Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderkündigungsrecht bei selbständiger Tätigkeit. Sonderkündigungsrecht bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Wettbewerbsverbot. Karenzentschädigung
Leitsatz (amtlich)
Das Sonderkündigungsrecht nach § 12 KSchG steht dem Arbeitnehmer nicht zu, wenn er während des Kündigungsschutzprozesses eine selbständige Tätigkeit aufgenommen hat.
Orientierungssatz
1. Die Erklärungsfrist des § 12 Satz 1 KSchG ist auch gewahrt, wenn der Arbeitnehmer schon vor Rechtskraft des Urteils dem Arbeitgeber mitteilt, im Falle des Obsiegens im Kündigungsschutzprozess das bisherige Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen zu wollen.
2. § 12 KSchG ist nicht analog anwendbar, wenn der Arbeitnehmer eine selbständige Tätigkeit aufnimmt. Eine planwidrige Gesetzeslücke als Voraussetzung für eine analoge Anwendung des § 12 KSchG bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit liegt nicht vor.
3. Der Verzicht des Arbeitgebers nach § 75a HGB auf ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot bewirkt einerseits, dass die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Unterlassung von Wettbewerb für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 74 Abs. 1 HGB) sofort endet. Andererseits bleibt der Arbeitgeber aber noch für die Dauer eines Jahres zur Zahlung der Karenzentschädigung verpflichtet. Der Entschädigungsanspruch besteht deshalb im Falle eines Verzichts nach § 75a HGB auch dann, wenn der Arbeitnehmer innerhalb der Jahresfrist nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Konkurrenztätigkeit ausübt. Die Pflicht zur Zahlung einer Karenzentschädigung besteht allerdings nur für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Normenkette
KSchG § 12; HGB §§ 60, 75a
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 2. Mai 2006 – 13 Sa 1585/05 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revision noch über den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sowie über Ansprüche des Klägers auf Karenzentschädigung aus einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot.
Der am 6. November 1960 geborene Kläger war seit dem 1. Juli 2000 beim Beklagten als angestellter Steuerberater zu einem Bruttomonatsverdienst iHv. 3.932,00 Euro beschäftigt. Er erhielt zusätzlich für seine Kinder einen Kindergartenbeitrag iHv. 92,00 Euro sowie ein Weihnachtsgeld. Im Arbeitsvertrag vom 27. Juni 2000 ist Folgendes bestimmt:
“…
§ 6
Wettbewerbsverbot während des Anstellungsverhältnisses
(1) Der Angestellte hat seine gesamte Arbeitskraft ausschließlich für die Belange der Praxis des Praxisinhabers zur Verfügung zu stellen. Ihm ist insbesondere eine selbständige freiberufliche Tätigkeit nicht gestattet. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung berechtigt den Praxisinhaber zur fristlosen Kündigung.
(2) Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen diese Verpflichtung hat der Angestellte eine Vertragsstrafe in Höhe des zweifachen Betrages der hierfür vereinnahmten Honorare an den Praxisinhaber abzuführen. Unbeschadet des Zahlungsanspruches gegen den Angestellten hat der Praxisinhaber ein Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrecht bezüglich des Gehalts und sonstiger Vergütungen des Angestellten. Die Vertragsstrafe wird auch ohne den Nachweis eines durch die Vertragsverletzung erlittenen Schadens verwirkt. Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist jedoch nicht ausgeschlossen.
§ 7
Wettbewerbsverbot nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses
(Mandatsschutzklausel)
(1) Der Angestellte verpflichtet sich, während der Dauer von zwei Jahren nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses bei Begründung einer eigenen Praxis nicht für Auftraggeber tätig zu werden, die in den letzten drei Jahren vor Beendigung des Anstellungsverhältnisses Auftraggeber des Praxisinhabers waren. Diese Verpflichtung gilt auch, wenn der Angestellte in einer Sozietät oder als Geschäftsführer oder persönlich haftender Gesellschafter einer Steuerberatungsgesellschaft tätig wird.
