Leitsatz (redaktionell)
(Auswirkung des § 8 MuSchG auf Wirksamkeit und Anfechtung des Vertrages)
1. Der Arbeitsvertrag mit einer schwangeren Arbeitnehmerin, durch den diese sich ausschließlich zu Nachtarbeit im Sinne des § 8 MuSchG verpflichtet, ist nicht wegen Verstoßes gegen ein Beschäftigungsverbot nach § 134 BGB nichtig, wenn bei Vertragsabschluß noch mit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 8 Abs 6 MuSchG zu rechnen ist.
2. In diesem Falle ist die Schwangerschaft auch noch keine verkehrswesentliche Eigenschaft, die den Arbeitgeber zur Anfechtung des Arbeitsvertrages nach § 119 BGB berechtigt.
3. Die schwangere Arbeitnehmerin ist bei dieser Fallgestaltung jedoch von sich aus ohne Befragen verpflichtet, ihre Schwangerschaft zu offenbaren. Kommt sie ihrer Offenbarungspflicht nicht nach, so können die Voraussetzungen der Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB erfüllt sein.
Verfahrensgang
LAG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 16.12.1987; Aktenzeichen 5 Sa 711/87) |
ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 14.10.1987; Aktenzeichen 2a Ca 905/87) |
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Anfechtung des zwischen ihnen begründeten Arbeitsvertrages durch die Beklagte wegen Täuschung (§ 123 BGB) und Irrtums (§ 119 BGB).
Die Beklagte betreibt ein Altenheim mit ca. 120 Plätzen, wovon etwa 40 Plätze für pflegebedürftige Personen vorgesehen sind. Der Nachtdienst wird regelmäßig von zwei Pflegekräften versehen, von denen eine für die "Allgemeine Station" und eine für die "Pflegestation" zuständig ist.
Die am 7. Oktober 1959 geborene Klägerin bewarb sich am 26. März 1987 bei der Beklagten um eine Arbeit während der Nachtzeit. Sie war seit August 1982 nicht mehr berufstätig gewesen. Da damals keine Stelle frei war, kamen die Parteien überein, die Klägerin bei Freiwerden eines entsprechenden Arbeitsplatzes einzustellen.
Am 22. April 1987 bot die Beklagte der Klägerin telefonisch an, noch am gleichen Abend die Tätigkeit bei ihr aufzunehmen. Die Klägerin arbeitete zunächst fünf Nächte vom 22. bis 26. April 1987 jeweils von 22.00 bis 6.00 Uhr. Bei dem Vorstellungsgespräch im März und bei der Arbeitsaufnahme am 22. April 1987 fragte die Beklagte die Klägerin nicht nach dem Bestehen einer Schwangerschaft. Am 2. Mai 1987, als die Klägerin erneut zur Arbeit erschien, zahlte ihr eine Mitarbeiterin der Beklagten den Lohn für die Arbeitstage im April bar aus und legte ihr einen Formulararbeitsvertrag vor. In diesem Vertragsentwurf hatte die Buchhalterin der Beklagten als Beginn des Arbeitsverhältnisses den 7. Mai 1987, als monatliches Grundgehalt 2.000,-- DM sowie einen Jahresurlaub von 25 Arbeitstagen eingetragen. Auf Verlangen der Klägerin wurde der Vertragstext geändert und als Beginn des Arbeitsverhältnisses der 2. Mai 1987, als monatliches Grundgehalt 2.300,-- DM und 27 Arbeitstage Jahresurlaub eingetragen. Diesen geänderten Vertrag unterzeichnete die Klägerin am 5. Mai 1987. Laut § 1 des Vertrages (Tätigkeitsbeschreibung) wurde die Klägerin als "Nachtwache" eingestellt. § 12 lautet u. a.: "Der Arbeitnehmer versichert, nicht schwanger zu sein."
