Entscheidungsstichwort (Thema)
Suspendierung des Arbeitnehmers; Annahmeverzug
Orientierungssatz
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG kann dem Arbeitgeber die Annahme der vom Arbeitnehmer (hier eines Fleischbeschautierarztes angebotene Arbeitsleistung nur ganz ausnahmsweise mit der Folge unzumutbar sein, daß der Arbeitgeber trotz der Nichtannahme der Arbeitsleistung nicht in Annahmeverzug gerät.
Normenkette
BGB §§ 242, 615
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 04.08.1987; Aktenzeichen 13 Sa 637/87) |
ArbG Nienburg (Entscheidung vom 17.03.1987; Aktenzeichen 2 Ca 461/86) |
Tatbestand
Der Kläger steht seit dem 1. Januar 1982 als nicht vollbeschäftigter Fleischbeschautierarzt in den Diensten des Beklagten und betreibt daneben eine Tierarztpraxis. Nach § 4 des Arbeitsvertrages vom 1. November 1983 richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des Tarifvertrages über die Regelung der Rechtsverhältnisse der Fleischbeschautierärzte, Fleischbeschauer und Trichinenschauer außerhalb öffentlicher Schlachthöfe vom 1. April 1969 in der jeweils geltenden Fassung. In § 2 dieses Arbeitsvertrages haben die Parteien vereinbart:
(1) Dem Angestellten obliegt die Schlachttier- und
Fleischbeschau und die Trichinenschau im Be-
schaubezirk Re
sowie neben anderen Beschauern im Beschauamt
N .
Weiterhin obliegt ihm die Vertretung im Beschau-
bezirk L .
(2) Für die Beschautätigkeit im Beschaubezirk erhält
der Angestellte Stückvergütung, während die Ver-
gütung für die Tätigkeit im Beschauamt als Stun-
denvergütung erfolgt.
Im Dezember 1985 erhielt der Beklagte vom Landkreis H Kenntnis über illegale Praktiken im Schlachtbetrieb der Firma R in Re. Der Kläger stand insoweit in dem Verdacht, im Rahmen seiner Beschautätigkeit Schlachttiere ohne die erforderlichen Untersuchungen mit Tauglichkeitsstempeln versehen zu haben, weshalb auch die Staatsanwaltschaft gegen ihn ein Ermittlungsverfahren einleitete. Mit Schreiben vom 16. April 1986 teilte der Beklagte dem Personalrat seine Absicht mit, dem Kläger fristlos zu kündigen; der Personalrat gab jedoch unter dem 21. April 1986 eine ablehnende Stellungnahme ab. Am 22. April 1986 hörte der Beklagte den Kläger zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen an und schlug den Abschluß einer Vereinbarung vor, die eine Einstellung der Beschautätigkeit in den Beschaubezirken Re und L bis zum Abschluß des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens unter Fortbestand des Arbeitsverhältnisses vorsah. Der anwaltlich vertretene Kläger ließ dem Beklagten mit Schreiben vom 25. April 1986 mitteilen, die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen seien sämtlich ungerechtfertigt, wie auch eine Einstellung der Beschautätigkeit nicht in Betracht komme. Im einzelnen könne er zu den Vorwürfen Stellung nehmen, wenn das Ergebnis der staatsanwaltlichen Ermittlungen bekannt sei. Im übrigen bitte er darum, ihn belastende Maßnahmen nicht einseitig zu treffen, sondern den Abschluß des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens abzuwarten. Darauf antwortete der Beklagte am 9. Mai 1986 u.a. wie folgt:
"Wegen der erheblichen Bedeutung der erhobenen Anschuldigungen, die letztlich darauf hinauslaufen, daß Sie unter schwerwiegender Mißachtung Ihrer amtlichen Befugnisse wiederholt Tauglichkeitsstempel falsch und rechtswidrig eingesetzt haben, sehe ich mich nicht in der Lage, bis zur Klärung des Sachverhalts Sie, auch nur in Teilbereichen, weiterhin in der Schlachttier- und Fleischbeschau sowie der Trichinenschau einzusetzen. Sollten die strafrechtlichen Ermittlungen zu einer Verurteilung führen, wäre zweifellos ein Grund für eine fristlose Kündigung gegeben.
Angesichts des vorstehenden Sachverhalts beurlaube ich Sie hiermit ab sofort von der Ihnen mit Vertrag vom 01.11.83 übertragenen Tätigkeit als Fleischbeschautierarzt für alle in § 2 des o.a. Vertrages genannten Bereiche. Die Beurlaubung gilt bis zum rechtskräftigen Abschluß des gegen Sie eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Sie haben unverzüglich nach Erhalt dieses Schreibens Ihre Tätigkeit als Fleischbeschautierarzt einzustellen.
Sollten Sie der vorstehenden Beurlaubung nicht Folge leisten, behalte ich mir vor, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen. Gleiches gilt für den Fall, daß Sie hinsichtlich der o.a. Vorwürfe in dem anhängigen Strafverfahren rechtskräftig verurteilt werden."
Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers erwiderte mit Schreiben vom 2. Juni 1986, es handele sich wohl nicht um eine Beurlaubung, sondern eine Suspendierung, die jedoch nicht gerechtfertigt sei. Der Kläger sei bereit, auch weiterhin seiner vertraglichen Verpflichtung nachzukommen. Die Vergütungspflicht des Beklagten bestehe weiter. Unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges sei dem Kläger je Werktag 1/300 der Bezüge des vorangegangenen Kalenderjahres zu bezahlen. Bei einem Jahresbruttoverdienst von 63.535,-- DM ergebe sich daraus ein werktäglicher Bruttolohnanspruch von 211.85 DM.
Unter dem 23. Februar 1987 erhob die Staatsanwaltschaft Verden Anklage gegen den Kläger, woraufhin der Beklagte im März 1987 das Arbeitsverhältnis außerordentlich und hilfsweise ordentlich kündigte. Über die vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage bei dem Arbeitsgericht Nienburg (- 2 Ca 215/87 -) ist - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger von dem Beklagten die Zahlung seiner Vergütung für die Zeit vom 10. Mai 1986 bis zum 31. Januar 1987 in Höhe von insgesamt 57.406,14 DM brutto nebst 4 v.H. Zinsen. Hierzu hat er vorgetragen, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe seien unberechtigt. Insbesondere könne ihm der Beklagte nicht durch einseitige Maßnahmen den Entgeltanspruch entziehen, während er sich zur Verfügung halten müsse und keine andere Tätigkeit aufnehmen dürfe. Immerhin entfalle auf seine Tätigkeit als Fleischbeschautierarzt die Hälfte seines Einkommens. Eine Suspendierung unter Wegfall des Entgelts sei weder ein milderes noch ein weniger belastendes Mittel als eine fristlose Kündigung. Vielmehr habe der Beklagte mit der Suspendierung den Kläger loswerden wollen, ohne, wie im Fall einer Kündigung, das Risiko einer Kündigungsschutzklage einzugehen. Dem Beklagten sei es aber verwehrt, den Kläger bis zum Ausspruch der Kündigung nicht arbeiten zu lassen und dementsprechend keine Vergütung zu zahlen. Der Kläger sei zur Erbringung der Arbeitsleistung bereit und in der Lage gewesen. Darüber hinaus sei dem Beklagten die Annahme der Leistung auch nicht unzumutbar gewesen. Dementsprechend stehe dem Kläger 1/300 der Gesamtbezüge des vorausgegangenen Jahres zu. Bei einem Bruttoverdienst von 76.167,50 DM belaufe sich der Tagesbetrag auf 253,89 DM brutto.
Der Kläger hat beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger
11.425,05 DM nebst 4 % Zinsen auf 4.823,91 DM
seit dem 1. Juni 1986 sowie 4 % Zinsen auf
6.601,14 DM seit dem 1. Juli 1986 zu zahlen;
2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger
weitere 45.954,09 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf
6.855,03 DM ab dem 1. August 1986, 4 % Zinsen
auf 6.601,14 DM seit dem 1. September 1986,
4 % Zinsen auf 6.601,14 DM seit dem 1. Oktober
1986, 4 % Zinsen auf 6.855,03 DM seit dem
1. November 1986, 4 % Zinsen auf 6.093,36 DM
seit dem 1. Dezember 1986, 4 % Zinsen auf
6.374,25 DM seit dem 1. Januar 1987, 4 %
Zinsen auf 6.601,14 DM seit dem 1. Februar 1987
zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und erwidert, dem Kläger stehe der Vergütungsanspruch nicht zu. Da der Kläger in der Zeit vom 10. Mai 1986 bis 31. Januar 1987 keine Arbeitsleistung erbracht habe, könne sein Begehren nur dann erfolgreich sein, wenn sich der Beklagte in Annahmeverzug befunden habe. Ein Annahmeverzug des Beklagten trete aber dann nicht ein, wenn dem Kläger die Leistung unmöglich gewesen sei. Zwar habe der Kläger rein physisch seine Arbeitsleistung erbringen können, doch sei die Annahme dieser Arbeitsleistung für den Beklagten nicht zumutbar gewesen. Denn gegenüber dem Kläger habe der Verdacht schwerwiegender Amtspflichtverletzungen bestanden. In Anbetracht der besonderen Vertrauensstellung des Klägers habe der Beklagte, um sich nicht uferlosen Amtshaftungsansprüchen auszusetzen, entweder zum Mittel der fristlosen Kündigung oder zur Suspendierung des Klägers greifen müssen. Der Kläger verstoße gegen Treu und Glauben, wenn er trotz Nichtleistung der Arbeit seinen Lohn fordere. Im übrigen habe sich der Kläger durch die Begehung von Straftaten schadenersatzpflichtig gemacht. Dazu zähle auch der Schaden, der der Beklagten durch die Nichtleistung der Arbeit während der Zeit der Suspendierung entstanden sei. Der Beklagte rechne hilfsweise mit diesem Schadenersatzanspruch auf.