…
(3) Der Praxisinhaber zahlt dem Angestellten für die Dauer des in Abs. 1 vereinbarten Wettbewerbsverbots eine Entschädigung iHv. 50 % der zuletzt von ihm bezogenen vertragsmäßigen Leistungen. Die Entschädigung wird jeweils am Schluss eines Monats gezahlt. Auf die Entschädigung ist anzurechnen, was der Angestellte während der Dauer des Wettbewerbsverbots durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Das gilt jedoch nur insoweit, als die Entschädigung unter Hinzurechnung dieses Betrages den Betrag der zuletzt von ihm bezogenen vertragsmäßigen Leistungen um mehr als 10 % – falls der Angestellte durch das Wettbewerbsverbot zur Verlegung seines Wohnsitzes gezwungen ist um mehr als 25 % – übersteigt. Entsprechendes gilt, wenn der Angestellte zwischenzeitlich Arbeitslosenunterstützung erhält.
…
(7) Der Praxisinhaber kann vor Beendigung des Anstellungsverhältnisses durch schriftliche Erklärung auf das Wettbewerbsverbot mit der Wirkung verzichten, daß er mit Ablauf eines Jahres seit der Erklärung von der Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung frei wird.
…
§ 14
Urlaub
(1) Dem Angestellten wird ein jährlicher Urlaub von 25 Arbeitstagen gewährt. Bei der Festlegung des Urlaubs, die durch den Praxisinhaber im Einvernehmen mit dem Angestellten erfolgt, sind die Belange der Praxis zu berücksichtigen.
…
§ 17
Beginn und Dauer des Anstellungsverhältnisses
…
(4) Das Anstellungsverhältnis kann von beiden Seiten mit einer Frist von 3 Monaten zum Quartalsende durch Kündigung beendet werden. Unberührt bleiben die Vorschriften des Gesetzes über die Fristen für die Kündigung von Angestellten bei langjähriger Beschäftigung. Jede gesetzliche Verlängerung der Kündigungsfristen zugunsten des Angestellten gilt in gleicher Weise auch zugunsten des Praxisinhabers.
…
§ 18
Ausschlußfristen
(1) Alle Ansprüche aus dem Anstellungsverhältnis und solche, die mit dem Anstellungsverhältnis in Verbindung stehen, sind innerhalb von 6 Monaten nach Fälligkeit, spätestens jedoch innerhalb von 3 Monaten nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses, geltend zu machen. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, sind verwirkt.
(2) Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von einem Monat nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der schriftlichen Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.
…”
Mit Schreiben vom 26. März 2004, das dem Kläger am selben Tag übergeben wurde, erklärte der Beklagte eine Änderungskündigung zum 30. April 2004. Mit dieser Änderungskündigung wollte der Beklagte die vertragliche Entgeltregelung ändern. Statt des vereinbarten Festgehalts bot der Beklagte dem Kläger eine Vergütung iHv. 50 % des von ihm getätigten Nettoumsatzes als Bruttogehalt an. Der Kläger nahm das Änderungsangebot nicht an und erhob Kündigungsschutzklage.
Mit Schreiben vom 29. Juni 2004 teilte der Beklagte dem Kläger mit, er verzichte auf das vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbot. In einem weiteren Schreiben vom selben Tag erklärte der Beklagte, aus der Kündigung vom 26. März 2004 keine Rechte mehr herzuleiten. Der Kläger lehnte mit Schreiben vom 13. Juli 2004 die zuvor erfolgte Aufforderung des Beklagten, die Arbeit wieder aufzunehmen, ab.
Das Arbeitsgericht gab mit Urteil vom 29. September 2004 der Kündigungsschutzklage statt. Das Urteil wurde dem Kläger Ende Oktober 2004 zugestellt.
Am Sonnabend, dem 6. November 2004, kündigte der Kläger in einer Zeitungsanzeige die Eröffnung seiner Steuerberatungspraxis an. In der Annonce heißt es: “Ab Montag bin ich als Steuerberater für Sie da”. Mit Schreiben vom 17. November 2004 machte der Beklagte wegen der Praxiseröffnung Ansprüche auf Zahlung einer Vertragsstrafe geltend.
In einem an das Arbeitsgericht gesendeten Telefax vom 25. November 2004 erklärte der Kläger den Verzicht auf Rechtsmittel gegen das in dem Kündigungsschutzprozess ergangene Urteil des Arbeitsgerichts. In einem weiteren Schreiben vom 25. November 2004, das dem Beklagten am selben Tag persönlich übergeben wurde, heißt es:
“…
hiermit verweigere ich binnen einer Woche nach Rechtskraft des Urteils des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 29. September 2004, Aktenzeichen – 2 Ca 243/04 –, in entsprechender Anwendung des § 12 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei Ihnen.
