Entscheidungsstichwort (Thema)
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG ermöglicht keine gleichzeitige Eingliederung in mehrere Unternehmen
Leitsatz (amtlich)
Eine Organgesellschaft kann nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht gleichzeitig in Unternehmen verschiedener Organträger eingegliedert sein.
Normenkette
UStG 1993 § 2 Abs. 2 Nr. 2, § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a; EWGRL 388/77 Art. 4, 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g, f
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, betrieb im Streitjahr 1995 ein Altenheim und überließ Personal an andere Einrichtungen. Darüber hinaus erbrachte sie ambulante Pflegeleistungen und Leistungen im Bereich Geschäftsführung und Verwaltungsarbeiten gegen Entgelt.
Im Anschluss an eine Außenprüfung für die Jahre 1987 und 1988 fasste der Steuerberater der Klägerin das Ergebnis der Schlussbesprechung in einem an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) gerichteten Schreiben vom 14. November 1991 wie folgt zusammen:
"1. Für den Betriebsprüfungszeitraum 1987 und 1988 erkennt das Finanzamt die Gemeinnützigkeit nicht an …
2. Für die Jahre 1989 bis einschließlich 1991 … (wird) das Finanzamt … die Gemeinnützigkeit … anerkennen …
3. Für die weitere Anerkennung der Gemeinnützigkeit ab 1992 fordert das Finanzamt die Erfüllung folgender Voraussetzungen:
a) Der Gesellschaftsvertrag soll umgehend dahingehend ergänzt werden, dass die GmbH einen 'Dachverband' i.S.d. § 57 Abs. 2 AO darstellt.
b) Die GmbH gliedert bis Ende 1991 den Reinigungsdienst aus ihrem Tätigkeitsfeld aus.
c) Es werden keine Leistungen an Dritte (Nichtgesellschafter) erbracht.
d) B ist demzufolge umgehend als Gesellschafter aufzunehmen.
e) Geschäftsführerbezüge werden in angemessenem Umfang gewährt. Die Bezahlung erfolgt in Anlehnung an den öffentlichen Dienst.
4. Das Finanzamt sieht die vorstehenden Punkte 1 ‐ 3 als verbindliche Zusagen an. Die in der AO vorgesehene Form wird durch dieses vom Finanzamt gewünschte Bestätigungsschreiben ersetzt. …
Ich gehe davon aus, dass ich mit dieser Zusammenfassung Ihre Vorschläge richtig wiedergegeben habe. Sollte das nicht der Fall sein, bitte ich um umgehende Nachricht."
Das FA reagierte auf dieses Schreiben nicht.
Das Stammkapital der Klägerin belief sich im Streitjahr (1995) auf 750 000 DM. Hiervon entfielen auf den Gesellschafter O 300 000 DM, die Gesellschafterin PS 200 000 DM, die Gesellschafter T und B jeweils 100 000 DM und auf den Gesellschafter SG 50 000 DM. Durch "privatschriftlichen" Vertrag vom 4. Dezember 1995 veräußerte PS mit Wirkung ab 1. November 1995 einen Geschäftsanteil von 100 000 DM an O. Die im November 1995 getroffene formnichtige Vereinbarung wurde Anfang 1998 in notarieller Form bestätigt.
Die Gesellschafter der Klägerin betrieben Altenheime und betreute Wohnanlagen. Satzungsmäßiger Unternehmensgegenstand der Klägerin war im Streitjahr der Betrieb, die Förderung und die Verwaltung von gemeinnützigen Altenheimen, Senioren-Zentren und Pflegeheimen aller Art, soweit es sich um eigene Einrichtungen oder um von den Gesellschaftern betriebene Einrichtungen handelt, und alle damit im weitesten Sinne zusammenhängenden Geschäfte einschließlich zu erbringender Dienstleistungen, auch in offenen oder teilstationären Formen. Die Satzung sah weiter vor, dass es sich bei der Klägerin um einen Dachverband i.S. des § 57 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) handele.
