Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung einer im Ausland als sog. Ortskraft beschäftigten Sprachlehrerin wegen Schließung eines Kulturinstituts. Kündigung
Orientierungssatz
- Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist, die die tariflich ausgeschlossene ordentliche Kündigung ersetzt, kommt nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht. Ein wichtiger Grund für eine solche Kündigung kann nur angenommen werden, wenn wegen des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung der Arbeitgeber den Arbeitnehmer notfalls bis zum Erreichen der Pensionsgrenze weiterbeschäftigen müsste und ihm dies unzumutbar ist.
- § 3 Ziff. 1 lit. b TV Goethe-Institut iVm. § 11 Satz 1 TV Ang. Ausland regelt einen Fall der außerordentlichen Kündigung.
- Der Wegfall eines Arbeitsplatzes auf Grund der Schließung einer Zweigstelle rechtfertigt regelmäßig keine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB.
Normenkette
TV Goethe-Institut § 2 Abs. 1, § 3 Ziff. 1 lit. b; TV Ang. Ausland §§ 3, 11; BGB § 626
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 19. September 2002 – 4 Sa 682/01 – in der Kostenentscheidung und soweit es die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 18. Juni 2001 – 22 Ca 8444/00 – zurückgewiesen hat, aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 6. Juni 2000 auch nicht zum 31. Dezember 2000 aufgelöst worden ist.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die der Beklagte mit Schließung eines Kulturinstituts begründet hat, und die Weiterbeschäftigung der Klägerin.
Die 48jährige, drei Kinder zum Unterhalt verpflichtete, allein erziehende Klägerin ist deutsche Staatsangehörige und Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Seit 1985 ist sie beim Beklagten als sog. Ortskraft tätig. Sie arbeitet seither am Goethe-Institut in Patras als Sprachlehrerin mit einem Deputat von 75 % der Arbeitszeit einer Vollzeitbeschäftigten (24 Wochenstunden).
Nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien ist die Klägerin ausschließlich für das Goethe-Institut Patras eingestellt worden. Eine Versetzungsklausel enthält der Arbeitsvertrag nicht. Im Arbeitsvertrag ist die Anwendung des deutschen Arbeitsrechts und die Anwendung des jeweils gültigen Tarifvertrags zur Regelung der Arbeitsbedingungen der bei den Kulturinstituten beschäftigten deutschen nicht entsandten Angestellten vom 19. November 1973 (im Folgenden: TV Goethe-Institut), in der Fassung des 2. Änderungstarifvertrags vom 1. Dezember 1992, abgeschlossen zwischen dem Beklagten und der GEW, vereinbart worden. § 2 Abs. 1 Satz 1 TV Goethe-Institut verweist im Wesentlichen auf die Geltung der Vorschriften des Tarifvertrags zur Regelung der Arbeitsbedingungen der bei Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten deutschen nicht entsandten Angestellten vom 28. September 1973 in der Fassung vom 15. Dezember 1995 (TV Ang. Ausland).
§ 3 TV Ang. Ausland lautet wie folgt:
Ҥ 3
Versetzung und Abordnung
§ 12 BAT sowie Nr. 3 SR 2d BAT gelten nicht. Wird eine in § 1 genannte Dienststelle aufgelöst, verlegt oder ihr Dienstbetrieb wesentlich eingeschränkt, kann der Angestellt mit seiner Zustimmung an eine andere Dienststelle im Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes versetzt oder abgeordnet werden.”
§ 11 TV Ang. Ausland lautet wie folgt:
Ҥ 11
Außerordentliche Kündigung und Abfindung
Der Arbeitgeber ist berechtigt, das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen, wenn eine in § 1 genannte Dienststelle aufgelöst oder ihr Dienstbetrieb wesentlich eingeschränkt wird.