Mit dem Zugang dieser Erklärung erlischt nach § 12 KSchG das Arbeitsverhältnis. Ich habe in der N… Str… die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit begonnen und bereits die erforderlichen formalen und organisatorischen Maßnahmen hierfür getroffen.
Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen habe ich jedoch bis zum heutigen Tage von der Übernahme von Mandaten abgesehen.
Nach Zugang dieser Erklärung werde ich ab sofort meine steuerberatende Tätigkeit durch die Übernahme von Mandaten aufnehmen.
…”
Mit seiner am 22. Februar 2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger vom Beklagten die Zahlung von Arbeitsvergütung, Urlaubsabgeltung sowie Karenzentschädigung für die Zeit vom 25. November 2004 bis zum 30. April 2005 in Höhe von monatlich 2.031,00 Euro zzgl. 16 % USt. (= 2.355,96 Euro) verlangt. In Bezug auf die Karenzentschädigung hat der Kläger geltend gemacht, der Beklagte sei ab dem 25. November 2004 zur Zahlung verpflichtet. Das Arbeitsverhältnis habe in entsprechender Anwendung von § 12 KSchG durch seine Erklärung vom 25. November 2004 geendet. Bis dahin habe er keinen Wettbewerb unternommen.
Der Kläger hat in der Revision beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 9.895,04 Euro nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins in gestaffelter Höhe zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis sei durch die Erklärung vom 25. November 2005 nicht aufgelöst worden. Das Sonderkündigungsrecht nach § 12 KSchG stehe dem Kläger nicht zu, weil er sich selbständig gemacht habe. Da das Arbeitsverhältnis über den 25. November 2005 hinaus fortbestanden habe, könne der Kläger keine Karenzentschädigung verlangen. Der Kläger habe die in § 6 Abs. 2 vereinbarte Vertragsstrafe verwirkt. Er habe spätestens ab dem 8. November 2004 gegen das arbeitsvertragliche Wettbewerbsverbot im bestehenden Arbeitsverhältnis verstoßen. Da sich die Vertragsstrafe auf den zweifachen Betrag der durch das wettbewerbswidrige Verhalten vereinbarten Honorare belaufe, sei der Kläger verpflichtet, ihm Auskunft über die Höhe der Honorare zu erteilen.
Im Wege der Widerklage hat der Beklagte beantragt,
den Kläger zu verurteilen, Auskunft zu erteilen, welche Honorare er aus selbständiger Tätigkeit in der Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 31. März 2005 erzielt hat.
Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat den geltend gemachten Vergütungs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen – rechtskräftig – zum Teil stattgegeben und im Übrigen die Klage insoweit – rechtskräftig – abgewiesen. Es hat angenommen, die dem Beklagten am 25. November 2004 übergebene Erklärung des Klägers vom selben Tag habe nicht analog § 12 KSchG zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt. Die Erklärung sei jedoch in eine ordentliche Kündigung umzudeuten, die das Arbeitsverhältnis zum 31. März 2005 aufgelöst habe. Dem Kläger stehe daher für die Zeit bis zum 31. März 2005 keine Karenzentschädigung zu, die diesbezügliche Klage sei nur für den Monat April 2005 begründet. Auf die Karenzentschädigung sei keine Umsatzsteuer zu leisten. Wegen des wettbewerbswidrigen Verhaltens des Klägers könne der Beklagte vom Kläger Auskunft über die vom 25. November 2004 bis zum 31. März 2005 erzielten Honorare verlangen.
Der Kläger hat das Urteil des Arbeitsgerichts mit der Berufung angegriffen, soweit das Arbeitsgericht seine erhobenen Ansprüche auf Zahlung einer Karenzentschädigung für die Zeit vom 25. November 2004 bis zum 31. März 2005 abgewiesen und der Widerklage stattgegeben hat. Der Beklagte hat sich mit seiner Berufung gegen die Verurteilung zur Zahlung einer Karenzentschädigung für April 2005 gewandt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen. Mit der nur für den Kläger zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren für die Zeit vom 25. November 2004 bis zum 31. März 2005 weiter und beantragt darüber hinaus Abweisung der Widerklage.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage in dem in der Revision noch anhängigen Umfang zu Recht abgewiesen und der Widerklage insoweit zu Recht stattgegeben.
