Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzicht auf tarifliche Leistungen als Einstellungsvoraussetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Arbeitgeber darf die Einstellung eines Bewerbers nicht davon abhängig machen, daß dieser nicht Gewerkschaftsmitglied ist. Ein solches Auswahlkriterium verstößt gegen das nach Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Recht des Arbeitnehmers, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein. Der Verstoß berechtigt den Betriebsrat, die Zustimmung zur Einstellung zu verweigern.
2. Der Betriebsrat kann die Zustimmung zu einer Einstellung nicht allein deshalb verweigern, weil untertarifliche Bezahlung vorgesehen ist. Zur Vermeidung der damit möglicherweise verbundenen Gesetzesverletzung ist es nicht erforderlich, daß die Einstellung unterbleibt. Der Arbeitnehmer kann mögliche Tarifansprüche nach der Einstellung gegenüber dem Arbeitgeber durchsetzen.
Normenkette
BetrVG §§ 99, 95, 75; GG Art. 9 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 18. März 1999 – 4 TaBV 47/98 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen !
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Einstellung von fünf Auszubildenden.
Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der Elektroindustrie. Sie stellt jährlich sechs bis acht Auszubildende ein, die für den eigenen Bedarf benötigt werden. Diese vergütet sie grundsätzlich nach dem Tarifvertrag über Ausbildungsvergütungen in der Metallindustrie Hamburg und Umgebung. Sie ist Mitglied der tarifschließenden Arbeitgebervereinigung.
1997 inserierte sie in verschiedenen örtlichen Tageszeitungen, daß sie „über unseren eigenen Bedarf” hinaus Ausbildungsplätze anbiete. In der Anzeige heißt es weiter:
„Sie haben die Schule mit einer mindestens durchschnittlichen Mittleren Reife (Handelsfachpacker/in: Hauptschulabschluß) verlassen und sind bereit, für einen Ausbildungsplatz auf tarifliche Leistungen – z.B. einen Teil der Ausbildungsvergütung – zu verzichten, um Ihre beruflichen Zukunftschancen zu verbessern.”
Mit Schreiben vom 13. August und 2. September 1997 informierte sie den Betriebsrat über die beabsichtigte Einstellung von fünf Auszubildenden für die Ausbildungsberufe Industrieelektroniker/in, Kommunikationselektroniker/in und Industriekauffrau/mann. In den Schreiben heißt es auszugsweise:
„Von den zur Einstellung vorgesehenen Bewerbern liegt uns die Bestätigung vor, daß keine Tarifbindung besteht. Aus diesem Grund sind gemäß Tarifvertragsgesetz vom Tarifvertrag abweichende einzelvertragliche Regelungen möglich.
Die Abweichung vom Tarifvertrag und die damit verbundene untertarifliche Bezahlung ist sachlich durch die Tatsache begründet, daß wir diese zusätzlichen Ausbildungsplätze über unseren eigenen Bedarf hinaus zur Verfügung stellen.”
Mit Schreiben vom 18. August und 8. September 1997 widersprach der Betriebsrat den Einstellungen. Er machte ua. geltend, die beabsichtigte Vergütung verstoße gegen die einschlägigen tariflichen Bestimmungen sowie gegen das Berufsbildungsgesetz, außerdem habe die Arbeitgeberin in unzulässiger Weise die Gewerkschaftszugehörigkeit zum Auswahlkriterium gemacht.
Die Arbeitgeberin hat beim Arbeitsgericht das Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet. Die Einwendungen seien unbegründet. Sie richteten sich nicht gegen die Einstellung als solche, sondern gegen den Inhalt der Ausbildungsverträge. Dieser sei jedoch nicht Gegenstand der Mitbestimmung. Die untertarifliche Bezahlung sei bei fehlender gewerkschaftlicher Bindung des Arbeitnehmers zulässig und stelle keine Benachteiligung dar. Ein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz liege nicht vor. Die Ungleichbehandlung sei sachlich gerechtfertigt, da die in Rede stehenden Einstellungen über den Bedarf erfolgt seien, um die Ausbildungsnot zu lindern. Sie habe bei der Auswahl der Bewerber auch nicht gegen das Verbot der Diskriminierung wegen Gewerkschaftszugehörigkeit verstoßen und im übrigen auch alle Anforderungen erfüllt, welche von der zuständigen Industrie- und Handelskammer in Bezug auf die Ausbildungsverträge gestellt werden.
