Entscheidungsstichwort (Thema)
Antragsauslegung. Antragsbefugnis im Beschlussverfahren. Kontrollrecht einzelner Betriebsratsmitglieder. Feststellung der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Betriebsratsmitglieder. Antragsbefugnis. Überprüfung von Betriebsratsbeschlüssen
Leitsatz (amtlich)
Einzelne Mitglieder des Betriebsrats können im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nicht klären lassen, ob der jeweilige Leiter der Betriebsratssitzung das Abstimmungsverhalten anderer Betriebsratsmitglieder zutreffend gewürdigt und in der Folge die nach § 33 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erforderliche Mehrheit der Stimmen richtig festgestellt hat. Hierfür fehlt ihnen die erforderliche Antragsbefugnis.
Orientierungssatz
1. Einzelne Mitglieder des Betriebsrats können gegenüber dem Betriebsrat die Unwirksamkeit eines Beschlusses oder die Rechtswidrigkeit dessen Handelns nicht unabhängig von einem Eingriff in eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechte geltend machen.
2. Bei der Abstimmung über einen vom Betriebsrat zu fassenden Beschluss steht einem Mitglied des Betriebsrats keine eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition darauf zu, von der Sitzungsleitung die Beachtung eines von ihm für zutreffend gehaltenen Verfahrens zur Feststellung der Stimmenmehrheit zu verlangen.
Normenkette
ArbGG § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 3; BetrVG § 29 Abs. 2 S. 2, § 33 Abs. 1 S. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 12. März 2014 – 21 TaBV 6/13 – werden zurückgewiesen.
Tatbestand
A.
Die Beteiligten streiten über das Verfahren zur Feststellung des Abstimmungsergebnisses bei der Beschlussfassung des Betriebsrats.
Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 8.) beschäftigt in ihrem Betrieb in S etwa 20.000 Arbeitnehmer. Die Antragsteller (Beteiligte zu 1. bis 4. und zu 6.) sind Mitglieder des für diesen Betrieb gebildeten Betriebsrats (Beteiligter zu 7.). Dieser bestand im Jahr 2013 aus 43 Mitgliedern. Die Mehrheit der Mitglieder kandidierte auf der Liste der IG Metall, die Antragsteller auf anderen Listen.
Im Betrieb der Arbeitgeberin werden auf der Grundlage von Betriebsvereinbarungen durch Mehrheitsbeschluss des Betriebsrats „Beauftragte des Betriebsrats” bestellt. Diese sollen die Kommunikation zwischen Belegschaft und Betriebsrat gewährleisten und fördern (sog. Kommunikationsbeauftragte). Vorschläge für deren Benennung erstellen sechs Koordinationsausschüsse, die nach der Rahmengeschäftsordnung des Betriebsrats gebildet werden. Sie können auch von Betriebsratsmitgliedern eingereicht werden.
In der Sitzung des Betriebsrats vom 11. April 2013, die der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende leitete, wurde unter dem Tagesordnungspunkt 2 über Kommunikationsbeauftragte für sechs Betriebsbereiche, für die jeweils ein Vorschlag des betreffenden Koordinationsausschusses sowie ein weiterer von den antragstellenden Betriebsratsmitgliedern vorlag, durch Mehrheitsbeschlüsse abgestimmt. Im Sitzungsprotokoll ist zu dem Tagesordnungspunkt unter namentlicher Nennung stets aufgeführt, welches Betriebsratsmitglied vor einzelnen Abstimmungsvorgängen das Sitzungszimmer verlassen hat, zu welchem es wieder zurückgekehrt ist und die Anzahl der dann anwesenden Betriebsratsmitglieder vermerkt. Über die Vorschläge der Koordinationsausschüsse wurde in der Weise abgestimmt, dass zunächst nach Nein-Stimmen und sodann nach Enthaltungen gefragt wurden. Ja-Stimmen wurden nicht ausdrücklich abgefragt. Aus der Differenz der abgegebenen Stimmen zu den bei den sechs Abstimmungsvorgängen anwesenden Betriebsratsmitgliedern stellte der Sitzungsleiter die Zahl der Ja-Stimmen fest und teilte diese sowie die damit verbundene Annahme des Antrags mit. Das so festgestellte Ergebnis wurde sodann im Protokoll festgehalten.
