Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit - Gewinn aus privater Grundstücksveräußerung durch Insolvenzverwalter
Leitsatz (redaktionell)
- Die auf den Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften durch den Insolvenzverwalter entfallende Einkommensteuer stellt auch dann in vollem Umfang eine Masseverbindlichkeit dar, wenn durch die Veräußerung stille Reserven realisiert worden sind, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind.
- Entgegen der Rechtsprechung des BFH ist die bei der Verwertung eines mit einem Absonderungsrecht belasteten Grundstücks entstehende Einkommensteuer nicht nur insoweit als Masseverbindlichkeit zu bewerten, als der Erlös in die Insolvenzmasse fließt.
- Sind in einem Veranlagungszeitraum mehrere insolvenzrechtliche Forderungskategorien betroffen (Masseverbindlichkeit und Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen), so ist die einheitlich ermittelte Einkommensteuerschuld nach dem Verhältnis der Teileinkünfte zueinander aufzuteilen.
Normenkette
InsO §§ 35, 36 Abs. 1 S. 1, §§ 38, 55 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; ZPO § 850; SGB I § 54 Abs. 4
Streitjahr(e)
2007
Tatbestand
Streitig ist die Qualifikation der Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 der Insolvenzordnung - InsO -.
Der Kläger ist Insolvenzverwalter von Frau G, über deren Vermögen am 22. August 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Frau G erzielte im Streitjahr 2007 Renteneinkünfte, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung sowie Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften.
Frau G war Eigentümerin des am 1. Januar 1998 angeschafften Mehrfamilienhauses A-Str. 1 in A-Stadt. Am 31. Januar 2007 veräußerte der Kläger den Grundbesitz, der mit einem wertausschöpfenden Grundpfandrecht zugunsten der Stadtsparkasse A-Stadt belastet war, so dass dieser ein Absonderungsrecht zustand. Der Kaufpreis wurde vom Käufer des Objekts unmittelbar an die Stadtsparkasse A-Stadt gezahlt. Der Kläger erhielt für seine Mitwirkung an der Veräußerung des Grundbesitzes einen sog. Kostenbeitrag i. H. v. 10.710 EUR von der Stadtsparkasse A-Stadt. Bei der Veräußerung wurde ein steuerlicher Veräußerungsgewinn i. H. v. 29.255 EUR erzielt. Bis zur Veräußerung fiel ein Werbungskostenüberschuss aus Vermietung und Verpachtung i. H. v. 923 EUR an.
In der Steuererklärung für Frau G für das Jahr 2007 erklärte der Kläger Renteneinnahmen i. H. v. 1.353 EUR (steuerpflichtiger Teil), einen Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften i. H. v. 29.255 EUR sowie einen Werbungskostenüberschuss aus Vermietung und Verpachtung i. H. v. 923 EUR. Mit Bescheid vom 22. Oktober 2009, der dem Kläger als Insolvenzverwalter von Frau G bekannt gegeben wurde, setzte der Beklagte die Einkommensteuer 2007 - erklärungsgemäß - auf 5.024 EUR fest. Dagegen legte der Kläger am 21. Oktober 2009 Einspruch ein und machte geltend, dass die gesamte Steuerschuld unzutreffenderweise gegen ihn in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter von Frau G festgesetzt und damit als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 InsO behandelt worden sei.
Der Kläger hat am 29. November 2010 (Untätigkeits-)Klage erhoben, mit der er geltend macht, dass der Teil des Veräußerungsgewinns, der den Betrag von 1.810 EUR übersteigt, ebenso wie die Renteneinkünfte nicht in die Steuerfestsetzung einbezogen werden dürften.
Im Hinblick auf den Veräußerungsgewinn führt der Kläger aus, die vom Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -, wonach die Einkommensteuer auf vor Insolvenz gebildete und nach Insolvenzeröffnung durch eine Handlung des Insolvenzverwalters realisierte stille Reserven eine Masseverbindlichkeit darstelle, erfahre in der Literatur - zu Recht - überwiegend Ablehnung (statt vieler Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, 7. Aufl. 2007, Rn. 1189). Die Frage der Entstehung einer Steuerschuld richte sich ebenso wie deren Höhe nach steuerrechtlichen Grundsätzen. Das Insolvenzrecht bestimme hingegen die Zuordnungskriterien, die darüber befänden, ob und in welchem Umfang die Insolvenzmasse für einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis hafte, wann also die gesicherte haftungsrechtliche Anwartschaft am Vermögen des Schuldners entstanden sei (Eckardt, in: Kölner Schrift InsO, 743, 747, Rn. 7.) Nach gemeinhin vertretener Auslegung sei dabei unmaßgeblich, zu welchem Zeitpunkt der Anspruch nach § 38 der Abgabenordnung - AO - entstehe. Vielmehr solle entscheidend sein, wann die zivilrechtlichen Grundlagen für die Entstehung des materiell-rechtlichen Steueranspruchs gelegt worden seien (BFH-Urteil vom 17. Dezember 1998 VII R 47/98, BFHE 188, 149, BStBl II 1999, 423; ähnlich BFH-Urteil vom 5. Oktober 2004 VII R 69/03, BFHE 208, 10, BStBl II 2005, 190; Beermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 251 AO Rn. 29). Hingegen sei der Zeitpunkt der Gewinnrealisierung insolvenzrechtlich irrelevant. Durch die Umwandlung des Substanzwertes in Barvermögen - nichts anderes stelle die Verwertung dar - werde angesammeltes Vermög...