Die Arbeitgeberin hat, soweit für die Rechtsbeschwerde noch von Interesse, beantragt,
die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zu den Einstellungen der Auszubildenden O, B, Br, J und K bei der Beteiligten zu 1) zu ersetzen.
Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Zustimmungsverweigerung sei berechtigt. Die Arbeitgeberin habe ein gesetzwidriges Auswahlverfahren vorgenommen, indem sie nach der Gewerkschaftszugehörigkeit differenziert habe. Die Frage nach der Tarifbindung vor Abschluß des Ausbildungsvertrages sei unzulässig. Die untertarifliche Vergütung stelle eine verbotene Schlechterstellung gegenüber den übrigen Auszubildenden dar. Auch würde gegen den Ausbildungsvertrag der Industrie- und Handelskammer Hamburg verstoßen, da dieser die tarifgemäße Bezahlung von Auszubildenden vorsehe. Ohne jeglichen Sachzwang würden zwei Klassen von Auszubildenden geschaffen.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag der Arbeitgeberin abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihm auf die Beschwerde der Arbeitgeberin stattgegeben.
Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt der Betriebsrat weiterhin die Abweisung des Antrags.
II. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats war zurückzuweisen.
Das Landesarbeitsgericht hat die Zustimmung zur Einstellung der fünf Auszubildenden im Ergebnis zu Recht ersetzt. Die vom Betriebsrat geltend gemachten Einwendungen gegen die Einstellungen sind sämtlich unbegründet.
1. Der Rechtsbeschwerdeführer beruft sich zu Unrecht darauf, die Arbeitgeberin habe ihn nicht rechtzeitig und nicht im erforderlichen Umfang unterrichtet.
Der Betriebsrat trägt dazu vor, die Arbeitgeberin habe erst im Laufe des anhängigen Beschlußverfahrens erklärt, nicht nach Gewerkschaftszugehörigkeit differenziert zu haben, sie habe auch erst nachträglich darauf verwiesen, daß die Handelskammer ihr Einverständnis mit der Abweichung von der im Ausbildungsvertrag an sich vorgegebenen tariflichen Vergütung erklärt habe.
Dies steht der Ersetzung der Zustimmung nicht entgegen. Sie setzt zwar voraus, daß der Arbeitgeber zuvor den Betriebsrat im erforderlichen Umfang über die geplante personelle Maßnahme unterrichtet hat(vgl. Senat 18. Dezember 1990 – 1 ABR 15/90 – BAGE 66, 328, zu B I der Gründe). Hat der Betriebsrat aber schon auf eine unvollständige Unterrichtung hin die Zustimmung verweigert, kann der Arbeitgeber noch im Zustimmungsersetzungsverfahren die fehlende Unterrichtung nachholen. Der Betriebsrat kann dann innerhalb einer Woche weitere, sich aus der nachgeschobenen Unterrichtung ergebende Zustimmungsverweigerungsgründe geltend machen(vgl. nur Senat 10. August 1993 – 1 ABR 22/93 – NZA 1994, 187, zu B I 1 der Gründe). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, wie sich aus dem Vortrag des Betriebsrats ergibt. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die ursprüngliche Unterrichtung unvollständig war.