In diesem Falle erhält der Angestellte eine Abfindung. Die Abfindung beträgt bei einer Beschäftigungszeit
von mehr als 15 Jahren das Zwölffache,
von mehr als 14 Jahren das Elffache,
von mehr als 13 Jahren das Zehnfache,
von mehr als 12 Jahren das Neunfache,
von mehr als 11 Jahren das Achtfache,
von mehr als 10 Jahren das Siebenfache,
von mehr als neun Jahren das Sechsfache,
von mehr als acht Jahren das Fünffache,
von mehr als sieben Jahren das Vierfache,
von mehr als fünf Jahren das Dreifache,
von mehr als drei Jahren das Zweifache,
von mehr als einem Jahr das Einfache
der am Tage vor dem Ausscheiden zustehenden Vergütung nach § 4.
Auf die Abfindung sind nach sonstigen Rechtsvorschriften zustehende Leistungen des Arbeitgebers aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses anzurechnen.”
Nach § 3 Ziff. 1 lit. b TV Goethe-Institut gilt § 11 Satz 1 TV Ang. Ausland in folgender Fassung:
“§ 11 – Außerordentliche Kündigung und Abfindung
Das Goethe-Institut ist berechtigt, das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen, wenn die Zweigstelle des Angestellten aufgelöst oder ihr Dienstbetrieb wesentlich eingeschränkt wird.”
Für die unter den TV Ang. Ausland fallenden Angestellten findet nach § 2 Abs. 1 TV Ang. Ausland ua. der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung.
Der Beklagte unterhält im ca. 250 km von Patras entfernten Athen ein Goethe-Institut, an dem ca. 60 Sprachlehrer tätig sind; 11 von ihnen werden als sog. “Honorarkräfte” beschäftigt. Die Verträge dieser Honorarkräfte, deren Rechtsnatur zwischen den Parteien streitig ist, werden jeweils ab 1. Oktober des Jahres für eine Dauer von bis zu zehn Monaten bei einem Beschäftigungsumfang von 14 bis 19 Stunden wöchentlich befristet abgeschlossen.
Am 29. Juli 1999 beschloss der Beklagte, das Institut in Patras zum 30. Juni 2000 zu schließen. Nach einem weiteren Beschluss vom 11. Oktober 1999 waren freiwerdende Vertragslehrkraftstellen nicht wieder zu besetzen, sondern zu streichen. Mit Schreiben vom 17. November 1999 und 19. Januar 2000 erklärte die Klägerin gegenüber dem Beklagten ihre Bereitschaft, auch an anderen Orten in einem Goethe-Institut weiterzuarbeiten.
Der Beklagte kündigte – wie allen anderen Ortskräften des Goethe-Instituts Patras – das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 6. Juni 2000, der Klägerin am 12. Juni 2000 zugegangen, außerordentlich zum 30. Juni 2000. Zum 30. Juni 2000 wurde das Institut geschlossen.
Die Klägerin trägt vor: Die Anwendbarkeit des § 11 TV Ang. Ausland setze die Schließung eines Instituts bzw. die wesentliche Einschränkung seines Dienstbetriebs anlässlich besonderer außergewöhnlicher Verhältnisse voraus. Die Schließung des Instituts in Patras sei eine reine Sparmaßnahme, weshalb dieses besondere tarifvertragliche Kündigungsinstrument Ausland nicht in Betracht komme. Der Beklagte hätte das Arbeitsverhältnis nur ordentlich aus betriebsbedingten Gründen kündigen können. Vor allem hätte er ihr eine Tätigkeit als Sprachlehrerin in Athen anbieten müssen. Der dort beschäftigte angestellte Sprachlehrer Karoglas sei zum Jahresende 2000 in Rente gegangen, was zum Kündigungszeitpunkt bekannt gewesen sei. Eine Überbrückung sei dem Beklagten zumutbar gewesen, die Kündigungsfrist wäre erst zu diesem Datum ausgelaufen. Darüber hinaus habe es weitere freie Arbeitsplätze in Athen gegeben; es seien befristete Arbeitsverträge mit mindestens 11 Sprachlehrern für das Unterrichtsjahr 2000/2001 neu geschlossen worden. Alle in Patras und Athen eingesetzten griechischen und deutschen Honorarlehrkräfte seien nach griechischem und deutschem Recht Arbeitnehmer. Sie unterlägen nach Zeit, Ort und insbesondere auch in der Ausführung ihrer Tätigkeit den Weisungen der Institutsleitung bzw. der Fachvorgesetzten. Einer Weiterbeschäftigung auf einem dieser Arbeitsplätze stehe die zwei- bis dreimonatige Ferienzeit im Sommer nicht entgegen, da sie ihr Jahresdeputat während der Unterrichtszeit hätte erfüllen können.
