Klaus Bertram, Prof. Dr. Sabine Heusinger-Lange
3.1.1 Grundsatz
Rz. 128
§ 253 Abs. 2 HGB enthält ein generelles Abzinsungsgebot für ungewisse Verbindlichkeiten. Der Barwertansatz soll den Abschlussadressaten realitätsnahe Informationen über die wahre Belastungswirkung ungewisser Verbindlichkeiten vermitteln und auf diese Weise ein den tatsächlichen Verhältnissen eher entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Unt zeichnen. Bei der Bewertung von Rückstellungen dürfe "nicht unberücksichtigt bleiben, dass die in den Rückstellungen gebundenen Finanzmittel investiert und daraus Erträge realisiert werden können". Es geht bei der Abzinsung um die Kürzung ungewisser Verbindlichkeiten um erwartete Erträge. Das bedeutet einen Bruch mit dem Realisationsprinzip, der die Gläubigerschutzfunktion des handelsrechtlichen Jahresabschlusses nachhaltig beeinträchtigt.
Rz. 129
Das Abzinsungsgebot betrifft Rückstellungen mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr (§ 253 Abs. 2 Satz 1 HGB). Für Rückstellungen mit einer Laufzeit bis zu einem Jahr besteht kein Abzinsungsgebot. Ein Verbot der Abzinsung ergibt sich für diese Verpflichtungen jedoch nicht, sodass hier ein – in Anbetracht des gegenwärtigen Zinsniveaus eher unbedeutendes – Gestaltungspotenzial besteht. Die Verfahrensweise bei der Bewertung von Verpflichtungen mit einer Restlaufzeit von max. einem Jahr, also die Wahl zwischen Barwert- und Nominalwertansatz, ist dem Bilanzierenden vielmehr freigestellt. Einschränkend wirkt der Grundsatz der Bewertungsmethodenstetigkeit (§ 252 Rz 141).
3.1.2 Abzinsungssatz
Rz. 130
Im Interesse einer Objektivierung der Bewertungsannahmen ist ein normierter Abzinsungssatz zu verwenden. Die Barwertermittlung hat auf der Grundlage eines durchschnittlichen Marktzinssatzes unter Berücksichtigung der Restlaufzeit der Rückstellungen bzw. der diesen zugrunde liegenden Verpflichtungen zu erfolgen. Rückstellungen für Altersversorgungsverpflichtungen sind mit einem zehnjährigen Durchschnittszinssatz abzuzinsen, alle übrigen Rückstellungen mit einem siebenjährigen Durchschnittszinssatz. Anzuwenden ist der jeweilige Durchschnittszinssatz der letzten sieben bzw. zehn Jahre für Laufzeiten, die der Fristigkeit der ungewissen Verbindlichkeit am jeweiligen Stichtag entsprechen (zur Ermittlung der anzuwendenden Zinssätze vgl. Rz 136).
Rz. 131
Rechtsgrundlage für die Zinssatzermittlung durch die Deutsche Bundesbank ist die Verordnung über die Ermittlung und Bekanntgabe der Sätze zur Abzinsung von Rückstellungen (RückAbzinsV). Die Datengrundlage zur Bestimmung der Marktzinssätze liefert danach eine Null-Kupon-Euro-Zinsswapkurve, in die auf Euro lautende Festzins-Swapsätze mehrerer Swap-Anbieter für unterschiedliche Laufzeiten von einem Jahr bis 50 Jahre eingehen. Die veröffentlichten Zinssätze berücksichtigen zusätzlich einen Aufschlag für auf Euro lautende Unternehmensanleihen aller Laufzeiten mit einer hochklassigen Bonitätseinstufung (AA oder Aa).
Rz. 132
Die Verwendung eines Durchschnittszinssatzes soll Ergebnisschwankungen entgegenwirken, die sich allein aus der Wahl von Jahr zu Jahr unterschiedlicher Zinssätze ergeben. Mit der Entscheidung für einen Marktzins hat der Gesetzgeber einer von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Unt unabhängigen Schuldenbewertung den Vorzug gegeben. Sie schließt im Interesse des Vorsichts- und Höchstwertprinzips eine allein auf die sinkende Bonität des Unt zurückgehende niedrigere Rückstellungsbemessung aus. Schließlich wurde die Ermittlung der für die Diskontierung ungewisser Schulden maßgeblichen Zinssätze der Deutschen Bundesbank übertragen. Sie stellt monatlich die von allen Unt heranzuziehenden Abzinsungssätze auf ihrer Website zur Verfügung. Aufgrund der differenzierten Abzinsungsregelung sind dort sowohl die Durchschnittszinssätze auf Basis eines zehnjährigen Durchschnittszinssatzes (Altersversorgungsverpflichtungen) wie auch auf Basis eines siebenjährigen Durchschnittszinssatzes verfügbar. Die dreifache Normierung der Zinssätze (Durchschnittszinssatz, Marktzinssatz, zentrale Ermittlung) soll die Vergleichbarkeit der Jahresabschlüsse in Bezug auf die Bewertung längerfristiger Rückstellungen gewährleisten. Zudem erspart sie den Unt die Aufwendungen für die Herleitung des Abzinsungssatzes.
Die Zinssätze unterliegen seit 2022 einer deutlichen Aufwärtsentwicklung. Dies hat auch dazu geführt, dass die vormals immer höheren Zehn-Jahresdurchschnittszinssätze jetzt aufgrund der Zinswende bald von den Sieben-Jahresdurchschnittszinssätzen "überholt" werden. Per 31.7.2023 belaufen sich die von der Bundesbank veröffentlichten Zinssätze nach § 2...