Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Gewerkschaftseigenschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Die Tariffähigkeit und damit Gewerkschaftseigenschaft einer Arbeitnehmervereinigung setzt voraus, daß diese ihre Aufgabe als Tarifpartnerin sinnvoll erfüllen kann. Dazu bedarf es einer entsprechenden Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler und einer ausreichenden Leistungsfähigkeit der Organisation (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung, zuletzt BAG 16. Januar 1990 – 1 ABR 10/89 – BAGE 64, 16).
2. Der Interessenverband „Bedienstete der Technischen Überwachung” (BTÜ) erfüllt diese Voraussetzungen nicht und ist daher keine Gewerkschaft.
Normenkette
TVG § 2 Abs. 1; GG Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Interessenverbandes „Bedienstete der Technischen Überwachung” (BTÜ) gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts München vom 30. Oktober 1998 – 8 TaBV 26/98 – wird zurückgewiesen.
Gründe
A. Die Beteiligten streiten über die Gewerkschaftseigenschaft des Beteiligten zu 2).
Antragstellerin ist die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, Beteiligter zu 2) der Interessenverband „Bedienstete der Technischen Überwachung” (BTÜ). Der BTÜ hat nach § 2 Abs. 1 der Satzung vom 22. September 1995 ua. die Aufgabe, die Arbeitsbedingungen seiner Mitglieder durch Abschluß von Tarifverträgen zu verbessern, er bekennt sich nach § 15 Abs. 1 der Satzung zum Arbeitskampf als Mittel zur Durchsetzung gewerkschaftlicher Forderungen. Er ist Mitglied im Bayerischen Beamtenbund e.V., der seinerseits Mitglied im Deutschen Beamtenbund ist. Mitglieder des BTÜ können nach § 3 der Satzung alle aktiven und alle im Ruhestand befindlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des TÜV Bayern Sachsen e.V., der TÜV Bayern Holding AG sowie jedes Unternehmens sein, an denen der TÜV Bayern Sachsen e.V. und die TÜV Bayern Holding AG (TÜV Bayern Gruppe) beteiligt sind, außerdem alle aktiven und alle im Ruhestand befindlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Unternehmen, die auf dem Gebiet der technischen Überwachung und der technischen Kontrolle tätig sind.
Der BTÜ ist Mitglied in der Tarifunion des Deutschen Beamtenbundes (DBB-Tarifunion). Mit dieser besteht ein „Vertrag über die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen” vom 10. Juni 1996.
Zwischen dem BTÜ und dem TÜV Bayern Sachsen e.V. sowie der TÜV Bayern Holding AG (jetzt TÜV Süddeutschland Holding AG) wurde am 14. August 1996 ein „Haustarifvertrag” geschlossen über die Arbeitsbefreiung von Arbeitnehmern für Verbandstätigkeiten beim BTÜ unter Fortzahlung der Vergütung. Darüber hinaus schloß der BTÜ für den TÜV VF GmbH, TÜV AW GmbH, TÜV e.V., TÜV ET GmbH, TÜV Automotive GmbH Zuordnungstarifverträge gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, deren Genehmigung nach § 3 Abs. 2 BetrVG aussteht.
Nach eigenen Angaben hatte der BTÜ per 31. Dezember 1997 rund 1600 Mitglieder, davon 1180 im aktiven Dienst. Ursprünglich waren die gesamten Vorstandsmitglieder des BTÜ ehrenamtlich tätig. Die anfallenden Büroarbeiten wurden von ehrenamtlichen Mitgliedern und selbständigen Schreibbüros erledigt. Die Information von BTÜ-Mitgliedern sowie die Versendung des vierteljährlich erscheinenden Informationsblattes „Optümal” erfolgte zum Teil innerhalb der Betriebe mit der Hauspost der Arbeitgeber. Der BTÜ war in den Geschäftsräumen der TÜV Bayerngruppe in einem 17 qm großen Büro untergebracht. Darüber, einschließlich der „zugehörigen Büroausstattung und Infrastruktur (zB Kommunikationseinrichtungen, interne Dienste)” wurde eine Vereinbarung vom 14. März 1996 geschlossen, wonach er eine „jährliche Unkostenpauschale” von 6.000,00 DM zahlen mußte. Der Einzug der Mitgliedsbeiträge erfolgte zunächst über die Gehaltsabrechnung bei den jeweiligen Arbeitgebern.