Im Rahmen einer Außenprüfung für die Jahre 1995 bis 1999 ging der Prüfer davon aus, dass die Klägerin nach Satzung und tatsächlicher Geschäftsführung die Voraussetzungen für eine Anerkennung als gemeinnützige Körperschaft erfülle. Soweit die Klägerin Verwaltungsleistungen gegenüber anderen Einrichtungen erbracht habe, liege aber ein steuerpflichtiger wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vor. Die Verwaltungsleistungen seien nicht nach § 4 Nr. 16 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) steuerfrei und unterlägen aufgrund des Vorliegens eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs dem Regelsteuersatz. Steuerfrei sei nach § 4 Nr. 16 UStG nur die Gestellung von Pflegepersonal. Die Nichtanerkennung des Verwaltungsbereichs als Zweckbetrieb stelle aber die Gesamtanerkennung der Gemeinnützigkeit für die weiteren Tätigkeiten der Klägerin nicht in Frage. Darüber hinaus wurde von einer Besteuerung des Bereichs betreutes Wohnen aus Vereinfachungsgründen abgesehen. Das FA setzte die Umsatzsteuer für 1995 im Bescheid vom 26. April 2001 entsprechend fest. Der Einspruch und die für das Streitjahr 1995 erhobene Klage hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) stützte die Klageabweisung darauf, dass das FA der Klägerin keine verbindliche Zusage nach § 204 AO erteilt habe und das FA auch nicht nach Treu und Glauben an das Schreiben vom 14. November 1991 gebunden sei. Es gelte der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung. Es bestehe keine Organschaft zum Gesellschafter O, da es an der finanziellen Eingliederung fehle. Einer erst 1998 formwirksam erfolgten Anteilsübertragung komme keine Rückwirkung auf das Streitjahr zu. Auch eine Mehrmütterorganschaft komme nicht in Betracht. Die Verwaltungsleistungen seien auch nicht steuerfrei. Dienstleistungen für die Betreiber von Altenwohn- und Pflegeheimen seien keine mit dem Betrieb dieser Heime eng verbundenen Umsätze i.S. von § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG. § 4 Nr. 18 UStG sei nicht erfüllt, da diese Vorschrift nicht die Förderung mehrstufiger Wohlfahrtsorganisationen bezwecke. Die Klägerin diene durch die Verwaltungstätigkeit für ihre Gesellschafter entgegen § 4 Nr. 18 Buchst. a UStG nicht unmittelbar gemeinnützigen Zwecken. Die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 und 2 AO lägen nicht vor. Da die Klägerin nicht gemeinnützige Dienstleistungen für ihre Mitglieder erbracht habe, seien auch die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG nicht gegeben.
Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 415 veröffentlicht.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts. Zu ihren Gunsten liege ein Vertrauenstatbestand vor, da das FA auch an eine mündliche Zusage gebunden sein könne. Das Schweigen des FA auf das ihm übersandte Bestätigungsschreiben bedeute Zustimmung, da sie, die Klägerin, aufgrund der vorangegangenen Tätigkeit des FA einen Widerspruch habe erwarten können. Ihre Leistungen seien im Übrigen aufgrund einer Organschaft nicht steuerbar. Organträger sei der Gesellschafter O gewesen, da PS durch privatschriftlichen Vertrag vom 4. Dezember 1995 mit Wirkung ab 1. November 1995 einen Geschäftsanteil von 100 000 DM an O "verkauft und übertragen" habe. Die im November 1995 getroffene formnichtige Vereinbarung sei Anfang 1998 in notarieller Form bestätigt worden. Auf die Formunwirksamkeit der privatschriftlich getroffenen Vereinbarung komme es nach § 41 AO nicht an. Der formnichtig auf O übertragene Geschäftsanteil sei O als Treugeber zuzurechnen. Darüber hinaus liege zumindest eine Mehrmütterorganschaft vor, da eine Organschaft auch in einem Verhältnis mehrfacher Abhängigkeiten