Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnanspruch bei arbeitsmedizinischer Untersuchung
Orientierungssatz
Unterzieht sich der Arbeitnehmer einer nach den Unfallverhütungsvorschriften erforderlichen ärztlichen Untersuchung durch den Berufsgenossenschaftlichen Arbeitsmedizinischen Dienst, so hat er für die Dauer der Untersuchung gemäß § 40 Abs 1 Nr 2 Buchst b des Manteltarifvertrages für Waldarbeiter der Länder und der Mitglieder der Kommunalen Arbeitgeberverbände Rheinland-Pfalz und Saar (MTV) vom 26. Januar 1982 Anspruch auf Zahlung des Durchschnittslohnes.
Normenkette
RVO § 710; TVG § 1 Abs. 1; RVO § 708 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
LAG München (Entscheidung vom 11.04.1985; Aktenzeichen 7 Sa 682/84) |
ArbG Regensburg (Entscheidung vom 13.07.1984; Aktenzeichen 5 Ca 2718/83 N) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger für die Dauer einer nach den Unfallverhütungsvorschriften erforderlichen ärztlichen Untersuchung durch den Berufsgenossenschaftlichen Arbeitsmedizinischen Dienst Anspruch auf den Durchschnittslohn oder nur den Zeitlohn hat.
Der tarifgebundene Kläger ist als Forstwirt bei dem Forstamt N beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für Waldarbeiter der Länder und der Mitglieder der Kommunalen Arbeitgeberverbände Rheinland-Pfalz und Saar (MTW) vom 26. Januar 1982 Anwendung, der u.a. folgende Bestimmungen enthält:
" § 10
Arbeitslohn
(1) Der Arbeitslohn kann als
a) Zeitlohn,
b) Stücklohn,
c) Prämienlohn
gezahlt werden.
Für Arbeitsstunden gezahlte Zulagen und
Zuschläge gehören zum Arbeitslohn.
(2) Arbeiten, für die Stücklohnsätze ermittelt und
vereinbart werden können, sind grundsätzlich
im Stücklohn auszuführen. In besonderen Fällen
können Arbeiten im Prämienlohn ausgeführt werden.
§ 17
Durchschnittslohn
(1) Der Durchschnittslohn je Stunde wird aus dem
für die Lohnzahlungszeiträume (§ 18 Abs. 3)
des vorangegangenen Kalenderjahres dem Waldar-
beiter gezahlten Lohn (Arbeitslohn, fortge-
zahlter Lohn, Urlaubslohn, Krankenlohn) errech-
net. Dieser Lohn wird durch die Zahl der be-
zahlten Stunden geteilt. Bei Tariflohnände-
rungen ist der Durchschnittslohn entsprechend
zu verändern. Der Prozentsatz der Änderung
wird im Lohntarifvertrag vereinbart.
.....
§ 40
Lohnzahlung bei Arbeitsverhinderung aus
persönlichen Gründen
(1) Der Waldarbeiter wird in den nachstehenden
Fällen, soweit nicht die Angelegenheit
außerhalb der Arbeitszeit, gegebenenfalls
nach ihrer Verlegung, erledigt werden kann,
unter Zahlung des Durchschnittslohnes für
die Dauer der unumgänglichen notwendigen
Abwesenheit von der Arbeit freigestellt:
1. .........
2. Aus folgenden besonderen Anlässen
a) .......
b) bei einer amts-, betriebs-, kassen-,
versorgungs- oder vertrauensärztlich
oder bei einer von einem Träger der
Bundesanstalt für Arbeit angeordneten
Untersuchung oder Behandlung des
arbeitsfähigen Waldarbeiters, wobei die
Anpassung, Wiederherstellung oder Er-
neuerung von Körperersatzstücken sowie
die Beschaffung von Zahnersatz als
ärztliche Behandlung gelten;
.......
§ 43
Lohnzahlung aufgrund gesetzlicher Vorschriften
Für jede Arbeitsstunde, die infolge einer gesetzlichen
Vorschrift (z.B. Feiertagsgesetze, Personalvertre-
tungsgesetze, Jugendarbeitsschutzgesetz) ausfällt und
für die nach dem Gesetz der Lohnausfall zu erstatten
ist, wird der Durchschnittslohn gezahlt."