Am 14. Januar 1998 fand zwischen dem BTÜ und der TÜV Süddeutschland Holding AG ein Gespräch über Tarifverhandlungen über Entgelte und Arbeitsbedingungen in deren Gesellschaften statt, wonach Ende Januar 1998 die konkreten Verhandlungen über einen Entgelttarifvertrag aufgenommen werden sollten. Nach dem Beschluß des Arbeitsgerichts vom 5. Februar 1998 im vorliegenden Verfahren wurden die Tarifverhandlungen mit dem BTÜ nicht weitergeführt.
Die Gewerkschaft ÖTV hat die Auffassung vertreten, dem BTÜ fehle zur Gewerkschaftseigenschaft die Tariffähigkeit, insbesondere die Durchsetzungskraft und der organisatorische Aufbau, der ihn in die Lage versetzen würde, die satzungsgemäßen Aufgaben zu erfüllen. Der BTÜ verfüge auch nicht über eine ausreichende Mitgliederzahl. Es bestünden angesichts der ihm zu besonders günstigen Konditionen überlassenen Räumlichkeiten Zweifel an der Gegnerfreiheit. Die bisher abgeschlossenen „Tarifverträge” ließen keinen Schluß auf eine ernst zu nehmende Durchsetzungskraft zu. Bei den Zuordnungstarifverträgen habe sich der BTÜ ohnehin nur an von ihr abgeschlossene Tarifverträge „angehängt”.
Die Gewerkschaft ÖTV hat beantragt
festzustellen, daß der BTÜ keine tariffähige Gewerkschaft ist.
Der BTÜ hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, er erfülle alle erforderlichen Voraussetzungen, verfüge insbesondere über eine hinreichende Durchsetzungskraft. Die Unkostenpauschale in Höhe von 6.000,00 DM jährlich für den Büroraum sei angemessen und stelle keine verdeckte Subvention dar. Mittlerweile habe er ein weiteres Büro angemietet und einen hauptberuflichen Geschäftsführer und eine Bürokraft eingestellt. Sein Organisationsgrad sei in den Betrieben, in denen beide Beteiligten vertreten seien, höher als derjenige der ÖTV. Er verfüge über Beitragsrücklagen im Umfang von 2,5 Jahresbeiträgen bzw. 660.000,00 DM und sei organisatorisch jederzeit in der Lage, die satzungsmäßigen Ziele durchzusetzen. Mit dem Abschluß der Zuordnungstarifverträge habe er sich nicht an die Gewerkschaft ÖTV angehängt, vielmehr seien diese originär von ihm ausgehandelt und vereinbart worden.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des BTÜ zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der BTÜ weiterhin die Abweisung des Antrags. Die ÖTV bittet, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß der BTÜ keine tariffähige Gewerkschaft ist.
I. Der von der Gewerkschaft ÖTV gestellte Antrag ist zulässig.
1. Über die zur Entscheidung gestellte Frage, ob der BTÜ eine tariffähige Gewerkschaft ist, ist nach § 2 a Abs. 1 Nr. 4 iVm. § 97 Abs. 1 ArbGG im Beschlußverfahren zu entscheiden. Tariffähigkeit ist die Fähigkeit, Partei eines Tarifvertrages zu sein. Sie kommt nach § 2 Abs. 1 TVG Gewerkschaften, einzelnen Arbeitgebern sowie Vereinigungen von Arbeitgebern zu. Die Frage der Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung erfordert stets die Klärung der Gewerkschaftseigenschaft, da nur eine Gewerkschaft tariffähig ist(vgl. Senat 25. November 1986 – 1 ABR 22/85 – BAGE 53, 347, 351, zu B I 1 der Gründe). Das Feststellungsinteresse für den gestellten Antrag ist zu bejahen. Es ergibt sich schon daraus, daß die rechtskräftige Entscheidung über die Tariffähigkeit Wirkung hat für und gegen alle(vgl. nur Senat 14. März 1978 – 1 ABR 2/76 – AP TVG § 2 Nr. 30, zu II 2 und 3 der Gründe).