Die Klägerin hat beantragt,
- festzustellen, dass die Kündigung vom 6. Juni 2000 rechtsunwirksam ist;
- den Beklagten zu verurteilen, sie weiterzubeschäftigen.
Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrag ausgeführt: Die Kündigung sei als außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit sozialer Auslauffrist wirksam. Als öffentlich geförderte Einrichtung sei er auf Grund der von der Regierung verfügten drastischen Einsparmaßnahmen gezwungen gewesen, das Institut in Patras zum 30. Juni 2000 vollständig zu schließen. Damit liege ein Anwendungsfall des § 3 Ziff. 1 lit. b TV Goethe-Institut iVm. § 11 TV Ang. Ausland vor. Die Klägerin habe auch nicht in Athen weiterbeschäftigt werden können; die Stelle des zum 2. Februar 2001 verrenteten Sprachlehrers Karoglas sei nicht wiederbesetzt worden. Auch würden keine neuen Sprachlehrer mehr auf Dauer eingestellt. Es bleibe seiner unternehmerischen Entscheidung überlassen, ob er seinen Sprachlehrbedarf mit freien Mitarbeitern oder mit Arbeitnehmern abdecke. Die Honorarkräfte seien keine Arbeitnehmer. Eine Sozialauswahl mit den in Athen beschäftigten Arbeitnehmern sei nicht erforderlich gewesen, da die Klägerin nicht einseitig in die griechische Hauptstadt habe versetzt werden können.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das arbeitsgerichtliche Urteil abgeändert und festgestellt, dass die Kündigung des Beklagten das Arbeitsverhältnis der Klägerin erst zum 31. Dezember 2000 aufgelöst hat. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 6. Juni 2000 konnte das Arbeitsverhältnis der Klägerin weder außerordentlich zum 30. Juni 2000 noch mit “sozialer Auslauffrist” zum 31. Dezember 2000 wirksam beenden.
Das Landesarbeitsgericht hat seine entgegenstehende Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: § 3 Ziff. 1 lit. b TV Goethe-Institut iVm. § 11 TV Ang. Ausland regele einen Fall der außerordentlichen Kündigung. Dies ergebe sich sowohl aus der Überschrift des § 11 TV Ang. Ausland als auch aus dem Wortlaut der Tarifnorm, die sich an § 626 Abs. 1 BGB orientiere. Die Auslegung der Tarifnorm spreche gegen eine entfristete ordentliche Kündigung oder eine tarifliche Normierung einer fristlosen Kündigung aus minderwichtigem Grund. Eine solche tarifliche Kündigungsmöglichkeit würde auch gegen den Rechtsgedanken des § 622 Abs. 6 BGB verstoßen.
