Leitsatz
Die Anfechtung eines Grundlagenbescheids mit Einspruch oder Klage führt nicht dazu, dass die für die Festsetzung der Folgesteuern maßgebende Festsetzungsfrist bis zur Unanfechtbarkeit des (geänderten) Feststellungsbescheids gehemmt wird.
Normenkette
§ 171 Abs. 10 Satz 1 AO , § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO
Sachverhalt
Der Kläger war an einer Personengesellschaft (GbR) beteiligt, die beim Finanzamt G steuerlich geführt wurde. Im Mai 2001 erließ das Finanzamt G u.a. geänderte Gewinnfeststellungsbescheide für 1994 bis 1997 und benachrichtigte das für die Einkommensteuer des Klägers zuständige beklagte Finanzamt E entsprechend. Die geänderten Feststellungsbescheide wurden nach Rücknahme einer gegen sie erhobenen Klage am 17.9.2003 bestandskräftig.
Mit den angefochtenen Änderungsbescheiden vom 18.6. und 3.7.2003 passte das Finanzamt E gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die den Kläger betreffenden Einkommensteuerfestsetzungen an die geänderten Feststellungsbescheide an. Die dagegen gerichtete Klage, mit welcher der Kläger geltend machte, dass die Einkommensteueränderungsbescheide erst nach Eintritt der Festsetzungsfrist erlassen worden seien, hatte Erfolg (EFG 2004, 864). Der BFH wies die Revision des Finanzamts E als unbegründet zurück.
Entscheidung
Der Ablauf der vor dem 1.1.2003 verstrichenen regulären Fristen für die Festsetzung der Einkommensteuer 1994 bis 1997 sei im Streitfall gem. § 171 Abs. 10 Satz 1 AO bis zum Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe der geänderten Grundlagenbescheide (Gewinnfeststellungsbescheide 1994 bis 1997) gehemmt worden. Im Einklang mit der Vorinstanz und der h.M. in der Literatur (vgl. z.B. Söhn, DStZ 2002, 811; Goutier, Stbg 2003, 58; Kamps, DStR 2003, 1273; Klein/Rüsken, AO, 8. Aufl., § 171 Rz. 99; a.A. Tipke/Kruse, AO-FGO, § 171 AO Rz. 97) sei der Senat der Auffassung, dass die Anfechtung eines Grundlagenbescheids den Ablauf der Frist für die Festsetzung der Folgesteuern (hier: Einkommensteuern) nicht gem. § 171 Abs. 10 AO hemme.
Hinweis
1. Der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Folgesteuern wird gehemmt, soweit und solange in offener Feststellungsfrist ein Grundlagenbescheid, der für die Festsetzung der Folgesteuer bindend ist, noch zulässig ergehen kann. Ist aber ein Grundlagenbescheid ergangen, gewährt § 171 Abs. 10 Satz 1 AO immer nur eine maximale Auswertungsfrist von zwei Jahren nach Wirksamwerden des (ergangenen) Grundlagenbescheids (vgl. Söhn, DStZ 2002, 811). Dabei ist nach dem Besprechungsurteil ohne Belang, ob dieser Grundlagenbescheid angefochten wird oder nicht.
2. Wird ein angefochtener Grundlagenbescheid im Rechtsbehelfsverfahren bestätigt oder wird der gegen ihn eingelegte Rechtsbehelf später zurückgenommen, so kommt es gerade nicht zu einer Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, so dass solche Ereignisse auch nicht gem. § 171 Abs. 10 Satz 1 AO den Lauf der Festsetzungsfrist für den Folgebescheid beeinflussen (vgl. auch BFH, Urteil vom 13.12.2000, X R 42/96, BStBl II 2001, 471, betreffend die Wiederholung des Regelungsgehalts eines Grundlagenbescheids in einem gleichartigen Verwaltungsakt). Lediglich wenn und soweit die im Grundlagenbescheid getroffenen Feststellungen im anschließenden Rechtsbehelfsverfahren geändert werden, löst dies eine erneute Anpassungsverpflichtung und -berechtigung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und damit eine neue Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO aus.
3. Mit der vorliegenden Entscheidung hat der BFH seine noch im Urteil vom 30.11.1999, IX R 41/97, BStBl 2000, 173 vertretene gegenteilige Auffassung aufgegeben.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.1.2005, X R 14/04