Leitsatz (amtlich)
1. Es ist eine vom Rechtsbeschwerdegericht in vollem Umfang nachprüfbare Rechtsfrage, ob die vom Tatrichter festgestellten tatsächlichen Umstände den unbestimmten Rechtsbegriff der „sittlichen Rechtfertigung” nach § 1767, Abs. 1 BGB erfüllen.
2. Nach dem Adoptionsgesetz von 1976 stehen die beiden Adoptionsformen der Minderjährigen- und der Erwachsenenadoption gleichwertig nebeneinander.
3. Die Anforderungen, die an die Entstehung eines Eltern-Kind-Verhältnisses zu stellen sind, sind im Rahmen der Erwachsenenadoption nicht dieselben wie bei der Minderjährigenadoption. Das Eltern-Kind-Verhältnis unter Erwachsenen wird wesentlich durch die auf Dauer angelegte Bereitschaft zu gegenseitigem Beistand (hier im Hinblick auf die Pflegebedürftigkeit der 81-jährigen Annehmenden) geprägt, wie ihn sich leibliche Eltern und Kinder typischerweise leisten.
Normenkette
BGB § 1741 Abs. 1 S. 1, § 1767
Verfahrensgang
LG Augsburg (Aktenzeichen 5 T 1208/02) |
AG Landsberg a. Lech (Aktenzeichen XVI 11/01) |
Tenor
I. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) werden der Beschluss des LG Augsburg vom 9.4.2002 und der Beschluss des AG Landsberg a. Lech vom 31.10.2001 aufgehoben.
II. Die Sache wird zur anderweitigen Entscheidung an das AG Landsberg a. Lech zurückverwiesen.
Gründe
I. Mit notarieller Urkunde vom 13.6.2001 haben die Beteiligten beantragt, die Annahme der Beteiligten zu 2) als Kind der Beteiligten zu 1) auszusprechen.
Die jetzt 81 Jahre alte Beteiligte zu 1) hat keine leiblichen Kinder. Ihre beiden Schwestern sind kinderlos verstorben. Zusammen mit ihrem 1975 verstorbenen Mann betrieb sie eine kleine Landwirtschaft. Seit 1970 sind die zu dem Anwesen gehörenden Grundstücke verpachtet. Die Beteiligte zu 1) wohnt noch in dem Anwesen und will dort solange wie möglich bleiben.
Die 50-jährige Beteiligte zu 2) ist eine Nachbarin, die sich – mit Hilfe ihres Mannes und der zwei gemeinsamen, bereits volljährigen Kinder – seit etwa 7 Jahren um die Beteiligte zu 1) – insb. auch während ihrer Krankenhausaufenthalte – gekümmert hat.
Das VormG hat nach Anhörung der Beteiligten und des Ehemanns der Beteiligten zu 2), der die Einwilligung in die Adoption erklärt hat, mit Beschluss vom 31.10.2001 den Antrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, nach seiner Überzeugung liege „ein echtes Eltern-Kind-Verhältnis nicht vor, sondern lediglich eine engere freundschaftliche Beziehung der Beteiligten, die sich durch längere Krankenhausaufenthalte der Antragstellerin (gemeint ist die Beteiligte zu 1)) gefestigt” habe. „Am echten Eltern-Kind-Verhältnis” fehle es „bereits deshalb, weil die Beteiligten nie zusammengewohnt und -gelebt haben”. Die Beteiligte zu 2) sei die – durch eine Vorsorgevollmacht legitimierte – „Betreuerin und Pflegerin” der Beteiligten zu 1). Die engeren Beziehungen der Beteiligten reichten nicht aus, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Adoption zu begründen. Das Anliegen der Beteiligten zu 1), die Beteiligte zu 2) näher an sich zu binden, sei schon durch die umfassende Vorsorgevollmacht gedeckt.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) hat das LG mit Beschluss vom 9.4.2002 zurückgewiesen.
Mit der weiteren Beschwerde verfolgt die Beteiligte zu 1) den Annahmeantrag weiter.
II. Die zulässige weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) hat Erfolg.
Die Entscheidungen beider Vorinstanzen halten der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) nicht stand.
1. Das LG hat ausgeführt: Voraussetzung für den Ausspruch der Annahme eines Volljährigen als Kind sei die sittliche Rechtfertigung insb. durch ein Eltern-Kind-Verhältnis. Die sittliche Rechtfertigung müsse feststehen. Schon bei begründeten Zweifeln an sittlich gerechtfertigten Absichten sei die Annahme abzulehnen. Das VormG habe i.E. zu Recht das Vorliegen dieser Voraussetzungen verneint. Die Beteiligte zu 2) sei voll in ihre Familie eingebunden, deren sämtliche Mitglieder noch im Familienverband zu hause wohnten. Aus den Ermittlungen sei nicht zu ersehen, dass die Beteiligte zu 1) für die Beteiligte zu 2) die Mutterrolle übernommen habe. Der Wunsch nach Adoption sei nach den Angaben der Beteiligten auch nicht „aus den Bedürfnissen eines Eltern-Kind-Verhältnisses” entsprungen, sondern „deshalb, weil der Beteiligten zu 1) im Krankenhaus diese Möglichkeit aufgezeigt worden” sei. Die Beteiligte zu 1) wolle „offenbar Pflege, aber nicht ohne weiteres die Mutterstelle für die Beteiligte zu 2)”. Die rechtliche Bedeutung der Vorsorgevollmacht sei der Beteiligten zu 1) „wohl nur bezüglich der tatsächlichen Pflege voll bewusst” gewesen. Aus den Angaben der Beteiligten zu 2) bei ihrer Anhörung gehe hervor, „dass die Möglichkeit der Adoption von einer Information durch Mitpatienten ausging”. Bezeichnend sei, dass die Beteiligte zu 1) zunächst die Tochter der Beteiligten zu 2) zur Adoption „ausgewählt” habe und später davon abgelassen habe, weil ihr von dem Rechtsanwalt, durch den sie sich habe beraten lassen, abgeraten worden sei. Es sei „signifikant”, dass die ...