möglich sei. Hierfür spreche der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung. Besondere auf dem Gebiet der Umsatzsteuer beruhende Gründe zur Versagung einer Mehrmütterorganschaft seien nicht ersichtlich. Sie, die Klägerin, bilde mit jedem ihrer Gesellschafter jeweils ein Unternehmen, so dass Innenleistungen nicht steuerbar seien. Praktische Schwierigkeiten bei einer Aufteilung von Außenumsätzen auf die Organträger dürften keine Rolle spielen, da zwischen der anteiligen Zurechnung von Einkünften und Gewerbeerträgen und der anteiligen Zurechnung von Umsätzen kein Unterschied bestehe. Es lägen auch die Eingliederungsvoraussetzungen vor, da den Gesellschaftern O und PS die Mehrheit der Stimmrechte zugestanden haben und ihr Alleingeschäftsführer auch Geschäftsführer bei O und PS gewesen sei. Ihre Leistungen seien im Übrigen zumindest nach § 4 Nr. 18 UStG steuerfrei, da sie nach § 57 Abs. 2 AO einer Körperschaft gleichgestellt sei, die unmittelbar steuerbegünstigte Zwecke verfolge. Als Dach- bzw. Spitzenverband ihrer Mitglieder übernehme sie Aufgaben im Kernbereich der gemeinnützigen Tätigkeit ihrer Gesellschafter. Ohne die Umsatzsteuerfreiheit würden sich die gemeinnützigen Tätigkeiten verteuern. Ihre Leistungen seien auch nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG --Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage-- (Richtlinie 77/388/EWG) steuerfrei. Die Leistungen seien eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbunden, da es nicht möglich gewesen wäre, die Pflegeleistungen ohne die von der Klägerin übernommenen Aufgaben zu erbringen. Dabei hätten die Verhandlungen mit den Sozialhilfeträgern, das Qualitätsmanagement und die Qualitätskontrolle, Gespräche mit der Heimaufsicht und der Gewerbeaufsicht, die Kontrolle der fachlichen Leistungen der Wohnstifte, die Aufsicht über die Heimbetriebe, die Überwachung der Heimbetriebsvorschriften, die Organisation der Belegung, die Beratung und Betreuung der Interessenten sowie der Heimbewohner im offenen und teilstationären Bereich im Vordergrund gestanden. Schließlich sei zumindest der ermäßigte Steuersatz anzuwenden.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Umsatzsteuerbescheid vom 26. April 2001 und die Einspruchsentscheidung ersatzlos aufzuheben, das Urteil des FG aufzuheben und hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Vertrauensschutz aufgrund des Bestätigungsschreibens sei nicht zu gewähren. Es liege auch keine Organschaft vor. Die privatschriftliche Anteilsübertragung vom 4. Dezember 1995 sei formnichtig. Der im Februar 1998 notariell beurkundeten Anteilsübertragung komme keine Rückwirkung zu. Umsatzsteuerrechtlich existiere auch keine Mehrmütterorganschaft, da sich zumindest bei der anteiligen Zurechnung von Vorsteuerbeträgen und deren nachträglicher Korrektur nach §§ 15a, 17 UStG kaum lösbare Probleme ergeben würden. Die Leistungen seien auch steuerpflichtig, da die Klägerin unstreitig nicht die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 AO erfülle. Die Anwendung von § 57 Abs. 2 AO scheitere daran, dass die Klägerin nur einzelne Tätigkeitsbereiche übernommen habe. Im Übrigen kämen die Verwaltungsleistungen der Klägerin dem Personenkreis nach §§ 53, 66 AO allenfalls mittelbar zugute. Weiter seien die Voraussetzungen des § 4 Nr. 18 Buchst. b UStG nicht erfüllt. Der ermäßigte Steuersatz sei nicht anzuwenden, da die Gemeinnützigkeit der Klägerin insgesamt zu verneinen sei und ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vorliege.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Feststellungen des FG erlauben keine abschließende Entscheidung darüber, ob die Leistungen der Klägerin steuerfrei sind.
