Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschäftigungsanspruch. Freistellung bis Ablauf der Kündigungsfrist. Verfügungsanspruch bei Beschäftigungsverfügung
Leitsatz (amtlich)
Ist im Arbeitsvertrag eine bestimmte Stelle als Vertragsgemäße Tätigkeit des Arbeitnehmers bezeichnet, richtet sich im Fall einer ungerechtfertigten Freistellung durch den Arbeitgeber der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers auch dann auf eine Beschäftigung auf dieser konkreten Stelle, wenn der Arbeitgeber sich vertraglich eine Zuweisung anderer zumutbarer Tätigkeiten vorbehalten hatte. Eine Beschäftigung auf der bezeichneten Stelle kann der Arbeitnehmer erst nach einer Ausübung des Direktionsrechts, d. h. nach der Zuweisung einer anderen zumutbaren Stelle nicht mehr verlangen.
Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes für eine auf tatsächliche Beschäftigung bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist gerichtete einstweilige Verfügung erfordert nicht, daß der Arbeitnehmer ohne den Erlaß der Verfügung in eine existentielle Nötlage geraten würde (Abweichung von LAG Hamm, Urteil vom 18.2.1998, 3 Sa 297/98, NZA-RR 98/422). Es genügt, daß er andernfalls wesentliche Nachteile in seiner beruflichen Stellung erleiden würde und dies durch eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht verhindert werden kann. Bei einer nur noch kurze Zeit andauernden Kündigungsfrist ist der Erlaß einer einstweiligen Verfügung in der Regel nicht gerechtfertigt.
Normenkette
BGB §§ 611, 315; ZPO § 940
Tenor
Die Verfügungsbeklagte wird verurteilt, die Verfügungsklägerin bis 31. Januar 1999 als verantwortliche Sachbearbeiterin im Anzeigenverkauf Inland weiterzubeschäftigen.
Die VerfQgungsbeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf DM 7.071.00 festgesetzt
Tatbestand
Die Verfügungsklägerin wurde am … geboren. Sie ist seit 01. Juli 1987 bei der Verfügungsbeklagten zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt DM 7.071,00 einschließlich Nebenleistungen beschäftigt. Unter § 1 des Arbeitsvertrages vom 28. Februar 1990 ist geregelt:
„Seit dem 15. Juli 1987 ist Frau … als verantwortliche Sachbearbeiterin im Anzeigenverkauf Inland tätig. Es besteht Einigkeit darüber, dass auch andere zumutbare Tätigkeiten übertragen werden können. Vereinbart ist auch der mögliche Einsatz in einer anderen Abteilung oder eines Betriebes des Verlages oder in einer Tochtergesellschaft, auch auswärts.”
Aufgrund des ihrer Auffassung nach zuletzt nicht hinreichenden Erfolges der Tätigkeit der Verfügungsklägerin kündigte die Verfügungsbeklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27. August 1998 zum 31. Januar 1999. Der Betriebsrat hatte der Kündigung widersprochen. Gegen die Kündigung erhob der Kläger eine unter dem Aktenzeichen 2 Ca 6852/98 bei der erkennenden Kammer anhängige Kündigungsschutzklage. Mit Schreiben vom 14. September 1998 stellte die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin unter Gewährung evtl. verbleibenden Urlaubs von der Arbeitsleistung frei. Hiergegen wendet sich die Verfügungsklägerin mit dem vorliegenden Antrag.
Die Verfügungsklägerin hat glaubhaft gemacht, dass sie durch die Freistellung in ihrer Tätigkeit erheblich behindert werde. Durch die Unterbrechung des Kundenkontaktes und des Kontaktes zu Verlagsmitarbeitern und Verlagshäusern werde sie erheblich in ihrer beruflichen Tätigkeit eingeschränkt.
Wegen des weiteren Vortrags der Verfügungsklägerin wird auf den Schriftsatz vom 22. September 1998 verwiesen.
Die Verfügungsklägerin beantragt,
die Verfügungsbeklagte zu verpflichten, die Klägerin für den Zeitraum der Kündigungsfrist bis zum 31. Januar 1999 als verantwortliche Sachbearbeiterin im Anzeigenverkauf Inland weiterzubeschäftigen.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Die Verfügungsbeklagte ist der Auffassung, der Verfügungsklägerin stehe der geltend gemachte Beschäftigungsanspruch nicht zu.
Wegen des weiteren Vortrags der Verfügungsbeklagten wird auf den Schriftsatz vom 05. Oktober 1998 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist begründet.
1. Die Verfügungsklägerin hat einen Verfügungsanspruch.
a) Während der Dauer des Bestandes eines Arbeitsverhältnisses hat der Arbeitnehmer nicht nur Anspruch auf die Leistung der vertragsgemässen Vergütung durch den Arbeitgeber. Da die Ausübung seiner konkreten Berufstätigkeit für die Erhaltung seiner beruflichen Fähigkeiten und den beruflichen und sozialen Status eines erwerbstätigen Menschen und damit für die Gewährleistung seiner Persönlichkeit (Art. 1, 2 GG) regelmäßig von hoher Bedeutung ist, hat ein Arbeitnehmer grundsätzlich für die Dauer seines Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung durch den Arbeitgeber (vgl. ausführlich BAG, Großer Senat, Beschluss vom 27. Februar 1985, GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht, unter C I der Gründe). Der Anspruch ist nicht auf die Zeit bis zum Ausspruch einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses beschränkt. Er besteht auch außerhalb der ...