Am 12. Mai 1987 teilte die Klägerin der Beklagten mit, sie sei schwanger, das Gewerbeaufsichtsamt habe jedoch in Aussicht gestellt, sie auf entsprechenden Antrag der Beklagten von dem Nachtarbeitsverbot für Schwangere freizustellen. Einen solchen Antrag stellte die Beklagte nicht. Aus einem im Rechtsstreit vorgelegten Attest vom 21. Mai 1987 ergibt sich eine Schwangerschaft in der 9. Woche, voraussichtlicher Tag der Niederkunft war danach der 2. Januar 1988.
Mit Einschreiben vom 20. Mai 1987, das der Klägerin am 21. oder 22. Mai zuging, hat die Beklagte, die vom 2. bis 12. Mai einen auswärtigen Kurs besucht hatte, den mit der Klägerin geschlossenen Arbeitsvertrag angefochten. Als Begründung gab sie an, die Klägerin habe sie bei Vertragsschluß arglistig über die bestehende Schwangerschaft getäuscht. Außerdem sei die Klägerin infolge ihrer Schwangerschaft außerstande, die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen.
Mit Bescheid vom 15. Juni 1987 lehnte das Gewerbeaufsichtsamt Itzehoe einen von der Beklagten gestellten Antrag auf Zulassung einer Kündigung der Klägerin gemäß § 9 Abs. 3 MuSchG ab.
Ihren gegen den Bescheid erhobenen Widerspruch nahm die Beklagte zurück.
Die Klägerin hat vorgetragen, bereits bei der Vorstellung am 26. März 1987 habe ein ausführliches Gespräch stattgefunden, in dessen Rahmen die näheren Modalitäten des Arbeitsvertrages besprochen worden seien. Am 22. April seien die Parteien übereingekommen, sie solle von diesem Tage an als Nachtwache für die Beklagte mit einem Grundgehalt von 2.300,-- DM zuzüglich 300,-- DM Nachtwachenzuschlag tätig sein. Die Beklagte habe bei dieser Gelegenheit angekündigt, in den folgenden Tagen einen schriftlichen Arbeitsvertrag vorzulegen. Nachdem sie auf einigen Änderungen des am 2. Mai vorgelegten Vertrages bestanden habe, habe sie das von der Beklagten unterschriebene Exemplar einige Tage später bei der Nachtwache in einem Fach vorgefunden. Die Beklagte habe den Vertrag mit Sicherheit vor dem 13. Mai unterzeichnet. An diesem Tag habe sie sich nämlich bereits in einem Urlaub befunden, aus dem sie erst am 18. Mai 1987 zurückgekehrt sei.
Von ihrer Schwangerschaft habe sie, die Klägerin, erst am 12. Mai 1987 erfahren. Sie habe die Beklagte daher auch nicht getäuscht. Die Beklagte sei an einer Anfechtung aber auch deshalb gehindert, weil das Gewerbeaufsichtsamt eine Ausnahmegenehmigung vom Verbot der Nachtarbeit in Aussicht gestellt hätte. Diese Genehmigung wäre bei entsprechender Antragstellung der Beklagten erteilt worden. Mit der Arbeit als Nachtwache wäre sie weder überfordert gewesen noch hätte eine Gefahr für die Heimbewohner bestanden, dies schon nicht wegen der Anwesenheit einer zweiten Nachtwache.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der
Parteien durch die von der Beklagten mit Schreiben
vom 20. Mai 1987 ausgesprochene Anfechtung nicht
aufgehoben worden sei, sondern fortbestehe.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt.
Sie hat geltend gemacht, die Klägerin habe am 22. April 1987 zunächst eine von vornherein zeitlich befristete Tätigkeit ausgeübt. Damals sei an den Abschluß eines unbefristeten Arbeitsvertrages noch nicht gedacht worden. Erst durch die Unterzeichnung des schriftlichen Vertrages sei ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande gekommen.
Die Klägerin habe sie bewußt getäuscht, denn diese habe bereits vor dem 22. April 1987 von ihrer Schwangerschaft gewußt. Sie habe nämlich Kolleginnen gegenüber erklärt, bei der Geburt ihres ersten Kindes in gleicher Weise verfahren zu sein, wegen der Schwangerschaft könne man ihr nichts anhaben.