2. Das Beschlußverfahren ist durch eine antragsberechtigte Arbeitnehmervereinigung eingeleitet worden. Antragsberechtigt ist nach § 97 Abs. 1 ArbGG neben anderen eine räumlich und sachlich zuständige Vereinigung von Arbeitnehmern. Es reicht aus, wenn der räumliche und sachliche Zuständigkeitsbereich der antragstellenden Vereinigung sich zumindest teilweise mit den Zuständigkeitsbereichen der Vereinigung deckt, deren Tariffähigkeit bestritten wird(Senat 10. September 1985 – 1 ABR 32/83 – BAGE 49, 322, zu B III 1 der Gründe).
Das ist bei der Gewerkschaft ÖTV der Fall. Ihr räumlicher Zuständigkeitsbereich erstreckt sich auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Zum Organisationsbereich der ÖTV gehören ausweislich ihrer Satzung (§ 2 iVm. dem Organisationskatalog, Anhang I) auch „Gesellschaften und Vereinigungen bürgerlichen Rechts, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen oder ganz oder überwiegend von der öffentlichen Hand unterhalten werden (zum Beispiel Technische Überwachungsvereine …)”.
Eine explizite Regelung zum Zuständigkeits- bzw. Organisationsbereich des BTÜ findet sich in dessen Satzung nicht. Dieser erschließt sich aber aus § 3 der Satzung, wo bestimmt ist, wer Mitglied des BTÜ werden kann. Danach umfaßt der Zuständigkeitsbereich des BTÜ die Mitarbeiter aller TÜV-Unternehmen ohne regionale Begrenzung.
Soweit der Antragsteller – wie hier – die Tariffähigkeit einer anderen Vereinigung bestreitet, muß er selbst tariffähig sein(vgl. ErfK/Eisemann § 97 ArbGG Rn. 4; Germelmann/Matthes/Prütting ArbGG 3. Aufl. § 97 Rn. 16). Das steht bei der Gewerkschaft ÖTV nicht im Zweifel.
3. An dem Beschlußverfahren waren von Amts wegen die Beteiligten zu 3) bis 6) zu beteiligen, was in den Vorinstanzen unterblieben ist.
a) Die Frage, welche Vereinigungen und Stellen an einem Verfahren zur Klärung der Tariffähigkeit Beteiligte sind, ist – wie auch sonst im Beschlußverfahren – von Amts wegen zu prüfen, und zwar auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz. Diejenigen Beteiligten, die bislang nicht beteiligt wurden, sind zum Verfahren hinzuziehen. Einer Rüge der Nichtbeteiligung bedarf es nicht(vgl. nur Germelmann/Matthes/Prütting aaO § 83 Rn. 28 mwN).
b) Welche Vereinigungen und Stellen, neben dem Antragsteller, von Amts wegen zu beteiligen sind, ergibt sich nicht aus § 97 Abs. 1 ArbGG, sondern aus der entsprechenden Anwendung des § 83 Abs. 3 ArbGG. § 97 Abs. 1 ArbGG bestimmt lediglich, welche Vereinigungen antragsbefugt sind, und stellt keine Sonderregelung zur Beteiligung auf. Gemäß § 97 Abs. 2 ArbGG ist deshalb § 83 Abs. 3 ArbGG entsprechend anzuwenden(vgl. Senat vom 25. November 1986 – 1 ABR 22/85 – BAGE 53, 347, 351 f., zu B I 3 a der Gründe). Für die Beteiligung ist maßgeblich die unmittelbare Betroffenheit in der Rechtsstellung als Arbeitnehmer- oder Arbeitgebervereinigung. Daher ist stets die Vereinigung zu beteiligen, deren Tariffähigkeit bestritten wird, also hier der BTÜ.