Mit der unstreitigen Schließung des Goethe-Instituts in Patras sei jedenfalls der Tatbestand des § 3 Ziff. 1 lit. b TV Goethe-Institut zumindest in Form einer wesentlichen Einschränkung des Dienstbetriebs der Zweigstelle verwirklicht worden. Eine Versetzung der Klägerin auf einen freien Arbeitsplatz bei einem anderen Institut scheide aus; nach ihrem Arbeitsvertrag sei sie ausschließlich als Ortskraft für Patras eingestellt worden und es komme deshalb eine Versetzung auf einen freien Arbeitsplatz im Wege des Direktionsrechts nicht in Betracht. Eine Sozialauswahl habe wegen der kompletten Schließung des Instituts nicht vorgenommen werden müssen. Es scheide auch eine Weiterbeschäftigung der Klägerin im Goethe-Institut in Athen aus. Die Klägerin habe nicht mehr bestritten, dass die Stelle des Sprachlehrers Karoglas nicht mehr habe besetzt werden sollen und die Zahl der festangestellten Sprachlehrer reduziert worden sei. Auch habe sie nicht schlüssig vorgetragen, dass die in Athen jeweils befristet beschäftigten Honorarlehrkräfte Arbeitnehmer im Sinne des deutschen Arbeitsrechts seien. Ein freier und für den Beklagten zumutbarer Arbeitsplatz eines Arbeitnehmers habe deshalb in Athen nicht – mehr – bestanden. Die betriebsbedingte Kündigung vom 6. Juni 2000 habe somit das Arbeitsverhältnis zwar wirksam beendet, es sei jedoch eine soziale Auslauffrist zum 31. Dezember 2000 einzuräumen. Betriebsbedingte Kündigungsgründe könnten nämlich eine Arbeitgeberkündigung mit einer kürzeren als der gesetzlichen Kündigungsfrist nicht rechtfertigen. Deshalb sei die Frist des § 53 Abs. 2 BAT anzuwenden.
Dem folgt der Senat nicht. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts vermag die Kündigung vom 6. Juni 2000 die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin nicht – auch nicht mit einer notwendigen (“sozialen”) Auslauffrist – zu rechtfertigen.
I. Das Arbeitsverhältnis unterliegt deutschem Arbeitsrecht. Die Parteien haben nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die Anwendung des deutschen Arbeitsrechts vereinbart. Dies ist nach Art. 27 Abs. 1 EGBGB zulässig. Art. 30 Abs. 1 EGBGB steht dem nicht entgegen. Nach § 2 Abs. 2 TV Goethe-Institut bleiben die zwingenden Bestimmungen des griechischen Rechts unberührt.
II. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Senats zu § 626 Abs. 1 BGB die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 6. Juni 2000 das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht aus wichtigem Grund mit einer “sozialen” Auslauffrist zum 31. Dezember 2000 wirksam beendet.
1. Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist kommt nur dann in Betracht, wenn ein wichtiger Grund zur Kündigung gerade darin zu sehen ist, dass wegen des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung der Arbeitgeber den Arbeitnehmer notfalls bis zum Erreichen der Pensionsgrenze weiterbeschäftigen müsste und ihm dies unzumutbar ist. Eine solche außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist, die die tariflich ausgeschlossene Kündigung ersetzt, kommt allerdings nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht. Es geht im Wesentlichen darum zu vermeiden, dass der tarifliche Ausschluss der ordentlichen Kündigung dem Arbeitgeber Unmögliches oder evident Unzumutbares aufbürdet und abverlangt. Das kann vor allem der Fall sein, wenn der Arbeitgeber ohne außerordentliche Kündigungsmöglichkeit gezwungen wäre, ein sinnloses Arbeitverhältnis über viele Jahre hinweg alleine durch Gehaltszahlungen, denen keine entsprechende Arbeitsleistung gegenübersteht, aufrechtzuerhalten (Senat 5. Februar 1998 – 2 AZR 227/97 – BAGE 88, 10; 8. April 2003 – 2 AZR 355/02 – AP BGB § 626 Nr. 181 = EzA BGB § 626 Unkündbarkeit Nr. 2).
2. Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft und festgestellt, ob die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorliegend überhaupt ausgeschlossen ist. Dass die Klägerin die Voraussetzungen einer tariflich unkündbaren Angestellten (§ 55, § 53 Abs. 3 BAT) erfüllt, ist nicht festgestellt worden. Selbst der Beklagte beruft sich nicht auf einen tariflichen Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit. Er hat insbesondere eine tarifliche Beschäftigungszeit der Klägerin von 15 Jahren (§ 53 Abs. 3 BAT) unter Hinweis auf den Arbeitsvertrag vom 1. Januar 1989 ausdrücklich bestritten; die Feststellung eines Beschäftigungsbeginns im Jahre 1985 sagt allein nicht über das Vorliegen einer 15-jährigen Beschäftigung zum Kündigungszeitpunkt 12. Juni 2000 aus. Auch schließt weder der TV Goethe-Institut noch der TV Ang. Ausland eine ordentliche Kündigung im Fall einer Betriebs(teil-)Stilllegung oder aus anderen betriebsbedingten Gründen aus. Ist somit eine tarifliche Unkündbarkeit nicht erkennbar und vom Beklagten auch nicht reklamiert worden, so besteht keine Basis für das vom Landesarbeitsgericht gefundene Ergebnis, die Kündigung sei als außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist rechtlich möglich und gerechtfertigt.
III. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
1. Die Kündigung ist nicht nach § 3 Ziff. 1 lit. b TV Goethe-Institut iVm. § 11 TV Ang. Ausland gerechtfertigt.
a) Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, § 3 Ziff. 1 lit. b TV Goethe-Institut iVm. § 11 Satz 1 TV Ang. Ausland regele einen Fall der außerordentlichen Kündigung (so auch LAG Köln 31. Januar 2001 – 8 (11) Sa 1060/00 – NZARR 2002, 146; Herschel in Anm. zu BAG AP TV Ang.Ausland § 11 Nr. 1; noch offen gelassen von BAG 19. Januar 1978 – 2 AZR 92/77 – AP TV Ang.Ausland § 11 Nr. 1). Dies ergibt die Auslegung der tarifvertraglichen Regelung.
aa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben der Tarifnorm zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist dabei stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, so können die Gerichte für Arbeitssachen – ohne Bindung an eine Reihenfolge – weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages oder auch die praktische Tarifübung, ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und brauchbaren Regelung führt (BAG 15. Oktober 2003 – 4 AZR 594/02 – EzA TVG § 4 Stahlindustrie Nr. 2; 30. Mai 2001 – 4 AZR 269/00 – BAGE 98, 35).
bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt die notwendige Auslegung von § 3 Ziff. 1 lit. b TV Goethe-Institut und § 11 TV Ang. Ausland, dass mit diesen Tarifnormen allein eine außerordentliche Kündigung geregelt werden sollte.
Zwar kann nach § 622 Abs. 4 BGB durch Tarifvertrag die Kündigungsfrist für die ordentliche Kündigung abbedungen werden. Geschieht das in einer Weise, dass einer derart entfristete Kündigung nur beim Vorliegen bestimmter, wenn auch nicht iSv. § 626 Abs. 1 BGB ein wichtiger Kündigungsgrund erfolgen kann, so handelt es sich um einen der außerordentlichen Kündigung angenäherten, ähnlichen Vorgang (von Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Aufl. § 13 Rn. 9). Voraussetzung ist allerdings, dass in dem Tarifvertrag eindeutig eine entfristete ordentliche Kündigung geregelt werden soll und kein wichtiger Grund iSd. § 626 BGB festgelegt wird (BAG 4. Juni 1987 – 2 AZR 416/86 – AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 16 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 25; KR-Spilger 6. Aufl. § 622 BGB Rn. 212). Eine solche eindeutige Regelung einer entfristeten ordentlichen Kündigungsmöglichkeit enthält § 3 Ziff. 1 lit. b TV Goethe-Institut iVm. § 11 TV Ang. Ausland nicht. Sowohl der Wortlaut als auch die Systematik der Tarifnormen lassen vielmehr nur den Schluss zu, dass die Tarifvertragsparteien eine an § 626 Abs. 1 BGB zu messende außerordentliche Kündigungsmöglichkeit regeln wollten.
