Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschäftigung als Angestellter – Feststellungsinteresse
Leitsatz (amtlich)
Die Anwendbarkeit eines Tarifvertrags im Arbeitsverhältnis kann Gegenstand einer Feststellungsklage auch dann sein, wenn zwischen den Arbeitsvertragsparteien Streit über den persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags besteht.
Normenkette
ZPO § 256
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 19. Oktober 2000 – 5 Sa 701/00 – aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger ist von Beruf Radio- und Fernsehtechniker und seit 1978 als Videotechniker im Entwicklungszentrum der Beklagten beschäftigt. Die Arbeitsaufgabe des Klägers besteht darin, Vorgänge an schwer zugänglichen Teilen von Kraftfahrzeugen unter Einsatz von Videotechnik sichtbar zu machen. Die Aufnahmen finden während der Fahrt oder auf Prüfständen statt, um schwer erkennbare Fehlerquellen feststellen zu können.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge der metallverarbeitenden Industrie Anwendung. Die Beklagte stuft den Kläger als gewerblichen Arbeitnehmer nach dem Lohnrahmenabkommen der metallverarbeitenden Industrie Nordrhein-Westfalen (LRA) ein.
Der Kläger macht geltend, er sei technischer Angestellter im Sinne des Gehaltsrahmenabkommens für die Angestellten der metallverarbeitenden Industrie in Nordrhein-Westfalen (GRA). Hiervon sei insbesondere die Eingruppierung und die Höhe der betrieblichen Altersversorgung abhängig. Bei gewerblichen Arbeitnehmern wachse die Anwartschaft nach zehn Jahren Betriebszugehörigkeit jährlich nur noch um 0,37 % des Monatsverdienstes, bei Angestellten dagegen weiterhin um 1 %. Bereits deshalb ergäben sich aus der Einordnung als gewerblicher Arbeitnehmer erhebliche Nachteile. Als Angestellter habe er zudem eine andere sozialversicherungsrechtliche und betriebsverfassungsrechtliche Stellung.
Zu seiner Tätigkeit hat der Kläger vorgetragen, er führe nicht nur die Videoaufnahmen durch, sondern plane in Abstimmung mit den Auftraggebern auch die Installation und Konstruktion unter Einsatz von technisch hochwertigem und kompliziertem Gerät. Er unterstütze nicht lediglich die Fotoingenieure der Beklagten bei ihrer Tätigkeit. Entsprechend den mit der Durchführung von Zeitaufnahmen und deren Auswertung beschäftigten Arbeitnehmern sei er in die Gehaltsstufe T. 4 einzuordnen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß er bei der Beklagten als technischer Angestellter im Sinne des Gehaltsrahmenabkommens für die metallverarbeitende Industrie beschäftigt ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Feststellungsantrag sei bereits unzulässig; denn der Kläger habe nicht konkret angegeben, welche Ansprüche er aus der begehrten Feststellung herleite. Der Kläger sei auch kein Angestellter und nicht für die selbständige Planung, Konstruktion und Umsetzung von Videoproduktionen verantwortlich. Er bespreche mit den Sachbearbeitern die gewünschten Ansichten, fertige die Halterungen für Beleuchtung und Videokameras, montiere Beleuchtung und Kameras und führe einen Funktionstest durch. Dann richte er das zu kontrollierende Fahrzeug oder den Prüfstand mit Monitoren und Aufnahmegeräten aus, überwache den Aufzeichnungsvorgang und schneide das Videoband nebst Dokumentation einzelner Passagen mittels Text oder Ton. Die Auswertung der Videobänder erfolge durch die zuständigen Fotoingenieure. Die Tätigkeit des Klägers sei überwiegend durch einfache körperliche Arbeit geprägt.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage als unzulässig abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Feststellungsantrag unverändert weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 564 Abs. 1, § 565 Abs. 1 ZPO).
