Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwesenheitsrecht bei Einsichtnahme in Bruttolohnlisten
Leitsatz (amtlich)
Bei der Einsichtnahme des Betriebsausschusses bzw. einzelner Betriebsratsmitglieder in die Bruttolohn- und Gehaltslisten dürfen keine Personen anwesend sein, die den Betriebsrat überwachen oder mit seiner Überwachung beauftragt sind.
Normenkette
BetrVG 1972 § 80 Abs. 2 S. 2 Hs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluß des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 25. Oktober 1994 – 1 TaBV 27/93 – aufgehoben.
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Bremen vom 12. Oktober 1993 – 4 a BV 9/93 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß festgestellt wird, daß die Betriebsratsvorsitzende bzw. ein vom Betriebsrat beauftragtes Mitglied berechtigt ist, Einsicht in die Bruttolohn- und gehaltslisten zu nehmen, ohne daß Personen anwesend sind, die von der Arbeitgeberin mit der Überwachung des Betriebsrats beauftragt sind.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Einsichtnahme des Betriebsrates in die Bruttolohn- und gehaltslisten vom Arbeitgeber beauftragte Personen anwesend sein dürfen.
Der aus fünf Mitgliedern bestehende Betriebsrat (Beteiligter zu 1) hatte verschiedentlich sein Einblicksrecht in die Bruttolohn- und gehaltslisten der Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2), die im Betrieb B. 121 Mitarbeiter beschäftigt, geltend gemacht. Dieses war ihm auch gewährt worden. Anfang Dezember 1992 begehrte er erneut Einblick in die Listen und verlangte, daß dabei kein Vertreter der Arbeitgeberin anwesend sei. Dies wurde abgelehnt. Die Beteiligte zu 2) war nur zu einer Einsichtnahme während der Anwesenheit von ihr beauftragter Personen bereit.
Der Betriebsrat hat die Ansicht vertreten, es bestehe kein Anwesenheitsrecht des Arbeitgebers bei der Einsicht in die Bruttolohn- und gehaltslisten, da der Arbeitgeber mit seiner Anwesenheit eine Kontrolle ausüben würde.
Der Betriebsrat hat beantragt
festzustellen, daß die Betriebsratsvorsitzende bzw. ein vom Betriebsrat beauftragtes Betriebsratsmitglied berechtigt ist, Einsicht in die Bruttolohn- und gehaltslisten der Arbeitnehmer/innen des Modemarktes B zu nehmen ohne Anwesenheit vom Arbeitgeber beauftragter Personen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Anwesenheit eines Vertreters bei der Einsichtnahme in die Bruttolohn- und gehaltslisten sei keine unzulässige Beschränkung des Einsichtsrechtes des einzelnen Betriebsratsmitgliedes. Eine Kontrolle des Betriebsrats könne durch die Anwesenheit des Arbeitgebers schon deshalb nicht stattfinden, weil das Einsichtsrecht aufgrund der Zahl der Beschäftigten und der Betriebsratsmitglieder nur jeweils einem einzelnen Betriebsratsmitglied zustehe, nicht aber einem Betriebsausschuß. Ein Gespräch bzw. eine interne Beratung mehrerer Betriebsratsmitglieder komme daher bei der Einsichtnahme von vornherein nicht in Frage. Eine Einsichtnahme ohne Anwesenheit des Arbeitgebers würde darüber hinaus eine Zurverfügungstellung der Lohn- und Gehaltslisten bedeuten.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde des Arbeitgebers hat das Landesarbeitsgericht den Beschluß des Arbeitsgerichts abgeändert und den Antrag abgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses. Hilfsweise beantragt er festzustellen, daß das Einblicksrecht ohne Kontrolle durch den Arbeitgeber bzw. durch von diesem beauftragte Personen ausgeübt werden dürfe.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Wiederherstellung des dem Antrag stattgebenden erstinstanzlichen Beschlusses mit der klarstellenden Maßgabe, daß lediglich solche Personen, die von der Arbeitgeberin mit der Überwachung des Betriebsrats beauftragt sind, bei der Einsichtnahme in die Bruttolohn- und gehaltslisten nicht anwesend sein dürfen.
I. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen; in diesem Rahmen ist der Betriebsausschuß oder ein nach § 28 gebildeter Ausschuß berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne- und gehälter Einblick zu nehmen.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat in kleineren Betrieben anstelle des dort fehlenden Betriebsausschusses der die laufenden Geschäfte führende Betriebsratsvorsitzende bzw. dessen Stellvertreter oder ein anderes beauftragtes Betriebsratsmitglied, dem nicht die Führung der laufenden Geschäfte übertragen sein muß, dieses Einblicksrecht in die Bruttolohn- und gehaltslisten der Arbeitnehmer (vgl. BAG Beschluß vom 23. Februar 1973 – 1 ABR 17/72 – AP Nr. 2 zu § 80 BetrVG; Beschluß vom 18. September 1973, BAGE 25, 292 = AP Nr. 3 zu § 80 BetrVG; Beschluß vom 18. September 1973, BAGE 25, 301 = AP Nr. 4 zu § 80 BetrVG mit Anmerkung Richardi; Beschluß vom 15. Juni 1976 – 1 ABR 116/74 – AP Nr. 9 zu § 80 BetrVG; Beschluß vom 10. Februar 1987 – 1 ABR 43/84 – AP Nr. 27 zu § 80 BetrVG).
2. Ob der Arbeitgeber oder ein von ihm bestimmter Mitarbeiter anwesend sein darf, wenn der Betriebsausschuß bzw. bei kleineren Betrieben das entsprechende Betriebsratsmitglied in die Bruttolohn- und gehaltslisten Einblick nimmt, ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten.
a) Für ein Anwesenheitsrecht haben sich neben der angefochtenen Entscheidung (veröffentlicht in LAGE Nr. 14 zu § 80 BetrVG 1972) vor allem Leßmann (NZA 1992, 832, 833), Matthes (Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 320 Rz 28) und das Landesarbeitsgericht Hamm (Beschluß vom 6. Juli 1993 – 13 TaBV 56/93 –) ausgesprochen. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, daß § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG zwischen der „Zurverfügungstellung von Unterlagen” im ersten Halbsatz und der „Einblicknahme” im zweiten Halbsatz deutlich unterscheidet. Sind dem Betriebsrat „Unterlagen zur Verfügung zu stellen”, so könne der Betriebsrat die Aushändigung der Unterlagen von dem Arbeitgeber verlangen und sie ohne Anwesenheit des Arbeitgebers auswerten. Er sei lediglich verpflichtet, diese Unterlagen nach einer gewissen Zeit dem Arbeitgeber zurückzugeben (vgl. Leßmann, NZA 1992, 832, 833).
Das insoweit schwächere Recht des „Einblicknehmens” bedeute demgegenüber nur die Vorlage der Unterlagen zum Zwecke der Einsicht, ohne daß der Arbeitgeber diese aus der Hand geben müsse (vgl. Leßmann, aaO, unter Hinweis auf den Beschluß des Ersten Senats vom 20. November 1984 – 1 ABR 64/82 – AP Nr. 3 zu § 106 BetrVG 1972). Die Vorlage zur Einblicknahme schließe aber nach dem allgemeinen Sprachverständnis die Anwesenheit des Vorlegenden ein. Dies ergebe sich auch aus dem Sinn und Zweck des Einsichtsrechts. Da der Arbeitgeber im Rahmen des Einsichtsrechts nicht verpflichtet sei, dem Betriebsrat jeweils Fotokopien der Bruttolohn- und gehaltslisten zeitweise zur Verfügung zu stellen, sondern lediglich vom Einblicknehmenden Notizen gemacht werden dürften, liefen diese vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Restriktionen des Einblicksrechts leer, wenn dem Arbeitgeber ein Anwesenheitsrecht während der Einsichtnahme nicht gestattet würde und er von seinem formalen Kontroll- und Untersagungsrecht keinen Gebrauch machen könnte. Die Einsichtnahme ohne Anwesenheit des Arbeitgebers sei ein „Zurverfügungstellen”, da die Listen dann nicht mehr im Verfügungsbereich des Arbeitgebers stünden. Der Arbeitgeber verstoße auch nicht gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG, da das Recht zur Einblicknahme in die Bruttolohn- und gehaltslisten aus § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BetrVG von vornherein durch ein Anwesenheitsrecht des Arbeitgebers oder einer von ihm beauftragten Person beschränkt werde.
