Rz. 2
6. Behandlung wesentlicher Beteiligungen bei Wohnsitzwechsel ins Ausland
6.0 Steuerpflicht
6.0.1 Nach § 6 AStG haben unbeschränkt Steuerpflichtige mit ihrem Übertritt in die beschränkte Steuerpflicht oder mit der Erfüllung gewisser anderer Tatbestände (§ 6 Abs. 3 AStG) den Vermögenszuwachs wesentlicher Beteiligungen an inländischen Kapitalgesellschaften nach den Grundsätzen des § 17 EStG zu versteuern. Können die stillen Reserven bereits nach anderen Bestimmungen besteuert werden (zB § 21 UmwStG), gehen diese dem § 6 AStG vor (vgl. BFH, Urt. v. 28.2.1990 – I R 43/86, BStBl. II 1990, 615).
6.0.2 Die Begründung eines Zweitwohnsitzes im Ausland bei Weiterbestehen der unbeschränkten Steuerpflicht löst die Vermögenszuwachsbesteuerung nur in den Fällen des § 6 Abs. 3 Nr. 2 AStG aus.
6.1 Persönliche und sachliche Voraussetzungen
6.1.1 Persönliche Voraussetzungen
6.1.1.1 Die Anwendung des § 6 AStG setzt voraus, daß die unbeschränkte Steuerpflicht mindestens zehn Jahre bestanden hat. Es ist nicht erforderlich, daß die Person gleichzeitig auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
6.1.1.2 War der Steuerpflichtige bzw. sein Rechtsvorgänger (vgl. Tz. 6.2) mehrere Male im Inland ansässig, so sind die Zeiträume zusammenzuzählen, während deren unbeschränkte Steuerpflicht bestand. Zeiträume einer unbeschränkten Steuerpflicht, die vor dem 21.6.1948 endeten, sind aus Billigkeitsgründen hierbei nicht zu berücksichtigen.
6.1.2 Sachliche Voraussetzungen
6.1.2.1 Die Wegzugsbesteuerung im Sinne des § 6 AStG erstreckt sich auf Anteile an inländischen Kapitalgesellschaften, für die im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht die Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 EStG – ausgenommen die Veräußerung – erfüllt sind. Es ist danach erforderlich, daß der Steuerpflichtige an einer inländischen Gesellschaft innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Wegzug ins Ausland wesentlich, dh. zu mehr als 25 v.H., unmittelbar oder mittelbar beteiligt war. Hierfür reicht es aus, wenn diese Beteiligung innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums nur kurzfristig bestanden hat. Im Zeitpunkt des Wegzugs können somit auch Anteile von 25 v.H. oder weniger eine Besteuerung nach § 6 AStG auslösen.
6.1.2.2 Hat der Wegzügler die Anteile während des Fünf-Jahres-Zeitraums unentgeltlich erworben, so reicht es aus, wenn die Mindestbeteiligung in der Person des Rechtsvorgängers oder eines der Rechtsvorgänger erfüllt war.
6.1.3 Besteuerung des Vermögenszuwachses
6.1.3.1 Der nach § 6 AStG steuerpflichtige Vermögenszuwachs unterliegt der unbeschränkten Steuerpflicht. Er ist zusammen mit anderen Einkünften, die dem Steuerpflichtigen in dem betreffenden Veranlagungszeitraum bis zum Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht zugeflossen sind, zu veranlagen. Hierbei ist R 227 EStR 1993 zu beachten.
6.1.3.2 Bei der Ermittlung der Einkünfte sind die Vorschriften des § 17 EStG und des § 53 EStDV über die Ermittlung der Anschaffungskosten sowie § 9 BewG über die Ermittlung eines gemeinen Werts entsprechend anzuwenden. Der Steuersatz für den Vermögenszuwachs bemißt sich nach § 34 EStG.
6.1.3.3 § 6 AStG gilt nur für Fälle, in denen der gemeine Wert der Anteile beim Wegzug die Anschaffungskosten übersteigt; die Bestimmung führt nicht zur Realisierung von Verlusten (vgl. BFH, Urt. v. 28.2.1990 – I R 43/86, BStBl. II 1990, 615).
6.1.4 Veräußerung von Anteilen nach dem Wohnsitzwechsel
6.1.4.1 Wird ein Anteil nach dem Wohnsitzwechsel veräußert, so unterliegt der dabei entstehende Veräußerungsgewinn nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe e in Verbindung mit § 17 EStG der beschränkten Steuerpflicht. Hierbei ist auch der Wertzuwachs vor dem Wegzug ins Ausland in die Besteuerung einzubeziehen. Bei der Veranlagung ist der Veräußerungsgewinn um den bereits versteuerten Vermögenszuwachs zu kürzen.
Beispiel:
Der Steuerpflichtige ist am 1.1.1977 in das Bundesgebiet zugezogen und am 31.12.1988 weggezogen. Eine wesentliche Beteiligung an einer inländischen Gesellschaft, die der Steuerpflichtige am 1.1.1975 für 1 Mio. DM erworben hatte, besaß am 1.1.1977 einen gemeinen Wert von 3 Mio. DM und am 31.12.1988 von 10 Mio. DM. Sie wird am 1.1.1991 für 17 Mio. DM veräußert.
Für den Veranlagungszeitraum 1988 ist der Steuerpflichtige mit dem Wertzuwachs seit dem Zuzug in Höhe von 7 Mio. DM (= 10 Mio. DM ./. 3 Mio. DM) unbeschränkt steuerpflichtig (§ 6 AStG iVm. § 17 EStG). Im Veranlagungszeitraum 1991 unterliegt der gesamte Veräußerungsgewinn von 16 Mio. DM (17 Mio. DM ./. 1 Mio. DM) unter Abzug der bereits versteuerten 7 Mio. DM (§ 6 Abs. 1 letzter Satz AStG), insgesamt also 9 Mio. DM, der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 e EStG).
6.1.4.2 Bei einer späteren tatsächlichen Veräußerung kann sich auch bei Erzielung eines Gewinns durch die Kürzung um den bereits versteuerten Vermögenszuwachs ein Verlust ergeben.
Hat die Veräußerung tatsächlich zu einem Verlust geführt und war der Vermögenszuwachs bei Wegzug positiv, so ist dieser Verlust aus der tatsächlichen Veräußerung um den...