I. Das Arbeitsverhältnis hat bis zum 31. März 2005 bestanden. Es ist nicht analog § 12 KSchG durch die Erklärung des Klägers vom 25. November 2004 mit sofortiger Wirkung erloschen. Der Kläger hat daher für die Zeit vom 25. November 2004 bis zum 31. März 2005 keinen Anspruch nach § 75a HGB iVm. § 7 des Arbeitsvertrags vom 27. Juni 2000 auf Zahlung einer Karenzentschädigung.
1. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Erklärung des Klägers vom 25. November 2004 nicht mit sofortiger Wirkung beendet worden. Die Voraussetzungen für die Ausübung des Sonderkündigungsrechts nach § 12 KSchG liegen nicht vor.
a) Nach § 12 KSchG kann der Arbeitnehmer binnen einer Woche nach Rechtskraft des Urteils durch Erklärung gegenüber dem alten Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bei diesem verweigern, wenn nach der Entscheidung des Gerichts das Arbeitsverhältnis fortbesteht, der Arbeitnehmer jedoch inzwischen ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist. Mit dem Zugang der Erklärung erlischt das Arbeitsverhältnis. Die Erklärungsfrist des § 12 Satz 1 KSchG ist gewahrt, wenn der Arbeitnehmer schon vor Rechtskraft des Urteils dem Arbeitgeber mitteilt, im Falle des Obsiegens im Kündigungsschutzprozess das bisherige Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen zu wollen (BAG 19. Oktober 1972 – 2 AZR 150/72 – AP KSchG 1969 § 12 Nr. 1 = EzA KSchG § 12 Nr. 1).
b) Der Kläger hat zwar innerhalb der Wochenfrist des § 12 Satz 1 KSchG erklärt, das Arbeitsverhältnis beim Beklagten nicht fortsetzen zu wollen. Für die Wahrung dieser Frist ist dabei unerheblich, ob das im Kündigungsschutzprozess ergangene Urteil des Arbeitsgerichts vom 29. September 2004 schon rechtskräftig war, als der Kläger dem Beklagten am 25. November 2004 das Schreiben vom selben Tag übergab, weil der Kläger das Sonderkündigungsrecht auch vor Rechtskraft dieses Urteils ausüben konnte. Die weiteren Voraussetzungen für die wirksame Ausübung des Sonderkündigungsrechts aus § 12 KSchG liegen jedoch nicht vor. Der Kläger ist nach Ablauf der Kündigungsfrist während des Laufs des Kündigungsschutzprozesses kein neues Arbeitsverhältnis eingegangen, sondern hat sich selbständig gemacht. Nach dem Wortlaut des § 12 KSchG besteht in diesem Fall kein Sonderkündigungsrecht. Der Kläger konnte das Arbeitsverhältnis nur durch ordentliche Kündigung unter Beachtung der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende kündigen.
c) § 12 KSchG ist nicht entsprechend anwendbar, wenn der Arbeitnehmer eine selbständige Tätigkeit aufnimmt (ebenso ErfK/Kiel 7. Aufl. § 12 KSchG Rn. 4; APS/Biebl 3. Aufl. § 12 KSchG Rn. 5; BBDW/Dörner § 12 KSchG Rn. 10; HaKo-Fiebig 3. Aufl. § 12 KSchG Rn. 14; von Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 12 Rn. 2; Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 12 Rn. 5; Stahlhacke/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 1905c). Die Gegenauffassung, die annimmt, wegen einer ähnlichen Interessen- und Pflichtenkollision bei einer selbständigen Tätigkeit sei eine entsprechende Anwendung des § 12 KSchG in diesen Fällen geboten (HK-KSchG/Dorndorf 4. Aufl. § 12 Rn. 8; Kittner/Däubler/Zwanziger-Kittner KSchR 6. Aufl. § 12 KSchG Rn. 6; KR-Rost 8. Aufl. § 12 KSchG Rn. 8a), vermag nicht zu überzeugen.