2. Der Betriebsrat kann sich für seine Zustimmungsverweigerung nicht auf einen Verstoß der beabsichtigten Einstellungen gegen ein Gesetz oder eine andere Norm iSv. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG berufen.
a) Nach ständiger Senatsrechtsprechung kann der Betriebsrat einer personellen Maßnahme seine Zustimmung gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG nur dann verweigern, wenn die Maßnahme selbst gegen ein Gesetz, einen Tarifvertrag oder eine sonstige Norm verstößt. Geht es – wie hier – um die Einstellung, muß diese als solche untersagt sein. Hingegen genügt es nicht, daß einzelne Vertragsbedingungen einer Norm zuwiderlaufen. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Einstellungen ist kein Instrument einer umfassenden Vertragsinhaltskontrolle (Senat 9. Juli 1996 – 1 ABR 55/95 – AP BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 9 = EzA BetrVG 1972 § 99 Einstellung Nr. 1, zu B I 1 b der Gründe; Senat 28. Juni 1994 – 1 ABR 59/93 – BAGE 77, 165, zu B II 1 der Gründe).
§ 99 BetrVG gibt dem Betriebsrat nur die Möglichkeit, der Einstellung in der vom Arbeitgeber beabsichtigten Form zuzustimmen oder die Zustimmung insgesamt zu verweigern. Er kann hingegen nicht die Einstellung zu anderen – normgemäßen – Bedingungen durchsetzen. Insoweit steht ihm nur ein negatives Mitgestaltungsrecht zu. Dies gebietet eine differenzierende Betrachtung von Normverstößen. Eine Zustimmungsverweigerung ist danach nicht bei jedem Verstoß gerechtfertigt, sondern erst dann, wenn dem Normzweck nur dadurch entsprochen werden kann, daß die Einstellung insgesamt unterbleibt. Auf dieser Grundlage hat der Senat ein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG bei Einstellungen dann bejaht, wenn die tatsächliche Beschäftigung aus Gründen des kollektiven oder individuellen Arbeitnehmerschutzes verhindert werden soll oder wenn bei der Einstellung ein Auswahlverfahren nicht beachtet worden ist, das zugunsten besonders schutzwürdiger Mitbewerber vorgeschrieben ist (Senat 9. Juli 1996 – 1 ABR 55/95 – aaO, zu B I 1 b der Gründe; Senat 28. Juni 1994 – 1 ABR 59/93 – aaO, zu B II 1 c der Gründe).
b) Nach diesen Grundsätzen kann die Zustimmungsverweigerung nicht darauf gestützt werden, daß die Auszubildenden „untertariflich” vergütet werden sollen.
Tarifvertragliche Regelungen über das Arbeitsentgelt und sonstige Arbeitsbedingungen haben nicht die Einstellung zum Gegenstand. Ihnen ist auch nicht ein stillschweigendes Verbot zu entnehmen, Arbeitnehmer zu anderen, ungünstigeren Arbeitsbedingungen einzustellen. Das ergibt sich auch daraus, daß die Macht der Tarifvertragsparteien, zwingende Regelungen für den Inhalt von Arbeitsverträgen zu treffen, nach § 4 Abs. 1 TVG auf die tarifgebundenen Arbeitnehmer beschränkt ist; der Ausnahmefall der Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags nach § 5 TVG kann hier außer Betracht bleiben. Aus Rechtsgründen ist der Arbeitgeber nicht daran gehindert, nicht in der tarifschließenden Gewerkschaft organisierte Arbeitnehmer zu ungünstigeren als den tariflichen Arbeitsbedingungen zu beschäftigen. Für tarifgebundene Arbeitnehmer wäre ein tarifvertragliches Verbot der Einstellung zu untertariflichen Bedingungen sinnlos, da die Bestimmungen des einschlägigen Tarifvertrags unabhängig davon, ob die Arbeitsvertragsparteien etwas Ungünstigeres vereinbart haben, für das Arbeitsverhältnis maßgebend sind (Senat 9. Juli 1996 – 1 ABR 55/95 – aaO, zu B I 1 c der Gründe).
c) Auch soweit der Betriebsrat einen Verstoß gegen Normen des Berufsbildungsrechts geltend macht, rechtfertigt dies die Zustimmungsverweigerung nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG nicht.