Die Klägerin habe nicht anderweitig im Tagdienst beschäftigt werden können. Die Tätigkeit als Nachtwache auf der Pflegestation, für die die Klägerin vorgesehen gewesen sei, erfordere besondere Kenntnisse, über die die allgemeine Nachtwache nicht verfüge. Bei einem Einsatz als Nachtwache wäre mit kurzfristigen schwangerschaftsbedingten Ausfällen zu rechnen gewesen. Dabei hätte die Gefahr für Leib und Leben der zu betreuenden Heimbewohner bestanden. Es sei ihr daher unzumutbar gewesen, eine Ausnahme von dem Nachtarbeitsverbot zu beantragen. Bei einem Einsatz der Klägerin trotz ihrer Schwangerschaft hätten zivilrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen gedroht, wenn Heiminsassen dabei Schaden erlitten hätten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Sachantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
A. Das Landesarbeitsgericht hat die mit Schreiben vom 20. Mai 1987 von der Beklagten erklärte Anfechtung des Arbeitsvertrages für wirksam erachtet. Es hat angenommen, die Beklagte habe sich über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Klägerin geirrt.In der Regel sei die Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin zwar keine verkehrswesentliche Eigenschaft. Könne eine schwangere Arbeitnehmerin ihre Tätigkeit aber wegen des gesetzlichen Beschäftigungsverbotes des § 8 MuSchG erst gar nicht aufnehmen, sei dies den Sonderfällen gleichzusetzen, in denen die Schwangerschaft deswegen verkehrswesentlich sei, weil die Arbeitnehmerin im Hinblick auf ein befristetes Arbeitsverhältnis für relativ erhebliche Zeit ausfalle.
Allein die Bereitschaft des Gewerbeaufsichtsamtes, eine Ausnahmegenehmigung vom Verbot der Nachtarbeit zu erteilen, führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Beklagte habe keinen entsprechenden Antrag gestellt und müsse sich auch nicht so behandeln lassen, als habe sie dies getan. Die Heimbewohner bedürften ständiger Überwachung und Betreuung. Im Betrieb der Beklagten sei zwar eine zweite Nachtwache tätig. Für die Nachtwache der Pflegestation sei jedoch eine besondere berufliche Qualifikation vorgeschrieben, die seinerzeit nur die Klägerin gehabt habe, wie die Beklagte unwidersprochen vorgetragen habe.
Ob es der Beklagten zumutbar gewesen wäre, die Klägerin auf einem anderen Arbeitsplatz einzusetzen, könne dahinstehen. Entscheidend sei, daß die Klägerin nach dem Arbeitsvertrag ausdrücklich als Nachtwache eingestellt worden sei. Daß ein Arbeitsplatz mit 40-stündiger Tätigkeit im Tagesdienst frei gewesen wäre, ergebe sich im übrigen aus dem Vortrag der Parteien nicht.
B. Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
I. Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei von der Zulässigkeit der erhobenen allgemeinen Feststellungsklage gemäß § 256 Abs. 1 ZPO ausgegangen, denn das Begehren der Klägerin ist auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses gerichtet. Die Klägerin wollte nicht etwa nur - unzulässig - die Unwirksamkeit der von der Beklagten ausgesprochenen Anfechtung festgestellt haben (vgl. BGHZ 37, 331, 333; KR-Friedrich, 2. Aufl., § 13 KSchG Rz 311; Zöller/Stephan, ZPO, 15. Aufl., § 256 Rz 3), sondern sie hat durch den Antragszusatz "sondern fortbesteht" erkennen lassen, daß es ihr um die Feststellung des Fortbestehens ihres Arbeitsverhältnisses über den Tag des Zugangs der Anfechtungserklärung hinaus geht.