aa) Der systematische Zusammenhang zwischen § 12 und § 11 KSchG macht deutlich, dass der in § 12 KSchG verwendete Begriff des “Arbeitsverhältnisses” wörtlich zu nehmen ist und deswegen eine planwidrige Lücke als Voraussetzung für eine analoge Anwendung des § 12 KSchG bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nicht vorliegt. In § 11 KSchG ist die Anrechnung eines anderweitigen Verdienstes geregelt, den der Arbeitnehmer in der Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist erzielt hat (§ 11 Satz 1 Nr. 1 KSchG) oder hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare “Arbeit” anzunehmen (§ 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG). Die Anrechnung eines anderweitigen Verdienstes nach § 11 Satz 1 Nr. 1 KSchG hat nicht nur zu erfolgen, wenn der Arbeitnehmer ein anderes Arbeitsverhältnis eingegangen ist, sondern ebenso, wenn er durch anderweitige “Arbeit” einen Verdienst erzielt hat. Anrechenbar ist deshalb auch ein Verdienst, den der Arbeitnehmer aus einer selbständigen Tätigkeit nach Ablauf der Kündigungsfrist erlangt hat (BAG 16. Juni 2004 – 5 AZR 508/03 – BAGE 111, 123, 130). Die Obliegenheit zur Annahme einer zumutbaren “Arbeit” iSv. § 11 Satz 1 Nr. 2 KSchG kann im Einzelfall auch die Aufnahme einer selbständigen, nicht auf einem Dauerschuldverhältnis beruhenden Erwerbstätigkeit betreffen (vgl. BAG 11. Januar 2006 – 5 AZR 98/05 – BAGE 116, 359, 363). Während § 11 Satz 1 Nr. 1 und 2 KSchG gerade nicht auf den in “Arbeitsverhältnissen” erlangten bzw. zu erzielenden Verdienst abstellt, sondern auf das, was der gekündigte Arbeitnehmer durch “Arbeit” verdient hat oder hätte verdienen können, stellt das Gesetz in § 12 KSchG als Voraussetzung für die Ausübung des dort geregelten Sonderkündigungsrechts ausdrücklich auf das Eingehen eines “Arbeitsverhältnisses” ab. Nur wenn der Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist, steht ihm das dort geregelte Sonderkündigungsrecht zu. Dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer bewusst nur in diesem Fall ein Sonderkündigungsrecht einräumen wollte. Der gesetzliche Gesamtzusammenhang steht damit der Annahme entgegen, § 12 KSchG enthalte für den Fall der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit eine planwidrige Regelungslücke.
bb) Gegen eine planwidrige Regelungslücke spricht des Weiteren, dass die Eingehung eines Arbeitsverhältnisses und die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit typischerweise auf sehr unterschiedlichen Motiven des Arbeitnehmers beruhen und deshalb die Interessenlage des Arbeitnehmers in den beiden Fällen keineswegs gleich ist. Entschließt sich der Arbeitnehmer zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit, ist das jedenfalls in der Regel nicht nur für eine vorübergehende Zeit beabsichtigt. Typischerweise hat der Arbeitnehmer – wie vorliegend auch der Kläger – bei Beginn einer selbständigen Tätigkeit nicht unerhebliche finanzielle Aufwendungen, für die er häufig sogar Darlehensverpflichtungen eingehen muss. Er hat in vielen Fällen Geschäftsräume anzumieten, Büro- oder sonstiges Material anzuschaffen und durch kostenintensive Werbemaßnahmen auf sein Gewerbe bzw. auf seine Dienstleistungen aufmerksam zu machen und Akquisition zu betreiben. Das bedeutet, dass ein Arbeitnehmer, der sich zur Selbständigkeit entschließt, typischerweise nicht nach gewonnenem Kündigungsschutzprozess sein unwirksam gekündigtes Arbeitsverhältnis fortsetzen wird. In diesem Falle müsste er seine selbständige Tätigkeit aufgeben. Die Anlaufinvestitionen wären vergeblich gewesen. Von einem Arbeitnehmer, der nach Ablauf der Kündigungsfrist eine selbständige Tätigkeit aufnehmen will, ist deshalb zu erwarten, dass er sein Arbeitsverhältnis zu dem Zeitpunkt kündigt, zu dem er den Geschäftsbetrieb aufnehmen möchte. Den im Kündigungsschutzprozess gestellten Feststellungsantrag hat er dann entsprechend zeitlich zu begrenzen.