1. Das FA war am Erlass des angefochtenen Steuerbescheides nicht aufgrund des Bestätigungsschreibens der Klägerin vom 14. November 1991 gehindert. Dem Schreiben vom 14. November 1991 kommt weder der Charakter einer verbindlichen Zusage noch der einer nach Treu und Glauben verbindlichen Auskunft zu. Das FA hat den Besteuerungsanspruch auch nicht verwirkt.
a) Nach § 206 Abs. 1 AO ist eine verbindliche Zusage für die Besteuerung bindend, wenn sich der später verwirklichte Sachverhalt mit dem der verbindlichen Zusage zugrunde gelegten Sachverhalt deckt. Das FA hat aber keine verbindliche Zusage erteilt. Die verbindliche Zusage ist nach § 204 AO durch die Finanzbehörde in der Form des § 205 AO und damit insbesondere schriftlich zu erteilen. Ein Bestätigungsschreiben des Steuerpflichtigen, auf das das FA untätig bleibt und nicht in der Form des § 205 AO antwortet, erfüllt diese Voraussetzungen nicht.
b) Das FA war nicht durch eine außerhalb einer Außenprüfung gegebene und damit nicht dem Anwendungsbereich der §§ 204 bis 207 AO unterliegende Auskunft gehindert, den angefochtenen Steuerbescheid zu erlassen. Nach der Rechtsprechung können zwar auch derartige Auskünfte das FA binden. Voraussetzung für eine dann aus Treu und Glauben abgeleitete Bindung ist jedoch insbesondere, dass die Auskunft von dem für die spätere Entscheidung im Verwaltungsverfahren zuständigen Beamten oder dem Vorsteher erteilt wird (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. November 1997 III R 109/93, BFH/NV 1998, 808, Leitsatz). Das FA hat im Streitfall keine Auskunft erteilt, sondern ist auf das Schreiben der Klägerin untätig geblieben. Aus diesem Grund kommt es auch nicht darauf an, unter welchen Voraussetzungen mündliche Auskünfte das FA binden können.
c) Dem Erlass der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide steht nicht der Grundsatz der Verwirkung entgegen. Verwirkung tritt ein, wenn ein Berechtigter durch sein Verhalten einen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen hat, dass nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung seines Rechts als illoyale Rechtsausübung empfunden werden muss (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 8. März 2007 IV R 57/04, BFH/NV 2007, 1640, unter II.5.). Ein Steueranspruch wird dabei nicht bereits dadurch verwirkt, dass dem FA der Sachverhalt --z.B. durch eine detaillierte Darlegung des Steuerpflichtigen oder eine Außenprüfung-- bekannt war und der Steuerpflichtige im Vertrauen hierauf disponiert hat (BFH-Urteil vom 19. März 2002 VIII R 57/99, BFHE 198, 137, BStBl II 2002, 662, unter II.B.5.a). Verwirkung setzt vielmehr ein Verhalten der Finanzbehörde voraus, aufgrund dessen der Steuerpflichtige bei objektiver Betrachtung annehmen darf, die Behörde werde den Anspruch nicht oder nicht mehr geltend machen (BFH-Urteil vom 7. Juli 2004 X R 24/03, BFHE 206, 292, BStBl II 2004, 975, unter II.B.5.). Daher muss ein Verhalten der Finanzbehörde vorliegen, aus dem der Steuerpflichtige bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen darf, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden soll. Hierfür reicht bloße Untätigkeit nicht aus (BFH-Urteil vom 27. Juni 2006 VII R 34/05, BFH/NV 2006, 2024, unter II.5.). Dementsprechend hat das FA im Streitfall durch das Schweigen auf das Bestätigungsschreiben der Klägerin keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, so dass die vom FA später zu Recht angenommene Steuerpflicht der durch die Klägerin erbrachten Leistungen nicht als illoyale Rechtsausübung anzusehen ist.
d) Dem Schreiben vom 14. November 1991 ist schließlich nach seinem objektiven Erklärungsinhalt weder zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen die Leistungen der Klägerin als umsatzsteuerfrei zu behandeln sein sollen, noch unter welchen Voraussetzungen die Klägerin den ermäßigten Umsatzsteuersatz in Anspruch nehmen kann. Gegenstand des Schreibens ist die Anerkennung der Gemeinnützigkeit, die aber für sich allein weder zu einer Steuerfreiheit von Leistungen führt (vgl. z.B. § 4 Nr. 18 Buchst. a bis c UStG) noch zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes berechtigt (vgl. § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG).
