Julius Hansen, Ann-Kathrin Langefeld
Rz. 21
Wie die Autoren der Studie "Rate the Raters 2023" eindrücklich betonen, befindet sich die Branche der ESG-Rating-Agenturen "an einem Scheideweg". Die nach wie vor größte Herausforderung für die Unternehmen als Rating-Objekte, Investoren und andere Stakeholder stellen weiterhin die Faktoren Unbeständigkeit und mangelnde Nachvollziehbarkeit der unterschiedlichen ESG-Bewertungsmethoden dar, die sich aus den – mitunter – heterogenen Zielsetzungen und Präferenzen der Agenturen ergeben; und die, naturgemäß, häufig eng mit einem Geschäftsgeheimnis selbiger verbunden sind.
Die Frage, wie die Rating-Anbieter auf den zunehmenden (öffentlichen) Druck reagieren werden, dem sie zweifelsfrei ausgesetzt sind, wird bestimmen, wie sich die Branche in den nächsten Jahren entwickeln wird – und ob ESG-Ratings, wie wir sie heute kennen, nämlich als wichtige Player "im Ökosystem des nachhaltigen Investierens", überhaupt noch existieren werden.
Rz. 22
Noch sind ESG-Ratings in verschiedenen Regionen der Welt relevant und häufig ein wichtiger Bestandteil ganzheitlicher, fundierter Investment-Entscheidungen. Die in den letzten Jahren deutlich beschleunigte Einführung neuer ESG-Regulatoriken, insbes. Offenlegungspflichten, die sich bspw. aus der CSRD, der EU-Taxonomie oder der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) ergeben, ermöglichen Investoren perspektivisch jedoch einen einfacheren Zugang zu validen ESG-Daten und -Fakten, wie man es seit vielen Jahren aus der etablierten Finanzberichterstattung gewohnt ist. Eine bessere Datenverfügbarkeit gepaart mit einem deutlich ausgeweiteten Detailgrad könnte es ESG-Rating-Agenturen erschweren, im insgesamt sehr dynamischen ESG-Wettbewerb zu bestehen. Es ist folglich nicht auszuschließen, dass die jüngsten regulatorischen Anforderungen die Abhängigkeit der Investoren von auf ESG spezialisierten Rating-Agenturen in Teilen oder sogar vollständig auflösen. Zu beobachten ist jedoch bereits, dass die Rating-Agenturen entsprechend reagieren und ihre Bewertungsansätze i. d. R. kontinuierlich überarbeiten. Dies sicherlich auch verbunden mit dem Ziel, die dynamische ESG-Regulatorik zu reflektieren und "am Puls der Zeit" zu bleiben.
Rz. 23
Für die bewerteten Unternehmen bleibt der Rating-Prozess damit grds. auch weiterhin ein "Moving Target", und es gilt, die als Key-Ratings identifizierten Bewertungsprozesse aufmerksam zu monitoren und etwaige Implikationen aus einer Rating-Verschärfung frühzeitig zu analysieren. Inwiefern die geplante Regulierung der ESG-Ratings die Anbieterseite grundlegend verändern wird, bleibt abzuwarten.