Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung – Sozialauswahl
Leitsatz (amtlich)
1. Die soziale Auswahl im Sinne des § 1 Abs. 3 und Abs. 5 KSchG i.d.F. des Gesetzes zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung (Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz) ist hinsichtlich der sozialen Kriterien nur dann grob fehlerhaft, wenn die Gewichtung der Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten jede Ausgewogenheit vermissen läßt.
2. Die Beurteilung von Kündigungen aus dem Zeitraum vom 1. Oktober 1996 bis 31. Dezember 1998 richtet sich auch bei Entscheidungen der Arbeitsgerichte nach dem 1. Januar 1999 nach dem Kündigungsschutzgesetz in der Fassung des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 3, 5 i.d.F des Gesetzes zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung (Arbeitsrechtliches BeschFG)
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 26. Mai 1998 – 9 Sa 143/98 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Klägerin (geboren 1962, verheiratet, ohne Kinder) war seit dem 1. Oktober 1992 als Kreditverwalterin bei der Beklagten beschäftigt. Diese kündigte das Beschäftigungsverhältnis am 23. Juni 1997 mit Wirkung zum 30. September 1997 aufgrund eines Strategie- und Planungskonzepts, durch das die Abteilungen „Produktionsbereich Passiv/Dienstleistung” und „Produktionsbereich Aktiv” zusammengefaßt wurden. Zuvor hatten der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat und die Beklagte einen Interessenausgleich und Sozialplan über die Reorganisationsmaßnahme und den Personalabbau vom 16. Juni 1997 abgeschlossen. Die Klägerin ist unter Ziff. 3 der Interessenausgleichsvereinbarung namentlich in der Auflistung der reorganisationsbedingt zu kündigenden Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen genannt.
Die Klägerin hat die Sozialauswahl gerügt und geltend gemacht, ihr Ehemann sei arbeitslos, während die Beklagte die Mitarbeiterin V weiterbeschäftige, die ebenso lange wie sie selbst tätig sei, aber zur Zeit der Kündigung erst 25 Jahre alt gewesen sei und deren Ehemann über ein eigenes Einkommen aus Berufstätigkeit verfüge. Außerdem hat die Klägerin auf den Mitarbeiter K verwiesen, der 28 Jahre alt und dessen Ehefrau berufstätig sei.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 23. Juni 1997 zum 30. September 1997 beendet worden ist.
Die Beklagte hat mit ihrem Klageabweisungsantrag geltend gemacht, der Arbeitsplatz der Klägerin sei betriebsbedingt weggefallen. Mit dem Mitarbeiter K sei die Klägerin nicht vergleichbar, weil dieser nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann als Kreditsachbearbeiter auf einer anderen hierarchischen Ebene arbeite als die Klägerin und tariflich höher eingruppiert sei. Die Sozialdaten der Klägerin und der Frau V seien im wesentlichen gleich; Frau V besuche außerdem eine Abendschule, um sich zur geprüften Bankkauffrau weiterbilden zu lassen. Im übrigen könne die Sozialauswahl nach der Neuregelung des § 1 Abs. 5 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält die Klägerin an ihrem obigen Antrag fest.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß die der Klägerin gegenüber ausgesprochene Kündigung nicht sozial ungerechtfertigt ist, § 1 Abs. 2 KSchG.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Da die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG unstreitig gegeben seien, sei die Betriebsbedingtheit der gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Kündigung zu vermuten; gegenteiliges habe die Klägerin nicht behauptet. Die von der Beklagten getroffene Sozialauswahl könne nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden, wobei der Mitarbeiter K aufgrund seiner Ausbildung, seiner Tätigkeit auf einer höheren Hierarchieebene und der tariflichen Eingruppierung aus dem auswahlrelevanten Arbeitnehmerkreis herausfalle. Die Auswahl der Klägerin im Vergleich zur Mitarbeiterin V sei jedenfalls nicht grob fehlerhaft, insbesondere führe der Altersunterschied von zehn Jahren allein noch nicht zu einer vergleichsweise so erheblichen höheren sozialen Schutzbedürftigkeit; auch hätten die Betriebsparteien unberücksichtigt lassen können, daß der Ehemann der Klägerin zur Zeit der Kündigung arbeitslos gewesen sei und derjenige der Frau V in einem festen Arbeitsverhältnis gestanden habe.
II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und auch in Teilen der Begründung. Die Revision rügt zu Unrecht eine Verletzung des § 1 Abs. 3 KSchG.
1. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 561 ZPO) liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG vor – diese Bestimmung galt zur Zeit der Kündigung und ist erst durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte (Korrekturgesetz) vom 19. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3843) außer Kraft getreten –, so daß die Betriebsbedingtheit der gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Kündigung gesetzlich vermutet wird. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts steht in Übereinstimmung mit der einschlägigen Rechtsprechung des Senats (vgl. BAG Urteil vom 7. Mai 1998 – 2 AZR 536/97 – AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Insofern erhebt die Revision auch keine Rügen.
Die Beurteilung von Kündigungen aus dem Zeitraum vom 1. Oktober 1996 bis 31. Dezember 1998 richtet sich auch bei Entscheidungen der Arbeitsgerichte nach dem 1. Januar 1999 nach dem Kündigungsschutzgesetz in der Fassung des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes. Dies folgt daraus, daß gegebenenfalls nicht erst die arbeitsgerichtliche Entscheidung rechtsgestaltend wirkt, sondern bereits die Kündigung als privatautonome Willenserklärung des Arbeitgebers. Gemäß § 4 Satz 1 KSchG geht es im Kündigungsschutzprozeß um die bloße Feststellung, ob die Kündigungserklärung des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufgelöst hat oder nicht (ständige Rechtsprechung und herrschende Meinung, vgl. BAG Großer Senat Beschluß vom 27. Februar 1985 – GS 1/84 – BAGE 48, 122 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; Senatsurteil vom 2. April 1987 – 2 AZR 418/86 – AP Nr. 96 zu § 626 BGB; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rz 716; KR-Friedrich, 5. Aufl., § 4 KSchG Rz 17, m.w.N.; Hueck/von Hoyningen-Huene, KSchG, 12. Aufl., § 4 Rz 4, m.w.N.; Löwisch, KSchG, 7. Aufl., § 4 Rz 2). Es geht um die Feststellung der Rechtslage, die im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bestanden hat (KR-Friedrich, aaO). Ob eine Willenserklärung rechtsgestaltend wirkt, kann nur nach der bei ihrem Zugang (§ 130 BGB) bestehenden Rechtslage beurteilt werden. Wollte der Gesetzgeber ein durch eine Kündigung aufgelöstes privatrechtliches Rechtsverhältnis, wie es das Arbeitsverhältnis darstellt, rückwirkend oder mit der Gesetzesänderung ex nunc neu begründen, bedürfte dies – ungeachtet der Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit – einer ausdrücklichen oder jedenfalls eindeutigen Regelung, die im Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998 fehlt. Dieses Gesetz ist nach Art. 11 mit Wirkung vom 1. Januar 1999 in Kraft getreten, was mangels entgegenstehender Regelung bedeutet, daß es nur für Sachverhalte gilt, die nach seinem Inkrafttreten entstehen. Das ergibt sich hier schon aus dem Korrekturgesetz selbst, das mit Art. 7 Ziff. 5 und Art. 8 Ziff. 2 für bestimmte, in der Vergangenheit vor seinem Inkrafttreten liegende Sachverhalte Übergangsvorschriften geschaffen hat, für Art. 6, mit dem § 1 Abs. 5 KSchG aufgehoben wurde, jedoch nicht. Hätte der Gesetzgeber des Korrekturgesetzes der Aufhebung des § 1 Abs. 5 KSchG rückwirkende Kraft beimessen wollen, hätte er dies – wie im Falle des Gesetzes zur Neuregelung der Kündigungsvorschriften vom 7. Oktober 1993 (BGBl. I S. 1688, dort in Art. 222 Nr. 1 EGBGB) ausdrücklich regeln müssen (ebenso Löwisch DB 1998, 2581; a.A. Pakimus DB 1999, 286). Das neue materielle Recht erfaßt deshalb vor dem 1. Januar 1999 zugegangene Kündigungen nicht.
2. Soweit mit der Revision geltend gemacht wird, die Beklagte habe eine fehlerhafte Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG a.F.) getroffen, ist dieser Vorwurf unbegründet.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts zu der Frage, ob die Kündigung rechtsunwirksam ist, weil die Beklagte bei der Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat, unterliegen nur einer beschränkten revisionsrechtlichen Nachprüfung, weil der Begriff „ausreichende Berücksichtigung” der in § 1 Abs. 3 KSchG a.F. genannten sozialen Gesichtspunkte ein unbestimmter Rechtsbegriff ist und vorliegend die soziale Auswahl wegen § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann. Diese Beschränkung des Prüfungsrahmens bezieht sich dabei nicht nur auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung selbst, sondern auch auf die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 1998 – 2 AZR 536/97 – aaO, zu II 2 b der Gründe). Dieser eingeschränkten Überprüfung hält das Berufungsurteil stand.