I. Der Feststellungsantrag ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen gem. § 256 Abs. 1 ZPO zulässig.
1. Der Antrag bedarf der Auslegung. Dem Kläger kommt es darauf an, daß sein Arbeitsverhältnis bei der Beklagten dem persönlichen Geltungsbereich des GRA unterliegt. Die Beklagte soll verpflichtet sein, die Regelungen des GRA anstatt derjenigen des LRA auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden. Der Kläger begehrt also die Feststellung, er sei technischer Angestellter im Sinne des GRA und die Beklagte habe ihn als solchen zu behandeln.
2. Die Parteien streiten über das Bestehen oder Nichtbestehen eines gegenwärtigen Rechtsverhältnisses (§ 256 Abs. 1 ZPO), nicht lediglich über einzelne Elemente oder bloße Vorfragen desselben. Zwar wird nicht das Arbeitsverhältnis als das zwischen den Parteien bestehende Rechtsverhältnis insgesamt einer Klärung zugeführt. Doch fallen unter den Begriff des Rechtsverhältnisses auch einzelne Rechte, Pflichten oder Folgen einer solchen Rechtsbeziehung(BAG 18. November 1968 – 3 AZR 255/67 – AP BGB § 242 Ruhegehalt Nr. 134, zu I der Gründe; BAG 21. Februar 2001 – 4 AZR 18/00 – zVv., zu A der Gründe mwN; BGH 3. Mai 1983 – VI ZR 79/80 – NJW 1984, 1556, zu II 1 a der Gründe mwN). Die Anwendbarkeit eines bestimmten Tarifvertrags im Arbeitsverhältnis betrifft nicht eine abstrakte Rechtsfrage, sondern bestimmt den Umfang der Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis, soweit der Tarifvertrag diese regelt. LRA und GRA regeln in unterschiedlicher Weise die Rahmenbedingungen für die Vergütung der Arbeitnehmer. Es geht im Streitfalle deshalb konkret um den Inhalt des bestehenden Arbeitsverhältnisses, nicht abstrakt um das auf das Rechtsverhältnis anwendbare Recht.
3. Der Kläger hat entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ein rechtliches Interesse daran, daß das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde (§ 256 Abs. 1 ZPO).
a) Das Bundesarbeitsgericht sieht gegenwartsbezogene Klagen von Beschäftigten auf Feststellung, daß ein Arbeitsverhältnis bestehe, in ständiger Rechtsprechung als zulässig an, und zwar auch dann, wenn bereits im Prozeß erkennbar wird, daß später über einzelne Arbeitsbedingungen gestritten wird. Das Interesse an der alsbaldigen Feststellung ergibt sich daraus, daß bei Bestehen eines Arbeitsverhältnisses die zwingenden gesetzlichen Vorschriften, die ein Arbeitsverhältnis gestalten, auf das Vertragsverhältnis der Parteien unabhängig von den getroffenen Vereinbarungen unmittelbar anzuwenden sind. Das gilt auch für den Fall, daß Streit über einzelne Arbeitsbedingungen absehbar ist. Es wäre prozeßökonomisch wenig sinnvoll, den um die Statusbeurteilung eines Beschäftigten geführten Prozeß von Anfang an mit Streitpunkten zu belasten, etwa dem zeitlichen Umfang der Beschäftigung oder der Eingruppierung, die bei positivem Ausgang des Rechtsstreits zwischen den Parteien in Verhandlungen geklärt werden können. Die Beantwortung der für den Beschäftigten wichtigsten Fragen nach dem arbeitsrechtlichen Schutz seines Rechtsverhältnisses soll nicht durch eine vermeidbare Ausweitung des Streitgegenstands verzögert werden. Die Statusfrage ist die Grundfrage solcher Rechtsstreite; es ist sinnvoll, sie vorab zur gerichtlichen Entscheidung zu stellen. Die klagende Partei ist demnach bei der gegenwartsbezogenen Feststellungsklage nicht gehalten, die Klage auf Feststellung eines Arbeitsverhältnisses dahin zu erweitern, daß das Arbeitsverhältnis zu bestimmten Bedingungen besteht. Sie braucht nicht den weitestgehenden Feststellungsantrag zu stellen(BAG 15. Dezember 1999 – 5 AZR 457/98 – AP ZPO 1977 § 256 Nr. 59 = EzA ZPO § 256 Nr. 2, zu I 1 der Gründe; 3. März 1999 – 5 AZR 275/98 – AP ZPO 1977 § 256 Nr. 53, zu 1 der Gründe; 20. Juli 1994 – 5 AZR 196/93 – AP ZPO 1977 § 256 Nr. 26, zu III der Gründe mwN).