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG hat der Ausbildende dem Auszubildenden eine „angemessene Vergütung” zu gewähren (vgl. dazu etwa BAG 10. April 1991 – 5 AZR 226/90 – BAGE 68, 10, zu II 4 der Gründe; vgl. auch BAG 11. Oktober 1995 – 5 AZR 258/94 – BAGE 81, 139, zu II 3 der Gründe). Ob die Ausbildungsvergütung im Streitfall in diesem Sinne „angemessen” ist, kann dahinstehen. Die Frage der Höhe der Ausbildungsvergütung ist eine Frage des Inhalts der vertraglichen Vereinbarung. Erweist sich die Höhe der Vergütung nicht als angemessen im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG, so ist die Vereinbarung insoweit nach § 18 BBiG nichtig. Dem betroffenen Auszubildenden steht es frei, die angemessene Vergütung gerichtlich geltend zu machen. Gesetzeswidrig wäre die Vergütung, nicht aber die Einstellung des Auszubildenden.
Im Ergebnis nichts anderes gilt, soweit der Betriebsrat einen Verstoß gegen § 32 Abs. 1 Nr. 1 BBiG behauptet. Danach ist Voraussetzung für die Eintragung des Berufsausbildungsvertrages in das von der für die Berufsausbildung zuständigen Stelle zu führende Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse, daß der Vertrag „diesem Gesetz” entspricht, also auch, daß die vorgesehene Ausbildungsvergütung im Sinne des § 10 Abs. 1 BBiG angemessen ist. Ob eine Vergütung angemessen ist, hat allerdings nicht die zuständige Stelle im Rahmen einer ihr eingeräumten Beurteilungsermächtigung verbindlich festzusetzen(vgl. auch BVerwG 26. März 1981 – 5 C 50/80 – BVerwGE 62, 117, 121). Das spricht bereits grundsätzlich gegen die Annahme, die unterbliebene Eintragung könne einen Zustimmungsverweigerungsgrund abgeben.
Die Frage kann aber dahingestellt bleiben. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß die Industrie- und Handelskammer von der Arbeitgeberin insbesondere auf die Höhe der Vergütung angesprochen worden war und die Eintragungsvoraussetzungen als erfüllt angesehen hat. Diese Feststellungen sind mit Verfahrensrügen nicht angegriffen worden. Es fehlt daher schon an den tatsächlichen Voraussetzungen für einen Verstoß gegen § 32 Abs. 1 Nr. 1 BBiG.
d) Dem Betriebsrat steht auch nicht deshalb ein Zustimmungsverweigerungsrecht zu, weil die Arbeitgeberin in unzulässiger Weise die Auswahl der zur Einstellung vorgesehenen Bewerber davon abhängig gemacht hätte, daß sie nicht tarifgebunden sind.
aa) Ein Arbeitgeber darf allerdings die Einstellung eines Bewerbers nicht davon abhängig machen, daß dieser nicht Mitglied einer Gewerkschaft ist. Ein solches Auswahlkriterium verstößt gegen das nach Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Recht eines jeden Arbeitnehmers, einer Gewerkschaft beizutreten.
Nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG sind Abreden, die das Koalitionsrecht einschränken oder zu behindern suchen, nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Dem Grundrecht kommt kraft dieser ausdrücklichen Anordnung Drittwirkung, also unmittelbare Verbindlichkeit für den Privatrechtsverkehr zu(BVerfG 17. Februar 1981 – 2 BvR 384/78 – BVerfGE 57, 220, zu C II 4 a der Gründe). Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG verbietet jede nachteilige Behandlung wegen der Koalitionszugehörigkeit. Alle Maßnahmen, die auf eine Behinderung der Koalitionsfreiheit hinauslaufen, sind danach rechtswidrig. Die Regelung schlägt auch auf die Einstellungsentscheidung und ihre Vorbereitung durch. Das mögliche Interesse des Arbeitgebers, der Tarifbindung durch Einstellung nichtorganisierter Arbeitnehmer auszuweichen, ist nicht geschützt. Der Arbeitgeber ist auch nicht dagegen gefeit, daß der Arbeitnehmer am Tag nach der Einstellung der Gewerkschaft beitritt(Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht Bd. 1 S. 195). Will der Arbeitgeber Tarifbindung vermeiden, kann er dies nur dadurch erreichen, daß er seinerseits dem tarifschließenden Arbeitgeberverband fern bleibt. Er kann aber nicht die Einstellungsbewerber nach Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zur Gewerkschaft trennen(MünchArbR/Buchner Bd. 1 § 38 Rn. 117).