a) Soweit die Klägerin nach wie vor eine Vergleichbarkeit mit dem Mitarbeiter K für sich reklamiert, hat das Landesarbeitsgericht rechtlich zutreffend darauf abgestellt, der Arbeitnehmer K sei aufgrund seiner unstreitigen Ausbildung zum Bankkaufmann, seiner Tätigkeit innerhalb der Abteilung auf einer anderen Hierarchieebene und wegen seiner höheren tariflichen Eingruppierung mit der Klägerin nicht vergleichbar. Dies steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach es an einer Vergleichbarkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG fehlt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig auf einen anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann (vgl. BAG Urteile vom 15. Juni 1989 – 2 AZR 580/88 – BAGE 62, 116, 122 = AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu B II 2 c der Gründe und vom 29. März 1990 – 2 AZR 369/89 – BAGE 65, 61, 76 = AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B III 1 der Gründe). In der zuletzt genannten Entscheidung hat der Senat ausgeführt (zu B III 2 a der Gründe), die Vergleichbarkeit der in die soziale Auswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer richte sich in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen und somit nach der bislang ausgeübten Tätigkeit; es sei zu prüfen, ob der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz weggefallen sei, die Funktion des anderen Arbeitnehmers wahrnehmen könne. Der Senat hat insoweit entschieden (aaO, zu B III 3 b der Gründe), der Arbeitgeber sei bei Wegfall des bisherigen Arbeitsgebietes seines Arbeitnehmers nicht gehalten, ihm zur Vermeidung einer Beendigungskündigung eine „Beförderungsstelle” anzubieten; § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG gebiete nicht, einem sozial schutzwürdigeren Arbeitnehmer eine Weiterbeschäftigung zu günstigeren Bedingungen anzubieten, um für ihn durch Kündigung eines anderen sozial besser gestellten Arbeitnehmers, mit dem der Gekündigte erst durch Vertragsänderung vergleichbar werde, eine Beschäftigungsmöglichkeit zu schaffen. Genauso liegen die Dinge hier: Die Klägerin, die in Tarifgruppe VII des einschlägigen Tarifvertrages eingruppiert ist, würde erst durch die Vertragsänderung mit dem Mitarbeiter K, eingruppiert nach Tarifgruppe VIII, vergleichbar; sie würde dadurch von der Kreditverwalterin zur Kreditsachbearbeiterin höhergruppiert. Dies ist durch § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht intendiert.
Schon aus diesem Grunde kommt es auf die Revisionsrüge, bei Hinweis des Landesarbeitsgerichts hätte die Klägerin zu ihren mit denen des Kollegen K vergleichbaren Kenntnissen weiter vorgetragen, nicht an. Abgesehen davon ist diese Aufklärungsrüge gemäß § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO unzulässig, weil nicht angegeben wird, was konkret auf einen entsprechenden Hinweis des Gerichts hinsichtlich der angeblich vergleichbaren Kenntnisse vorgetragen worden wäre (Senatsurteile vom 11. April 1985 – 2 AZR 239/84 – BAGE 49, 39 = AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972 und vom 11. August 1994 – 2 AZR 9/94 – AP Nr. 31 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu II 1 b der Gründe).
b) Soweit die Klägerin die Sozialauswahl im Verhältnis zu der Arbeitnehmerin V rügt, ist ebenfalls dem Landesarbeitsgericht im Grundsatz zu folgen.
aa) Da die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG vorliegen, kann die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden (§ 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG). Hierzu hat der Senat in dem bereits erwähnten Urteil vom 7. Mai 1998 (– 2 AZR 536/97 –, aaO) entschieden, die Beschränkung der Prüfungsmöglichkeit beziehe sich neben der Bildung der auswahlrelevanten Gruppe vor allem auf die Sozialindikatoren und deren Gewichtung. Daß die Beklagte die nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG i.d.F. des Gesetzes zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung (Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz) vom 25. September 1996 zu berücksichtigenden Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten berücksichtigt hat, steht als solches außer Streit. Umstritten ist lediglich die von der Beklagten vorgenommene Gewichtung, und zwar insofern, als die Beklagte dem um zehn Jahre höheren Lebensalter der Klägerin und der Tatsache, daß deren Ehemann zur Zeit der Kündigung arbeitslos war, während der Ehemann der Frau V berufstätig war, keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat. Damit spitzt sich die Entscheidung auf die Frage zu, ob dies grob fehlerhaft war.