II. Die bisher getroffenen Feststellungen tragen die Klageabweisung nicht.
1. Das Berufungsgericht ist allerdings ohne Begründung zutreffend davon ausgegangen, der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag sei nicht gemäß § 134 BGB nichtig.
a) Für den Fall des anfänglichen Eingreifens mutterschutzrechtlicher absoluter Beschäftigungsverbote gem. § 4 MuSchG hat der Erste Senat des BAG (BAGE 3, 309, 311 = AP Nr. 2 zu § 4 MuSchG) die Ansicht vertreten, der von einer ohne ihr Wissen bereits schwangeren Arbeitnehmerin geschlossene Arbeitsvertrag, wonach sie nur mit Arbeiten beschäftigt werden könne, die nach § 4 MuSchG verboten seien, sei gemäß § 134 BGB rechtsunwirksam. In der Regel komme die Nichtigkeit eines Vertrages zwar nur in Betracht, wenn sich das Verbot gegen beide Vertragspartner richte. Gleichwohl führe das nur an den Arbeitgeber gerichtete Verbot, die schwangere Arbeitnehmerin mit bestimmten Aufgaben zu beschäftigen, aber zur Nichtigkeit, da das Gesetz den mit dem Rechtsgeschäft bezweckten Erfolg schlechthin verhindern wolle.
Der erkennende Senat hat sich dieser Auffassung angeschlossen (Urteil vom 6. Oktober 1962 - 2 AZR 360/61- AP Nr. 24 zu § 9 MuSchG). Die Instanzgerichte und die Literatur sind dem im wesentlichen gefolgt. Teilweise wird, der Formulierung des Senats folgend, ein Arbeitsvertrag für nichtig gehalten, wenn die darin vereinbarte Leistung ganz oder überwiegend verboten ist (LAG Berlin vom 13. Juni 1977, BB 1977, 1554; LAG München vom 30. Juli 1958, SAE 1960, 114, 115; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 32 IV 2; Bauderer, SAE 1960, 115; Münch-Komm/Mayer-Maly, 2. Aufl., § 134 BGB Rz 68; Meisel/Sowka, MuSchG, 3. Aufl., § 9 Rz 25; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, MuSchG, § 9 Rz 33). Zum Teil wird darauf abgestellt, ob eine erlaubte Beschäftigung der Arbeitnehmerin (tatsächlich) möglich ist (LAG Düsseldorf vom 27. Oktober 1966, BB 1967, 1002; ArbG Rheine vom 30. Juli 1965, BB 1965, 1070; Bulla, ArbRGW 1, 1963, 42, 54; Bulla/Buchner, MuSchG, Rz 35 vor § 3; Gröninger/Thomas, MuSchG, § 3 Rz 2 a und § 8 Rz 4 b). Einen ähnlichen Standpunkt vertritt Gamillscheg (Festschrift für Werner Weber, 1974, 793), der auf eine Möglichkeit der Umsetzung im Betrieb unter Beibehaltung der geschuldeten Art der Arbeit abstellt.
Eine Mindermeinung hält die Nichtigkeit eines Vertrages auf Grund eines Beschäftigungsverbotes für ausgeschlossen (LAG Berlin vom 27. November 1956, DB 1957, 1131; Ramm, AuR 1963, 161, 173; Heilmann, Komm. z. MuSchG, 1984, vor §§ 3 - 8 Anm. 15; KR-Becker, aa0, § 9 MuSchG Rz 135).
b) Der Senat kann es vorliegend dahingestellt sein lassen, ob an der bisherigen Rechtsprechung des Ersten und des erkennenden Senates uneingeschränkt festzuhalten ist (Bedenken sind insoweit bereits vom Siebten Senat im Urteil vom 5. Dezember 1980 - 7 AZR 925/78 - nicht veröffentlicht, erhoben worden), da vom Berufungsgericht Tatsachen, die die Norm des § 4 MuSchG ausfüllen könnten, nicht festgestellt sind.
