Leitsatz
Sind zu Beginn eines Monats nur Kindergeldberechtigte vorhanden, die das Kind nicht in ihren Haushalt aufgenommen haben, bleiben diese gegenüber einem im Laufe des Monats hinzutretenden weiteren Anspruchsberechtigten auch dann vorrangig kindergeldberechtigt, wenn der hinzugetretene Kindergeldberechtigte das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Der durch die Haushaltsaufnahme bewirkte Vorrang kann erst ab dem Folgemonat berücksichtigt werden.
Normenkette
§ 64, § 66 Abs. 2 EStG
Sachverhalt
Der Kläger und sein Lebenspartner waren bereits Pflegeeltern eines Kindes und wurden später auch Pflegeeltern des jüngeren Geschwisterkindes A. A kam im November 2020 als Frühgeburt zur Welt und blieb zunächst noch in der Klinik. Die Haushaltsaufnahme bei den Pflegeeltern erfolgte erst im Laufe des Dezembers 2020. Der Kläger wurde zum vorrangigen Pflegeelternteil bestimmt. Die Familienkasse lehnte den Antrag des Klägers, ihm ab Geburt des Kindes Kindergeld zu gewähren, ab und gewährte Kindergeld erst ab Januar 2021. Zugleich wurde dem Kläger deshalb auch der Kinderbonus für 2020 nicht bewilligt. Das FG (FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2.2.2023, 4 K 848/21, Haufe-Index 15765197) wies die Klage für November 2020 ab, gab ihr jedoch wegen des Kindergelds für Dezember 2020 und wegen des Kinderbonus 2020 statt.
Entscheidung
Der BFH hielt die Revision der Familienkasse für begründet und wies die Klage auch wegen des Kindergelds für Dezember 2020 und wegen des Kinderbonus 2020 ab. Da zu Beginn des Monats Dezember 2020 mangels Haushaltsaufnahme bei den Pflegeeltern nur die leiblichen Elternteile berechtigt gewesen seien und diese das Kind ebenfalls nicht in ihren Haushalt aufgenommen hätten, habe sich der Vorrang zwischen den leiblichen Elternteilen nach § 64 Abs. 3 EStG bestimmt. Der im Laufe des Monats Dezember 2020 durch die Haushaltsaufnahme hinzugekommene Kläger als Pflegeelternteil sei aufgrund der Haushaltsaufnahme erst ab dem Folgemonat vorrangig berechtigt. Mangels eines Kindergeldanspruchs für mindestens einen Monat des Jahres 2020 scheide auch ein Anspruch des Klägers auf den Kinderbonus 2020 aus.
Hinweis
1. Nach § 62 Abs. 1 EStG, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG sind auch Pflegekinder kindergeldrechtlich zu berücksichtigen. Dies setzt nach der in § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG enthaltenen Legaldefinition des Pflegeelternteil u.a. voraus, dass das Pflegekind in den Haushalt des Pflegeelternteils aufgenommen ist. Da das Kindergeld nach dem in § 66 Abs. 2 EStG enthaltenen Monatsprinzip vom Beginn des Monats an gezahlt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen, genügt es für die Anspruchsberechtigung des Elternteils, dass die Haushaltsaufnahme des Pflegekinds irgendwann im Laufe des Monats erfolgt.
2. Neben dem Pflegeelternteil oder den Pflegeelternteilen sind meist auch die leiblichen Eltern des Kindes anspruchsberechtigt, da § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG insoweit nur auf das im ersten Grad bestehende Verwandtschaftsverhältnis abstellt und auf weitere Voraussetzungen wie Haushaltsaufnahme oder Unterhaltsgewährung verzichtet.
3. Gemäß § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Bestehen mehrere Anspruchsberechtigungen für denselben Monat, bestimmt sich der Vorrang nach § 64 Abs. 2 und 3 EStG. Findet ein Wechsel der vorrangigen Berechtigung innerhalb eines Monats statt, kommt wegen § 66 Abs. 1 EStGkeine zeitanteilige Aufteilung des Kindergelds in Betracht.
4. Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG entscheidet bei mehreren Berechtigten die Haushaltsaufnahme des Kindes darüber, wem das Kindergeld gezahlt wird. Bei Bestehen eines gemeinsamen Haushalts können die Berechtigten untereinander den Berechtigten bestimmen, andernfalls kann auf Antrag die Bestimmung durch das Familiengericht erfolgen (§ 64 Abs. 2 Satz 2 und 3 EStG). Ist das Kind nicht in den Haushalt eines Berechtigten aufgenommen, kommt es für die Rangfolge der Berechtigten auf die Zahlung einer Unterhaltsrente an. Bei mehreren Unterhaltsrenten bestimmt die höhere Unterhaltsrente den Vorrang. Bei gleich hohen Unterhaltsrenten bestimmen die Berechtigten untereinander oder ersatzweise das Familiengericht, wer das Kindergeld erhalten soll (§ 63 Abs. 3 EStG).
5. Nicht eindeutig regelt das Gesetz den Fall, dass der Vorrang innerhalb eines Monats wechselt. Insoweit hat der BFH (BFH, Urteil vom 19.4.2012, III R 42/10, BFH/NV 2012, 1856, Haufe-Index 3326215) bereits über den Fall entschieden, dass die unter den Elternteilen einvernehmlich getroffene Berechtigtenbestimmung (§ 64 Abs. 2 Satz 2 EStG) im Laufe eines Monats geändert wird, und auch über den Fall, dass das Kind im Laufe des Monats von dem Haushalt des einen Elternteils in den Haushalt des anderen Elternteils wechselt (BFH, Urteil vom 16.12.2003, VIII R 76/99, BFH/NV 2004, 933, Haufe-Index 1147768). In beiden Fällen wurde dem Elternteil der Vorrang gegeben, der zu Beginn des Monats vo...