Entscheidungsstichwort (Thema)
Tariffähigkeit einer Spitzenorganisation
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Vereinigung, die neben Einzelmitgliedern Vereinigungen als Mitglieder aufnimmt, kann in diesem Fall sowohl nach § 2 Abs. 1 TVG tariffähig sein als auch diese Rechtsmacht durch die Eigenschaft als Spitzenorganisation nach § 2 Abs. 3 TVG besitzen.
2. Sieht die Satzung einer solchen Spitzenorganisation die Wahrnehmung ihrer Aufgaben als Arbeitgeberverband durch eine in ihr gebildete tarifpolitische Arbeitsgemeinschaft vor, der nur Einzelmitglieder angehören können, gehört der Abschluß von Tarifverträgen nicht im Sinne von § 2 Abs. 3 TVG zu den satzungsgemäßen Aufgaben der Spitzenorganisation.
Normenkette
TVG § 2 Abs. 1-3, § 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Arbeitnehmerin gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Köln vom 20. November 1998 – 11 TaBV 15/98 – wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob zwischen der Arbeitnehmerin (Antragstellerin, Beteiligte zu 1) und ihrer Arbeitgeberin (Antragsgegnerin, Beteiligte zu 2) kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit die Tarifverträge für die Betriebe des Textilreinigungsgewerbes unmittelbar und zwingend gelten.
Die Arbeitgeberin ist ein in Baden-Württemberg ansässiges Unternehmen des Textilreinigungsgewerbes mit zahlreichen Betriebsstätten im gesamten Bundesgebiet. Die Antragstellerin, nunmehr Mitglied der IG Metall nach Auflösung ihrer früheren Gewerkschaft Textil-Bekleidung und deren Integration in die IG Metall zum 30. Juni 1998, ist im Betrieb D. als gewerbliche Arbeitnehmerin beschäftigt. Zwischen der Arbeitnehmerin und der Arbeitgeberin ist ein Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht D. anhängig, in welchem die Arbeitnehmerin die Arbeitgeberin auf Zahlung von 34.642,00 DM in Anspruch nimmt. In diesem Rechtsstreit vertritt die Arbeitnehmerin die Ansicht, die Arbeitgeberin sei kraft Verbandszugehörigkeit an die in Nordrhein-Westfalen geltenden Tarifverträge für das Textilreinigungsgewerbe gebunden und habe deshalb Tariflohn zu zahlen. Die Arbeitgeberin vertritt in jenem Rechtsstreit demgegenüber die Auffassung, nicht tarifgebunden zu sein. Daraufhin hat die Arbeitnehmerin dieses Beschlußverfahren eingeleitet. Das Arbeitsgericht D. hat sodann den Rechtsstreit gem. § 97 Abs. 5 ArbGG bis zur rechtskräftigen Erledigung dieses Beschlußverfahrens ausgesetzt.
Die Arbeitgeberin ist – jedenfalls mit ihren Filialen in Baden-Württemberg – Mitglied im Fachverband Textilpflege Südwest eV mit Sitz in Stuttgart – nachfolgend: FATEX –. Dieser nimmt nach seiner Satzung die tarifpolitischen usw. Interessen seiner Mitglieder im „südwestlichen Bundesgebiet mit den Bundesländern Baden-Württemberg, Saarland und Rheinland-Pfalz” wahr. Der FATEX ist Mitglied im Deutschen Textilreinigungs-Verband eV – nachfolgend: DTV –, dem „Organisationen und Einzelmitglieder des Textilreinigungsgewerbes” angehören (§ 2.1 seiner Satzung). Seine tarifpolitischen Aufgaben nimmt der DTV durch die „Tarifpolitische Arbeitsgemeinschaft Textilreinigung” wahr – nachfolgend kurz: TATEX –, der (nur) Mitgliedsbetriebe beitreten können. Dementsprechend ist der FATEX nicht Mitglied der TATEX.