aa) Vorliegend kommt nur ein Beschäftigungsverbot nach § 8 MuSchG in Betracht. Es stand hierbei nicht von vornherein fest, daß der Klägerin die in Aussicht genommene Tätigkeit verboten sein werde. Das Nachtarbeitsverbot für Schwangere ist kein absolutes Verbot, sondern ein solches mit Erlaubnisvorbehalt. Die zuständige Behörde kann sowohl vor als auch nach der Entbindung eine Ausnahme zulassen (§ 8 Abs. 6 bzw. § 6 Abs. 3 i.Verb. m. § 4 Abs. 3 Satz 2 MuSchG). Erst wenn eine Ausnahmegenehmigung endgültig nicht erteilt wird, steht fest, daß Schwangerschaft und geschuldete Arbeitsleistung miteinander unvereinbar sind, der Schwangerschaft damit zugleich nach herrschender Meinung (vgl. unten zu II 2 a der Gründe) auch verkehrswesentliche Eigenschaft zukommt.
bb) Nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag sollte die Klägerin als Nachtschwester vom 22.00 bis 6.00 Uhr arbeiten. Ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Schwangerschaftsattestes war sie seit 28. März 1983 schwanger (vgl. zur Berechnung: Senatsurteile vom 27. Oktober 1983 - 2 AZR 566/82 -; 12. Dezember 1985 - 2 AZR 82/85 - AP Nr. 14 bzw. 15 zu § 9 MuSchG 1968).
cc) Das in § 8 Abs. 1 Satz 1 MuSchG angeordnete Nachtarbeitsverbot führt jedenfalls dann nicht zur Nichtigkeit eines mit einer Schwangeren geschlossenen Arbeitsvertrages, wenn zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages eine Ausnahmegenehmigung nach § 8 Abs. 6 MuSchG noch nicht versagt ist oder wenn nicht feststeht, daß sie abgelehnt worden wäre. Die Erteilung der Ausnahmegenehmigung ist weder von einem förmlichen Antrag des Arbeitgebers noch einem des Arbeitnehmers abhängig (Bulla/Buchner, aa0, § 8 Rz 60; Heilmann, aa0, § 8 Rz 56). Selbst wenn die Auffassung vertreten wird, es obliege der schwangeren Arbeitnehmerin, für die Erteilung der Erlaubnis zu sorgen, da die mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote Leistungshindernisse in ihrer Person darstellten (vgl. BAG Urteil vom 19. Januar 1977, aa0, zu III 2 a der Gründe), wäre die Klägerin im vorliegenden Fall ihrer Mitwirkungspflicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Sie hat sich bei der zuständigen Behörde über die Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung erkundigt und eine grundsätzlich positive Stellungnahme erhalten, die lediglich unter dem Vorbehalt des Ergebnisses einer gynäkologischen Untersuchung stand.
2. Aus im wesentlichen gleichen Erwägungen kann der Ansicht des Berufungsgerichts nicht gefolgt werden, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch Anfechtung wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Klägerin gemäß § 119 Abs. 2 BGB beendet worden.
Eine solche Anfechtung wegen Irrtums käme in Betracht, wenn sich die Beklagte bei Abschluß des Arbeitsvertrages über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Klägerin geirrt und ihre Erklärung nach Kenntnis des Anfechtungsgrundes unverzüglich angefochten hätte. Diese Voraussetzungen liegen indessen nicht vor.