c) Zu beteiligen sind daneben die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite, soweit die Entscheidung sie berühren kann. Dabei ist grundsätzlich die Beteiligung der jeweiligen Spitzenverbände hinreichend(Senat 25. November 1986 – 1 ABR 22/85 – BAGE 53, 347, 351 ff., zu B I 3 der Gründe; ErfK/Eisemann § 97 ArbGG Rn. 5; Germelmann/Matthes/Prütting aaO § 97 Rn. 22; aA GK-ArbGG/Leinemann § 97 Rn. 36 und 39).
aa) Repräsentant der Arbeitgeberseite ist die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Sie ist berufen, die Interessen der möglichen Tarifpartner der Vereinigung, deren Tariffähigkeit im Streit steht, in diesem Verfahren geltend zu machen. Sie war deswegen für die Arbeitgeberseite zu beteiligen.
Es ist ferner gerichtsbekannt, daß die Tarifgemeinschaft Technischer Überwachungs-Vereine e.V. mit der Gewerkschaft ÖTV für den Bereich der Technischen Überwachung bereits Tarifverträge abgeschlossen hat(vgl. nur Senat 18. August 1998 – 1 AZR 589/97 –, zum Teil veröffentlicht in NZA 1999, 659). Auch diese ist folglich als mögliche Tarifpartnerin des BTÜ von der Entscheidung über dessen Tariffähigkeit berührt. Da sie nicht Mitglied der BDA ist, war sie selbst als Repräsentantin der Arbeitgeberseite für den Bereich der Technischen Überwachung zu beteiligen.
bb) Auf Arbeitnehmerseite bedurfte es einer Beteiligung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) nicht. Für den Organisationsbereich der Technischen Überwachung ist innerhalb des DGB die antragstellende Gewerkschaft ÖTV die zuständige Einzelgewerkschaft. Einer Beteiligung des Dachverbandes bedarf es dann nicht, wenn die innerhalb des DGB allein zuständige Einzelgewerkschaft am Verfahren beteiligt ist.
Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft war zu beteiligen, weil sich die Zuständigkeit des BTÜ, wie sich aus § 3 Abs. 1 der Satzung ergibt, auch auf Angestellte erstreckt.
d) Da gemäß § 3 der Satzung des BTÜ dessen regionaler Zuständigkeitsbereich unbegrenzt ist, war schließlich das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung als oberste Arbeitsbehörde des Bundes zu beteiligen. Erstreckt sich nämlich die Zuständigkeit der Vereinigung, deren Tariffähigkeit im Streit steht, über das Gebiet eines Bundeslandes hinaus, so ist die oberste Arbeitsbehörde des Bundes zu beteiligen, die, ebenso wie die Spitzenorganisationen für ihre Mitgliedsverbände, berufen ist, die Interessen der betroffenen Arbeitsbehörden der Länder wahrzunehmen(Senat 25. November 1986 – 1 ABR 22/85 – BAGE 53, 347, 352, zu B I 3 a der Gründe; ErfK/Eisemann § 97 ArbGG Rn. 5; Germelmann/Matthes/Prütting aaO § 97 Rn. 23; aA GK-ArbGG/Leinemann § 97 Rn. 39).
4. Zwar liegt in der Nichtbeteiligung der Beteiligten zu 3) bis 6) in den Vorinstanzen ein Verfahrensfehler, deswegen bedarf es aber nicht der Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht.