bb) Der Senat hat dementsprechend bereits im Urteil vom 2. Juni 1987(– 1 AZR 651/85 – BAGE 54, 353) entschieden, daß ein Arbeitgeber die Einstellung eines Arbeitnehmers nicht von dessen Austritt aus einer Gewerkschaft abhängig machen kann. Arbeitnehmer, die sich den Gewerkschaften anschließen wollen, dürfen daran nicht durch wirtschaftlichen Druck gehindert werden. Sie müssen sich frei für den Beitritt zu einer Gewerkschaft entscheiden können. Der Arbeitgeber darf weder wegen der Gewerkschaftszugehörigkeit das Arbeitsverhältnis kündigen noch wegen Gewerkschaftszugehörigkeit den Abschluß eines Arbeitsvertrages verweigern. Das Arbeitsverhältnis sichert einem Arbeitnehmer die wirtschaftliche Existenz. Diese darf nicht vom Nichtbeitritt zu oder Austritt aus einer Gewerkschaft abhängig gemacht werden(Senat 2. Juni 1987 aaO, zu III 2 der Gründe).
Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für den Fall, daß ein Arbeitgeber zwar nicht ausdrücklich von Bewerbern den Austritt aus der Gewerkschaft verlangt, aber von vornherein klarstellt, er wolle nur Nichtmitglieder einstellen. Ein Gewerkschaftsmitglied hätte auch dann nur eine Chance auf Einstellung, wenn es aus der Gewerkschaft austräte. Die unzulässige Beeinträchtigung des Rechts, sich einer Gewerkschaft anzuschließen, wöge gleich schwer.
cc) Die Verwendung des Auswahlkriteriums „Gewerkschaftszugehörigkeit” verstößt danach iSd. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG gegen ein Gesetz. Diese Normenverletzung kann nur dadurch verhindert werden, daß die Einstellung auf Grund eines derartigen unzulässigen Auswahlverfahrens ganz unterbleibt. Nur so kann erreicht werden, daß wegen ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit diskriminierte Bewerber eine Chance bekommen, in ein neues – diskriminierungsfreies – Auswahlverfahren einbezogen zu werden. Daß § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG auch zur Anwendung kommen kann, wenn die Verbotsnorm nicht den Einzustellenden selbst schützen soll, sondern potentielle dritte Bewerber, hat der Senat bereits mehrfach entschieden(siehe etwa Senat 10. November 1992 – 1 ABR 21/92 – BAGE 71, 337).
Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob sich tatsächlich Gewerkschaftsmitglieder beworben haben, die diskriminiert worden sind. Bewerber sollen grundsätzlich nicht gezwungen werden, vor der Einstellung ihre Gewerkschaftszugehörigkeit zu offenbaren. Es wäre deshalb in zulässiger Weise gar nicht feststellbar, ob unter den Bewerbern auch Gewerkschaftsangehörige sind. Die Koalitionsfreiheit wird schon dadurch beeinträchtigt, daß die Gewerkschaftszugehörigkeit überhaupt zu einem Auswahlkriterium gemacht wird.
dd) Das Landesarbeitsgericht ist aber im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß ein entsprechender Verstoß der Arbeitgeberin hier nicht vorliegt. Es hat festgestellt, daß die Arbeitgeberin die Bewerber vor Abschluß der Ausbildungsverträge nicht nach einer Gewerkschaftszugehörigkeit gefragt hat. Diese Feststellung ist mit Verfahrensrügen nicht angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Dem steht auch nicht die Mitteilung an den Betriebsrat entgegen, von den zur Einstellung vorgesehenen Bewerbern liege die Bestätigung vor, daß keine Tarifbindung bestehe. Diese läßt sich zwanglos damit erklären, daß die Arbeitgeberin zuerst die Auswahl – nach allgemeinen und zulässigen Kriterien – getroffen und später erst die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit gestellt hat.