Am 11. Februar 1983 nahm der Kläger auf Anordnung der Oberforstdirektion R an einer vom "Berufsgenossenschaftlichen Arbeitsmedizinischen Dienst e.V." durchgeführten ärztlichen Vorsorgeuntersuchung in P teil. Die Untersuchung fand aufgrund der Unfallverhütungsvorschriften "Forsten und Baumpflanzungen" und "Lärm" statt. Der Beklagte zahlte für die dadurch ausgefallenen acht Arbeitsstunden lediglich den Zeitlohn in Höhe von 10,32 DM/Stunde zuzüglich 0,74 DM Forstwirtzulage insgesamt 11,06 DM je Stunde und nicht den Durchschnittslohn von 18,73 DM/Stunde.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm gebühre nach § 40 Abs. 1 Ziff. 2 b und § 43 MTW der Durchschnittslohn für die ausgefallenen Stunden. Er hat daher die Differenz in Höhe von unstreitig insgesamt 61,36 DM nach erfolglosem Abhilfeverfahren geltend gemacht.
Der Kläger hat beantragt:
Der Beklagte wird verurteilt, an den
Kläger 61,36 DM brutto nebst 4 % Zinsen
hieraus seit Klageerhebung zu bezahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und vorgetragen, weder die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Ziff. 2 b MTW noch die des § 43 MTW seien gegeben. Der MTW zähle die Fälle abschließend auf, bei denen der Durchschnittslohn zu zahlen sei, die vorliegende ärztliche Untersuchung falle unter keinen dieser Fälle. Dieser Ansicht seien auch die Tarifvertragsparteien gewesen. Dies folge aus einer Niederschrift vom 14. Dezember 1982 über Tarifverhandlungen mit insoweit folgendem Wortlaut:
"Auf Frage wird festgestellt, daß in den Fällen, in
denen der Arbeitgeber einen Waldarbeiter nach § 4
zu einer Untersuchung schickt, die aufgewandte Zeit
im Zeitlohn zu bezahlen ist, ggf. zuzüglich eines
Ausgleichszuschlags. Die aufgewandte Zeit gilt als
Arbeit."
Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag weiter, die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf den Durchschnittslohn für die durch die Untersuchung bei dem Berufsgenossenschaftlichen Arbeitsmedizinischen Dienst ausgefallene Arbeitszeit.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, durch die Anordnung der Oberforstdirektion, der Kläger solle an der arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchung beim ärztlichen Dienst der Berufsgenossenschaft teilnehmen, sei diesem die Arbeitsleistung unmöglich geworden. Ein Fall vorübergehender subjektiver Unmöglichkeit liege auch dann vor, wenn dem Arbeitnehmer im Hinblick auf vorrangige Pflichten die Arbeitsleistung in der vertraglich vorgesehenen Zeitspanne unzumutbar sei. Zu diesen vorrangigen Pflichten gehöre vorliegend die sich aus § 4 Abs. 2 MTW ergebende Nebenpflicht, sich auf Anordnung des Arbeitgebers auf die weitere Berufstauglichkeit ärztlich untersuchen zu lassen. Durch die Ausübung seines insoweit bestehenden Weisungsrechts führe der Arbeitgeber die Unmöglichkeit der eigentlichen Arbeitsleistung bewußt herbei und müsse diese deshalb im Rechtssinne vertreten. Der Arbeitnehmer behalte daher gemäß § 324 Abs. 1 BGB seinen Anspruch auf Arbeitslohn.
Hinsichtlich der Höhe dieses Lohnes enthalte der MTW keine ausdrückliche Regelung, diese sei daher nach allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln. Bei einem ergebnisabhängigen Lohn, wie Provision oder Akkordlohn, sei auf den Durchschnittsverdienst der Vergangenheit abzustellen. Dies sei vorliegend der Durchschnittslohn nach § 17 MTW. Der MTW biete weder nach Wortlaut noch Systematik einen Anhaltspunkt dafür, daß in Lohnfortzahlungsfällen entgegen dieser allgemeinen Regel lediglich der Zeitlohn zu zahlen sei. Der MTW regele bestimmte Lohnfortzahlungsfälle und schreibe für diese die Höhe des fortzuzahlenden Lohns vor. Der vorliegende Fall sei im Tarifvertrag nicht angesprochen, so daß es bei der gesetzlichen Regelung verbleibe. Auf die Niederschrift über die Tarifverhandlungen vom 14. Dezember 1982 könne der Beklagte sich nicht berufen, da der entsprechende Wille der Tarifpartner im Wortlaut des Tarifvertrages keinen Niederschlag gefunden habe.
II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten im Ergebnis der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der vorliegende Fall sei hinsichtlich der Höhe des fortzuzahlenden Entgelts im MTW nicht geregelt. Denn § 40 Abs. 1 Ziff. 2 b MTW sieht u.a. ausdrücklich vor, daß der Waldarbeiter bei einer betriebsärztlichen Untersuchung unter Zahlung des Durchschnittslohns (§ 17 MTW) für die Dauer der unumgänglichen Abwesenheit von der Arbeit freigestellt wird. Um nichts anderes handelt es sich aber im Streitfall.