Werden Personen oder Stellen, die nach materiellem Recht Beteiligte des Verfahrens sind, vom Gericht nicht beteiligt, kann dieser Fehler für die Zukunft jederzeit dadurch beseitigt werden, daß die betreffende Person oder Stelle künftig beteiligt wird, was vorliegend geschehen ist. Die vor dem Landesarbeitsgericht unterbliebene Hinzuziehung eines Beteiligten kann in der Rechtsbeschwerdeinstanz anläßlich der sachlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung nur auf eine ordnungsgemäße Rüge hin berücksichtigt werden(vgl. nur BAG 15. August 1978 – 6 ABR 56/77 – BAGE 31, 58, zu II 3 e der Gründe). Vorliegend hat keiner der Beteiligten die unterbliebene Beteiligung gerügt. Der Beteiligte zu 4) hat zwar ergänzende Sachangaben gemacht. Da der Senat aber auch ohne deren Berücksichtigung zur Zurückweisung der Rechtsbeschwerde kommt und damit zu der auch von dem Beteiligten zu 4) in der Anhörung vor dem Senat beantragten Entscheidung, bleibt die unterbliebene Beteiligung in jedem Fall ohne Auswirkung.
II. Der von der Gewerkschaft ÖTV gestellte Antrag ist begründet. Das Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß der BTÜ keine tariffähige Gewerkschaft ist.
1. Nach der ständigen Senatsrechtsprechung muß eine Arbeitnehmervereinigung bestimmte Mindestvoraussetzungen erfüllen, um tariffähig und damit eine Gewerkschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG zu sein. Sie muß sich als satzungsgemäße Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer gesetzt haben und willens sein, Tarifverträge abzuschließen. Sie muß frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen. Weiterhin ist Voraussetzung, daß die Arbeitnehmervereinigung ihre Aufgabe als Tarifpartnerin sinnvoll erfüllen kann. Dazu gehört einmal die Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler, zum anderen aber auch eine gewisse Leistungsfähigkeit der Organisation. Durchsetzungskraft muß eine Arbeitnehmervereinigung besitzen, um sicherzustellen, daß der soziale Gegenspieler Verhandlungsangebote nicht übergehen kann. Ein angemessener, sozial befriedender Interessenausgleich kann nur zustande kommen, wenn die Arbeitnehmervereinigung zumindest so viel Druck ausüben kann, daß sich die Arbeitgeberseite veranlaßt sieht, sich auf Verhandlungen über eine tarifliche Regelung von Arbeitsbedingungen einzulassen. Die Arbeitnehmervereinigung muß von ihrem sozialen Gegenspieler ernst genommen werden, so daß die Arbeitsbedingungen nicht einseitig von der Arbeitgeberseite festgelegt, sondern tatsächlich ausgehandelt werden. Ob eine Arbeitnehmervereinigung eine solche Durchsetzungsfähigkeit besitzt, muß auf Grund aller Umstände im Einzelfall festgestellt werden.
Darüber hinaus muß die Arbeitnehmervereinigung auch von ihrem organisatorischen Aufbau her in der Lage sein, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen. Der Abschluß eines Tarifvertrages erfordert Vorbereitungen. Er muß der Mitgliedschaft vermittelt und auch tatsächlich durchgeführt werden. Dies alles muß eine Arbeitnehmervereinigung sicherstellen, um Tarifverträge abschließen zu können(vgl. zuletzt Senat 16. Januar 1990 – 1 ABR 10/89 – BAGE 64, 16; Senat 16. Januar 1990 – 1 ABR 93/88 – AP TVG § 2 Nr. 38 = EzA TVG § 2 Nr. 19; Senat 25. November 1986 – 1 ABR 22/85 – BAGE 53, 347; vgl. auch Senat 20. November 1990 – 1 ABR 62/89 – BAGE 66, 258, wonach im Gegensatz dazu Voraussetzung für die Tariffähigkeit eines Arbeitgebers oder eines Arbeitgeberverbandes nicht ist, daß er eine bestimmte Durchsetzungskraft (Mächtigkeit) hat). Von dieser auch vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Rechtsprechung abzuweichen, besteht kein Anlaß(vgl. BVerfG 20. Oktober 1981 – 1 BvR 404/78 – BVerfGE 58, 233, 248 ff. = AP TVG § 2 Nr. 31, zu B I 2 der Gründe; vgl. auch BVerfG 16. September 1991 – 1 BvR 453/90 – EzA TVG § 2 Nr. 19 a). Dies gilt erst recht angesichts der Bestätigung des Erfordernisses der Durchsetzungskraft im Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion(BGBl. II, 537; siehe dazu im einzelnen Senat 6. Juni 2000 – 1 ABR 21/99 – zur Veröffentlichung auch in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Gewerkschaftseigenschaft des BTÜ zu verneinen.
