Entscheidungsstichwort (Thema)
Heimzulage eines Erziehers;
Orientierungssatz
Ein Erzieher in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie hat keinen Anspruch auf eine Heimzulage, da die Erziehung der Kinder oder Jugendlichen nicht Zweck der Unterbringung ist.
Normenkette
Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) Anlage 1 a zu Einzelgruppenplan (EGP) Ziff. 21; BGB § 242
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 23. März 1999 – 12 Sa 426/98 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Fortzahlung einer Heimzulage, die der Kläger bis zum 31. Dezember 1996 erhielt.
Der Kläger ist seit dem 12. Januar 1988 bei dem beklagten Verein als Erzieher beschäftigt. Nach § 10 des Arbeitsvertrags vom 11. Dezember 1987 gelten für das Arbeitsverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR-DW), mit Ausnahme der §§ 13 a, 15, 18 und 28 b, in der jeweils gültigen Fassung.
Der Beklagte unterhält ein Altenpflegeheim, im Bereich der Jugendhilfe verschiedene Kleinstheime sowie heilpädagogische Tagesgruppen, eine Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, eine Schule für Erziehungshilfe sowie eine Fachschule für Heilpädagogik. Der Kläger ist in der von einem Arzt geleiteten Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie tätig. Die Klinik dient der kinder- und jugendpsychiatrischen Untersuchung und Behandlung von Patienten mit milieureaktiven, psychosomatischen, hirnorganischen und psychotischen Störungen. Sie nimmt Patienten im Alter von 4 bis 18 Jahren auf, die auf sechs Akut-/Psychotherapie-Stationen mit eigenen Aktivitäts- und Tagesräumen zu je 10 Patienten leben.
Der Beklagte zahlte dem Kläger bis zum 31. Dezember 1996 eine Heimzulage nach Anmerkung 1 Einzelgruppenplan 21 der Anlage 1 a AVR-DW (Anmerkung 1 zu EGP 21) in Höhe von 120,00 DM monatlich. Seit 1. Januar 1997 lehnt er die Zahlung dieser Zulage ab.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe gegen den Beklagten weiterhin Anspruch auf die Heimzulage. Die Klinik sei ein Heim im Sinne der Anmerkung 1 zu EGP 21. Er wirke auf die Kinder zum Zwecke der Erziehung ein, da diese in der Klinik ständig untergebracht seien. Die sechs Stationen der Klinik mit ihren jeweils 9 bis 10 Patienten verstünden sich als therapeutische Ergänzungsfamilie, in welcher die Kinder und Jugendlichen die Gelegenheit hätten, ihre ursprünglichen Schwierigkeiten mit der engsten Umgebung wieder zu erleben, allerdings durch therapeutische Arbeit positiv modifiziert. Nach den Konzepten des Beklagten sei die Differenz zwischen pädagogischem Inhalt und therapeutischem Handeln aufgehoben. Die Heimerziehung werde hier mit einem hohen Anteil professioneller, fachbezogener, therapeutischer Ergänzung durchgeführt entsprechend der Schwere der seelischen Störungen der zu Betreuenden. Der erzieherische und pädagogische Aspekt sei unverzichtbarer Teil der konzeptionellen Herangehensweise zur Beilegung der seelischen Störungen der zu betreuenden Kinder und Jugendlichen. Außerdem ergebe sich sein Anspruch auf die Heimzulage aus betrieblicher Übung. Die für den öffentlichen Dienst geltenden hohen Anforderungen seien vorliegend nicht zu stellen. Von einem mangelnden Verpflichtungswillen des Beklagten könne nach diesen Grundsätzen nicht ausgegangen werden, weil die AVR-DW nicht in vollem Umfang auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fänden.
Der Kläger hat beantragt,
- den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 1.440,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem dem Bruttobetrag entsprechenden Nettobetrag seit 1. Januar 1998 zu zahlen,
- festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 1. Januar 1998 eine Heimzulage von 120,00 DM brutto monatlich nebst 4 % Zinsen aus dem dem Bruttobetrag entsprechenden Nettobetrag ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Heimzulage, da die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie kein Heim, sondern ein Krankenhaus sei. Die Unterbringung der Kinder und Jugendlichen in dieser Klinik erfolge zu therapeutischen Zwecken, nicht aber zur Ausbildung oder Erziehung der Patienten. Der Kläger könne seinen Anspruch auch nicht aus der Gewährung der Heimzulage in der Vergangenheit herleiten. Die Heimzulage sei ihm irrtümlich gezahlt worden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung der Heimzulage über den 31. Dezember 1996 hinaus.