2. Nach § 1 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) hat der Arbeitgeber u.a. Betriebsärzte für die Arbeitssicherheit zu bestellen. Diese haben nach § 3 Ziff. 2 ASiG die Aufgabe, die Arbeitnehmer zu untersuchen, arbeitsmedizinisch zu beurteilen und zu beraten. Nach § 19 ASiG kann der Arbeitgeber die Verpflichtung Betriebsärzte zu bestellen auch dadurch erfüllen, daß er einen überbetrieblichen Dienst zur Wahrnehmung der Aufgaben nach § 3 verpflichtet. Schließlich ist nach § 16 ASiG in Verwaltungen und Betrieben der Länder ein den Grundsätzen dieses Gesetzes gleichwertiger arbeitsmedizinischer Arbeitsschutz zu gewährleisten. Dies ist nach dem vom Beklagten selbst vorgelegten Erlaß vom 22. Februar 1982 durch Übertragung der Untersuchungen nach der UVV "Lärm" auf den Berufsgenossenschaftlichen Arbeitsmedizinischen Dienst e.V. geschehen, so daß dessen Untersuchungen an die Stelle der betriebsärztlichen Untersuchungen treten. Die Untersuchung durch den Arbeitsmedizinischen Dienst steht deshalb der Untersuchung durch den Betriebsarzt rechtlich gleich, so daß für die Entlohnung des dadurch an der Arbeitsleistung gehinderten Arbeitnehmers nach der tarifvertraglichen Bestimmung nichts anderes gelten kann (vgl. für den Fall der Untersuchung durch einen "Arzt des beiderseitigen Vertrauens" anstelle durch den Betriebsarzt: BAG Urteil vom 22. März 1978 - 4 AZR 591/76 - AP Nr. 5 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie = EzA § 4 TVG Metallindustrie Nr. 10).
3. Der Beklagte war auch verpflichtet, den Kläger untersuchen zu lassen.
a) Nach §§ 50, 51 der Unfallverhütungsvorschrift "Allgemeine Vorschriften" vom April 1979 in Verbindung mit §§ 12, 14, 15 des Arbeitssicherheitsgesetzes vom 12. Dezember 1973 (BGBl I, S. 1885) hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, daß der Gesundheitszustand von Versicherten durch arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen überwacht wird. Dies hat je nach der in Frage stehenden Unfallverhütungsvorschrift als Erstuntersuchung vor der Aufnahme der Beschäftigung und als Nachuntersuchungen während der Beschäftigung zu geschehen. Vorliegend ist der Arbeitgeber nach § 8 UVV "Lärm" verpflichtet, für die Durchführung der Vorsorgeuntersuchungen der in den Lärmbereichen beschäftigten Arbeitnehmer Sorge zu tragen. Gemäß § 10 UVV darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht weiterbeschäftigen, wenn dieser nicht im Abstand von drei Jahren untersucht worden ist und diese Untersuchungen zu keinen gesundheitlichen Bedenken gegen eine Weiterbeschäftigung im Lärmbereich Anlaß gegeben haben.
b) Diese Bestimmungen verpflichten zwar in erster Linie den Arbeitgeber gegenüber den zum Erlaß der Unfallverhütungsvorschriften ermächtigten Berufsgenossenschaften (§ 708 Abs. 1 Nr. 3 RVO). Ihre Beachtung wird durch die Androhung von Bußgeld (§ 710 RVO) sanktioniert. Sie beinhalten trotz ihres öffentlich-rechtlichen Charakters aber zugleich eine arbeitsvertragliche Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer, diesen an den Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen zu lassen und alles zu tun, um den mit den besonderen Betriebsgefahren verbundenen Gesundheitsgefährdungen entgegenzuwirken (vgl. BAG Urteil vom 10. März 1976 - 5 AZR 34/75 - AP Nr. 17 zu § 618 BGB, zu 1 der Gründe, mit zust. Anm. Herschel; BAG Urteil vom 20. April 1983 - 5 AZR 624/80 - unveröffentlicht; Söllner, Arbeitsrecht, 7. Aufl., S. 179 ff.).
4. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob es sich im vorliegenden Fall um eine vom Beklagten zu vertretende vorübergehende subjektive Unmöglichkeit der Arbeitsleistung handelt und ob der Kläger dementsprechend den Anspruch auf seinen Durchschnittslohn nach § 324 Abs. 1 BGB behalten hat. Weiter kommt es nicht mehr darauf an, ob auch die Voraussetzungen des § 43 MTW gegeben sind.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Dr. Röhsler Dörner Schneider
Wendlandt Möller-Lücking
Fundstellen
Haufe-Index 440727 |
EEK, I/943 (ST1) |