b) Für eine Feststellungsklage, mit der geklärt werden soll, welcher Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, ist das Feststellungsinteresse gegeben, wenn hiervon die Entscheidung über Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis abhängt(BAG 28. Mai 1997 – 4 AZR 663/95 – AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 6 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 12, zu I 1 der Gründe). Durch die Feststellung, daß die sich aus einem bestimmten Tarifvertrag ergebenden Rechte und Pflichten für das Arbeitsverhältnis gelten, wird der wesentliche Inhalt des Arbeitsverhältnisses geklärt und eine Vielzahl von Einzelfragen dem Streit der Parteien entzogen. Daraus folgt das erforderliche Feststellungsinteresse(BAG 21. Februar 2001, aaO; 25. Oktober 2000 – 4 AZR 506/99 – zVv., zu I der Gründe; 25. Juni 1998 – 6 AZR 475/96 – BAGE 89, 202, 205 = AP TVArb Bundespost § 1 Nr. 1, zu II 1 der Gründe; 23. Februar 1995 – 6 AZR 667/94 – BAGE 79, 224, 226 = AP TVAng Bundespost § 1 Nr. 3, zu I der Gründe; 30. Juli 1992 – 6 AZR 11/92 – BAGE 71, 68, 71 = AP TVAng Bundespost § 1 Nr. 1, zu B I der Gründe, mwN). Das betrifft nicht nur die Streitfälle über den fachlichen, räumlichen oder zeitlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages, sondern gilt insbesondere auch dann, wenn der persönliche Geltungsbereich zu klären ist. Haben etwa die Tarifvertragsparteien unterschiedliche Tarifverträge für Arbeiter und Angestellte abgeschlossen, besteht im Einzelfall Klärungsbedarf, welcher Tarifvertrag Anwendung findet. Die klagende Partei braucht auch hier nicht den weitestgehenden Feststellungsantrag zu stellen, um schon vorsorglich alle noch möglicherweise klärungsbedürftigen Streitfragen frühzeitig einer Entscheidung zuzuführen.
c) Da zwischen den Parteien, sei es kraft beiderseitiger Tarifbindung, sei es auf einzelvertraglicher Grundlage, unstreitig die Tarifverträge der metallverarbeitenden Industrie in Nordrhein-Westfalen Anwendung finden, gilt für das Arbeitsverhältnis entweder das LRA oder das GRA. Maßgebend ist der sich gegenseitig ausschließende persönliche Geltungsbereich. Beide Tarifverträge regeln die Rahmenbedingungen der Vergütung unterschiedlich. Das wirkt sich auch dann auf das Arbeitsverhältnis des Klägers aus, wenn einzelvertraglich eine übertarifliche Vergütung vereinbart ist, die möglicherweise sogar über der höchsten Lohngruppe des LRA liegt. Abgesehen davon, daß LRA und GRA unterschiedlichen Änderungen unterliegen können, enthalten sie verschiedenartige Regelungen nicht nur zur Eingruppierung, sondern auch zu Zuschlägen, Zulagen, Entlohnungsgrundsätzen und -methoden, Prämien und Leistungszulagen. Dem kann nicht allein mit der Höhe der vereinbarten Vergütung begegnet werden. Der Kläger hat durchaus ein rechtliches Interesse daran zu wissen, welche Bestandteile seiner Vergütung sich aus dem Tarifvertrag ergeben und welche Teile übertariflich sind. Dem kommt etwa für den Fall künftiger Änderungen der tariflichen Vergütung und für die sich hieraus ergebenden Auswirkungen auf die arbeitsvertragliche Vergütung erhebliche Bedeutung zu. Stünde rechtskräftig fest, daß der Kläger Angestellter im Sinne des GRA ist, müßte die Beklagte ihn in eine der Gehaltsgruppen für technische Angestellte umgruppieren. Die Leistungszulage wäre gegebenenfalls nach dem Tarifvertrag zur Leistungsbeurteilung von Angestellten zu ermitteln. Daraus könnte sich ohne weiteres gegenwärtig oder jedenfalls zukünftig eine höhere Vergütung für den Kläger ergeben. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts muß der Kläger im vorliegenden Verfahren nicht die höhere Vergütung schlüssig darlegen. Er kann angesichts der Klärung der wesentlichen Streitfrage vielmehr abwarten, was das Verfahren der Umgruppierung gemäß § 99 BetrVG für ihn ergibt.
