OFD Niedersachsen, Verfügung v. 27.12.2010, S 0226 - 26 - St 141

Hinweise zum Anwendungserlass zur Abgabenordnung vom 2.1.2008 i.d.F. vom 2.1.2009, BStBl 2008 I S. 26 und BStBl 2009 I S. 8

Zu Nrn. 1 – 3

1. Zur Wahrung der Belange des Steuerpflichtigen und zur Vermeidung von Einsprüchen und Dienstaufsichtsbeschwerden ist die Beachtung der Vorschriften der §§ 91 und 121 AO über das rechtliche Gehör und die Begründung von Verwaltungsakten unerlässlich.

Die Anhörung ist vorgeschrieben, wenn von dem erklärten Sachverhalt zuungunsten des Steuerpflichtigen wesentlich abgewichen werden soll; vertritt das FA eine abweichende Rechtsauffassung, so ist nach h.M. § 91 AO nicht anwendbar.

2. Ob eine „wesentliche Abweichung” vorliegt, muss nach den Verhältnissen des Einzelfalles entschieden werden. Eine Abweichung ist regelmäßig wesentlich, wenn

  • steuermindernd geltend gemachte Umstände erkennbar von besonderer Bedeutung für den Steuerpflichtigen sind (z.B. weil der Steuerpflichtige ausdrücklich darum gebeten hat, ihm beabsichtigte Abweichungen vom erklärten Sachverhalt vorher mitzuteilen)

    oder

  • es sich um Sachverhalte handelt, die auch in die Zukunft wirken (Dauersachverhalte).

3. In welcher Form (fernmündlich, mündlich oder schriftlich) beabsichtigte Abweichungen mitgeteilt werden, steht im pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamts.

Soweit ein Bevollmächtigter mitwirkt, ist zunächst mit diesem Verbindung aufzunehmen (AEAO zu § 80, Nr. 4).

Bei fernmündlicher oder mündlicher Anhörung ist eine Aktennotiz zu fertigen. Für schriftliche Stellungnahmen ist eine angemessene Frist (je nach Umfang etwa zwei bis vier Wochen) einzuräumen. Nach Ablauf der Frist ist die Steuerfestsetzung unverzüglich durchzuführen.

4. Kann von einer Anhörung abgesehen werden, bleibt die Verpflichtung, die Abweichung im Steuerbescheid zu erläutern. Diese Pflicht zur Begründung des Verwaltungsakts besteht uneingeschränkt auch dann, wenn die Abweichung von den erklärten Besteuerungsgrundlagen nur von geringer steuerlicher Auswirkung ist. Die Abweichung muss der Höhe nach genau bezeichnet und unter Angabe der Rechtsgrundlagen ausreichend begründet werden.

Zu Nr. 4

Beantragen Beteiligte außerhalb der im BMF-Schreiben vom 17.12.2008, IV A 3 – S 0030/08/10001 (BStBl 2009 I S. 6) dargelegten Grundsätze Akteneinsicht, gilt die bisherige Rechtslage weiter.

 

1. Berechtigung zur Akteneinsicht

Die Beteiligten (§§ 78, 359 AO) und deren Bevollmächtigte haben im Besteuerungsverfahren einschl. des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens keinen Rechtsanspruch auf Akteneinsicht. Sie können jedoch beanspruchen, dass über ihren Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden wird (BFH-Urteil vom 7.5.1985, BStBl 1985 II S. 571). Eine rechtswidrige Verweigerung der Akteneinsicht stellt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar (BFH-Urteil vom 30.7.1997, BFH/NV 1998 S. 459).

Der fehlende Anspruch auf Akteneinsicht im außergerichtlichen Besteuerungsverfahren und eine insoweit der Finanzverwaltung eingeräumte Ermessensausübung verstoßen nicht gegen verfassungsrechtliche Grundsätze. Ein Anspruch auf Akteneinsicht im steuerlichen Ermittlungsverfahren lässt sich auch nicht aus der Richtlinie 95/46/EG herleiten, die ihre Umsetzung in innerstaatliches Recht durch das BDSG und entsprechende landesrechtliche Datenschutzgesetze erfahren hat, weil sowohl die Richtlinie 95/46/EG als auch die nationalen Datenschutzgesetze den Vorrang einschränkender bereichsspezifischer Regelungen in Steuerangelegenheiten anerkennen. Die AO 1977 enthält eine in diesem Sinne abschließende Regelung für den Umgang mit den im Besteuerungsverfahren gespeicherten Daten (BFH-Beschluss vom 4.6.2003, BStBl 2003 II S. 790).

Bevollmächtigte haben kein eigenes Akteneinsichtsrecht. Sie können nur die Rechte der Beteiligten ausüben (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.1.1994, EFG 1994 S. 666).

Ist der die Akteneinsicht Begehrende Gesamtschuldner oder Mitgesellschafter einer Gesellschaft oder Gemeinschaft, sind seine Interessen auf Akteneinsicht und das Interesse der anderen Gesamtschuldner oder Mitgesellschafter gegeneinander abzuwägen. Grundsätzlich wird dem Antragsteller Akteneinsicht zu gewähren sein, wenn er die Akteneinsicht zur Rechtsverfolgung in einem Besteuerungsverfahren begehrt, es sei denn, gewichtige, das Interesse an Akteneinsicht bei weitem überwiegende Gründe geböten es, zum Schutze der anderen Beteiligten die Einsicht abzulehnen (BFH-Urteil vom 6.8.1965, BStBl 1965 III S. 675).

Das Akteneinsichtsrecht von Zugezogenen (§§ 174 Abs. 5, 360 AO) hat dort seine Grenzen, wo die Interessen des Steuerpflichtigen bzw. des Einspruchsführers, die nichts mit dem Gegenstand der Hinzuziehung zu tun haben, durch die Akteneinsicht berührt werden können.

 

2. Ermessenserwägungen

2.1 Begehrt der Beteiligte Einsicht in „seine” Steuerakten, so ist Folgendes zu beachten:

2.1.1 Der Beteiligte muss ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht haben. Sein Gesuch muss in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Gegenstand des steu...

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