LfSt Niedersachsen, Schreiben vom 5.4.2023, S 2175 - St 221/St 222
Änderung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG sowie des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchstabe e) S. 1 EStG im Rahmen des Vierten Corona-Steuerhilfegesetzes vom 19. Juni 2022 (BGBl 2022 I S. 911 ff., vom 22. Juni 2022)
1. Wegfall der Abzinsung von Verbindlichkeiten und zeitliche Anwendung
Durch das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz vom 19. Juni 2022, BGBl I S. 911, wurde § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG geändert. Danach sind Verbindlichkeiten unter sinngemäßer Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG anzusetzen, d. h. grundsätzlich mit dem Nennwert. Es ist damit die Verpflichtung zur bilanzsteuerrechtlichen Abzinsung von unverzinslichen Verbindlichkeiten entfallen. Die gesetzliche Neuregelung ist erstmals in nach dem 31. Dezember 2022 endenden Wirtschaftsjahren (Wj) anzuwenden (§ 52 Abs. 12 S. 2 EStG i. d. F. des Vierten Corona-Steuerhilfegesetzes) und kann z. B. auch durch einen entsprechenden Ansatz in der betroffenen Steuerbilanz (Bewertung der Verbindlichkeit mit dem Nennwert) ausgeübt werden.
2. Wahlrecht für frühere Wj („offener” Veranlagungszeitraum – VZ)
Auf (formlosen) Antrag ist die neue Fassung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG auch bereits für frühere Wj anzuwenden (§ 52 Abs. 12 S. 2 EStG i. d. F. des Vierten Corona-Steuerhilfegesetzes), soweit die betroffenen Veranlagungen noch nicht bestandskräftig sind (offene VZ). Die steuerpflichtige Person hat damit die Möglichkeit, rückwirkend in allen Wj auf eine Abzinsung von Verbindlichkeiten zu verzichten, sofern dies verfahrensrechtlich noch möglich ist. Das Wahlrecht auf rückwirkende Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG n. F. kann allerdings für alle zurückliegenden Wj nur einheitlich ausgeübt werden (siehe Drucksache 20/1906 des Deutschen Bundestages, S. 45). Es ist nicht möglich, in einem zurückliegenden offenen VZ die Abzinsung der Verbindlichkeit beizubehalten und erst in einem späteren zurückliegenden offenen VZ darauf zu verzichten. Die Korrektur ist außerbilanziell im Rahmen eines Korrekturantrags vorzunehmen.
Beispiel:
A hat als bilanzierender gewerblicher Einzelunternehmer im Wj 2016 (= Kalenderjahr) ein steuerlich anzuerkennendes unverzinsliches betriebliches Darlehen erhalten (betriebliche Darlehensverbindlichkeit, Laufzeit bis 31. Dezember 2024) und in seinen steuerlichen Schlussbilanzen seither mit den zutreffenden abgezinsten Werten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG a. F. passiviert. Die Veranlagungen für die VZ 2017 bis 2018 sind bestandskräftig und können nach den Vorschriften der AO nicht mehr korrigiert werden. Dagegen stehen die Veranlagungen der VZ 2019, 2020 und 2021 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 AO.
Aufgrund eines hohen Gewinns im Wj 2020 möchte A im VZ 2020 auf eine Abzinsung der Verbindlichkeit verzichten und das Darlehen in der Steuerbilanz zum 31. Dezember 2020 mit dem Nennwert bilanzieren. Deshalb stellt er mit Schreiben vom 1. August 2022 für den VZ 2020 einen entsprechenden Antrag.
Lösung:
Die Neuregelung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG kann zwar grundsätzlich rückwirkend auf entsprechenden Antrag angewendet werden. Allerdings ist eine rückwirkende Anwendung nur einheitlich für alle zurückliegenden Wj zulässig. Wenn A sich für eine rückwirkende Anwendung der Neuregelung entscheidet, muss er bereits im Wj. 2019 auf eine Abzinsung verzichten, weil der VZ 2019 noch nicht bestandskräftig ist. Der Aufwand aus der Rückgängigmachung der bisherigen Abzinsung würde sich bereits in vollem Umfang im VZ 2019 gewinnmindernd auswirken. Darüber hinaus müssten in den nachfolgenden Wj entsprechende Anpassungen (Gewinnerhöhungen) vorgenommen werden. Wenn A an seinem bisherigen Antrag festhält, muss das Finanzamt den Antrag des A ablehnen, weil das Wahlrecht für die offenen Jahre 2019 bis 2021 nur einheitlich ausgeübt werden kann.
3. Abzinsung von Rückstellungen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchstabe e) S. 1 EStG)
Das Abzinsungsgebot bei der Bewertung von Rückstellungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchstabe e) EStG ist von der gesetzlichen Neuregelung nicht betroffen und besteht unverändert fort. Die bisher in § 6 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 EStG a. F. enthaltenen Ausnahmen vom Abzinsungsgebot sind künftig nur noch für Rückstellungen von Bedeutung und wurden deshalb unmittelbar in § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchstabe e) S. 1 EStG n. F. übernommen.
Normenkette
EStG § 6 Abs. 1