Die Antragsteller haben die Feststellung der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder im Wege der sog. Subtraktionsmethode für unzulässig gehalten. Sie sei betriebsverfassungswidrig und mit allgemeinen demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar. Erforderlich sei ein „aktives und positives Bekenntnis zur Annahme” eines Antrags, da nicht auszuschließen sei, dass anwesende Betriebsratsmitglieder bei der Stimmabgabe abgelenkt seien oder die Zahl der Betriebsratsmitglieder während einer Sitzung schwanke.
Die Antragsteller haben zuletzt beantragt
festzustellen, dass die Beschlüsse des Betriebsrats vom 11. April 2013, Tagesordnungspunkt 2 der Tagesordnung, betreffend die Bestellung von Kommunikationsbeauftragten unwirksam sind,
für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1.
den Betriebsrat zu verpflichten, die in der Sitzung vom 11. April 2013 bestellten Kommunikationsbeauftragten tatsächlich nicht einzusetzen,
weiterhin,
den Betriebsrat zu verpflichten, bei der Beschlussfassung über Anträge durch den Sitzungsleiter die Annahme eines Antrags nur dann festzustellen und bekanntzugeben, wenn die Aufforderung, bekanntzugeben, wer einem Antrag zustimme, von der Mehrheit der zum Zeitpunkt der Stimmabgabe stimmberechtigten Betriebsratsmitglieder mit einer positiven aktiven Meinungsäußerung beantwortet wird,
hilfsweise,
den Betriebsrat zu verpflichten, bei der Beschlussfassung über Anträge oder sonstige Beschlussfassungen ohne ausdrückliche Abfrage der Ja-Stimmen der anwesenden Betriebsratsmitglieder nur dann die Annahme von Anträgen oder sonstigen Beschlussfassungen festzustellen, wenn die Zahl der NeinStimmen größer ist als die Hälfte der Zahl der anwesenden Betriebsratsmitglieder.
Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge abzuweisen.
Die Vorinstanzen haben die Anträge abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Begehren – unter Erweiterung ihrer Anträge um den Hilfsantrag zum Antrag zu 3. – weiter.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde der Antragsteller ist unbegründet. Die Anträge zu 1. und zu 3. einschließlich des hierzu gestellten Hilfsantrags sind mangels Antragsbefugnis unzulässig. Der als unechter Hilfsantrag gestellte Antrag zu 2. fällt nicht zur Entscheidung an.
I. Neben den Antragstellern sind der Arbeitgeber und der Betriebsrat an dem vorliegenden Verfahren nach § 83 Abs. 3 ArbGG beteiligt.
1. Der Arbeitgeber ist zu beteiligen, weil er durch eine Entscheidung über die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung stets betroffen ist (BAG 18. März 2015 – 7 ABR 42/12 – Rn. 16 mwN).
2. Die Beteiligtenstellung des Betriebsrats ist durch dessen Neuwahl im Jahr 2014 nicht entfallen. Nach dem Prinzip der Funktionsnachfolge und dem Grundsatz der Kontinuität betriebsverfassungsrechtlicher Interessenvertretungen tritt der neu gewählte Betriebsrat in diese Stellung ein (BAG 27. Mai 2015 – 7 ABR 24/13 – Rn. 14 mwN).
II. Den Antragstellern fehlt sowohl für den Feststellungsantrag als auch für den Leistungsantrag und den hierzu gestellten Hilfsantrag die notwendige Antragsbefugnis (§ 81 Abs. 1 ArbGG).
1. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist ein Beteiligter nur insoweit antragsbefugt, als er eigene Rechte geltend macht.
a) Die Antragsbefugnis ist nach den Regeln über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen (§ 81 Abs. 1 ArbGG). Ein solches kann nur derjenige einleiten, der vorträgt, Träger des streitbefangenen Rechts zu sein. Die Antragsbefugnis dient dazu, Popularklagen auszuschließen. Sie ist gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen sein kann. Das ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von vornherein als aussichtslos erscheint (BAG 13. Dezember 2005 – 1 ABR 31/03 – Rn. 24; 18. Februar 2003 – 1 ABR 17/02 – zu B III 2 a der Gründe mwN, BAGE 105, 19).
b) Einzelne Mitglieder des Betriebsrats können gegenüber dem Betriebsrat weder die Unwirksamkeit eines Beschlusses noch die Rechtswidrigkeit von Handlungen unabhängig von einem Eingriff in eine eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition geltend machen. Im Rahmen einer sog. Binnenstreitigkeit zwischen dem Betriebsrat und einzelnen seiner Mitglieder streiten die Beteiligten nicht über Individualrechte, sondern über Kompetenzen und Rechte, die dem Betriebsrat als Gremium oder einzelnen Betriebsratsmitgliedern kraft Gesetzes zugewiesen sind. Ebenso wie das BetrVG oder das ArbGG dem einzelnen Betriebsratsmitglied kein abstraktes inhaltliches Normenkontrollrecht für vom Betriebsrat geschlossene Betriebsvereinbarungen einräumt (BAG 29. April 2015 – 7 ABR 102/12 – Rn. 18, BAGE 151, 286), kann es nicht ohne Betroffenheit in einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition in der Sache die Feststellung der Rechtmäßigkeit von Handlungen oder Entscheidungen des Betriebsrats verlangen. Das gilt auch für die Beschlussfassung des Betriebsrats. Daher ist ein einzelnes Mitglied daran gehindert, die Feststellung eines Abstimmungsergebnisses durch die Sitzungsleitung im Beschlussverfahren überprüfen zu lassen oder ein bestimmtes Abstimmungsverfahren bei der Beschlussfassung des Betriebsrats zu fordern, sofern es sich nicht auf die Verletzung eigener mitgliedschaftlicher Rechte berufen kann.
2. Danach mangelt es bei sämtlichen Rechtsschutzbegehren an einer Antragsbefugnis.
a) Das betrifft zunächst den Antrag zu 1.
aa) Mit dem Feststellungsantrag wollen die Antragsteller nach ihrem Vorbringen geklärt haben, dass „wenigstens die Art und Weise, wie die Kommunikationsbeauftragten am 11. April 2013 in ihr Amt gekommen sind, rechtmäßig gestaltet und insbesondere betriebsverfassungskonform erfolgt ist”. Das Verfahren der Beschlussfassung über die Bestellung der Kommunikationsbeauftragten sei unzulässig, weil trotz nicht ausdrücklich abgefragter Ja-Stimmen durch die Sitzungsleitung jeweils die Annahme der einzelnen Anträge der Koordinationsausschüsse festgestellt worden sei.
bb) Damit berufen sich die Antragsteller nicht auf die Verletzung einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition.
(1) Zu den betriebsverfassungsrechtlichen Rechtspositionen eines Betriebsratsmitglieds gehören unter anderem das Recht auf Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats, das Rederecht und das Recht auf Stimmabgabe. In das Stimmrecht kann eingegriffen werden, wenn die Sitzungsleitung die Stimmabgabe nicht oder unzutreffend würdigt.
(2) Die Antragsteller machen weder geltend, ihr Stimmverhalten sei von der Sitzungsleitung unzutreffend festgestellt worden, noch führen sie an, der „Erfolgswert” ihrer Nein-Stimmen sei verkannt worden, etwa weil nicht genügend andere Betriebsratsmitglieder zugegen gewesen seien, um von einer Mehrheit der Stimmen für eine Antragsannahme ausgehen zu können. Nach dem Inhalt des Sitzungsprotokolls wurden zu den einzelnen Abstimmungsvorgängen die jeweils anwesenden Betriebsratsmitglieder und jeweilige Mehrheit der anwesenden Stimmen ausdrücklich festgestellt.
