Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
Wird ein Einkommensteuerbescheid des Anteilseigners einer Kapitalgesellschaft wegen einer vGA nach Ablauf der Festsetzungsfrist geändert, bevor wegen derselben vGA ein Körperschaftsteuerbescheid der Gesellschaft geändert oder erlassen wird, ist der geänderte Einkommensteuerbescheid rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit des geänderten Einkommensteuerbescheids wird jedoch nach § 32a Abs. 1 Satz 1 KStG nachträglich beseitigt, wenn ein erstmaliger oder geänderter Körperschaftsteuerbescheid wegen derselben vGA vor Ablauf der für diesen Bescheid geltenden Festsetzungsfrist erlassen wird.
Normenkette
§ 32a Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG
Sachverhalt
Der Kläger, ein Insolvenzverwalter, wendet sich mit seiner Klage gegen die Zurechnung eine vGA gegen den Insolvenzschuldner. Dieser hatte als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH über eine Treuhandgestaltung eine Yacht verkauft und wieder zurückgekauft. Dies beurteilte das FA als Scheingeschäft und sah die Zahlung des Kaufpreises sowohl auf Ebene der GmbH gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG als auch beim Insolvenzschuldner gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG als vGA an. Das FA erließ aufgrund dessen einen geänderten Einkommensteuerbescheid vom 17.5.2010, in dem es die vGA berücksichtigte. Als Änderungsgrundlage gab es § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO an. Gegenüber der GmbH erging am 28.5.2010 ein geänderter Körperschaftsteuerbescheid, in dem die vGA erstmals berücksichtigt wurde. Die hiergegen erhobene Klage hat das FG abgewiesen (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6.10.2015, 8 K 8191/14, Haufe-Index 10404828).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Der Gesetzgeber hat mit § 32a KStG eine spezielle Korrekturvorschrift für die Berücksichtigung einer vGA im Einkommensteuerbescheid geschaffen. § 32a Abs. 1 Satz 1 KStG räumt der materiell richtigen Einkommensteuerfestsetzung den Vorrang gegenüber dem Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Bestandskraft der bereits erfolgten Steuerfestsetzung ein.
2. Nach dem Wortlaut der Vorschrift setzt die Änderung des Einkommensteuerbescheids jedoch voraus, dass ein wegen derselben vGA zu ändernder Körperschaftsteuerbescheid vor oder zumindest gleichzeitig mit dem geänderten Einkommensteuerbescheid des Gesellschafters ergeht. Dies war vorliegend nicht der Fall, da zum Zeitpunkt des Erlasses des geänderten Einkommensteuerbescheides noch kein geänderter Körperschaftsteuerbescheid in Bezug auf die vGA ergangen war. Die Rechtswidrigkeit wegen Verstoßes gegen die Änderungsreihenfolge des § 32a Abs. 1 Satz 1 KStG ist nach Auffassung des BFH jedoch durch den nachträglichen Erlass des Körperschaftsteuerbescheids beseitigt worden.
3. Der BFH zieht zur Begründung seiner Ansicht die Regelung des § 155 Abs. 2 AO heran. Auch beim Grundlagen- und Folgebescheid eröffnet § 155 Abs. 2 AO die Möglichkeit, einen Folgebescheid "vorläufig" zu erlassen, wenn sich der Erlass des Grundlagenbescheids zwar verzögert, seine Erteilung aber beabsichtigt ist. Zudem kann die Rechtswidrigkeit eines vorzeitig erlassenen Folgebescheids nach der Rechtsprechung des BFH durch den Erlass des fehlenden Grundlagenbescheids nachträglich beseitigt werden. Zwar stehen der Körperschaftsteuerbescheid der Gesellschaft und der Einkommensteuerbescheid des Anteilseigners auch nach Einführung des § 32a Abs. 1 KStG nicht im Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheid. Dies schließt es aber nicht aus, einzelne Auslegungsfragen des § 32a Abs. 1 KStG in Anlehnung an die für das Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheiden entwickelten Grundsätze zu lösen.
4. Die Auffassung des BFH ist auch aus verfahrensökonomischen Gründen gerechtfertigt. Zwar ist § 127 AO auf die Verfahrensvorschriften zur Korrektur von Verwaltungsakten, somit auch auf § 32a KStG, weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Der Sinn und Zweck der Vorschrift ist aber auch auf den vorliegenden Fall übertragbar. Da das Ermessen des FA im Hinblick auf die Besteuerung der vGA auf "null" reduziert war, hätte es nach dem Erlass des aufgrund der vGA geänderten Körperschaftsteuerbescheids nach § 32a Abs. 1 Satz 1 KStG erneut einen geänderten Einkommensteuerbescheid erlassen müssen, sodass es sich bei einer Aufhebung des zunächst rechtswidrig geänderten Einkommensteuerbescheids um reine "Förmelei" gehandelt hätte. Die Rechtsschutzposition des Anteilseigners hat sich in Bezug auf den vorab erlassenen (rechtswidrigen) Einkommensteuerbescheid durch die Annahme einer nachträglichen Beseitigung der Rechtswidrigkeit bei Erlass des Körperschaftsteuerbescheids somit nicht verschlechtert.
5. Voraussetzung für die Beseitigung der Rechtswidrigkeit ist jedoch, dass kein Ermessen des FA besteht, ob es den Einkommensteuerbescheid wegen der vGA gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 KStG ändert. Dies ist der Fall, wenn die Steuerfestsetzung ohne die Änderung sachlich unrichtig wäre; in diesem Fall ist jede andere Entscheidung, als die unrichtige Steuerfestsetzung zu ändern, ermessenswidrig.