2. Die Klägerin handelte bei Erbringung der entgeltlichen Verwaltungsleistungen selbständig, da sie nicht als Organgesellschaft in das Unternehmen ihres Gesellschafters O eingegliedert war.
a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Gemeinschaftsrechtlich beruht diese Vorschrift auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG. Danach können die Mitgliedstaaten, im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.
b) Die Klägerin war in das Unternehmen ihres Gesellschafters O nicht finanziell eingegliedert.
aa) Die finanzielle Eingliederung erfordert, dass der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt ist, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschlüsse durchsetzen kann (BFH-Urteile vom 22. November 2001 V R 50/00, BFHE 197, 319, BStBl II 2002, 167, unter II.1.a; vom 19. Mai 2005 V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671, unter II.2.a dd).
bb) Ob der Gesellschafter O im Jahr 1998 eine finanzielle Mehrheitsbeteiligung aufgrund der beurkundeten Anteilsübertragung erworben hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Dieser Anteilsübertragung kommt keine Rückwirkung auf das Streitjahr 1995 zu. Denn aufgrund einer Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sind die Umsätze der Organgesellschaft dem Organträger als Steuerschuldner zuzurechnen (BFH-Urteil vom 3. April 2003 V R 63/01, BFHE 202, 79, BStBl II 2004, 434, unter II.1.). Über diese Umsatzzurechnung ist nach den Verhältnissen bei Steuerentstehung (§ 13 UStG), nicht aber aufgrund erst später vorliegender Umstände zu entscheiden.
cc) Entgegen der Auffassung der Klägerin lag aufgrund der nach § 15 Abs. 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung formnichtigen Anteilsübertragung vom 4. Dezember 1995 kein Treuhandverhältnis vor, aufgrund dessen von einer finanziellen Eingliederung auszugehen ist. Zwar hat der Senat in seinem Urteil vom 17. April 1969 V R 123/68 (BFHE 95, 559, BStBl II 1969, 505, unter 2.a) für die Frage der finanziellen Eingliederung auch Gesellschaftsanteile berücksichtigt, die der Gesellschafter über Treuhänder hält. Weiter hat der VIII. Senat des BFH zu § 17 des Einkommensteuergesetzes entschieden, dass das wirtschaftliche Eigentum an einem Geschäftsanteil einer GmbH trotz Formunwirksamkeit auf den Erwerber übergehen kann, wenn ihm Gewinnbezugsrecht und Stimmrecht eingeräumt werden oder der zivilrechtliche Gesellschafter verpflichtet ist, bei der Ausübung des Stimmrechts die Interessen der Erwerber wahrzunehmen und die getroffenen Vereinbarungen und die formwirksame Abtretung in der Folgezeit tatsächlich vollzogen werden (BFH-Urteil vom 17. Februar 2004 VIII R 26/01, BFHE 205, 204, BStBl II 2004, 651, Leitsatz). Im Streitfall fehlt es bereits an einer im Streitjahr abgeschlossenen Treuhandabrede. Schriftliche und bereits im Streitjahr abgeschlossene Vereinbarungen über die Einräumung von Gewinnbezugsrecht und Stimmrecht hinsichtlich der mit Vertrag vom 4. Dezember 1995 formnichtig übertragenen Gesellschaftsanteile hat das FG nicht festgestellt. Im Hinblick auf die mit der Organschaft verbundenen Rechtsfolgen, insbesondere die Umsatzzurechnung (BFH-Urteil in BFHE 202, 79, BStBl II 2004, 434, unter II.1.), reichen ggf. mündlich getroffene Treuhandabsprachen nicht aus, um eine finanzielle Eingliederung zu begründen.