a) Der BTÜ hat sich allerdings gemäß § 2 Abs. 1 und § 14 seiner Satzung zur Aufgabe gemacht, die Interessen seiner Mitglieder in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer wahrzunehmen, und ist willens, Tarifverträge abzuschließen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist der BTÜ auch frei gebildet und erkennt das geltende Tarifrecht als verbindlich an.
Der BTÜ ist auch auf überbetrieblicher Grundlage organisiert(kritisch zum Kriterium der Überbetrieblichkeit etwa Stelling NZA 1998, 920 ff.). Da gemäß § 3 Abs. 1 der Satzung Mitglied des BTÜ letztlich alle aktiven und alle im Ruhestand befindlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Unternehmen sein können, die auf dem Gebiet der technischen Überwachung und der technischen Kontrolle tätig sind, ist sein Wirkungskreis nicht auf den Bereich einer Unternehmensgruppe oder eines Konzerns beschränkt. Zwar mag der BTÜ faktisch seinen Schwerpunkt in der TÜV Süddeutschland-Gruppe haben, dies ist angesichts der Satzung aber unerheblich.
b) Die Gewerkschaftseigenschaft und damit die Tariffähigkeit des BTÜ ist jedenfalls deshalb zu verneinen, weil er nicht die Voraussetzungen der Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler und der ausreichenden Leistungsfähigkeit der Organisation erfüllt.
aa) Ob eine Arbeitnehmervereinigung eine hinreichende Durchsetzungsfähigkeit besitzt, muß aufgrund aller Umstände im Einzelfall festgestellt werden. Dabei kommt zunächst der Mitgliederzahl grundlegende Bedeutung zu. Darüber hinaus kann sich die Durchsetzungskraft darin zeigen, daß die Arbeitnehmervereinigung schon aktiv in den Prozeß der tariflichen Regelung von Arbeitsbedingungen eingegriffen hat. Es kommt aber nicht darauf an, ob mit solchen Tarifverträgen die Arbeitsbedingungen für die Mitglieder schon ähnlich günstig geregelt worden sind, wie sie von großen und anerkannten Gewerkschaften geregelt werden konnten. Der Inhalt hängt von der unterschiedlichen Stärke der Vereinigungen auf der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite ab. Das schließt eine Berücksichtigung derjenigen Umstände, unter denen es überhaupt zum Abschluß eines Tarifvertrages, gleich mit welchem Inhalt, gekommen ist, nicht aus(Senat 16. Januar 1990 – 1 ABR 93/88 – AP TVG § 2 Nr. 38 = EzA TVG § 2 Nr. 19, zu B II 3 a der Gründe). Ist es noch nicht zu ernsthaften Verhandlungen über einen Tarifvertrag gekommen, kann im Einzelfall auch eine Prognose ausreichen. Eine Arbeitnehmervereinigung besitzt dann Gewerkschaftseigenschaft, wenn aufgrund ihrer Organisationsstärke die Aufnahme von Tarifverhandlungen ernsthaft zu erwarten ist(Senat 25. November 1986 – 1 ABR 22/85 – BAGE 53, 347, zu B II 3 d der Gründe; Senat 16. November 1982 – 1 ABR 22/78 – AP TVG § 2 Nr. 32 m. Anm. Rüthers/Roth = EzA GG Art. 9 Nr. 36, zu B III 2 c der Gründe).