Da kein Gewerkschaftsmitglied unter den zur Einstellung vorgesehenen Bewerbern war (was bei Auszubildenden unmittelbar nach dem Schulabschluß auch die Regel sein dürfte), steht nicht fest, wie die Arbeitgeberin im anderen Fall reagiert hätte. Aus den Gesamtumständen läßt sich nicht zwingend ableiten, daß sie ein Gewerkschaftsmitglied in jedem Fall zurückgewiesen hätte. Der Wortlaut der Ausschreibung war an alle – also auch Gewerkschaftsmitglieder – gerichtet. Richtig ist zwar, daß die Arbeitgeberin die zusätzlichen Ausbildungsplätze an einen Verzicht auf tarifliche Leistungen geknüpft hat. Dies schließt aber Gewerkschaftsmitglieder nicht von vornherein aus dem Bewerberkreis aus. Auch ein Gewerkschaftsmitglied kann sich so verhalten, daß es rechtlich unverzichtbare tarifliche Ansprüche tatsächlich nicht geltend macht. Daß ein solches Verhalten in der Praxis nicht selten ist, zeigen schon die gerade in jüngerer Zeit in vielfältiger Weise abgeschlossenen betrieblichen „Bündnisse für Arbeit”. Allein aus dem geforderten Einverständnis mit untertariflicher Vergütung läßt sich also nicht zwingend folgern, die Arbeitgeberin hätte Gewerkschaftsmitglieder von vornherein ausschließen wollen.
Richtig ist allerdings, daß der Verzicht eines Gewerkschaftsmitgliedes auf tarifliche Ausbildungsvergütung unzulässig gewesen wäre(§ 4 Abs. 4 Satz 1 TVG), die Arbeitgeberin also Gefahr gelaufen wäre, daß das Gewerkschaftsmitglied die Forderung nachträglich geltend gemacht hätte. Es ist aber zu berücksichtigen, daß teilweise ein erweitertes Günstigkeitsverständnis vertreten worden ist und auch noch vertreten wird, wonach der Erhalt des Arbeitsplatzes Einschränkungen beim Arbeitsentgelt rechtfertigen könne(vgl. die Nachweise im Senatsbeschluß 20. April 1999 – 1 ABR 72/98 – AP GG Art. 9 Nr. 89 = EzA GG Art. 9 Nr. 65, zu B III 1 b der Gründe). Insoweit könnte die Überlegung aufkommen, ein zusätzlich zur Verfügung gestellter Ausbildungsplatz rechtfertige eine Minderung der tariflichen Ausbildungsvergütung. Der Senat hat zwar diesen Erwägungen eine Absage erteilt(Senatsbeschluß 20. April 1999 aaO). Für die hier zu beurteilende Prognose, ob die Arbeitgeberin in keinem Fall ein Gewerkschaftsmitglied eingestellt hätte, ist aber nicht auszuschließen, daß sie – wie sie jetzt auch anklingen läßt – bei ihrem damals (1997) geforderten Verzicht auf tarifliche Leistungen gerade wegen der „Wohltat” betrieblich nicht benötigter Ausbildungsplätze von einer solchen Günstigkeitsvorstellung ausging und auch deshalb Bewerber nicht wegen ihrer Gewerkschaftsmitgliedschaft abgewiesen hätte.
