Leitsatz
1. Art. 15 Abs. 1 DBA Schweiz 1971 ermöglicht kein deutsches Besteuerungsrecht für eine Abfindungszahlung, die eine zuvor in Deutschland wohnende Person nach ihrem Wegzug in die Schweiz von ihrem bisherigen inländischen Arbeitgeber aus Anlass der Auflösung des Arbeitsverhältnisses erhält (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung).
2. Eine Übereinkunft zwischen den deutschen und Schweizer Steuerbehörden (hier: Verständigungsvereinbarung mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung zu der Frage des Besteuerungsrechts bei Abfindungen an Arbeitnehmer, bekannt gegeben durch BMF-Schreiben vom 13.10.1992, RIW 1993, 82) nach Maßgabe von Art. 26 Abs. 3 DBA Schweiz 1971 bindet die Gerichte nicht (ebenfalls Bestätigung der ständigen Rechtsprechung; entgegen BMF-Schreiben vom 20.05.1997, BStBl I 1997, 560).
3. Die Besteuerung der Abfindung nach der sog. überdachenden Besteuerung gem. Art. 4 Abs. 4 DBA Schweiz 1971 scheidet aus, wenn der Zuzug der zuvor in Deutschland wohnenden Person in die Schweiz erfolgte, um dort eine unselbstständige Tätigkeit auszuüben; daneben bestehende anderweitige Beweggründe für den Zuzug (hier: beabsichtigte Eheschließung mit einer in der Schweiz ansässigen Person und Begründung eines gemeinsamen Hausstands) sind unschädlich.
Normenkette
Art. 4 Abs. 4 S. 1 und 4, Art. 15 Abs. 1, Art. 26 Abs. 3 DBA Schweiz 1971, Art. 20 Abs. 3, Art. 59 Abs. 2, Art. 80 Abs. 1 GG, § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG 2002 i.d.F. des StÄndG 2003
Sachverhalt
Die Klägerin, eine italienische Staatsangehörige, war bis zum 23.12.2005 in Deutschland ansässig. Seit 20.11.2004 war sie Arbeitnehmerin der Beigeladenen, eines inländischen Unternehmens. Das Arbeitsverhältnis sollte ursprünglich bis zum 16.01.2009 dauern. Es endete jedoch bereits am 04.11.2005, nachdem die Klägerin ihren Dienstvertrag gegen Zahlung einer Abfindung durch die Beigeladene gekündigt hatte.
Die Klägerin beantragte im Hinblick auf die zu erwartende Abfindungszahlung deren Freistellung vom LSt-Abzug gem. § 39b Abs. 6 EStG 2002 i.V.m. Art. 15 Abs. 1 DBA Schweiz 1971. Das FA lehnte dies unter Hinweis auf die Verständigungsvereinbarung gem. Art. 26 Abs. 3 DBA Schweiz 1971 mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung zu der Frage des Besteuerungsrechts bei Abfindungen an Arbeitnehmer ab; der Ablehnungsbescheid wurde bestandskräftig.
Die Beigeladene zahlte die Abfindung aus, behielt darauf LSt ein und meldete die Steuerbeträge beim FA an. Der dagegen gerichteten Klage gab das FG statt (FG München, Urteil vom 24.10.2008, 8 K 3902/07, Haufe-Index 2093309, EFG 2009, 228).
Entscheidung
Der BFH hat das bestätigt: Im Hinblick auf die Verbindlichkeit der Verständigungsvereinbarung mit der Schweiz tut er das mit den Erwägungen, die er auch in dem Parallelfall I R 90/08 (s. nachfolgend) angestellt hat. Und einen anderen Zugriffstatbestand erkennt er nicht, auch nicht in Gestalt der sog. überdachenden Besteuerung gem. Art. 4 Abs. 4 DBA Schweiz.
Hinweis
1. Das Urteil hat zwei Kernaussagen. Die erste Kernaussage betrifft das abkommensrechtliche Besteuerungsrecht für Arbeitnehmer-Abfindungen und die Bindungswirkung dazu ergangener zwischenstaatlicher Verständigungsvereinbarungen. Dazu finden Sie alles Nötige in den Praxis-Hinweisen auf S. 37 zu der Parallelentscheidung des BFH I R 90/08, die ebenfalls unter dem 02.09.2009 datiert.
2. Die zweite Kernaussage betrifft die sog. überdachende Besteuerung nach Art. 4 Abs. 4 DBA Schweiz.
Danach kann Deutschland bei einer in der Schweiz ansässigen natürlichen Person, die nicht die schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt und die in Deutschland insgesamt mindestens fünf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig gewesen ist, in dem Jahr, in dem die unbeschränkte Steuerpflicht zuletzt geendet hat und in den folgenden fünf Jahren die aus Deutschland stammenden Einkünfte besteuern. Das gilt jedoch ausnahmsweise nicht, wenn die natürliche Person in der Schweiz ansässig geworden ist, um dort eine echte unselbstständige Tätigkeit für einen Arbeitgeber auszuüben, an dem sie über das Arbeitsverhältnis hinaus weder unmittelbar noch mittelbar durch Beteiligung oder in anderer Weise wirtschaftlich wesentlich interessiert sei (Art. 4 Abs. 4 S. 4 DBA Schweiz 1971). In diesen Fällen verzichtet Deutschland auf den ergänzenden Besteuerungsanspruch, da der Zuzug in die Schweiz auf Gründen beruht, die eine "Steuerflucht" aus dem Inland nicht vermuten lasse.
Die Ausnahmevorschrift des Art. 4 Abs. 4 S. 4 DBA Schweiz 1971 erfordert, dass das Ansässigwerden in der Schweiz in der Absicht erfolgt, um dort eine unselbstständige Tätigkeit auszuüben. Allerdings:
Diese Absicht muss keineswegs der alleinige Beweggrund für den Zuzug in die Schweiz sein. Es ist denkbar, dass andere Beweggründe (u.U. sogar vorrangiges) Motiv für den Umzug in die Schweiz waren, wenn nur die Absicht hinzu kommt, dort einer unselbstständigen Arbeit nachzugehen. Im Urteilsfall war dieses Zusatzmotiv die Liebe der Klägerin zu einem Schweizer und die Eheschließung mit diesem.
Es ist auch nicht erforde...