Dipl.-Finanzwirt Karl-Heinz Günther
Bei rückwirkenden Ereignissen ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Das Finanzamt ist bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zur Änderung verpflichtet. Gleichwohl ist ein Änderungsantrag insbesondere dann angezeigt, wenn das Finanzamt von dem im Nachhinein eingetretenen Ereignis keine Kenntnis hat.
Rückwirkendes Ereignis
Der Steuerpflichtige hat in 2019 seinen Gewerbebetrieb veräußert und einen entsprechenden Veräußerungsgewinn versteuert. In 2023 wird der Kaufpreis aufgrund eingetretener Liquiditätsprobleme des Erwerbers herabgesetzt. Hierdurch ergibt sich ein auf den Veräußerungszeitpunkt (in 2019) rückwirkendes Ereignis mit entsprechender Minderung des versteuerten Veräußerungsgewinns. Dies ist dem Finanzamt im Rahmen des Änderungsantrags anzuzeigen.
Im Rahmen dieser Änderungsvorschrift stellt sich häufig die Frage, was ein sog. rückwirkendes Ereignis darstellt. Dabei ist es unschädlich, ob der Sachverhalt, auf den sich das Ereignis auswirkt, im Ausgangsbescheid nicht berücksichtigt wurde. Die bloße rückwirkende Änderung steuerrechtlicher Vorschriften ist jedoch nicht bereits deshalb als rückwirkendes Ereignis zu sehen, weil sich dadurch der dem Steuertatbestand zugrunde liegende Lebenssachverhalt nicht ändert. Bei einer Rückabwicklung eines vollzogenen Rechtsgeschäfts muss der Grund für die Veränderung im ursprünglichen Kaufvertrag angelegt sein. Darüber hinaus muss eine tatsächliche und vollständige Rückabwicklung erfolgen.
So ist beispielsweise die Umwandlung einer Lebenspartnerschaft nach § 20a LPartG in eine Ehe nach Auffassung des FG Hamburg ein rückwirkendes Ereignis, das sich aus Art. 3 Abs. 2 des Eheeröffnungsgesetzes ergibt. Dagegen ist die Wahl einer bestimmten Veranlagungsart oder deren Änderung durch einen Ehegatten kein rückwirkendes Ereignis, wenn beide Ehegatten für den betreffenden Veranlagungszeitraum bereits bestandskräftig zur Einkommensteuer veranlagt sind.
Im Bereich der Grunderwerbsteuer findet § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO nur Anwendung, wenn die Voraussetzungen für die Nichterhebung der Steuer gem. § 5 Abs. 2 i. V. m. § 3 Nr. 2 und Nr. 6 GrEStG entfallen. Dies gilt jedoch nur, soweit sich der Anteil des Veräußerers bzw. der verwandten oder beschenkten Personen am Vermögen der Gesamthand innerhalb von 5 Jahren nach dem Übergang des Grundstücks auf die Gesamthand vermindert. Bei einer Kaufpreisminderung innerhalb von 2 Jahren nach Kaufvertragsabschluss kann ein Grunderwerbsteuerbescheid nur nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG, nicht aber nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO geändert werden. Grund dafür ist, dass eine Kaufpreisminderung ebenso wie ein Rücktritt oder eine Wandelung kein rückwirkendes Ereignis darstellt.
Die Korrektur des Wertansatzes eines Wirtschaftsguts, das Teil des Betriebsvermögens am Schluss des Wirtschaftsjahres ist, stellt ein rückwirkendes Ereignis für die Steuerfestsetzung oder Gewinnfeststellung des Folgejahrs dar, bei der sich der Wertansatz gewinnerhöhend oder gewinnmindernd auswirkt.
Die Festsetzung der Steuer in einem Änderungsbescheid nach Eintritt der Bestandskraft, die aufgrund der im Änderungsbescheid berücksichtigten Besteuerungsgrundlagen erstmals eine erfolgreiche Antragstellung gem. § 32d Abs. 6 EStG ermöglicht, ist ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO, das einen korrekturbedürftigen Zustand auslöst.