Unabhängig hiervon behandelt die Beklagte Arbeiter und Angestellte bei der betrieblichen Altersversorgung unstreitig in unterschiedlicher Weise. Ob das zulässig ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Der Kläger hat jedenfalls ein Interesse daran zu wissen, unter welche Regelung er fällt. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist für die betriebliche Altersversorgung des Klägers der Steigerungsfaktor wesentlich. Die Vergleichsberechnung des Landesarbeitsgerichts nach dem tatsächlichen Monatseinkommen des Klägers als Arbeiter einerseits und seinem Tarifgehalt als Angestellter andererseits ist nicht zulässig. Zugrunde zu legen sind die jeweiligen tariflichen Vergütungen, wenn nicht die tatsächliche Vergütung angesetzt werden kann. Es liegt auf der Hand, daß der Kläger danach als Angestellter eine höhere Altersversorgung erwerben würde. Berechnet werden muß das im einzelnen nicht. Auch die Dauer einer etwaigen Angestelltentätigkeit bedarf hier noch keiner Klärung.
II. Der Senat kann über die Begründetheit der Klage nicht selbst gem. § 565 Abs. 3 ZPO entscheiden.
1. Eine Sachentscheidung des Revisionsgerichts setzt voraus, daß die tatsächlichen Feststellungen getroffen und weitere entgegenstehende Feststellungen nicht mehr zu erwarten sind. Daran fehlt es regelmäßig, wenn die Vorinstanz die Klage als unzulässig abgewiesen hat. Das Revisionsgericht kann die vom Berufungsgericht als unzulässig abgewiesene Klage nur dann als unbegründet abweisen, wenn der Klagevortrag nach jeder Richtung unschlüssig und die Möglichkeit auszuschließen ist, daß der Kläger seinen Anspruch durch Einführung neuen Prozeßstoffs noch schlüssig macht. Dasselbe gilt, wenn das Berufungsgericht die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen hat und neuer Tatsachenvortrag nicht mehr zu erwarten ist(vgl. nur BAG 2. Dezember 1999 – 8 AZR 796/98 – AP BGB § 613 a Nr. 188 = EzA BGB § 613 a Nr. 188, zu II 1 der Gründe mwN).
2. Diese Voraussetzungen für eine abschließende Entscheidung liegen nicht vor. Das Sachverhältnis im Sinne von § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO ist nicht hinreichend festgestellt. Das Landesarbeitsgericht hat keine ausreichenden Feststellungen getroffen, um beurteilen zu können, ob der Kläger Angestellter oder gewerblicher Arbeitnehmer im Sinne der genannten Tarifverträge ist. Deswegen sieht der Senat von weiteren Hinweisen hierzu ab.
Unterschriften
Rost, Dr. Wittek, Mikosch, P. Knospe, S. Morsch
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 26.07.2001 durch Gaßmann, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 643099 |
BB 2001, 2380 |
FA 2001, 343 |
ZTR 2002, 47 |
AP, 0 |
EzA |