Demgegenüber ist die Interessenlage eines Arbeitnehmers, der nach Ablauf der Kündigungsfrist während des Kündigungsschutzprozesses bei einem anderen Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis eingeht, grundsätzlich anders zu beurteilen. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, dass der Arbeitnehmer Arbeitsangebote der Agentur für Arbeit, die sich auf die Begründung eines Arbeitsverhältnisses beziehen, gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGB III annehmen muss, wenn nicht ein wichtiger Grund zur Ablehnung vorliegt und er nicht eine Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung in Kauf nehmen will. Hinzu kommt, dass für den Arbeitnehmer keine größeren finanziellen Aufwendungen anfallen, wenn er ein neues Arbeitsverhältnis eingeht. Das dem Arbeitnehmer in § 12 KSchG eingeräumte Wahlrecht ist deshalb gerade dann sinnvoll und für den Arbeitnehmer von Wert, wenn er nach Ablauf der Kündigungsfrist ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist. Des Weiteren besteht auch nur bei der Eingehung eines neuen Arbeitsverhältnisses die aus der persönlichen Abhängigkeit folgende besondere Pflichtenkollision, die durch das Sonderkündigungsrecht nach § 12 KSchG beseitigt werden soll (HaKo-Fiebig § 12 KSchG Rn. 14). Aus diesen Gründen ist es bei typisierender Betrachtung einleuchtend, dass § 12 KSchG dem Arbeitnehmer nur für den Fall der Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses ein Sonderkündigungsrecht einräumt und nicht auch bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit.
2. Die Erklärung des Klägers vom 25. November 2004 hat das Arbeitsverhältnis zum 31. März 2005 aufgelöst. Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Umdeutung (§ 140 BGB) der Erklärung in eine ordentliche Kündigung zum nächst zulässigen Termin hat der Kläger nicht angegriffen. Da nach § 17 Abs. 4 des Arbeitsvertrags eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende vereinbart war, endete das Arbeitsverhältnis am 31. März 2005.
3. Der Kläger hat bis zum 31. März 2005 keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung einer Karenzentschädigung, weil das Arbeitsverhältnis bis dahin fortbestanden hat.
a) Haben die Arbeitsvertragsparteien ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot iSv. § 74 HGB vereinbart, kann der Arbeitgeber gemäß § 75a HGB vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch schriftliche Erklärung auf das Wettbewerbsverbot verzichten. Der Verzicht bewirkt einerseits, dass die Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Unterlassung von Wettbewerb für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (§ 74 Abs. 1 HGB) sofort endet. Andererseits bleibt der Arbeitgeber aber noch für die Dauer eines Jahres zur Zahlung der Karenzentschädigung verpflichtet (BAG 17. Februar 1987 – 3 AZR 59/86 – AP HGB § 75a Nr. 4 = EzA HGB § 75 Nr. 14). Der Entschädigungsanspruch besteht deshalb im Falle eines Verzichts nach § 75a HGB auch dann, wenn der Arbeitnehmer innerhalb der Jahresfrist nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Konkurrenztätigkeit ausübt (HWK/Diller 2. Aufl. § 75a HGB Rn. 14; MünchKommHGB/von Hoyningen-Huene 2. Aufl. § 75a Rn. 9).
b) Die Pflicht zur Zahlung einer Karenzentschädigung besteht allerdings nur für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Solange das Arbeitsverhältnis fortbesteht, hat der Arbeitnehmer einen arbeitsvertraglichen Vergütungsanspruch. Etwaige Leistungsstörungen, wie eine länger als sechs Wochen andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit oder ein Arbeitsausfall, der auf mangelnder Leistungsfähigkeit bzw. Leistungswilligkeit iSv. § 297 BGB beruht, führen nicht zu einem Anspruch auf Zahlung der Karenzentschädigung nach § 75a HGB während des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses. Denn die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung gründet letztlich auf dem zunächst vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverbot, für dessen Dauer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 74 Abs. 2 HGB eine Entschädigung zu zahlen ist. Im Falle eines Verzichts nach § 75a HGB verkürzt sich für den Arbeitgeber lediglich die Dauer der Leistungspflicht.