e) Unbegründet ist die Zustimmungsverweigerung auch, soweit der Betriebsrat unter Hinweis auf die Vereinbarung untertariflicher Ausbildungsvergütung einen Verstoß gegen § 75 BetrVG gerügt hat, weil damit zwei Klassen von Auszubildenden geschaffen würden. Es bedarf keiner Erörterung, ob und unter welchen Voraussetzungen § 75 BetrVG der Vereinbarung solcher Vertragsbedingungen entgegenstehen kann. Wenn überhaupt eine nach § 75 BetrVG verbotene Ungleichbehandlung vorliegen sollte, so bezöge sie sich jedenfalls nicht auf die Einstellung als solche. Insoweit gilt nichts anderes als für den Fall der Zustimmungsverweigerung wegen Verstoßes gegen einen Tarifvertrag (Senat 9. Juli 1996 – 1 ABR 55/95 – aaO, zu B I 2 der Gründe).
3. Der Betriebsrat kann die Zustimmung auch nicht etwa nach § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG deshalb verweigern, weil die durch Tatsachen begründete Besorgnis bestünde, daß infolge der personellen Maßnahme im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer gekündigt werden oder sonstige Nachteile erleiden, ohne daß dies aus betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen gerechtfertigt wäre.
Befürchtungen des Betriebsrats, die Arbeitgeberin könnte versuchen, die Arbeitsbedingungen der bisher schon dem Betrieb angehörigen Auszubildenden den ungünstigeren Regelungen, die sie mit den neu eingestellten vereinbart hat, anzupassen, reichen zur Annahme eines hier zu berücksichtigenden Nachteils nicht aus. Die Nachteile müssen nämlich „infolge” der personellen Maßnahme eintreten, also hier Folge der Einstellung sein(vgl. Senat 9. Juli 1996 – 1 ABR 55/95 – aaO, zu B III der Gründe). Es ist jedoch nicht ersichtlich, daß infolge der Einstellung von fünf Auszubildenden zu untertariflichen Bedingungen andere im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer Nachteile erleiden würden.
4. Der Betriebsrat kann die Zustimmung schließlich auch nicht nach § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG verweigern, weil die betroffenen Auszubildenden durch die personelle Maßnahme benachteiligt würden, ohne daß dies aus betrieblichen oder in ihrer Person liegenden Gründen gerechtfertigt wäre.
§ 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG dient allein der Wahrung der Interessen des betroffenen Arbeitnehmers (Senat 2. April 1996 – 1 ABR 39/95 – AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 9 = EzA BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 1, zu B I 2 a der Gründe mwN). Ob dieser Zustimmungsverweigerungsgrund generell nur bei Versetzungen in Betracht kommt(so Senat 26. Januar 1988 – 1 AZR 531/86 – BAGE 57, 242, zu II 4 b der Gründe; MünchArbR/Matthes Bd. 3 § 344 Rn. 80), mag dabei offenbleiben. Jedenfalls entspricht die Einstellung gerade dem Wunsch der betreffenden Auszubildenden. Sie können nicht durch die Einstellung als solche benachteiligt sein, sondern allenfalls durch die Konditionen, zu denen sie eingestellt werden(vgl. Senat 9. Juli 1996 – 1 ABR 55/95 – aaO, zu B II der Gründe mwN).
Unterschriften
Wißmann, Hauck, Rost, Federlin, Peter Berg
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 28.03.2000 durch Klapp, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 537485 |
BAGE, 169 |
BB 2000, 2311 |
BB 2000, 826 |
DB 2000, 722 |
DB 2001, 203 |
DStR 2000, 1276 |
NWB 2000, 1367 |
BuW 2001, 88 |
EWiR 2001, 15 |
FA 2000, 196 |
FA 2000, 328 |
FA 2001, 52 |
JR 2001, 132 |
NZA 2000, 1294 |
ZAP 2000, 579 |
ZIP 2001, 209 |
ZTR 2001, 91 |
AP, 0 |
AuA 2000, 224 |
MDR 2001, 38 |
PERSONAL 2001, 331 |
Consultant 2000, 8 |