3. Der Hinweis der Klägerin auf das Vorliegen einer sog. Mehrmütterorganschaft führt zu keinem anderen Ergebnis.
a) Nach dem zur gewerbesteuerrechtlichen Organschaft ergangenen Urteil des I. Senats des BFH vom 9. Juni 1999 I R 43/97 (BFHE 189, 518, BStBl II 2000, 695) waren nach damaliger Rechtslage bei einer sog. Mehrmütterorganschaft die Beteiligungen der lediglich zur einheitlichen Willensbildung in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zusammengeschlossenen Gesellschafter an der nachgeschalteten Organgesellschaft unmittelbar den Muttergesellschaften zuzurechnen (sog. Lehre von der mehrfachen Abhängigkeit). Die Organschaft bestand demnach zu den Muttergesellschaften und nicht zu der GbR (BFH-Urteil in BFHE 189, 518, BStBl II 2000, 695, Leitsatz).
b) Aus der nach dem BFH-Urteil in BFHE 189, 518, BStBl II 2000, 695 zulässigen Eingliederung in mehrere Unternehmen im Rahmen der gewerbesteuerrechtlichen Organschaft ergibt sich für den Bereich der Umsatzsteuer nicht, dass § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eine gleichzeitige Eingliederung in mehrere Unternehmen ermöglicht.
aa) Gegen eine Eingliederung in mehrere Unternehmen spricht bereits der Wortlaut von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG entsprechend der Rechtsprechung zur gewerbesteuerrechtlichen Organschaft dahingehend auszulegen sein könnte, dass der in dieser Vorschrift gebrauchte Singular für die Eingliederungserfordernisse "in das Unternehmen des Organträgers" eine Eingliederung in mehrere Organträger ausschließt. Denn ein ausdrückliches Verbot einer umsatzsteuerrechtlichen Mehrmütterorganschaft ergibt sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG. Danach sind die im Inland gelegenen Unternehmensteile als ein Unternehmen zu behandeln.
bb) Gegen die Anerkennung einer umsatzsteuerrechtlichen Mehrmütterorganschaft sprechen weiter die Besonderheiten der Umsatzsteuer. Eine Mehrmütterorganschaft im Umsatzsteuerrecht würde sich anders als im Gewerbesteuerrecht nicht auf eine anteilige Zurechnung des Gewerbeertrags beschränken, sondern dazu führen, dass jeder einzelne Steuerentstehungstatbestand (§ 13 UStG) und jede einzelne Berechtigung zum Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) mehreren Organträgern anteilig zuzurechnen wäre. Weiter wäre über den Vorsteuerabzug aus den von der Organgesellschaft bezogenen Leistungen nach den Verhältnissen mehrerer Organträger zu entscheiden, wenn die durch die Organgesellschaft bezogene Leistung dazu dient, nichtsteuerbare Innenleistungen an mehrere Organträger zu erbringen. Daher kommt auch eine auf das Innenverhältnis zwischen der Organgesellschaft und den mehreren Organträgern beschränkte Organschaft, die zu einer Steuerschuldnerschaft der Organgesellschaft für die von ihr gegenüber Dritten (Nichtgesellschaftern) erbrachten Leistungen führt, nicht in Betracht.
cc) Im Übrigen scheidet die Annahme einer Organschaft auch bei richtlinienkonformer Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG aus. Nach Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG sind die Mitgliedstaaten berechtigt, mehrere Personen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln. Macht ein Mitgliedstaat von dieser Regelung Gebrauch, erfordert dies nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 22. Mai 2008 C-162/07, Ampliscientifica Srl, Amplifin SpA, (BFH/NV Beilage 2008, 217 Rdnr. 20), dass die nationale Umsetzungsregelung einen einzigen Steuerpflichtigen vorsieht. Wie das FG daher in seinem Urteil zutreffend ausführt, steht die danach gebotene Behandlung als ein Steuerpflichtiger einer Eingliederung der Organgesellschaft in mehrere Unternehmen mehrerer Organträger entgegen.