(1) Die Mitgliederzahl des BTÜ spricht nicht für dessen Durchsetzungsfähigkeit. Nach eigenen Angaben hat der BTÜ rund 1600 Mitglieder (darunter ca. 400 Pensionäre), die sich auf die TÜV Süddeutschland Gruppe konzentrieren. Da der BTÜ eine Tarifzuständigkeit bundesweit für den gesamten Bereich der technischen Überwachung und technischen Kontrolle in Anspruch nimmt, gibt diese Mitgliederzahl keinen Anlaß für die Annahme, der BTÜ sei in der Lage, hinreichenden Druck auf den sozialen Gegenspieler auszuüben. Dies gilt selbst dann, wenn man von einem vom BTÜ behaupteten durchschnittlichen Organisationsgrad von 14 % in denjenigen Unternehmen ausgehen wollte, in denen er überhaupt vertreten ist. Zwar kann ausnahmsweise auch bei einer nur kleinen Zahl von Mitgliedern die Möglichkeit einer empfindlichen Druckausübung bestehen, wenn es sich dabei vorwiegend um Spezialisten in Schlüsselstellungen handelt – etwa Piloten(vgl. nur BVerfG 20. Oktober 1981 – 1 BvR 404/78 – BVerfGE 58, 233, 251; Däubler Tarifvertragsrecht 3. Aufl. Rn. 50). Hierfür fehlen aber hinsichtlich der Mitglieder des BTÜ jegliche Anhaltspunkte.
(2) Der BTÜ hat bislang noch nicht ernsthaft in den Prozeß der tariflichen Regelung von Arbeitsbedingungen eingegriffen. Zwar hat er einen „Haustarifvertrag” zur Arbeitsbefreiung für Verbandstätigkeiten abgeschlossen, wobei das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen zum Zustandekommen dieses Tarifvertrages getroffen hat. Darauf kommt es jedoch nicht an. Zum einen besagt der einmalige selbständige Abschluß eines Firmentarifvertrages noch nichts über die Durchsetzungsfähigkeit einer Koalition(vgl. Senat 25. November 1986 – 1 ABR 22/85 – BAGE 53, 347, zu B II 4 der Gründe mwN). Entscheidend ist aber vor allem, daß es sich dabei nicht einmal um die Regelung von Arbeitsbedingungen im eigentlichen Sinne für alle Arbeitnehmer handelt, sondern nur um eine Sonderregelung für Funktionäre des BTÜ, die eher die Annahme einer Gefälligkeitsregelung nahelegt. Aus dem Abschluß eines solchen Haustarifvertrages lassen sich keine Schlußfolgerungen hinsichtlich der Durchsetzungsfähigkeit des BTÜ zugunsten der potentiell tarifunterworfenen Arbeitnehmer ziehen.
Soweit der BTÜ nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mehrere Zuordnungstarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG abgeschlossen hat, lassen sich hieraus gleichfalls keine Schlußfolgerungen über seine Durchsetzungskraft ziehen. Auch hier geht es nicht um tarifliche Inhaltsnormen, die die Arbeitsbedingungen der einzelnen tarifunterworfenen Arbeitnehmer regeln, sondern nur um organisatorische Fragen der Zuordnung von Betriebsteilen und Nebenbetrieben. Ein organisatorisch anderer Zuschnitt betrieblicher Einheiten gem. § 3 BetrVG kann in gleicher Weise im Interesse des Arbeitgebers wie der Arbeitnehmer liegen. Eine relevante Indizwirkung für die Durchsetzungskraft einer Arbeitnehmervereinigung ist Zuordnungstarifverträgen schon deshalb kaum zu entnehmen.
Ob diese „Tarifverträge” in das Tarifregister nach § 6 TVG eingetragen sind, ist rechtlich ohne Relevanz. Das Tarifregister entfaltet weder eine negative noch positive Publizitätswirkung (vgl.Oetker in Wiedemann TVG 6. Aufl. § 6 Rn. 21 mwN). Die Eintragung oder Nichteintragung sagt nichts darüber aus, ob der entsprechende „Tarifvertrag” von tariffähigen Partnern abgeschlossen worden ist.