bb) Das Landesarbeitsgericht hat unter Auswertung des Begriffs „grobe Fahrlässigkeit” im Sinne des § 277 BGB gemeint, grob fehlerhaft sei die Sozialauswahl dann, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt sei und schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden und das nicht beachtet wurde, was jedem einleuchten mußte (vgl. BGHZ 10, 14, 16; 89, 153,161). Richtiger erscheint es, statt auf diese am Schuldrecht orientierten Begriffsdefinitionen auf die Gesetzesbegründung zur Neuregelung des § 1 Abs. 5 KSchG abzustellen. Nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 13/4612, S. 9) soll die Auswahl nur dann grob fehlerhaft sein, wenn der Arbeitnehmer darlegt und im Bestreitensfall nachweist, daß die Gewichtung der Kriterien jede Ausgewogenheit vermissen läßt (vgl. zum Meinungsstand: KR-Etzel, 5. Aufl., § 1 KSchG Rz 727, 746; Fischermeier, NZA 1997, 1089, 1097; von Hoyningen-Huene/Linck, DB 1997, 41, 44; Löwisch, NZA 1996, 1009, 1012; Preis, NJW 1996, 3369, 3371). Der Senat hat dazu im Urteil vom 7. Mai 1998 (aaO, zu II 2 b der Gründe) darauf hingewiesen, im Hinblick auf die Gesetzesbegründung werde aus Gründen der Rechtssicherheit für die Richtigkeit der Auswahl der Beurteilung der Betriebspartner eine hohe Präferenz eingeräumt.
Daran ist auch für den vorliegenden Fall festzuhalten. Das heißt, nur eine Gewichtung, die jegliche Ausgewogenheit vermissen läßt, verfällt dem Verdikt der groben Fehlerhaftigkeit. Das Landesarbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, die Chancen, auf dem Arbeitsmarkt einen neuen Arbeitsplatz zu finden, seien im Alter von 35 Jahren nicht so erheblich geringer als im Alter von 25, daß von einem im Sinne der damaligen Fassung des Gesetzes erheblichen Unterschied ausgegangen werden müßte. Dem ist beizupflichten, auch wenn die Revision geltend macht, in der praktischen Wirklichkeit bestehe eine ungleich schwerere Vermittelbarkeit der Klägerin. Angesichts des in einem Arbeitsverhältnis normalerweise zu erzielenden Lebensalters von 60 bis 65 Jahren, wovon nach Schul- und Berufsausbildung ca. 40 bis 50 Jahre im Arbeitsverhältnis verbracht werden können, fällt ein Lebensaltersunterschied von zehn Jahren – jedenfalls in der Altersgruppe der 25- bis 35-jährigen – in der Tat nicht derart ins Gewicht, zumal es sich bei dem Lebensalter um eine durchaus ambivalente Größe handelt, d.h. je nach den Umständen und der Einstellung des betreffenden Arbeitgebers können sogar die Chancen einer 35-jährigen Frau am Arbeitsmarkt besser zu beurteilen sein als die einer 25-jährigen. Insofern ist auch darauf hinzuweisen, daß bei Kündigungsmaßnahmen zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur die 25- bis 35-jährigen oftmals in derselben Gruppe erfaßt werden (vgl. zur Gruppenerfassung Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, 4. Aufl., § 21 Rz 13, S. 285; KR-Etzel, aaO, § 1 KSchG Rz 659), was dafür spricht, daß in der betrieblichen Praxis diese Altersgruppe als homogen angesehen wird. Es ist deshalb richtig, wenn das Landesarbeitsgericht sich nicht allein mit der Feststellung eines Altersunterschieds begnügt, sondern gewürdigt hat, ob dieser Altersunterschied auch zu einem erheblichem Unterschied in der sozialen Schutzbedürftigkeit geführt hat. Denn nur ein erheblicher Unterschied in der sozialen Schutzbedürftigkeit führt zur Sozialwidrigkeit der Kündigung (BAG Urteile vom 18. Oktober 1984 – 2 AZR 543/83 – BAGE 47, 80, 92 = AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu B II 4 a der Gründe und vom 7. Dezember 1995 – 2 AZR 1008/94 – AP Nr. 29, aaO, zu II 3 c der Gründe). Wenn die Beklagte sich vorliegend für die 25-jährige Arbeitnehmerin entschieden hat, mag das zwar bei Betonung des Lebensaltersprinzips als unangemessen erscheinen, als grob fehlerhaft und damit jede Ausgewogenheit vermissen lassend kann man das indessen nicht ansehen.
