicht angegeben war (vgl. Urteil in BFHE 152, 10, BStBl II 1988, 410). Dieser Mangel wiegt jedoch nicht so schwer, daß er zur Nichtigkeit des Zinsbescheids führen müßte. Nichtig ist ein Verwaltungsakt, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Mangel leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (§ 125 AO 1977). Im Streitfall wiegt das Fehlen eines ausdrücklichen Hinweises auf die Gesamtrechtsnachfolge deshalb nicht besonders schwer, weil bei verständiger Würdigung aus dem Gesamtzusammenhang, nämlich aus dem im Bescheid enthaltenen Hinweis auf die Einspruchsentscheidung in der Einkommensteuersache und dem Zusatz ,,für Herrn und Frau . . ." erkennbar wird, daß die Klägerin für Zinsschulden in Anspruch genommen wird, die aus dem zum Teil durch ihren Ehemann und sie (1978), zum Teil (1975 bis 1977) nur durch ihren verstorbenen Ehemann eingeleiteten Rechtsbehelfsverfahren resultierten. Unter den genannten Voraussetzungen, insbesondere bei Kenntnis des als Schuldner in Anspruch genommenen von der Gesamtrechtsnachfolge und genauer Bezeichnung der zu besteuernden Vorgänge ist nach dem BFH-Urteil vom 9. Dezember 1987 II R 47/84 (BFH/NV 1989, 350) die ,,erläuternde" Angabe des Rechtsnachfolgeverhältnisses ganz entbehrlich. Der Senat läßt offen, ob er sich dem anschließen könnte. Denn jedenfalls ist der Mangel in der Einspruchsentscheidung geheilt worden, da in ihr, wenn auch nicht im Tenor, sondern zu Beginn der Entscheidungsgründe, angegeben ist, der Bescheid ergehe an die Klägerin (zugleich) als Gesamtrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes.
4. Über den Antrag der Klägerin, aus Billigkeitsgründen auf die Erhebung der Zinsen zu verzichten (§ 237 Abs. 4 i. V. m. § 234 Abs. 2 AO 1977), war, wovon auch das FG und das FA zutreffend ausgegangen sind, in diesem Verfahren nicht zu entscheiden (BFH-Urteil vom 20. November 1987 VI R 140/84, BFHE 152, 310, BStBl II 1988, 402).
Fundstellen