Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
Eine Volljuristin ohne anwaltliche Zulassung, die als Berufsbetreuerin und Verfahrenspflegerin tätig ist, erzielt Einkünfte aus sonstiger selbstständiger Arbeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG (Änderung der Rechtsprechung).
Normenkette
§ 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG
Sachverhalt
Eine Volljuristin ohne Anwaltszulassung war als berufsmäßige Betreuerin und Verfahrenspflegerin tätig. Das FA beurteilte ihre Einkünfte als solche aus Gewerbebetrieb und setzte einen entsprechenden GewSt-Messbetrag fest.
Mit der dagegen erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, sie erziele als Berufsbetreuerin und Verfahrenspflegerin Einkünfte aus selbstständiger Arbeit. Sie übe einen einem Katalogberuf gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ähnlichen Beruf aus; dieser entspreche in den typischen wesentlichen Merkmalen demjenigen eines Rechtsanwalts.
Das FG wies die Klage ab (FG Münster, Urteil vom 21.08.2007, 6 K 2787/03 G).
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und gab der Klage statt. Die Klägerin erziele als Betreuerin und Verfahrenspflegerin Einkünfte aus sonstiger selbstständiger Arbeit gem. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG.
Hinweis
1. Zunächst kann auf die Praxis-Hinweise zum vorstehend abgedruckten Urteil VIII R 10/09 verwiesen werden, mit dem der BFH unter Aufgabe früherer Rechtsprechung entschieden hat, dass ein Berufsbetreuer keine gewerblichen Einkünfte, sondern Einkünfte aus sonstiger selbstständiger Arbeit gem. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG erzielt, weil es sich um eine selbstständig ausgeübte fremdnützige Tätigkeit in einem fremden Geschäftskreis handelt.
2. Bisher noch nicht entschieden war die Frage, wie Einkünfte eines Verfahrenspflegers einzuordnen sind.
a) Verfahrenspfleger werden heute nach den Vorschriften des Gesetzes über die Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.12.2008 – FamFG – gerichtlich bestellt, und zwar in Betreuungssachen, Unterbringungssachen und Freiheitsentziehungssachen. In Betracht kommt eine Bestellung ferner in Kindschaftssachen und in Adoptionssachen. Verfahrenspfleger kann grundsätzlich jede volljährige natürliche Person sein. Bestimmte persönliche oder fachliche Qualifikationen für die Person des Verfahrenspflegers sind gesetzlich nicht festgelegt.
b) Bei der Bewertung dieser Tätigkeit ist zu berücksichtigen, dass ein Verfahrenspfleger ähnlich wie ein Betreuer die (objektiven) Interessen des Betroffenen wahrzunehmen und diese im jeweiligen Verfahren zu wahren hat. Auch wenn es etwa im Unterbringungsverfahren wie im Verfahren der Freiheitsentziehung vornehmlich um Eingriffe in die persönliche Freiheit des Betroffenen geht, hat dies stets Konsequenzen auch für dessen vermögensrechtliche Position. Insgesamt umfasst die Interessenwahrnehmung für den Betroffenen damit rechtliches wie tatsächliches Handeln einschließlich der Wahrnehmung von Vermögensangelegenheiten. Es handelt sich um eine selbstständige fremdnützige Tätigkeit in einem fremden Geschäftskreis, die ebenso wie die Berufsbetreuung der sonstigen selbstständigen Arbeit gem. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG zuzurechnen ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.06.2010-VIII R 14/09