Rz. 215
Stand: EL 123 – ET: 08/2020
Hat der ArbG die LSt unzutreffend einbehalten, hat das FA mehrere Möglichkeiten, die zu wenig erhobene LSt nachzuerheben. Solange keine Veranlagung durchgeführt worden ist, kann es die LSt vom ArbN nach § 38 Abs 4 EStG, § 39 Abs 5 und 7 EStG, § 39a Abs 5 EStG, § 41c Abs 4 EStG und § 42d Abs 3 Satz 4 Nr 1 EStG nachfordern (> Nachforderung von Lohnsteuer Rz 5 ff, > Haftung für Lohnsteuer Rz 55 ff). Sind die Voraussetzungen für eine Veranlagung des ArbN gegeben (> Rz 25–144), können die > Einkünfte in die Veranlagung mit einbezogen werden, ohne dass vorher der Steuerabzug nachgeholt wird. Da die erhobene LSt ohnehin auf die veranlagte ESt angerechnet wird (> Rz 190 ff), wäre es überflüssige Doppelarbeit, den Steuerabzug nachträglich vorzunehmen (BFH 77, 412 = BStBl 1963 III, 470).
Rz. 216
Stand: EL 123 – ET: 08/2020
Nach Bekanntgabe eines > Steuerbescheid kommt aber grundsätzlich nur dessen Änderung in Betracht (BFH 156, 99 = BStBl 1989 II, 447). Dazu wird eine bereits im Veranlagungswege vorgenommene Steuerfestsetzung ggf berichtigt (> Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten Rz 4 ff, > Haftung für Lohnsteuer Rz 70 ff). Ist eine Änderung des Steuerbescheids nicht zulässig, zB weil die Voraussetzungen des § 173 AO – neue Tatsachen oder Beweismittel – nicht gegeben sind, haften der ArbG oder andere Personen nicht (BFH 169, 208 = BStBl 1993 II, 169). Ebenso kann dann die LSt nicht mehr vom ArbN nach § 42d Abs 3 Satz 4 Nr 1 EStG durch Lohnsteuerbescheid nachgefordert werden; ergänzend > Nachforderung von Lohnsteuer Rz 31, 49 ff und BFH 156, 99 = BStBl 1989 II, 447; zu weiteren Hinweisen > Außenprüfung Rz 81.
Rz. 217
Stand: EL 123 – ET: 08/2020
Im Falle einer erstmaligen oder zu ändernden Veranlagung kommt es für eine Inanspruchnahme des ArbN für nicht vorschriftsmäßig einbehaltene LSt nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des § 42d Abs 3 EStG gegeben sind. Die Inanspruchnahme des ArbN für nicht zutreffend einbehaltene LSt durch eine Änderung des Steuerbescheids steht nicht im > Ermessen des FA. Die von der Rechtsprechung zur Haftung des ArbG entwickelten Ermessenskriterien sind auf die Inanspruchnahme des ArbN durch Steuerbescheid nicht anwendbar (BFH 144, 217 = BStBl 1985 II, 660; BFH 164, 266 = BStBl 1991 II, 720; > Haftung für Lohnsteuer Rz 125, > Nachforderung von Lohnsteuer Rz 49 ff).
Rz. 218
Stand: EL 123 – ET: 08/2020
Sind die Voraussetzungen für eine Veranlagung des ArbN nicht gegeben, kann das FA gleichwohl die LSt für den zu Unrecht nicht dem Steuerabzug unterworfenen > Arbeitslohn nachträglich erheben. Die in § 46 Abs 4 Satz 1 EStG normierte Abgeltung der Einkommensteuer gilt nicht für die LSt. Das geht dann allerdings nicht durch erstmalige Veranlagung oder eine Änderung der bereits vorgenommenen Steuerfestsetzung. Das FA kann diese LSt vom ArbN – sofern der ArbG nicht vorrangig für die zu wenig einbehaltene LSt im Wege der Haftung in Anspruch genommen wird – noch während des laufenden VZ, aber auch nach dessen Abschluss innerhalb der > Verjährung durch einen Lohnsteuerbescheid nachfordern. Zu Einzelheiten > Nachforderung von Lohnsteuer Rz 5 ff. Allerdings kann Lohnsteuer, die aufgrund einer gegenüber dem ArbG erteilten unrichtigen Anrufungsauskunft (> Auskünfte und Zusagen des Finanzamts Rz 5) zu wenig einbehalten worden ist, vom ArbN nicht durch einen Lohnsteuerbescheid nachgefordert werden (BFH 243, 266 = BStBl 2014 II, 892). Das wird damit begründet, dass die gegenüber dem ArbG erteilte Anrufungsauskunft auch gegenüber dem ArbN wirkt, allerdings beschränkt auf den LSt-Abzug. Für eine Veranlagung des ArbN ist die Anrufungsauskunft hingegen nicht bindend.
Rz. 219
Stand: EL 123 – ET: 08/2020
Unabhängig davon, ob das FA den ArbN im Rahmen des Veranlagungs- oder des > Steuerabzugsverfahren in Anspruch nimmt, muss es nach pflichtgemäßem > Ermessen entscheiden, ob anstelle des ArbN der ArbG in Anspruch zu nehmen ist (> Haftung für Lohnsteuer Rz 95 ff). Beabsichtigt das FA, zur Sicherung des Steuereingangs den ArbG haftbar zu machen, zB weil die ESt vom ArbN nicht hereinzuholen ist, so kann es vor oder nach der Veranlagung des ArbN, solange die ESt nicht gezahlt und damit die Gesamtschuld (vgl § 42d Abs 3 Satz 1 EStG) erloschen ist, einen Haftungsbescheid gegen den ArbG erlassen. Das gilt nicht, soweit die Haftung des ArbG gesetzlich oder wegen Unbilligkeit ausgeschlossen ist (> Haftung für Lohnsteuer Rz 55 ff, 105 ff).