1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend einen Anspruch des Klägers aus § 611 BGB iVm. dem Arbeitsvertrag sowie der Anmerkung 1 zu EGP 21 verneint.
a) Nach § 10 des Arbeitsvertrags vom 11. Dezember 1987 finden die AVR-DW auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. In ihnen heißt es – soweit hier von Interesse –:
„21. Mitarbeiter im Sozial- und Erziehungsdienst
…
Anmerkungen zu EGP 21
(1) Die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter – ausgenommen die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter im handwerklichen Erziehungsdienst – erhält für die Dauer der Tätigkeit in einem Erziehungsheim, einem Kinder- oder einem Jugendwohnheim oder einer vergleichbaren Einrichtung (Heim) eine Zulage in Höhe von120,00 DM monatlich, wenn in dem Heim überwiegend Behinderte im Sinne des § 39 BSHG oder Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten zum Zwecke der Erziehung, Ausbildung oder Pflege ständig untergebracht sind; sind nicht überwiegend solche Personen ständig untergebracht, beträgt die Zulage60,00 DM monatlich. Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im handwerklichen, hauswirtschaftlichen oder landwirtschaftlichen Erziehungsdienst in einem Heim im Sinne des Unterabs. 1 erster Halbsatz beträgt die Zulage80,00 DM monatlich.
Die Bestimmungen über die Zulage finden entsprechende Anwendung auf die in Heimen für Nichtseßhafte und Gefährdete tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis einschließlich Vergütungsgruppe III.
…”
b) Der Kläger ist Mitarbeiter im Sozial- und Erziehungsdienst iSd. EGP 21. Nach §§ 1, 5 des Arbeitsvertrags der Parteien ist der Kläger als Erzieher im Sinne der VergGr. V c EGP 21 tätig. Die Anmerkung 1 zum EGP 21 findet daher Anwendung.
c) Der Kläger ist jedoch nicht in einem Heim im Sinne der Anmerkung 1 zu EGP 21 tätig, sondern in einer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Weder der Wortlaut der Anmerkung noch der Gesamtzusammenhang der AVR-DW, die bei deren Auslegung maßgebend zu berücksichtigen sind, lassen den Schluß zu, daß auch solche Mitarbeiter eine Heimzulage erhalten sollen, die außerhalb eines Heimes tätig sind (BAG 26. Mai 1993 – 4 AZR 149/92 – AP AVR Diakonisches Werk § 12 Nr. 2 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 28, zu II 1 c der Gründe; 26. Mai 1993 – 4 AZR 260/91 – AP AVR Diakonisches Werk § 12 Nr. 4, zu I 2 a der Gründe).
Nach den mit der Revision nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts dient die Klinik der kinder- und jugendpsychiatrischen Untersuchung und Behandlung von Patienten mit milieureaktiven, psychosomatischen, hirnorganischen und psychotischen Störungen. In die Klinik werden – auch nach den eigenen Einlassungen des Klägers – Patienten mit Psychosen sowie Erkrankungen mit schweren psychosozialen Auffälligkeiten mit Tendenzen zu Suizidalität und autoagressivem Verhalten aufgenommen. Der Anspruch auf die Heimzulage setzt nach der Anmerkung 1 zu EGP 21 voraus, daß es sich bei der Einrichtung um ein Heim handelt, in dem Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten ständig untergebracht sind, und daß diese Unterbringung zum Zwecke der Erziehung, Ausbildung oder Pflege geschieht. Beide Anspruchsvoraussetzungen müssen gegeben sein. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht offen gelassen, ob die Klinik ein „Heim” allgemeinen Sprachsinne ist und ob dort „Kinder oder Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten … ständig untergebracht sind”. Zutreffend hat es den Anspruch bereits deshalb verneint, weil die Unterbringung nicht „zum Zwecke der Erziehung, Ausbildung oder Pflege” erfolgt. In der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, in der der Kläger tätig ist, werden die Kinder und Jugendlichen nicht zum Zwecke ihrer Erziehung, sondern mit dem Ziel der Genesung von ihrer psychischen Erkrankung untergebracht. Die Einrichtung verfolgt nach dem insoweit übereinstimmenden Sachvortrag beider Parteien den Zweck, die Erkrankung der Patienten zu diagnostizieren und Therapiemaßnahmen zu beginnen. Die Erziehung der Kinder oder Jugendlichen ist nicht Zweck der Unterbringung. Die Kinder und Jugendlichen werden der Einrichtung zugewiesen, um ihre möglicherweise vorhandenen psychischen Erkrankungen zu diagnostizieren und soweit wie möglich einer Behandlung und Heilung zuzuführen. Wesentlich ist allein, daß die Kinder oder Jugendlichen zu diesem Zweck in die Einrichtung kommen. Daß hier die Erkrankung im Vordergrund steht, wird, worauf das Arbeitsgericht zu Recht hingewiesen hat, auch dadurch belegt, daß die entstehenden Kosten von den Krankenkassen getragen werden, während die Heimunterbringung von Kindern oder Jugendlichen mit Erziehungsschwierigkeiten im Rahmen der Jugendhilfe von den Kommunen und Landkreisen finanziert wird. Deshalb ist die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, in der der Kläger arbeitet, worauf der Beklagte auch in seinem Schriftsatz vom 15. Juni 1998 vom Kläger unwidersprochen hingewiesen hat, nicht ein Spezialheim, sondern ausschließlich ein Spezial-Krankenhaus im Sinne einer „Fachklinik”.
