Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung einer bestandskräftigen Anrechnung von Einkommensteuervorauszahlungen
Leitsatz (redaktionell)
- Eine zugunsten des Steuerpflichtigen fehlerhafte, bestandskräftige Anrechnung von Einkommensteuervorauszahlungen nach § 30 Abs. 2 Nr. 1 EStG erzeugt als begünstigender Verwaltungsakt Bindungswirkung dergestalt, dass sie auch durch einen nachfolgenden Abrechnungsbescheid im Sinne von § 218 Abs. 2 AO nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 129 AO oder des § 130 AO geändert werden kann.
- Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen ist über die Frage der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO zu prüfen.
Normenkette
AO §§ 130, 37 Abs. 2; FGO § 102; EStG § 36 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Anrechnung von Vorauszahlungen bei den bestandskräftigen Veranlagungen des Klägers zur Einkommensteuer 1990 – 1992 fehlerhaft war und durch einen nachfolgenden Abrechnungsbescheid zu Ungunsten des Klägers geändert werden konnte.
Der Kläger war mit seiner früheren Ehefrau bis zum Veranlagungszeitraum 1988 einschließlich (zunächst) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden. Am 01.04.1991 haben sich die Eheleute getrennt. Die Ehe ist in 1994 geschieden worden.
Gegen die Eheleute, die vor und in den Streitjahren beide einkommensteuerpflichtige Einkünfte - z.T. aus gemeinsamen gewerblichen Unterbeteiligungen und aus gemeinschaftlichem Grundbesitz - erzielt haben, waren als Gesamtschuldner für die Streitjahre durch Bescheid vom 07.09.1989 bzw. Einkommensteuerbescheid 1988 vom 16.08.1991 quartalsmäßig zu entrichtende Vorauszahlungen festgesetzt worden, die auch entsprechend den im Rahmen der automatisierten Verfahrensabläufe (aufgrund unveränderten Datenbestands im Speicherkonto bis in das Jahr 1997) an die Eheleute gerichteten periodischen Zahlungshinweisen durch Verrechnungsscheck bzw. in einem Fall an den Vollziehungsbeamten in folgender Höhe gezahlt worden sind:
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1990 |
1991 |
1992 |
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DM |
DM |
DM |
Einkommensteuer |
122.940 |
97.556 |
97.556 |
Solidaritätszuschlag |
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2.706,44 |
3.658,34 |
Aufgrund nachträglichen Antrags des Klägers im Einspruchsverfahren vom November 1998 hat der Beklagte für die Jahre 1986-1988 mit geänderten Einkommensteuerbescheiden getrennte Veranlagungen durchgeführt und dabei bei der Steuerabrechnung die für diese Jahre geleisteten Einkommensteuervorauszahlungen beim Kläger jeweils nur noch zur Hälfte berücksichtigt, wobei er vorab mit Schreiben an die Bevollmächtigten des Klägers vom 28.06.1999 auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Aufteilung gemäß der Vorschrift des § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) hingewiesen hatte.
Für die nachfolgenden Jahre hat der Kläger mit seinen am 01.02.1994 (1989 und 1990) bzw. 14.07.1997 (1991 und 1992) eingegangenen Einkommensteuererklärungen jeweils getrennte Veranlagungen (1989-1991) bzw. die Durchführung einer Einzelveranlagung (1992) beantragt. Dabei enthielt erstmals die Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1991 einen Hinweis darauf, dass die Eheleute seit dem 01.04.1991 getrennt gelebt hatten. Der Beklagte hat mit - in der Folgezeit noch mehrfach geänderten - Einkommensteuerbescheiden vom 28.10.1998 (1989-1991) bzw. 03.11.1998 (1992) die Veranlagungen durchgeführt. Dabei hat er im Rahmen der Abrechnung (jeweils) die gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 Einkommensteuergesetz in der für die Streitjahre maßgeblichen Fassung (EStG) auf die Einkommensteuer anzurechnenden Einkommensteuervorauszahlungen (§ 37 EStG) beim Kläger in voller Höhe berücksichtigt.
Die Einkommensteuerveranlagungen der früheren Ehefrau des Klägers für die Jahre 1990-1992 sind (gleichfalls) im Oktober/November 1998 durchgeführt worden. In den jeweiligen Anrechnungsverfügungen waren dabei die geleisteten Einkommensteuervorauszahlungen zunächst unberücksichtigt geblieben. Nachdem die frühere Ehefrau dem erstmals Ende des Jahres 2000 und danach mehrfach widersprochen und die Anrechnung zumindest der hälftigen Einkommensteuervorauszahlungen auf die gegen sie festgesetzte Einkommensteuer 1990-1992 beantragt hatte, ist es im November 2001 zu einer Besprechung an Amtsstelle mit dem Kläger und dessen steuerlichen Beratern gekommen. Diese haben dabei die Auffassung vertreten, dass die Vorauszahlungen - wie geschehen - ausschließlich dem Kläger zuzurechnen seien, weil sie aus dessen Vermögen und für seine voraussichtlichen Steuernachzahlungen entrichtet worden seien. Zudem seien auch die formellen Voraussetzungen für eine nachträglich abweichende Aufteilung nicht gegeben, da die Tatbestandvoraussetzungen des anzuwendenden § 130 AO nicht vorliegen würden.
Ungeachtet dieser Einwände hat der Beklagte mit Verfügung ohne Rechtsbehelfsbelehrung vom 15.11.2001 eine von der bisherigen Abrechnung abweichende nur hälftige Anrechnung der Einkommensteuervorauszahlungen (1991 und 1992 auch bzgl. des Solidaritätszuschlags) vorgenommen. Er hat sich dabei ...