a) Die Schwangerschaft der Klägerin ist jedenfalls hinsichtlich der vorliegenden Fallgestaltung keine verkehrswesentliche Eigenschaft. Die Schwangerschaft ist zwar eine Eigenschaft. In Rechtsprechung (BAG Urteile vom 8. Juni 1955 - 2 AZR 14/54 - AP Nr. 2 zu § 9 MuSchG, zu III der Gründe; BAGE 11, 270, 272 = AP Nr. 15 zu § 123 BGB) und Literatur (Bulla, AR-Blattei "Mutterschutz" Anm. zu Entsch. Nr. 17, zu 3 b der Gründe; Beitzke, Anm. zu AP Nr. 24 zu § 9 MuSchG; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, aa0, § 9 Rz 35; Bulla/Buchner, aa0, § 5 Rz 95; Gröninger/Thomas, aa0, § 9 Rz 7 b aa; KR-Becker, aa0, § 9 MuSchG Rz 137; Herschel, SAE 1963, 35; Soergel/Hefermehl, BGB, 11. Aufl., § 119 Rz 46; RGRK-Krüger/Nieland, § 119 BGB Rz 51; Hofmann, ZfA 1975, 56; M. Wolf/Gangel, AuR 1982, 271, 278) besteht aber Einigkeit darüber, daß sie bei Abschluß eines Arbeitsvertrages regelmäßig nicht verkehrswesentlich ist, da es sich lediglich um einen vorübergehenden Zustand handelt. Hiervon werden allerdings Ausnahmen anerkannt. Wird ein Arbeitsverhältnis befristet begründet und steht die Schwangerschaft der in Aussicht genommenen Tätigkeit für einen im Verhältnis zur Vertragsdauer erheblichen Zeitraum entgegen, so ist die Schwangerschaft nach dem Senatsurteil vom 6. Oktober 1962 (- 2 AZR 360/61 - AP Nr. 24 zu § 9 MuSchG) als verkehrswesentlich anzusehen (vgl. auch Heilmann, aa0, Anm. 15 vor § 3 - 8 MuSchG; KR-Becker, aa0, § 9 MuSchG Rz 137; Herschel, SAE 1963, 35; Beitzke, Anm. zu AP Nr. 24 zu § 9 MuSchG; RGRK-Krüger/Nieland, aa0, § 119 Rz 51; Soergel/Hefermehl, aa0, § 119 Rz 46; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, aa0, § 9 Rz 35; Gröninger/Thomas, aa0, § 9 Anm. 7 b aa; Bulla/Buchner, aa0, § 5 Rz 98; Meisel/Sowka, aa0, § 9 Rz 42).
b) Das gleiche soll nach einem Urteil des Ersten Senats vom 22. September 1961 gelten, wenn die geschuldete Arbeitsleistung und die Schwangerschaft schlechthin unvereinbar sind (BAGE 11, 270, 272 f. = AP Nr. 15 zu § 123 BGB; ebenso: LAG Bremen vom 24. Februar 1960, AuR 1960, 187 ff.; LAG Baden-Württemberg vom 18. November 1963, BB 1964, 176; ArbG Celle vom 12. Juli 1978, ARSt 1979, 94; Neumann-Duesberg, JZ 1962, 204, 206; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, aa0, § 9 Rz 35; Meisel/Sowka, aa0, § 9 Rz 40; Soergel/Hefermehl, aa0, § 119 Rz 46; Stahlhacke, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 4. Aufl., Rz 660; Schaub, aa0, § 35 II 4; Beitzke, Anm. zu AP Nr. 24 zu § 9 MuSchG; Bulla/Buchner, aa0, § 5 Rz 97; Hofmann, ZfA 1975, 1, 56; Krüger/Nieland, aa0, § 119 Rz 51; Staudinger/Dilcher, aa0, § 119 Rz 49; Gröninger/Thomas, aa0, § 9 Anm. 7 b, aa; a. A. wohl Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd.I, § 69 III 8 b; Larenz, Anm. zu AP Nr. 1 zu § 119 BGB; Ramm, AuR 1963, 161, 173 f.; M. Wolf/ Gangel, AuR 1982, 271, 278; wohl auch KR-Becker, aa0, § 9 MuSchG Rz 137 und Heilmann, aa0, Anm. 15 vor §§ 3 -8 MuSchG).