In den – bis zum 30. Juni 1998 – mit der Gewerkschaft Textil-Bekleidung abgeschlossenen Tarifverträgen für die Betriebe des Textilreinigungsgewerbes ist die Tarifvertragspartei auf Arbeitgeberseite wie folgt bezeichnet: „Tarifpolitische Arbeitsgemeinschaft Textilreinigung (TATEX) im Deutschen Textilreinigungs-Verband (DTV)”.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, die Tarifverträge für das Textilreinigungsgewerbe hätten für das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit unmittelbare und zwingende Geltung. Durch ihre Mitgliedschaft im FATEX sei die Arbeitgeberin an diese Tarifverträge gebunden, auch wenn sie nicht Mitglied in der TATEX sei. Nach seiner Satzung sei nur der DTV tariffähig. Die TATEX stelle lediglich einen bloßen Organisationsausschuß dar, also das Instrument des DTV in tarifpolitischen Angelegenheiten.
Die Arbeitnehmerin hat beantragt
festzustellen, daß die Beteiligte zu 2) jedenfalls für die Dauer ihrer Mitgliedschaft bei dem Beteiligten zu 5) (FATEX) der Geltung der Tarifverträge unterliegt, welche von den Beteiligten zu 3) und 4) mit der Beteiligten zu 6) oder anderen tariffähigen Arbeitnehmerorganisationen abgeschlossen werden.
Arbeitgeberin, TATEX, DTV und FATEX haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Sie haben die Ansicht vertreten, die Arbeitgeberin sei nicht an die von der TATEX abgeschlossenen Tarifverträge gebunden. Die Mitgliedschaft der Arbeitgeberin im FATEX führe nicht zu einer Mitgliedschaft im DTV und schon gar nicht zu einer Mitgliedschaft in der TATEX. Selbst wenn man von einer Mitgliedschaft im DTV ausgehe, trete keine Tarifbindung ein, weil die TATEX ausgegliedert sei und bei ihr nur Mitglied werde, wer ihr ausdrücklich beitrete. Außerdem sei sie nur Mitglied des regional für Baden-Württemberg zuständigen Fachverbandes, nicht aber des entsprechenden Verbandes für Nordrhein-Westfalen.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitnehmerin zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihre Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitnehmerin ihren Antrag weiter, dem sie nunmehr noch den Halbsatz anfügt: „…, sofern deren Geltungsbereich das Arbeitsverhältnis der Beklagten zu 1) erfaßt”. Arbeitgeberin, TATEX, DTV und FATEX beantragen die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
II. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitnehmerin ist unbegründet. Mit Recht haben die Vorinstanzen den Antrag zurückgewiesen.
1. Die Arbeitgeberin ist nicht als Mitglied des FATEX an die Tarifverträge für Betriebe des Textilreinigungsgewerbes gebunden, die die „Tarifpolitische Arbeitsgemeinschaft Textilreinigung (TATEX) im Deutschen Textilreinigungs-Verband (DTV)” – bis zum 30. Juni 1998 – mit der Gewerkschaft Textil-Bekleidung abgeschlossen hat. Denn als Spitzenorganisation ist der DTV nicht tariffähig und als solcher tarifpolitisch auch nicht tätig geworden.
a) Gemäß § 2 Abs. 3 TVG können Spitzenorganisationen selbst Parteien eines Tarifvertrages sein, wenn der Abschluß von Tarifverträgen zu ihren satzungsgemäßen Aufgaben gehört. Spitzenorganisationen sind nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 TVG Zusammenschlüsse von Gewerkschaften und von Vereinigungen von Arbeitgebern. Der DTV ist eine Spitzenorganisation im Sinne dieser Legaldefinition. Denn nach § 3.2 Buchst. a seiner Satzung können „Fachverbände, Innungsverbände und Innungen” bei ihm die Mitgliedschaft erwerben. Der Umstand, daß gem. § 3.2 Buchst. b der Satzung auch „Einzelmitglieder (Unternehmer oder Unternehmungen des Textilreinigungsgewerbes)” die Mitgliedschaft beim DTV erwerben können, steht seiner Eigenschaft als Spitzenorganisation nicht entgegen. Denn eine Vereinigung kann neben Einzelmitgliedern auch Vereinigungen aufnehmen und in diesem Fall sowohl nach § 2 Abs. 1 TVG tariffähig sein als auch diese Rechtsmacht durch die Eigenschaft als Spitzenorganisation nach § 2 Abs. 3 TVG erlangen(Oetker in: Wiedemann TVG 6. Aufl. § 2 Rn. 176).
