Prof. Dr. rer. pol. Hanno Kirsch
1 Anhang als Bestandteil des Jahresabschlusses
1.1 Rechtsgrundlagen und Geltungsbereich
Rz. 1
Der Jahresabschluss aller Kaufleute besteht gemäß § 242 Abs. 3 HGB aus der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung. Grundsätzlich alle Kapitalgesellschaften und Kapitalgesellschaften & Co. haben nach § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB den Jahresabschluss um einen Anhang zu erweitern. Eine Ausnahme besteht für Kleinstkapitalgesellschaften (einschließlich Kleinstkapitalgesellschaften & Co.) i. S. d. § 267a HGB. Sofern diese Kleinstunternehmen nicht den beizulegenden Zeitwert als Bewertungsmaßstab verwenden, können sie gemäß § 253 Abs. 1 Satz 5 HGB i. V. m. § 264 Abs. 1 Satz 5 HGB u. a. auf die Erstellung eines Anhangs verzichten, wenn sie die in § 264 Abs. 1 Satz 5 HGB aufgeführten Angaben, die Angaben nach § 253 Abs. 3 Satz 6 HGB und § 264 Abs. 1a HGB sowie ggf. noch zusätzlich erforderliche Angaben unter der Bilanz angeben. Ebenfalls brauchen Tochter-Kapitalgesellschaften, welche in den Konzernabschluss eines anderen Mutterunternehmens einbezogen sind und die Voraussetzungen des § 264 Abs. 3 HGB erfüllen, keinen Anhang zu erstellen.
Der Anhang soll neben der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung gleichwertiger und integraler Bestandteil des Jahresabschlusses sein. Näheres über den Inhalt des Anhangs ergibt sich vor allem aus den §§ 284–288 HGB. Darüber hinaus sehen die Rechnungslegungsvorschriften auch an verschiedenen anderen Stellen Angaben, Begründungen oder Erläuterungen für den Anhang vor.
Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und Anhang bilden gemäß § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB "eine Einheit". Bei Kapitalgesellschaften und Kapitalgesellschaften & Co. (ausgenommen Kleinstkapitalgesellschaften und Kleinstkapitalgesellschaften & Co., die nicht unter § 267a Abs. 3 HGB fallen), ist ein Jahresabschluss i. S. d. Gesetzes nur dann gegeben, wenn alle 3 Bestandteile vorliegen und gleichzeitig eine Einheit bilden (vgl. Rz. 2). Bei kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften, die nicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses verpflichtet sind und daher ihren Jahresabschluss zumindest um eine Kapitalflussrechnung und einen Eigenkapitalspiegel erweitern müssen, ist gemäß § 264 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz HGB erforderlich, dass Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Kapitalflussrechnung, Eigenkapitalspiegel und Anhang eine Einheit bilden; die Erweiterung um eine Segmentberichterstattung ist in diesem Falle fakultativ (§ 264 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz HGB).
Fehlt der Anhang, so ist der Jahresabschluss nicht aufgestellt. Alle am Jahresabschluss anknüpfenden Rechtsfolgen gelten somit auch für den Anhang; das bezieht sich insbesondere auf die Aufstellung, die Prüfung, die Feststellung und die Offenlegung. Bei Kleinstkapitalgesellschaften (einschließlich Kleinstkapitalgesellschaften & Co.), die nicht unter § 267a Abs. 3 HGB fallen, treten im Falle des Verzichts auf die Aufstellung eines Anhangs an die Stelle des Anhangs die unter der Bilanz anzugebenden Informationen. Auch wenn explizit die Offenlegungspflicht der Angaben unter der Bilanz in § 326 Abs. 2 HGB nicht gesetzlich verankert ist, geht das Schrifttum davon aus, dass diese Angaben als Bestandteil der Bilanz zu werten und daher mit dieser offenzulegen sind.
Rz. 2
Die Bildung einer Einheit bedeutet ferner, dass der Jahresabschluss – unter Beachtung der GoB – nur insgesamt, also mit seinen 3 bzw. 5 (Pflicht-)Bestandteilen, ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vermitteln muss (§ 264 Abs. 2 Satz 1 HGB). Vom Gesetzgeber wird es hingenommen, dass einzelne Bestandteile des Jahresabschlusses (insbesondere die Bilanz oder die Gewinn- und Verlustrechnung) für sich genommen die tatsächlichen Verhältnisse nicht immer ausreichend widerspiegeln (z. B. infolge einer bestimmten Ausübung von Wahlrechten). In diesen Fällen hat insbesondere der Anhang die Aufgabe, die zur Beurteilung notwendigen weiteren Informationen zu gewähren.
Selbst im Falle des Verzichts der Aufstellung eines Anhangs bei Kleinstkapitalgesellschaften (einschließlich Kleinstkapitalgesellschaften & Co.) ist die Generalnorm des § 264 Abs. 2 Satz 1 HGB einzuhalten. Um jedoch die mit der Aufstellung einer verkürzten Bilanz (§ 266 Abs. 1 Satz 4 HGB), einer verkürzten GuV-Rechnung (§ 275 Abs. 5 HGB) und der Substitution des Anhangs durch einige wenige Angaben unter der Bilanz (insbesondere § 264 Abs. 1 Satz 5 HGB) verbundenen Erleichterungen nicht zu gefährden, vermutet der Gesetzgeber – allerdings widerlegbar –, dass ein unter Berücksichtigung dieser Erleichterungen aufgestellter Jahresabschluss – unter Beachtung der GoB – ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage vermittelt.
Rz. 3
Der Anhang muss – ausgenommen der unter Rz. 1 aufgeführten Ausnahmen – von allen Kapitalgesellschaften aufgestellt werden. Kleine und mittelgroße Kapitalgesellschaften im Sinne von § 267 Abs. 1 und 2 HGB dürfen jedoch bei der Aufstellung des Anhangs und darüber hinaus bei dessen Offenlegung gewisse Erleichterunge...