Rz. 210
Stand: EL 123 – ET: 08/2020
Das Veranlagungsverfahren ist vom LSt-Abzugsverfahren einschließlich des LSt-Ermäßigungsverfahrens unabhängig. Die LSt ist eine besondere Erhebungsform der ESt und hat, sofern es die auf die Lohneinkünfte entfallende ESt nicht abgilt (§ 46 Abs 4 Satz 1 EStG) – also in Veranlagungsfällen –, Vorauszahlungscharakter (BFH 169, 202 = BStBl 1993 II, 166). Zur Systematik im Einzelnen > Überblick über das Lohnsteuerrecht und > Steuerabzugsverfahren.
Rz. 211
Stand: EL 123 – ET: 08/2020
Deshalb sind das FA und der Stpfl im Veranlagungsverfahren grundsätzlich nicht an die tatsächlichen Feststellungen und ihre rechtliche Würdigung im Steuerabzugsverfahren gebunden. Das FA kann zB den pauschal besteuerten > Arbeitslohn in die Veranlagung einbeziehen, wenn es erkennt, dass die Voraussetzungen für eine Pauschalierung der Lohnsteuer nicht gegeben waren; es ist nicht erforderlich, dass zuvor die > Lohnsteuer-Anmeldung geändert wird (BFH 154, 68 = BStBl 1988 II, 981; BFH 156, 412 = BStBl 1989 II, 1030); ebenso, wenn auf den Einspruch des ArbG ein gegen ihn ergangener Pauschalierungs-(steuer-)bescheid aufgehoben wird (BFH 163, 204 = BStBl 1991 II, 309; ergänzend > Pauschalierung der Lohnsteuer Rz 12).
Rz. 212
Stand: EL 123 – ET: 08/2020
Ebenso besteht grundsätzlich keine Bindung an Anträge oder Entscheidungen im > Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren. Die elektronischen > Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM), zB ein vom FA festgestellter Freibetrag, haben nur für das > Steuerabzugsverfahren Bedeutung (> Grundlagenbescheid Rz 5 ff). Allerdings kann ausnahmsweise eine Bindungswirkung eintreten, wenn eine vom LSt-Ermäßigungsverfahren abweichende Entscheidung gegen > Treu und Glauben verstößt. Ein so weitgehender Bindungswille des FA wird aber idR nicht gegeben sein, weil die Bildung der ELStAM eine gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen iSd § 179 Abs 1 AO ist und unter dem > Vorbehalt der Nachprüfung steht (§ 39 Abs 1 Satz 4 EStG). Ist jedoch im LSt-Ermäßigungsverfahren eine gerichtliche Entscheidung ergangen, so wirkt sich im Veranlagungsverfahren die natürliche Autorität des Urteils aus (BFH 108, 92 = BStBl 1973 II, 223), zu deren Grenzen vgl BFH 124, 64 = BStBl 1978 II, 159; ergänzend > Rechtsbehelfe Rz 44/1.
Rz. 213
Stand: EL 123 – ET: 08/2020
Das FA ist im Veranlagungsverfahren nicht an eine als eines der > Lohnsteuerabzugsmerkmale mitgeteilte Freistellung (§ 39 Abs 4 Nr 5 EStG) gebunden (BFH 143, 455 = BStBl 1985 II, 500). Zur Überprüfung solcher Sachverhalte unter Beachtung von § 50d Abs 8 EStG > Inländische Arbeitnehmer im Ausland Rz 2. Umgekehrt bleiben bei einer Veranlagung nach einem DBA nicht zu besteuernde Lohneinkünfte außer Ansatz, selbst wenn das > Betriebsstätten-Finanzamt keine Freistellung mitgeteilt hat; anders kann es sein, wenn der Verzicht auf Besteuerung durch die Bundesrepublik Deutschland nach dem DBA antragsabhängig ist (BFH 157, 142 = BStBl 1989 II, 755) oder die vom FA mitgeteilte Steuerbefreiung rechtsbegründende Wirkung hat (> Freistellungsbescheinigung) oder der ArbN die nach § 50d Abs 8 EStG erforderlichen Nachweise nicht beibringt (> Doppelbesteuerung Rz 83; vgl BMF vom 03.05.2018, Rn 45–66, BStBl 2018 I, 643, Anh 2 Behandlung von Arbeitslohn).
Rz. 214
Stand: EL 123 – ET: 08/2020
Die Bindungswirkung einer Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) erstreckt sich nicht auf das Veranlagungsverfahren (> Auskünfte und Zusagen des Finanzamts Rz 45 ff). Auch Feststellungen der > Außenprüfung der Lohnsteuer wie zB das Bestehen eines Ehegatten-Arbeitsverhältnisses (> Arbeitnehmer Rz 80 ff) sind für die Veranlagung von > Ehegatten bzw für eingetragene > Lebenspartner nicht bindend (BFH/NV 1997, 161).