Entscheidungsstichwort (Thema)
Ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit der Wegzugsbesteuerung mit Gemeinschaftsrecht bei Umzug in einen anderen EU-Mitgliedstaat
Leitsatz (redaktionell)
Auch nach der Ergänzung von § 6 Abs. 2 bis Abs. 7 AStG durch das SEStEG vom 7.12.2006 ist weiterhin ernstlich zweifelhaft, ob die Wegzugsbesteuerung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG insoweit mit höherrangigem Europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, als sie in Fällen, in denen das Doppelbesteuerungsabkommen das Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen im Sinne des § 17 EStG allein dem Ansässigkeitsstaat zuweist, keine Vorsorge dafür trifft, dass die nach dem EuGH-Urteil v. 7.9.2006, C-470/04 unzulässigen Mehrfachbelastungen ausgeschlossen sind.
Normenkette
AStG § 6 Abs. 1 S. 1; AStG Fassung 7.12.2006 § 6; AStG Fassung 7.12.2006 § 21 Abs. 13 S. 1; DBA-Portugal Art. 13 Abs. 4; EG Art. 43; EStG 2002 § 17; FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 S. 2
Nachgehend
Tenor
1. Die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 2004 vom 18. November 2005 wird für die Dauer des Hauptsacheverfahrens in Höhe von 157.898 Euro ausgesetzt. Die Verwirkung angefallener Säumniszuschläge wird insoweit aufgehoben, als sie auf die ausgesetzten Beträge entfallen.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig im Hauptsacheverfahren, ob die Wegzugsbesteuerung der Antragsteller nach § 6 AStG in der Fassung des Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) rechtmäßig ist. Der Antragsteller und die mit ihm zusammen zu veranlagende Antragstellerin verlegten Ende 2004 ihren Wohnsitz nach Portugal. Der Antragsteller war zu diesem Zeitpunkt zu über 50 % an der G-GmbH bzw. der S-GmbH mit Sitz in der BRD beteiligt. Im April 2005 wurden die Geschäftsanteile veräußert. Das Finanzamt wandte bei der Veranlagung der Antragsteller zur Einkommensteuer für 2004 § 6 AStG a.F. an.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag ist begründet.
Nach § 69 Abs. 3, 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen bzw. die Aufhebung seiner Vollziehung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen. Ernstliche Zweifel können danach auch bestehen, wenn die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und im Schrifttum oder auch in der Rechtsprechung der Finanzgerichte unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 18. Oktober 1989 IV B 149/88, BFHE 158, 426, BStBl II 1990, 71; in BFH/NV 2000, 1147; Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler –HHSp–, § 69 FGO Rz 311, m.w.N.; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 69 Rz. 87). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.
Nach § 21 Abs. 13 Satz 1 des Gesetzes über die Besteuerung von Auslandsbeziehungen – Außensteuergesetz (AStG n.F.) – in der Fassung des Gesetzes über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (SEStEG) vom 7.12.2007 – BGBl I 2006, 2782 – ist § 6 Abs. 1 AStG n.F. erstmals für den Veranlagungszeitraum 2007 anzuwenden, während § 6 Abs. 2 bis 7 AStG n.F. für alle noch nicht bestandskräftigen Fälle gelten soll.
Danach ist im Streitfall weiterhin der Grundtatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F. mit den für Staatsangehörige eines Mitgliedsstaats der EU geltenden ergänzenden Neuregelungen des § 6 Abs. 5 bis 7 AStG n.F. anzuwenden. Durch den Wegzug des wesentlich i.S.d. § 17 EStG an der G-GmbH und der S-GmbH beteiligten Klägers nach Portugal Ende 2004 ist der Grundtatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 1 AStG a.F. im Streitfall erfüllt. Hiernach ist bei einer natürlichen Person, die insgesamt mindestens zehn Jahre nach § 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes unbeschränkt steuerpflichtig war und deren unbeschränkte Steuerpflicht durch Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts endet, auf Anteile im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht § 17 des Einkommensteuergesetzes auch ohne Veräußerung anzuwenden, wenn im Übrigen für die Anteile zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Der erkennende Senat ist bei summarischer Prüfung anders als das FG Düsseldorf (Urteil vom 14. November 2007 9 K 1270/04 E, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2008, 361) der Auffassung, dass die Wegzugsbesteueru...