b) Nach der Gegenansicht (vgl. insbesondere Blanke/Buschmann in Däubler/Kittner/Kiebe/Schneider, BetrVG, 4. Aufl., § 80 Rz 62 a.E.; LAG Frankfurt am Main Beschluß vom 4. Dezember 1984 – 5 TaBV 83/83 – Der Betriebsrat 1985, 386 ff. mit zustimmender Anmerkung von Mantke; LAG Köln Beschluß vom 12. Mai 1992 – 4 TaBV 10/92 – LAGE Nr. 8 zu § 80 BetrVG 1972 = AiB 1992, 582 f.) besteht kein Anwesenheitsrecht des Arbeitgebers oder von ihm beauftragter Personen während der Einblicknahme in die Bruttolohn- und gehaltslisten.
Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht Frankfurt am Main (aaO) ausgeführt, der gesetzliche Ausdruck „Einblick nehmen” schließe nicht das Recht des Arbeitgebers auf Anwesenheit ein, da bei der Gestattung der Einsichtnahme die Unterlagen dort verbleiben, wo sie ausgelegt seien. Werden sie hingegen zur Verfügung gestellt, so erlange der Betriebsrat darüber hinaus an ihnen Besitz. Die Einsichtnahme nur in Anwesenheit des Arbeitgebers würde das Einblicksrecht einschränken, da die Mitglieder des Betriebsausschusses anläßlich der Einsichtnahme nicht frei und ungebunden miteinander sprechen und gegebenenfalls über den internen Anlaß der Einsichtnahme beraten könnten, wenn dabei ein Vertreter des Arbeitgebers zugegen sei und dies auf eine unzulässige Kontrolle der Tätigkeit des Betriebsrats hinauslaufe.
Das Landesarbeitsgericht Köln (aaO) hat zur Begründung ausgeführt, daß sich aus der Einsichtnahme nicht herleiten lasse, daß diese unter ständiger Beaufsichtigung durch den Arbeitgeber erfolgen müsse, da der Besitz an diesen Listen dem Arbeitgeber auch erhalten bleibe, wenn er sich kurzfristig entferne. Als Besitzer habe der Arbeitgeber das Recht zu kontrollieren, daß die Einsichtnahme formell ordnungsgemäß erfolge. Er sei aber nicht berechtigt, die Arbeit des Betriebsrats zu beaufsichtigen und auf sie Einfluß zu nehmen. Es müsse sichergestellt sein, daß sich die Betriebsratsmitglieder bei der Einsichtnahme z.B. Notizen machen können, ohne daß die Geschäftsleitung erfahre, mit welcher Zielrichtung der Betriebsrat die Listen geprüft und was er dabei herausgefunden habe. Erfolge die Einsichtnahme durch mehrere Betriebsratsmitglieder, so erfordere es schon der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit, daß die Geschäftsleitung die Gespräche nicht mithöre. Es sei den Betriebsratsmitgliedern schlechthin unzumutbar, sich auf leises Flüstern zu beschränken bzw. den Raum zu verlassen, wenn sie sich unterhalten wollten.
Blanke/Buschmann (aaO) lehnen ein Anwesenheitsrecht des Arbeitgebers ab, da einerseits ein rechtlich geschütztes Interesse des Arbeitgebers an dieser Form der Informationsaufnahme des Betriebsrats fehle, die Anwesenheit des Arbeitgebers aber andererseits geeignet sei, eben diese Informationsaufnahme objektiv zu behindern.
