Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob ein im Jahr 2021 in Abzug gebrachter Investitionsabzugsbetrag (IAB) für eine im Jahr 2022 tatsächlich erworbene und nach § 3 Nr. 72 EStG steuerbefreite Photovoltaikanlage allein wegen des Inkrafttretens dieser Steuerbefreiung gem. § 7g Abs. 3 Satz 1 EStG im Jahr 2021 rückgängig zu machen ist.
Hintergrund: Gesetzliche Vorgaben
Sachverhalt
Beschwerdeführer bildet im Jahr 2021 einen IAB für Anschaffung einer Photovoltaikanlage
Der Beschwerdeführer begehrt die Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Einkommensteuerbescheids für das Jahr 2021 (Streitjahr). Die Beteiligten streiten über die Bedeutung der am 1.1.2022 in Kraft getretenen Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 72 EStG für einen bereits im Jahr 2021 in Abzug gebrachten IAB für eine Photovoltaikanlage.
Das Finanzamt (FA) erkannte einen vom Beschwerdeführer für die geplante Anschaffung einer Photovoltaikanlage gebildeten IAB im Rahmen der erstmals erklärten Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Einkommensteuerbescheid 2021 (zunächst) an. Im November 2022 schaffte der Beschwerdeführer die Anlage mit einer Leistung von 11,2 kWp tatsächlich an.
Im November 2023 änderte das FA die Einkommensteuerfestsetzung 2021 nach § 7g Abs. 3 Satz 2 EStG. Es verwies auf die Rz. 19 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) v. 17.7.2023, BStBl 2023 I S. 1494. Nach der Auffassung des BMF sind danach Investitionsabzugsbeträge, die in vor dem 1.1.2022 endenden Wirtschaftsjahren in Anspruch genommen und bis einschließlich zum 31.12.2021 noch nicht gewinnwirksam hinzugerechnet wurden, nach § 7g Abs. 3 EStG rückgängig zu machen, wenn in nach § 3 Nr. 72 EStG begünstigte Photovoltaikanlagen investiert wurde.
Über den fristgemäß eingelegten Einspruch hat das FA noch nicht entschieden. Den AdV-Antrag lehnte es hingegen mit Verfügung vom 28.12.2023 ab.
FG lehnt AdV ebenfalls ab
Auch das FG lehnte den AdV-Antrag des Beschwerdeführers ab. Nach summarischer Prüfung bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids 2021. Das FA habe den IAB im Streitjahr zu Recht rückgängig gemacht. Wegen der nach § 3 Nr. 72 Satz 1 EStG bestehenden Steuerfreiheit sei im Jahr 2022 beim Beschwerdeführer kein Gewinn zu ermitteln (§ 3 Nr. 72 Satz 2 EStG), sodass von ihm auch keine Gewinnermittlung zu erstellen sei. Es fehle damit an einer Gewinnermittlung, bei der eine gewinnerhöhende Hinzurechnung des IAB erfolgen könne.
Mit der hiergegen fristgemäß erhobenen Beschwerde macht der Beschwerdeführer primär einfachrechtliche und hilfsweise verfassungsrechtliche Zweifel geltend.
Entscheidung
BFH gibt dem Beschwerdeführer recht
Nach summarischer Prüfung bestehen nach Auffassung des BFH ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids 2021. Es ist zweifelhaft, ob das FA den IAB im Streitjahr 2021rückgängig machen durfte. In Ermangelung einer klaren gesetzlichen Regelung erscheint die Beurteilung unsicher, ob der IAB wegen § 3 Nr. 72 EStG bereits im Jahr seines ursprünglichen Abzugs rückgängig zu machen ist oder ob eine entsprechende Hinzurechnung erst später vorgenommen werden kann. Zweifelhaft ist der Veranlagungszeitraum, in dem der "actus contrarius" zum IAB zu erfassen ist. Da sich die Entscheidungserheblichkeit dieser ungeklärten einfachrechtlichen Frage auch nicht aus einem anderen Grund in zweifelsfreier Weise verneinen lässt, ist die AdV antragsgemäß zu gewähren.
Hinzurechnung bereits im Jahr 2021 begegnet ernstlichen Zweifel
Voraussetzung für die Rückgängigmachung eines IAB im Abzugsjahr ist nach § 7g Abs. 3 Satz 1 EStG, dass der in Anspruch genommene IAB nicht bis zum Ende des dritten auf das Wirtschaftsjahr des jeweiligen Abzugs folgenden Wirtschaftsjahrs nach § 7g Abs. 2 Satz 1 EStG hinzugerechnet wurde. Nach der letztgenannten Vorschrift können im Wirtschaftsjahr der Anschaffung oder Herstellung eines begünstigten Wirtschaftsguts i.S.v. § 7g Abs. 1 Satz 1 EStG bis zu 50 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten gewinnerhöhend hinzugerechnet werden; die Hinzurechnung darf die Summe der nach § 7g Abs. 1 EStG abgezogenen und noch nicht nach den § 7 Abs. 2 bis 4 EStG hinzugerechneten o...