(3) Soweit der BTÜ Verhandlungen über einen Entgelttarifvertrag angestrebt hatte, führt das zu keiner anderen Bewertung. Jedenfalls sind solche Verhandlungen, soweit sie überhaupt schon in Gang gekommen waren, nach dem erstinstanzlichen Beschluß nicht weitergeführt worden. Der BTÜ hat nicht soviel Druck ausüben können und dies nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht einmal versucht, um zu erreichen, daß die Verhandlungen um einen Entgelttarifvertrag von der Arbeitgeberseite fortgeführt wurden.
bb) Der BTÜ ist auch vom organisatorischen Aufbau her nicht erkennbar in der Lage, die Aufgaben zu erfüllen, die an eine tariffähige Gewerkschaft gestellt werden. Der Abschluß von Tarifverträgen erfordert Vorbereitungen. So sind die konjunkturellen Entwicklungen und sonstigen Rahmenbedingungen zu beobachten und zu prognostizieren, um daraus die Tarifforderungen zu entwickeln. Zum anderen muß auch die tatsächliche Durchführung eines Tarifvertrages überwacht und abgesichert werden. Das Verhandlungsergebnis, das regelmäßig Kompromißcharakter hat, muß verbandsintern vermittelt und durchgesetzt werden. Dies alles muß eine Arbeitnehmervereinigung sicherstellen, um als Tarifvertragspartei Tarifverträge abschließen zu können(vgl. Senat 16. Januar 1990 – 1 ABR 10/89 – BAGE 64, 16, zu B II 2 der Gründe; 14. März 1978 – 1 ABR 2/76 – AP TVG § 2 Nr. 30, zu IV 4 der Gründe).
Die begrenzten sachlichen und personellen Mittel des BTÜ lassen den Schluß auf eine entsprechende Leistungsfähigkeit nicht zu. Der BTÜ hat in den Räumen einer Arbeitgeberin ein 17 qm großes Büro. Daneben besteht nach seinen eigenen Angaben ein weiteres Büro, und er beschäftigt einen hauptberuflichen Geschäftsführer und eine Bürokraft, die Vorstandsmitglieder sind ehrenamtlich tätig. Es ist nicht ersichtlich, wie der BTÜ mit dieser infrastrukturellen Ausstattung ernsthaft und eindrucksvoll Tarifverhandlungen führen will(vgl. auch Senat 14. März 1978 – 1 ABR 2/76 – AP TVG § 2 Nr. 30, zu IV 4 der Gründe; BVerfG 20. Oktober 1981 – 1 BvR 404/78 – BVerfGE 58, 233, 251 f. = AP TVG § 2 Nr. 31, zu B I 3 c der Gründe).
III. Soweit der BTÜ zuletzt neben der Abweisung des Antrages der Gewerkschaft ÖTV um Feststellung gebeten hat, daß es sich bei ihm um eine tariffähige Gewerkschaft handele, hat der Senat dies nicht als eigenständige Antragstellung, sondern als andere Umschreibung des Abweisungsantrages gewertet. Ein positiver Feststellungsantrag wäre im übrigen schon wegen anderweiter Rechtshängigkeit unzulässig gewesen, da der zuerst gestellte negative Feststellungsantrag der Gewerkschaft ÖTV den selben Streitgegenstand betrifft(vgl. nur Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 58. Aufl. § 261 Rn. 19).
Unterschriften
Wißmann, Hauck, Rost, Brunner, Metz
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 06.06.2000 durch Klapp, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 448636 |
BAGE, 36 |
BB 2001, 104 |
DB 2000, 1232 |
DB 2001, 103 |
ARST 2000, 236 |
FA 2000, 259 |
FA 2000, 389 |
JR 2001, 220 |
NZA 2001, 160 |
ZTR 2001, 122 |
AP, 0 |
AuA 2000, 384 |
PERSONAL 2001, 232 |
ZfPR 2000, 276 |
AUR 2000, 265 |
AuS 2000, 62 |