Dem Inhalt des Protokolls sind die Antragsteller nicht entgegengetreten. Vielmehr berufen sie sich darauf, der Sitzungsleiter habe das Verhalten anderer Betriebsratsmitglieder fehlerhaft als Ja-Stimme gewertet und sei deshalb zu Unrecht davon ausgegangen, die Mehrheit der anwesenden Mitglieder habe den zur Abstimmung gestellten Anträgen zugestimmt. Das beanstandete Verhalten des Sitzungsleiters betrifft jedoch das Recht auf Stimmabgabe anderer Betriebsratsmitglieder. Eine Beeinträchtigung einer eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition ist damit gerade nicht verbunden.
b) An der erforderlichen Antragsbefugnis fehlt es auch für den Antrag zu 3. und dem hierzu in der Rechtsbeschwerdeinstanz gestellten Hilfsantrag.
aa) Mit dem Leistungsantrag – Antrag zu 3. – soll der Betriebsrat verpflichtet werden, die Annahme eines Antrags in Form eines Beschlusses iSd. § 33 BetrVG nur dann festzustellen, wenn die Sitzungsleitung die Ja-Stimmen zuvor ausdrücklich abgefragt hat. Der in der Rechtsbeschwerde dazu gestellte Hilfsantrag zielt darauf ab, den Betriebsrat zu verpflichten, bei der Feststellung einer Antragsannahme stets die Ja-Stimmen und bei der einer Antragsablehnung stets die Nein-Stimmen ausdrücklich abzufragen.
bb) Auch insoweit machen die Antragsteller keine eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechte geltend. Für ihr Begehren, „generell und abstrakt” müssten Beschlussfassungen des Betriebsrats nach § 33 Abs. 1 BetrVG demokratischen Grundsätzen und in der Folge dem von ihnen geforderten Abstimmungsverfahren folgen, machen sie keine eigenen Rechte geltend, sondern berufen sich offenkundig auf eine dem BetrVG fernliegende abstrakte Kontrollbefugnis von Betriebsratsmitgliedern.
Nach der Konzeption des BetrVG steht dem einzelnen Betriebsratsmitglied ersichtlich keine betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition zu, aufgrund derer er vom Betriebsrat ein konkret beschriebenes Verfahren zur Feststellung einer Mehrheit iSd. § 33 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verlangen kann. Der Betriebsrat handelt nach den Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes als Kollegialorgan. Die Beschlussfassung nach § 33 Abs. 1 BetrVG dient der förmlichen internen Willensbildung des Betriebsrats (BAG 9. Dezember 2014 – 1 ABR 19/13 – Rn. 15, BAGE 150, 132). Die Leitung der Sitzung erfolgt durch den Vorsitzenden, der auch das Verfahren über die Beschlussfassung leitet und dessen Ergebnis festhält. Soweit die Modalitäten des Verfahrens bei der Durchführung von Beschlussfassungen festgelegt werden können, obliegt dies zunächst durch den Betriebsratsvorsitzenden als Sitzungsleiter oder ggf. durch den Betriebsrat als Organ. Ein bestimmtes Abstimmungsprozedere sieht das BetrVG dagegen nicht vor.
cc) Aufgrund der bereits fehlenden Antragsbefugnis kann dahinstehen, ob der Betriebsrat überhaupt passivlegitimiert ist. Nach § 29 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist die Sitzungsleitung schließlich dem Betriebsratsvorsitzenden oder seinem Stellvertreter zugewiesen. Weiterhin muss der Senat auch nicht darüber befinden, ob das in dem Antrag beschriebene Verhalten der „positiven aktiven Meinungsäußerung” den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt und damit hinreichend bestimmt ist.
Unterschriften
Schmidt, K. Schmidt, Treber, Hayen, Stemmer
Fundstellen
Haufe-Index 9783538 |
BAGE 2017, 221 |
BB 2016, 2483 |
BB 2016, 2555 |
DB 2016, 2672 |
DB 2016, 7 |