Das Arbeitsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten wurde vom Landesarbeitsgericht mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß sich der ausgeurteilte Zinsanspruch nur auf die sich aus den Bruttoleistungen jeweils ergebenden Nettolohnbeträge bezieht. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß die Suspendierung des Klägers durch den Beklagten den Anspruch des Klägers auf die vereinbarte Vergütung nicht beeinträchtigt hat und daß daher der Beklagte die der Höhe nach unstreitige Klageforderung aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges (§ 615 BGB) schuldet.
1. Das Landesarbeitsgericht hat diese Rechtsauffassung im wesentlichen wie folgt begründet: Der Beklagte habe sich in Annahmeverzug befunden, da der Kläger seine Arbeitsleistung tatsächlich angeboten und der Beklagte deren Annahme durch die einseitige Suspendierung verweigert habe. Eine derartige einseitige Suspendierung beeinträchtige den Vergütungsanspruch nicht. Hierzu bedürfe es vielmehr einer vertraglichen Vereinbarung; eine solche sei jedoch im Entscheidungsfalle nicht zustandegekommen. Auch § 297 BGB stehe dem Klageanspruch nicht entgegen. Denn der Kläger habe ohne weiteres seine vertragliche Tätigkeit weiterhin ausführen können; gestört gewesen sei lediglich das Vertrauen des Beklagten in die ordnungsgemäße Pflichterfüllung. Ein Recht des Gläubigers, die Annahme der Arbeitsleistung zu verweigern, könne sich zwar aus § 242 BGB ergeben. Hierbei sei jedoch zu berücksichtigen, daß der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis kündigen könne, wenn ihm die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unzumutbar sei. Sehe jedoch der Arbeitgeber von einer solchen Kündigung ab und setze er das Arbeitsverhältnis bewußt fort, so könne wegen der Gefahr des Unterlaufens von Kündigungsschutzbestimmungen ein Annahmeverweigerungsrecht aus Treu und Glauben nicht hergeleitet werden. Anders als in den Fällen der Suspendierung des Arbeitnehmers in der Phase der Kündigungsvorbereitung sei der Beklagte im Entscheidungsfall entschlossen gewesen, von einer Kündigung vorläufig abzusehen.
2. Diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung stand.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann dem Arbeitgeber die Annahme der vom Arbeitnehmer angebotenen Arbeitsleistung nur ganz ausnahmsweise mit der Folge unzumutbar sein, daß der Arbeitgeber trotz der Nichtannahme der angebotenen Arbeitsleistung nicht in Annahmeverzug gerät (vgl. z.B. BAG -GS- Beschluß vom 26. April 1956, BAGE 3, 66 = AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG; BAGE 16, 72 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAGE 27, 230, 231 = AP Nr. 5 zu § 102 BetrVG 1972; BAGE 28, 233 = AP Nr. 8 zu § 103 BetrVG 1972; Urteil vom 29. Oktober 1987 - 2 AZR 144/87 - EzA § 615 BGB Nr. 54).
Das Vorliegen eines derartigen, auf dem Grundsatz von Treu und Glauben beruhenden Annahmeverweigerungsrechts hat das Landesarbeitsgericht im Entscheidungsfalle vor allem aus der Erwägung verneint, der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis außerordentlich kündigen können, wenn ihm die Weiterbeschäftigung des Klägers unzumutbar gewesen sei. Diese Würdigung ist rechtsfehlerfrei und trägt das Berufungsurteil. Das Gesetz gibt dem Arbeitgeber, dem die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unzumutbar ist, in § 626 Abs. 1 BGB die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis und damit die Pflicht zur Zahlung der Vergütung durch außerordentliche Kündigung zu beenden. Nur wenn dieser Weg - wie es in allen angeführten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts der Fall war - dem Arbeitgeber versperrt ist und deshalb eine Beendigung der Vergütungspflicht nicht durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses erreicht werden kann, stellt sich überhaupt die Frage einer Anwendung des § 242 BGB. Hat dagegen der Arbeitgeber wie im Entscheidungsfalle aus freien Stücken den Entschluß gefaßt, das Arbeitsverhältnis vorerst nicht zu kündigen, so besteht kein Grund, ihm die Berufung darauf zu gestatten, ihm sei die Annahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach Treu und Glauben unzumutbar gewesen. Auf die Darlegungen der Revision, daß eine derartige Unzumutbarkeit vorgelegen habe, kommt es daher nicht an. Auch diese Darlegungen laufen letztlich nur darauf hinaus, daß schon im Zeitpunkt der Suspendierung des Klägers ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vorgelegen habe. Gerade eine solche Kündigung aber hat der Beklagte zum damaligen Zeitpunkt bewußt nicht ausgesprochen.
3. Die vom Beklagten hilfsweise erklärte Aufrechnung mit angeblichen Schadenersatzansprüchen ist vom Landesarbeitsgericht als unbegründet angesehen worden. Diese Würdigung, die auch von der Revision nicht mehr angegriffen wird, ist schon deshalb jedenfalls im Ergebnis zutreffend, weil der Beklagte nicht konkret dargelegt hat, inwieweit ihm der Kläger einen Vermögensschaden zugefügt haben soll.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Seidensticker Dr. Becker Dr. Steckhan
Nehring Schmalz
Fundstellen