2. Der Kläger hat auch keinen einzelvertraglichen Anspruch auf Zahlung der Heimzulage nach § 5 seines Arbeitsvertrages. Zwar ist als Vergütungsbestandteil in § 5 des Vertrages ausdrücklich eine Heimzulage von 90,00 DM aufgeführt. Der die Aufzählung der Vergütungsbestandteile einleitende Satz des § 5 des Arbeitsvertrages bestimmt aber, daß sich die Vergütung des Klägers „bei Anwendung der AVR-DW … nach den Vergütungstabellen BAT/VKA zur Zeit wie folgt, bzw. für Mitarbeiter der Berufsgruppeneinteilung K. oder H. nach entsprechender Anlage der AVR-DW” errechne. Hieraus ergibt sich, daß der Kläger die ihm bei Anwendung der AVR-DW zustehende Vergütung und somit auch die danach geschuldete Heimzulage erhalten soll, nicht eine unabhängig davon vereinbarte Zulage. Hätten die Parteien dies gewollt, wäre in der Vergangenheit nicht die Heimzulage in Höhe von zuletzt 120,00 DM monatlich entsprechend den Bestimmungen der AVR-DW ausgezahlt worden. Hierauf hat das Landesarbeitsgericht zutreffend hingewiesen.
3. Der Anspruch kann auch nicht auf eine betriebliche Übung des Beklagten gestützt werden.
a) Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergütung auch für die Zukunft gewährt werden. Die betriebliche Übung enthält eine Willenserklärung des Arbeitgebers, die von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB). Daraus erwachsen vertragliche Ansprüche der Arbeitnehmer auf die üblich gewordene Vergünstigung. Die Bindungswirkung tritt nur ein, wenn die Arbeitnehmer auf Grund des Verhaltens des Arbeitgebers darauf vertrauen durften, die Leistung solle auch für die Zukunft gewährt werden (BAG 5. Mai 1986 – 4 AZR 556/83 –BAGE 52, 33, 49; 13. November 1986 – 6 AZR 567/83 – AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 27 = EzA BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 20, zu II 3 a der Gründe).
b) Für eine betriebliche Übung fehlt es am substantiierten Vortrag des Klägers. Dieser hat nicht dargelegt, daß andere vergleichbare Arbeitnehmer des Beklagten ohne Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen der AVR-DW eine Heimzulage erhalten haben. Der Beklagte hat sich allein durch die Gewährung der Heimzulage nicht konkludent zur weiteren Zahlung trotz Nichtvorliegens der Voraussetzungen verpflichtet. Ein Arbeitnehmer darf von einem entsprechenden Angebot auf Grund tatsächlichen Verhaltens des Arbeitgebers nur ausgehen, wenn sich hieraus der Wille des Arbeitgebers ergibt, dieser wolle den Arbeitsvertrag zugunsten des Arbeitnehmers ändern. Die tatsächliche Zahlung allein reicht in der Regel hierfür nicht aus, da andernfalls auch bei irrtümlichen Zahlungen ein entsprechender Anspruch des Arbeitnehmers entstehen würde. Es muß sich vielmehr für den Arbeitnehmer erkennbar aus den Gesamtumständen ergeben, der Arbeitgeber wolle sich auf Dauer über die bisher arbeitsvertraglich vereinbarten Leistungen hinaus zu einer weiteren Zahlung verpflichten. Hierfür sind vorliegend keine Anhaltspunkte gegeben. Aus dem Arbeitsvertrag geht hervor, daß die Rechte und Pflichten der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis sich allein nach den AVR-DW richten sollen. In § 10 ist deren Geltung in der jeweils geltenden Fassung vereinbart. Außerdem ist der Kläger selbst davon ausgegangen, ihm stehe der Anspruch nach den AVR-DW zu. Auch aus einer fehlerhaften Zahlung über einen längeren Zeitraum kann nicht ohne weiteres auf eine betriebliche Übung oder ein konkludentes Änderungsangebot des Arbeitgebers geschlossen werden (BAG 26. Mai 1993 – 4 AZR 149/92 – aaO).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Armbrüster, Gräfl, H. Schmidt, G. Helmlinger
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 19.10.2000 durch Klapp, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 632868 |
PersR 2001, 393 |