Die Überschrift von § 11 TV Ang. Ausland spricht von “Außerordentliche Kündigung …”. Dieselben Tarifvertragsparteien haben in § 54 BAT die Überschrift “Außerordentliche Kündigung” gewählt. Für § 54 BAT, der nahezu wörtlich und in den rechtlich entscheidenden Passagen völlig mit § 626 BGB übereinstimmt, ist allgemein anerkannt, dass die zu § 626 BGB entwickelten Rechtsgrundsätze anzuwenden sind (vgl. beispielsweise BAG 20. April 1977 – 4 AZR 778/75 – AP BAT § 54 Nr. 1 = EzA BGB § 626 nF Nr. 55). Auch § 11 TV Ang. Ausland lehnt sich mit seiner Formulierung Kündigung “… ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist” an den Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB unmittelbar an. Dass die weiteren Passagen des § 626 Abs. 1 BGB in § 11 TV Ang. Ausland fehlen, ist allein dem Umstand geschuldet, dass der Grund für die Kündigung in dieser Tarifnorm ausdrücklich und exemplarisch mit dem Hinweis auf das Erfordernis der Auflösung einer Dienststelle bzw. der wesentlichen Einschränkung des Dienstbetriebes ausdrücklich angeführt ist. Vergleicht man die Tarifnormen des § 11 TVAng. Ausland und § 54 BAT mit § 626 BGB, so wird deutlich, dass alle drei Normen eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist regeln wollten (so auch LAG Köln 31. Januar 2001 – 8 (11) Sa 1060/00 – NZA-RR 2002, 146).
b) Die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund liegen jedoch nicht vor.
aa) Zwar sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 Ziff. 1 lit. b TV Goethe-Institut iVm. § 11 TV Ang. Ausland erfüllt. Durch die Schließung des Goethe-Institutes in Patras wurde der Dienstbetrieb der Zweigstelle, in der die Klägerin beschäftigt war, aufgelöst. Unter Zweigstelle versteht man nach allgemeinem Sprachgebrauch eine Filiale, die an einem anderen Ort als die Zentrale geführt wird (Duden Deutsches Universalwörterbuch 5. Aufl. Stichwort: Filiale).
bb) Gleichwohl kann die Auflösung des Goethe-Institutes in Patras den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist nicht rechtfertigen.
Es ist schon allgemein zweifelhaft, ob die Tarifvertragsparteien neben § 626 BGB zwingende tarifliche Regelungen für die fristlose Beendigung von Arbeitsverhältnissen überhaupt schaffen können. Auch die Tarifvertragsparteien können das Recht zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB durch die Normierung bestimmter Tatbestände über das gesetzliche Maß hinaus nicht erweitern (BAG 22. November 1973 – 2 AZR 580/72 – AP BGB § 626 Nr. 67 = EzA BGB § 626 aF Nr. 33; ErfK/Müller-Glöge 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 234; KR-Fischermeier 6. Aufl. § 626 BGB Rn. 70; Staudinger/Preis BGB (2002) § 626 Rn. 47). Die Vorschrift des § 626 BGB ist zwingend. Es ist deshalb nicht möglich, bestimmte Sachverhalte zum wichtigen Grund zu erklären (BAG 19. Dezember 1974 – 2 AZR 565/73 – BAGE 26, 417; 4. Juni 1987 – 2 AZR 416/86 – AP KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 16 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 25). Deshalb können – tarifliche – Vereinbarungen über die zur außerordentlichen Kündigung rechtfertigenden Gründe lediglich im Rahmen der Interessenabwägung eine beschränkte rechtliche Bedeutung erlangen. Die Tarifvertragsparteien können Tatbestände, die an sich als wichtige Gründe geeignet sind, näher bestimmen und damit verdeutlichen, welche Umstände ihnen unter Berücksichtigung der Eigenart des jeweiligen Arbeitsverhältnisses als Gründe für eine vorzeitige Beendigung besonders wichtig erscheinen (BAG 22. November 1973 – 2 AZR 580/72 – aaO; ErfK/Müller-Glöge aaO Rn. 239; KR-Fischermeier aaO Rn. 69; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz am Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 833).