b) Der DTV ist nur in seiner Eigenschaft als Vereinigung von Arbeitgebern nach § 2 Abs. 1 TVG tariffähig, nicht hingegen als Spitzenorganisation nach § 2 Abs. 3 TVG. Dem entspricht sein tarifpolitisches Handeln.
aa) Voraussetzung der Tariffähigkeit der Spitzenorganisation ist nach § 2 Abs. 3 TVG, daß der Abschluß von Tarifverträgen zu ihren satzungsgemäßen Aufgaben gehört. Dies ist beim DTV nicht der Fall. Seine Aufgaben als „Arbeitgeberverband im Sinne des Tarifvertragsgesetzes vom 9.4.1949” nimmt der DTV nach § 2.2 seiner Satzung durch die „Tarifpolitische Arbeitsgemeinschaft Textilreinigung (TATEX)” wahr. Dieser können nach § 21.2 der Satzung des DTV „Mitgliedsbetriebe” beitreten. Die Mitgliedschaft von Fachverbänden, Innungsverbänden und Innungen in der TATEX sieht die Satzung des DTV hingegen nicht vor.
Aus § 21 der Satzung des DTV folgt auch eindeutig, daß die TATEX Tarifverträge nur für ihre Mitglieder, hingegen nicht für Einzelmitglieder des DTV, die ihr nicht angehören, und nicht für Mitglieder der dem DTV „angeschlossenen Organisationen” abschließt. Denn die Satzung versteht nach § 21.4 Satz 2 alle Mitglieder des DTV, die „nicht TATEX-Mitglieder” sind, als von der Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrages für Betriebe des Textilreinigungsgewerbes betroffene Mitgliedsbetriebe im Unterschied zu den wegen ihrer Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG von der Allgemeinverbindlichkeit nicht betroffenen „TATEX-Mitgliedern”.
bb) Dementsprechend erfolgt der Abschluß der Tarifverträge für Betriebe des Textilreinigungsgewerbes arbeitgeberseits durch die „Tarifpolitische Arbeitsgemeinschaft Textilreinigung (TATEX) im Deutschen Textilreinigungs-Verband (DTV)” (zB Manteltarifvertrag in der Fassung vom 7. April 1997; Rahmentarifvertrag über Arbeitszeitgestaltung im Textilreinigungsgewerbe vom 4. Juni 1996).
2. Da die Arbeitgeberin dem DTV nicht als Einzelmitglied unmittelbar angehört, ist sie nicht an die Tarifverträge für Betriebe des Textilreinigungsgewerbes gebunden.
3. Ob ein Einzelmitglied des DTV, das nicht Mitglied der TATEX ist, gem. § 3 Abs. 1 TVG an die von der „Tarifpolitischen Arbeitsgemeinschaft Textilreinigung (TATEX) im Deutschen Textilreinigungs-Verband (DTV)” geschlossenen Tarifverträge gebunden ist, bedarf hier keiner Erörterung.
Unterschriften
Schliemann, Friedrich, Bott, Wolf, v. Dassel
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 22.03.2000 durch Freitag, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 507955 |
BAGE, 126 |
BB 2000, 1734 |
DB 2000, 2024 |
FA 2000, 234 |
NZA 2000, 893 |
RdA 2001, 171 |
ZTR 2000, 410 |
AP, 0 |
ZfPR 2000, 306 |