4. Ob der Beklagte auf die vom Arbeitsgericht dem Kläger zugesprochene Karenzentschädigung für den Monat April 2005 auch Umsatzsteuer zu zahlen hat, bedarf keiner Entscheidung. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz nicht die Zahlung von Umsatzsteuer für diesen Monat beantragt. Hierauf hat das Landesarbeitsgericht ausdrücklich hingewiesen. Der Kläger hat hiergegen keine begründete Verfahrensrüge erhoben.
II. Die Revision des Klägers ist auch nicht begründet, soweit er sich gegen die vom Beklagten im Wege der Widerklage erhobenen Auskunftsansprüche wendet. Der Beklagte kann vom Kläger gemäß § 242 BGB Auskunft über die in der Zeit vom 25. November 2004 bis zum 31. März 2005 erzielten Honorare verlangen. Insoweit gelten dieselben Grundsätze wie bei der Verpflichtung zur Auskunftserteilung zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nach § 61 HGB (vgl. BAG 21. Oktober 1970 – 3 AZR 479/69 – AP BGB § 242 Auskunftspflicht Nr. 13).
1. Der Beklagte hat dargelegt, dass der Kläger nach § 6 des Arbeitsvertrags verpflichtet war, bei einem Verstoß gegen das vertragliche Wettbewerbsverbot eine Vertragsstrafe in Höhe des zweifachen Betrags der hierfür vereinbarten Honorare an ihn abzuführen. Nach erteilter Auskunft ist daher ein Leistungsanspruch des Beklagten möglich. Der Kläger hat die Wirksamkeit dieser Klausel nicht in Frage gestellt.
2. Der Kläger hat einräumt, in der Zeit vom 25. November 2004 bis zum 31. März 2005 steuerberatende Tätigkeit ausgeübt und Mandate übernommen zu haben. Damit hat er gegen das im bestehenden Arbeitsverhältnis geltende Wettbewerbsverbot verstoßen. Nach § 6 des Arbeitsvertrags sowie gemäß § 60 HGB war er verpflichtet, bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Wettbewerb zu unterlassen. Aus dem vom Beklagten am 29. Juni 2004 erklärten Verzicht auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot ergibt sich nichts anderes. Mit dem Verzicht des Arbeitgebers nach § 75a HGB verzichtet der Arbeitgeber grundsätzlich nicht zugleich auf die Rechte aus § 60 HGB (Bauer/Diller Wettbewerbsverbote 4. Aufl. Rn. 393; Heymann/Henssler HGB 2. Aufl. § 75a Rn. 4). Beide Wettbewerbsverbote sind zu unterscheiden. Während des bestehenden Arbeitsverhältnisses gilt von Gesetzes wegen nach § 60 HGB auch ohne vertragliche Vereinbarung ein Wettbewerbsverbot. Demgegenüber bedarf es zur Begründung eines Wettbewerbsverbots für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses einer besonderen Vereinbarung, die den Anforderungen der §§ 74 ff. HGB zu genügen hat. Verzichtet der Arbeitgeber nur auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot, übt er ein ihm in § 75a HGB eingeräumtes Recht aus. Der Erklärung kann deshalb nicht ohne Weiteres entnommen werden, dass damit zugleich auf das im bestehenden Arbeitsverhältnis nach § 60 HGB geltende Wettbewerbsverbot verzichtet werde. Vorliegend sind keine Umstände ersichtlich, die eine solche Annahme rechtfertigen.
III. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Unterschriften
Fischermeier, Dr. Armbrüster, Linck, H. Markwat, Matiaske
Fundstellen
Haufe-Index 1853679 |
BAGE 2009, 273 |
BB 2008, 282 |
DB 2008, 589 |
NJW 2008, 1466 |
NWB 2007, 4247 |
EBE/BAG 2008 |
FA 2008, 49 |
FA 2008, 96 |
JR 2009, 219 |
NZA 2008, 1074 |
RdA 2008, 299 |
StuB 2008, 244 |
ZAP 2008, 129 |
ZTR 2008, 226 |
AP, 0 |
EzA-SD 2007, 3 |
EzA-SD 2008, 3 |
EzA |
AA 2008, 105 |
AUR 2008, 119 |
ArbRB 2007, 317 |
ArbRB 2008, 77 |
RdW 2008, 256 |
BBKM 2008, 50 |
HzA aktuell 2008, 37 |
PuR 2008, 11 |
SJ 2008, 41 |