cc) Vorliegend mag man aus der Zusammenschau der tariflichen Regelungen der §§ 3, 11 TV Ang. Ausland einen wichtigen Grund zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses einer Angestellten bei einer Auflösung oder wesentlichen Einschränkung der Dienststelle nur in Fällen von krisenhaften Situationen am Sitz des Instituts und nicht schon bei einer fiskalisch oder kulturpolitisch motivierten Schließungsentscheidung anerkennen und damit eine Anwendung der tariflichen Sonderkündigungsmöglichkeit eröffnen. Diese Frage kann vorliegend aber letztlich offen bleiben. Denn die außertarifliche Kündigung vom 6. Juni 2000 zum 30. Juni 2000 verletzt schon den das gesamte Kündigungsschutzrecht beherrschenden (BAG 30. Mai 1978 – 2 aZR 630/76 – BAGE 30, 309) ultima-ratio-Grundsatz.
(1) Zum einen ist nicht erkennbar, warum dem Beklagten eine Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar ist. Der Beklagte wusste auf Grund seiner Beschlüsse vom 29. Juli 1999 und vom 11. Oktober 1999 von der beabsichtigten Schließung des Goethe-Instituts in Patras. Im Hinblick auf den Maßstab des § 626 Abs. 1 BGB, nach dem dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände und der Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann, ist nicht nur nicht nachvollziehbar, warum es dem Beklagten dann unmöglich gewesen sein soll, die tarifliche Kündigungsfrist einzuhalten. Es kann auch nicht hingenommen werden, dass sich der Beklagte durch ein eigenes Zuwarten in Kenntnis der Gesamtumstände die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund schaffen könnte.
(2) Dies gilt umso mehr, als dringende betriebliche Gründe, zu denen der Fortfall eines Arbeitsplatzes auf Grund einer Schließung einer Zweigstelle unzweifelhaft gehört, in aller Regel nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen. Eine außerordentliche, fristlose Kündigung ist regelmäßig nach § 626 Abs. 1 BGB in diesen Fällen unzulässig (BAG 28. März 1985 – 2 AZR 1113/84 – BAGE 48, 220; zuletzt 8. April 2003 – 2 AZR 355/02 – AP BGB § 626 Nr. 181 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 2; KDZ-Däubler KSchR 5. Aufl. § 626 BGB Rn. 160; Staudinger/Preis BGB (2002) § 626 Rn. 230). Dem Arbeitgeber ist nämlich, wenn aus betrieblichen Gründen die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für alle bzw. einzelner Arbeitnehmer entfällt, selbst im Insolvenzfall zumutbar, wenigstens die Kündigungsfrist einzuhalten (BAG 8. April 2003 – 2 AZR 255/02 – aaO). Eine Ausnahme ist allenfalls dann anzunehmen, wenn die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist und der Arbeitgeber zu einer sinnlosen Weiterbeschäftigung unter Umständen bis zur Pensionierung verpflichtet würde (vgl. beispielsweise BAG 5. Februar 1998– 2 AZR 227/98 – BAGE 88, 10; 27. Juni 2002 – 2 AZR 367/01 – BAGE 102, 40; 8. April 2003 aaO). Eine solche Sondersituation ist vorliegend noch nicht einmal in Ansätzen erkennbar.
(3) Zum anderen verstößt die außerordentliche Kündigung auch deshalb gegen den ultima-ratio-Grundsatz, weil der Beklagte eine Versetzung der Klägerin, die nach § 3 TV Ang. Ausland möglich war, nicht geprüft und vorrangig ihren Einsatz im Goethe-Institut in Athen nicht erwogen hat. Die Klägerin hat mehrfach ihre Versetzungsbereitschaft bekundet. Der Beklagte hat demgegenüber nicht dargelegt, welche anderen Sprachlehrerstellen er ihr in Griechenland oder in anderen Gebieten angeboten hat. Eines solchen Angebots hätte es umso mehr bedurft, als in Athen für eine Tätigkeit eines Sprachlehrers – unabhängig von der rechtlichen Form – auch unstreitig Bedarf bestand.