dd) Im Hinblick auf diese umsatzsteuerrechtlichen Besonderheiten vermag auch der vom BFH in seinem Urteil in BFHE 189, 518, BStBl II 2000, 695 betonte Gedanke der Einheit der Rechtsordnung, eine umsatzsteuerrechtliche Mehrmütterorganschaft nicht zu rechtfertigen (a.A. Walter/Groschupp, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2000, 449 ff., 454). Der Senat hält daher an seiner bisherigen Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 2. August 1979 V R 111/77, BFHE 128, 557, BStBl II 1980, 20, Leitsatz) fest.
4. Die Feststellungen des FG erlauben keine abschließende Entscheidung zur Frage der Steuerfreiheit, so dass die Sache an das FG zurückzuverweisen war.
a) Das FG hat zutreffend eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 18 UStG verneint.
aa) Steuerfrei sind nach § 4 Nr. 18 Satz 1 UStG die Leistungen der amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege und der der freien Wohlfahrtspflege dienenden Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die einem Wohlfahrtsverband als Mitglied angeschlossen sind, wenn
a) diese Unternehmer ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen,
b) die Leistungen unmittelbar dem nach der Satzung, Stiftung oder sonstigen Verfassung begünstigten Personenkreis zugute kommen und
c) die Entgelte für die in Betracht kommenden Leistungen hinter den durchschnittlich für gleichartige Leistungen von Erwerbsunternehmen verlangten Entgelten zurückbleiben.
bb) Nach den Verhältnissen des Streitfalls kommt eine Steuerfreiheit schon deshalb nicht in Betracht, weil die Leistungen entgegen § 4 Nr. 18 Satz 1 Buchst. b UStG dem begünstigten Personenkreis jedenfalls nicht unmittelbar zugute kamen.
(1) Das Merkmal der Unmittelbarkeit i.S. von § 4 Nr. 18 Buchst. b UStG ist leistungsbezogen auszulegen, d.h. die Leistung muss selbst dem nach der Satzung etc. begünstigten Personenkreis unmittelbar zugute kommen. Daher sind Leistungen einer Einrichtung der Wohlfahrtspflege an andere steuerbegünstigte Körperschaften nicht nach § 4 Nr. 18 UStG steuerfrei, wenn sie den nach der Satzung etc. begünstigten Personenkreis nur mittelbar zugute kommen (BFH-Urteile vom 7. November 1996 V R 34/96, BFHE 181, 532, BStBl II 1997, 366, und vom 18. März 2004 V R 101/01, BFHE 205, 342, BStBl II 2004, 798, jeweils Leitsatz 1). Es reicht daher nicht aus, dass die Leistung lediglich als Vorleistung in eine vom Leistungsempfänger an den begünstigten Personenkreis erst noch zu erbringende Leistung eingeht (BFH-Urteil in BFHE 205, 342, BStBl II 2004, 798, unter II.3.b aa). Leistungen eines Wohlfahrtsverbandes an andere Verbände oder Behörden sind nur begünstigt, wenn die Leistung den begünstigten notleidenden und gefährdeten Mitmenschen unmittelbar zugute kommt.
(2) Das Erfordernis, dass die Leistungen dem begünstigten Personenkreis zugute kommen müssen, gilt auch für die in § 4 Nr. 18 UStG anerkannten (Spitzen-)Verbände der freien Wohlfahrtspflege. Aus der gesonderten Nennung der (Spitzen-)Verbände neben den gemeinnützigen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die dem (Spitzen-)Verband als Mitglied angeschlossen sind, folgt nicht, dass auch die Mitgliedsverbände eines Wohlfahrtsverbandes --oder gar Schwesterverbände und Behörden-- zum begünstigten Personenkreis gehören. Auch insoweit bezweckt § 4 Nr. 18 UStG nicht die Förderung mehrstufiger Wohlfahrtsorganisationen, sondern die Entlastung des nach der Satzung etc. begünstigten Personenkreises (BFH-Urteil in BFHE 181, 532, BStBl II 1997, 366, unter II.2.c.).