c) Auch insoweit bedarf es keiner grundsätzlichen Überprüfung der überwiegend vertretenen Auffassung. Eine Anfechtungsmöglichkeit nach § 119 BGB ist jedenfalls im Hinblick auf § 8 Abs. 6 MuschG dann zu verneinen, wenn zum Anfechtungszeitpunkt noch nicht feststeht, daß eine Ausnahmeerlaubnis nicht erteilt worden wäre. Die Regelungen im MuSchG stehen der Anfechtung eines Arbeitsvertrages zwar nicht schlechthin entgegen (BAGE 3, 309, 312 = AP Nr. 2 zu § 4 MuSchG; BAGE 5, 159, 163 = AP Nr. 2 zu § 123 BGB; BAGE 11, 270, 272 = AP Nr. 16 zu § 123 BGB; Senatsurteil vom 6. Oktober 1962, aa0; Neumann-Duesberg, JZ 1962, 204, 205; KR-Becker, aa0, § 9 MuSchG Rz 136; Herschel, SAE 1963, 35; a. A. Hueck/Nipperdey,aa0), die Bestimmung der Verkehrswesentlichkeit muß aber unter Einbeziehung der Vorschriften des Mutterschutzgesetzes bewertet werden, die der Schwangeren die Ausübung an sich verbotener Tätigkeit nach Erlaubniserteilung gestatten.
d) Auch soweit die Beklagte sich darauf beruft, die Erfüllung des Vertragszweckes sei von Anfang an unmöglich gewesen, weil die Beschäftigung der Schwangeren für sie unzumutbar gewesen sei, hat sie damit keinen Erfolg. Sie hat die Voraussetzung einer solchen Unzumutbarkeit nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Es ist zwar einsichtig, daß eine Station mit 40 pflegebedürftigen Personen ständiger Überwachung bedarf. Die Beklagte hat aber nicht ausreichend vorgetragen, weshalb mit einem plötzlichen Ausfall der Klägerin zu rechnen gewesen wäre. Diese Gefahr sachkundig zu bewerten, wäre gerade Aufgabe der vom Gewerbeaufsichtsamt für die Erteilung der Ausnahmegenehmigung vorausgesetzten gynäkologischen Untersuchung gewesen. Die Beklagte hat weiterhin nicht dargelegt, weshalb die zweite Nachtwache nicht in der Lage gewesen wäre, in Gefahrsituationen einzuspringen, insbesondere welche Spezialkenntnisse es sind, über die nur die Klägerin, nicht aber die zweite Nachtwache verfügte, und welche Bedeutung diese Kenntnis im Notfall gehabt hätten. In akuten Notfällen, also bei der von der Beklagten angeführten Gefahr für Leib und Leben der Patienten, hätte auch die Klägerin ohnehin nur einen Arzt zur Hilfe rufen können. Daß die zweite Nachtwache hierzu nicht in der Lage gewesen wäre, hätte näherer Begründung bedurft.
Ebensowenig hat die Beklagte dargelegt, weshalb die zweite Nachtwache aufgrund der räumlichen Verhältnisse nicht in der Lage gewesen sein soll, einen plötzlichen Arbeitsausfall der Klägerin zu bemerken, um entsprechend zu reagieren.
3. Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommt es damit entscheidend darauf an, ob die Klägerin der Beklagten das Nichtvorliegen einer Schwangerschaft i. S. des § 123 BGB arglistig vorgetäuscht und sie dadurch zum Abschluß des Arbeitsverhältnisses veranlaßt hat. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht Feststellungen nicht getroffen.