Zudem zeigen die tariflichen Regelungen im Übrigen deutlich, dass die Tarifvertragsparteien bei der Auflösung einer Dienststelle oder einer erheblichen Einschränkung des Dienstbetriebes vorrangig die Versetzung des betroffenen Angestellten und nicht die außerordentliche Kündigung als adäquate personelle Maßnahme ansehen. § 11 TV Ang. Ausland will demgegenüber offensichtlich nur für Sonderfälle der Dienststellenauflösung (beispielsweise in Krisen- und Kriegssituationen) eine schnelle Lösungsmöglichkeit für die betroffenen Arbeitsverhältnisse anbieten. Dass eine solche krisenhafte Sondersituation gerade bei der Auflösung des Goethe-Instituts in Patras bestanden haben soll, kann vom Beklagten nicht ernsthaft behauptet werden und wird es im Übrigen auch nicht.
2. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist schließlich auch nicht durch eine ordentliche Kündigung des Beklagten vom 6. Juni 2000 fristgerecht zum 31. Dezember 2000 aus betriebsbedingten Gründen iSd. § 1 Abs. 2, Abs. 3 KSchG wirksam beendet worden. Der Beklagte hat keine ordentliche Kündigung ausgesprochen.
a) Der Beklagte hat nach dem eindeutigen Wortlaut des Kündigungsschreibens vom 6. Juni 2000 ausdrücklich nur eine außerordentliche Kündigung erklärt.
b) Die außerordentliche Kündigungserklärung kann vorliegend auch nicht in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden (§ 140 BGB).
Zwar hat sich der Beklagte noch erstinstanzlich auf eine Umdeutung berufen. Auch steht einer Umdeutung das Schriftformerfordernis des § 623 BGB nicht entgegen (Appel/Kaiser AuR 2000, 281, 285; KR-Spilger 6. Aufl. § 623 BGB Rn. 134; Staudinger/Oetker BGB (2002) § 623 Rn. 43).
Gegen eine Umdeutung spricht aber entscheidend, dass sich der Beklagte in der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz ausdrücklich auf eine Umdeutung der außerordentlichen Kündigung in eine Kündigung mit sozialer Auslauffrist festgelegt hat und eine Umdeutung gegen den erklärten Willen des Erklärenden nicht erfolgen kann. Gegen den eindeutig erklärten Parteiwillen ist eine Umdeutung nicht zulässig (Palandt-Heinrichs BGB 63. Aufl. § 140 Rn. 8; BGH 15. Dezember 1955 – II ZR 204/54 – BGHZ 19, 274).
Ferner sind vorliegend weitere besondere Umstände zu berücksichtigen. Anders als im Normalfall, in dem die ordentliche Kündigung grundsätzlich als ein “Minus” in der außerordentlichen Kündigung enthalten ist, kann vorliegend ein Arbeitnehmer der Beklagten bei einer unter den TV Ang.Ausland fallenden außerordentlichen Kündigung einen tariflichen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung erwerben, den er bei einer – berechtigten – ordentlichen betriebsbedingten Kündigung nicht hat. Deshalb stellt sich das Verhältnis von außerordentlicher und ordentlicher Kündigung bei den Arbeitsverhältnissen der Beklagten nicht als ein “Minus”, sondern als ein “aliud” dar. Eine Umdeutung nach § 140 BGB würde in bestimmten Fallkonstellationen den außerordentlich gekündigten Arbeitnehmer sogar schlechter stellen, weil dessen Arbeitsverhältnis nunmehr – umgedeutet – fristgemäß aus betriebsbedingten Gründen – ohne Abfindung – wirksam beendet werden könnte.
III. Der auf vorläufige Weiterbeschäftigung gerichtete Antrag der Klägerin hat sich mit der abschließenden Entscheidung im Kündigungsschutzprozess erledigt.
IV. Der Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Bröhl, Schmitz-Scholemann, Eylert, Dr. Roeckl, K. Schierle
Fundstellen
Haufe-Index 1285389 |
ZTR 2005, 260 |
EzA |
NZA-RR 2005, 440 |