(3) Danach sind die Leistungen der Klägerin im Streitfall nicht nach § 4 Nr. 18 UStG steuerfrei, da sie ihre Leistungen an ihre Gesellschafter und damit an andere nach dieser Vorschrift begünstigte Organisationen erbrachte, nicht aber unmittelbar an den durch die Vorschrift begünstigten Personenkreis, hier die Heimbewohner.
b) Die Feststellungen des FG erlauben aber keine abschließende Beurteilung der Steuerfreiheit, da das FG zur Art der von der Klägerin erbrachten "Verwaltungsleistungen" keine näheren Feststellungen getroffen hat. Insoweit wird im zweiten Rechtsgang Folgendes zu berücksichtigen sein:
aa) Mit dem Betrieb von Alten-, Altenwohn- und Pflegeheimen eng verbundene Umsätze i.S. von § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG setzen "grundsätzlich" voraus, dass es sich um Leistungen handelt, die an die Benutzer der Einrichtung erbracht werden (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1990 V R 35/85, BFHE 162, 502, BStBl II 1991, 157, unter II.1.). Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Leistungen an den Betreiber der Einrichtung nach dieser Vorschrift steuerfrei sein können, kann erst entschieden werden, wenn Feststellungen zur Art und zum Inhalt der von der Klägerin erbrachten Leistungen vorliegen.
bb) Mangels Feststellungen zum Inhalt der von der Klägerin erbrachten Leistungen kann der Senat auch nicht entscheiden, ob sich die Klägerin für die Steuerfreiheit auf Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann. Steuerfrei sind danach "die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen". Insoweit wird im zweiten Rechtsgang zu berücksichtigen sein, dass sich die erforderliche Anerkennung der Klägerin aus einer Zugehörigkeit zu einem anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege nach § 4 Nr. 18 Einleitungssatz UStG ergeben kann (BFH-Urteil vom 17. Februar 2009 XI R 67/06, BFH/NV 2009, 869, unter II.2.b), so dass im Wesentlichen über das Vorliegen einer eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistung zu entscheiden ist.
cc) Schließlich sind nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei "die Dienstleistungen, die die selbständigen Zusammenschlüsse von Personen, die eine Tätigkeit ausüben, die von der Steuer befreit ist oder für die sie nicht Steuerpflichtige sind, an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke der Ausübung dieser Tätigkeit erbringen, soweit diese Zusammenschlüsse von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordern, vorausgesetzt, dass diese Befreiung nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führt".
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Umsätze der Klägerin, wenn sie Leistungen gegenüber ihren Gesellschaftern erbrachte, nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 27. September 2001 V R 37/01, BFH/NV 2002, 378) steuerfrei sein können, wenn die Gesellschafter der Klägerin steuerfreie Tätigkeiten ausübten und wenn die Klägerin ihre Leistungen für unmittelbare Zwecke der Tätigkeit ihrer Gesellschafter erbrachte.
Die Steuerbefreiung ist dabei auch dann anwendbar, wenn der Zusammenschluss Leistungen nicht gegenüber allen Mitgliedern erbringt (EuGH-Urteil vom 11. Dezember 2008 C-407/07, Stichting Centraal Begeleidingsorgaan voor de Intercollegiale Toetsing, UR 2009, 52, Leitsatz). Zu diesen Voraussetzungen sind weitere Feststellungen zu treffen.
5. Sind die Leistungen der Klägerin nicht steuerfrei, ist unter Berücksichtigung des Senatsurteils vom 29. Januar 2009 V R 46/06 (BFH/NV 2009, 867) über die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 2203500 |
BFH/NV 2009, 1734 |
BFH/PR 2009, 475 |
BStBl II 2013, 873 |
BFHE 2009, 144 |
BFHE 226, 144 |
BB 2009, 1835 |
DB 2009, 2078 |
DStRE 2009, 1121 |
DStZ 2009, 746 |
HFR 2009, 1108 |
UR 2009, 639 |