II. Der erkennende Senat hält beide Ansichten in ihrer jeweils pauschalen Aussage nicht für richtig. Ein Anwesenheitsrecht des Arbeitgebers bzw. anderer Arbeitnehmer bei der Einsichtnahme des Betriebsausschusses (bzw. in Kleinbetrieben einzelner Betriebsratsmitglieder) in die Bruttolohn- und gehaltslisten kann weder allgemein bejaht noch verneint werden. Dem Arbeitgeber ist vielmehr lediglich untersagt, bei der Einsichtnahme eine Kontrolle auszuüben. Dementsprechend dürfen bei der Einsichtnahme lediglich solche Personen nicht anwesend sein, die den Betriebsrat überwachen bzw. vom Arbeitgeber mit der Überwachung des Betriebsrats beauftragt sind.
1. Der Senat hält an der Rechtsprechung des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG Beschluß vom 20. November 1984, BAGE 47, 218, 224 ff. = AP Nr. 3 zu § 106 BetrVG 1972, zu B II 3 der Gründe) fest, die streng zwischen der Verpflichtung des Arbeitgebers, Unterlagen „zur Verfügung zu stellen”, und dem Recht des Betriebsrats, in Unterlagen „Einblick zu nehmen”, unterscheidet. Im ersten Falle muß der Arbeitgeber die Unterlagen zumindest in Abschrift dem Betriebsrat überlassen, damit der Betriebsrat sie ohne Beisein des Arbeitgebers auswerten kann. Im zweiten Falle braucht der Arbeitgeber die Unterlagen nicht aus der Hand zu geben.
2. Entgegen der Würdigung des Landesarbeitsgerichts läßt sich aus dieser Unterscheidung jedoch kein uneingeschränktes Anwesenheitsrecht des Arbeitgebers bzw. vom Arbeitgeber beauftragter Personen bei der Einsichtnahme des Betriebsrats herleiten. Einerseits ist zwar richtig, daß die Ausübung des Einblicksrechts den normalen Betriebsablauf nicht stören darf. Das Landesarbeitsgericht hat daher zutreffend erkannt, daß Personen, die auch sonst regelmäßig in dem Raum arbeiten, in dem die Einsichtnahme zu erfolgen hat, dort weiterarbeiten dürfen. Andererseits aber darf diese Anwesenheit nicht zu einer Überwachung des Betriebsrats benutzt werden. Arbeitet der Arbeitgeber selbst in dem Raum der Einsichtnahme, so hat er sich deshalb einer Überwachung zu enthalten. Arbeiten dort andere Arbeitnehmer, so dürfen sie vom Arbeitgeber nicht mit der Überwachung des Betriebsrats beauftragt sein.
3. Die den Antrag abweisende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts konnte daher keinen Bestand haben. Andererseits mußte aber auch der Beschluß des Arbeitsgerichts, das nach dem Wortlaut des Antrags erkannt hatte, mit einer klarstellenden Maßgabe versehen werden. Denn die Auslegung des Antrags ergibt, daß sich der Betriebsrat nicht allgemein gegen die Anwesenheit von Personen wendet, die von der Arbeitgeberin mit irgendeiner Arbeitsaufgabe beauftragt sind. Vielmehr wendet sich der Betriebsrat lediglich gegen die Anwesenheit von Personen, die von der Arbeitgeberin gerade mit seiner Überwachung beauftragt sind. Da, wie dargestellt der Antrag mit diesem Inhalt begründet ist, war der Beschluß des Arbeitsgerichts mit der aus dem Tenor ersichtlichen Maßgabe wiederherzustellen.
Unterschriften
Weller, Schmidt, Steckhan, Johannsen, Straub
Fundstellen
Haufe-Index 60018 |
BB 1996, 276 |
NJW 1996, 1558 |
NZA 1996, 330 |