Der Senat hat in dem von der Revision angeführten Urteil vom 9. Mai 1996 (– AZR 438/95 – AP Nr. 79 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung) eine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht beanstandet, bei der eine 54-jährige Arbeitnehmerin mit neun Jahren Betriebszugehörigkeit als schutzwürdiger gegenüber einer 46 Jahre alten Arbeitnehmerin mit achtjähriger Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflicht gegenüber zwei Kindern angesehen wurde. Der Senat hat diese Sozialauswahl noch als ausreichend angesehen, womit nichts dazu gesagt ist, daß auch eine umgekehrte Sozialauswahl, bei der die lebensältere Arbeitnehmerin zurückstehen müßte, noch als ausreichend zu bewerten wäre. Selbst wenn man nicht davon ausgeht, der Maßstab der Fehlerhaftigkeit habe sich durch die Regelung des § 1 Abs. 5 KSchG im Vergleich zu dem Maßstab nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG verschärft (wohl verneinend: KR-Etzel, aaO, § 1 KSchG Rz 727), muß es vorliegend dabei verbleiben, daß das Ergebnis der Sozialauswahl – bezogen auf das Lebensalter – aus den genannten Gründen noch als ausreichend – jedenfalls nicht als grob fehlerhaft – anzusehen ist.
Daran ändert sich auch nichts im Hinblick auf die Unterhaltssituation der Klägerin und der Frau V. Rein numerisch gesehen sind beide Frauen nur einer Person gegenüber unterhaltspflichtig, nämlich ihren Ehemännern (§§ 1360 f., 1569 f. BGB). Insofern wird die Auffassung vertreten, der Begriff Unterhaltspflicht könne nicht im Sinne von tatsächlicher Unterhaltslast verstanden werden (so Fischermeier, NZA 1997, 1089, 1094), weil ein derartiger Vorschlag im Gesetzgebungsverfahren nicht aufgegriffen wurde. Demgegenüber vertreten andere Autoren – wie auch die Revision – die Auffassung (vgl. KR-Etzel, aaO, § 1 KSchG Rz 689; Hueck/von Hoyningen-Huene, KSchG, 12. Aufl., § 1 Rz 468; Preis, NZA 1997, 1084), es sei nicht nur auf die Anzahl der Unterhaltsberechtigten, sondern auch auf die Höhe der Unterhaltsleistungen abzustellen, weil sich die Unterhaltspflicht des Arbeitnehmers mindere, wenn andere Personen (Ehegatten) entsprechende Unterhaltsleistungen erbrächten. Die Streitfrage braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Auch wenn man der zuletzt erwähnten Auffassung folgt (vgl. auch Senatsurteil vom 8. August 1985 – 2 AZR 464/84 – AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl), kann immer noch nicht gesagt werden, die Nichtberücksichtigung von Unterhaltsleistungen im Falle der Klägerin mache die Sozialauswahl zu einer grob fehlerhaften. Dazu hat schon das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, daß jedenfalls zur Zeit der Kündigung der Klägerin deren Ehemann unstreitig Arbeitslosenunterstützung bezog und damit ebenfalls tatsächlich zum Lebensunterhalt beitrug. Eine noch weitergehendere, differenzierende Betrachtungsweise, die auf die Höhe des gewährten Arbeitslosengeldes bzw. des Ehegattenverdienstes abstellt, steht im Gegensatz zu der in § 1 Abs. 5 Satz 2 KSchG erkennbar gewordenen Absicht des Gesetzgebers, auch im Rahmen der Sozialauswahl für Rechtssicherheit zu sorgen. Der den beiden Betriebspartnern mit § 1 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 KSchG eingeräumte Beurteilungsspielraum ist entgegen der Auffassung der Revision angesichts der vorliegenden Sachumstände noch nicht überschritten.
Unterschriften
Etzel, Bitter, Bröhl, Nielebock, Bartel
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.01.1999 durch Backes, Reg.-Hauptsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 1999, 1556 |
DB 1999, 1862 |
NJW 1999, 3797 |
EBE/BAG 1999, 107 |
ARST 1999, 270 |
EWiR 2000, 245 |
FA 1999, 170 |
NZA 1999, 866 |
ZAP 1999, 767 |
ZIP 1999, 2111 |
AP, 0 |
AuA 2000, 443 |
ZInsO 1999, 543 |