a) Wie zwischen den Parteien unstreitig ist, brauchte die Beklagte dringend nur eine Arbeitskraft und diese nur für die Nachtarbeit. Selbst wenn § 8 Abs. 6 MuSchG Ausnahmegenehmigungen von den Beschäftigungsverboten der Nachtarbeit vorsieht, so war es, auch aus der Sicht der Klägerin, für die Beklagte ganz erheblich, zu wissen, ob die Klägerin sofort und hne bereits feststehende Unterbrechungen (§§ 3 ff. MuSchG) einsatzfähig sein werde. Die Tatsache einer Schwangerschaft in Verbindung mit einer noch nicht erteilten Ausnahmegenehmigung nach § 8 Abs. 6 MuSchG hatte vorliegend offensichtliche und erhebliche Folgen für die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin wäre unter diesen Umständen verpflichtet gewesen, der Beklagten von sich aus das Vorliegen einer Schwangerschaft zu offenbaren, sofern sie hiervon zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wußte (vgl. KR-Becker, aa0, § 9 MuSchG Rz 138; Meisel/Sowka, aa0, § 9 Rz 36; Gröninger/Thomas, aa0, § 9 Anm. 7 b bb). Da diese Offenbarungspflicht der Klägerin mit Rücksicht auf § 8 MuSchG und der sich daraus ergebenden Schwierigkeiten der Vertragserfüllung auch ohne ausdrückliches Befragen durch die Beklagte bestand, ist es unerheblich, ob zwischen den Parteien ein Vertrag auf unbestimmte Zeit bereits am 22. April (so Vortrag der Klägerin) oder erst am 5. Mai 1987 (so Vortrag der Beklagten) abgeschlossen worden ist. Nach ihrem eigenen Vortrag in Verbindung mit der von der Beklagten behaupteten Kenntnis von der Schwangerschaft könnte die Klägerin eine Täuschung durch Verschweigen der Schwangerschaft begangen haben. Trift die Darstellung der Beklagten zu, dann liegt darüber hinaus eine Täuschung durch wahrheitswidrige Beantwortung der ihr gestellten Frage vor (BAG Urteil vom 22. September 1961 - 1 AZR 241/60 - AP Nr. 15 zu § 123 BGB). Auf den genauen Zeitpunkt des Vertragsschlusses kommt es nur dann an, wenn die Klägerin am 22. April 1987 noch nichts von ihrer Schwangerschaft gewußt haben sollte. Zu prüfen wäre dann allerdings auch, ob die Vertragsunterzeichnung nicht nur klarstellende Bedeutung haben sollte, sondern nach den Vorstellungen der Parteien hierdurch ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit begründet werden sollte.
Die Beklagte hat schlüssig vorgetragen und unter Beweis gestellt, daß der Klägerin die Tatsache ihrer Schwangerschaft bereits vor dem 22. April 1987 bekannt gewesen sei.
b) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Anfechtung im Sinne des § 121 BGB unverzüglich erklärt worden ist, weil die vorliegend einschlägige Frist des § 124 BGB (vgl. BAG Urteil vom 19. Mai 1983 - 2 AZR 171/81 - AP Nr. 25 zu § 123 BGB) von der Beklagten eingehalten worden ist.
c) Das Landesarbeitsgericht wird daher zu überprüfen habe, ob der Klägerin schon vor dem 22. April oder zu welchem späteren Zeitpunkt vor dem 5. Mai 1987 die Tatsache ihrer Schwangerschaft bereits bekannt war.
Hillebrecht Triebfürst Ascheid
Weyers Dr. Bächle
Fundstellen
BAGE 59, 285-295 (LT1-3) |
BAGE, 285 |
BB 1989, 556-558 (LT1-3) |
DB 1989, 585-587 (LT1-3) |
NJW 1989, 929 |
NJW 1989, 929-931 (LT1-3) |
EBE/BAG 1988, 20-23 (LT1-3) |
AiB 1989, 176-176 (LT1-3) |
AuB 1990, 28 (T) |
BetrR 1989, 89-90 (LT1-3) |
Stbg 1990, 90-90 (T) |
ARST 1989, 87-88 (LT1-3) |
DOK 1989, 549 (K) |
EEK, III/089 (LT1-3) |
Gewerkschafter 1989, Nr 5, 39-39 (T) |
NZA 1989, 178-180 (LT1-3) |
RdA 1989, 129 |
RzK, I 9h Nr 12 (LT1-3) |
SAE 1990, 367-370 (LT1-3) |
USK, 88115 (ST) |
WzS 1989, 223 (K) |
WzS 1992, 763 (L) |
ZTR 1989, 157.158 (LT1-3) |
AP § 8 MuSchG 1968 (LT1-3), Nr 1 |
ArbuR 1990, 29-30 (LT1-3) |
EzA § 8 MuSchG, Nr 1 (LT1-3) |
EzBAT § 4 BAT Anfechtung, Nr 12 (LT1-3) |
SVFAng Nr 56, 13 (1989) (K) |