Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung des Klageverfahrens zwecks "Überdenkens" von Prüfungsbewertungen
Leitsatz (NV)
1. Gegen die Bestimmung des § 79 a Abs. 1 FGO -- Entscheidung durch den Vorsitzenden im vorbereitenden Verfahren -- bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
2. Endet das vorbereitende Verfahren i. S. des § 79 a Abs. 1 FGO mit dem Erlaß eines Beweisbeschlusses, fällt das Verfahren in das Vorbereitungsstadium zurück, wenn der Beweisbeschluß wieder aufgehoben wird.
3. Eine Aussetzung des Klageverfahrens wegen nicht bestandener Steuerberaterprüfung zum Zwecke der Durchführung eines verwaltungsinternen Kontrollverfahrens kommt in Betracht, wenn der Kläger (Prüfling) substantiierte Einwendungen gegen die Bewertung einer Prüfungsklausur erhebt, die anhand einer Musterlösung unter Verwendung eines Punkteschemas durchgeführt worden ist. Die generelle und pauschale Behauptung, die Bewertung sei fehlerhaft, reicht nicht aus.
4. Für ein zwischenzeitlich ausgeschiedenes oder abberufenes Mitglied des Prüfungsausschusses muß der für den Rest der Amtszeit berufene Nachfolger am verwaltungsinternen Kontrollverfahren mitwirken.
Normenkette
FGO §§ 74, 79a Abs. 1, 4; StBerG; DVStB § 24 Abs. 2-5
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) hat die Steuerberaterprüfung 1992 nicht bestanden. Die Gesamtnote seiner schriftlichen Arbeiten beträgt 4,16 und die seiner münd lichen Prüfung 4,28, woraus sich ein Gesamtergebnis von 4,22 ergibt. Mit der Klage gegen die Prüfungsentscheidung hat der Kläger zunächst nur die Wiederholung der mündlichen Prüfung begehrt. Mit Schriftsatz vom 2. August 1994 hat der Kläger Einwendungen gegen die Bewertung seiner Ertragsteuerklausur erhoben. Er ist der Auffassung, daß er bei richtiger Bewertung mindestens zwei Punkte zusätzlich erhalten müsse, wodurch sich die Note für diese Klausur von 4,5 auf 4,0 verbessern würde, so daß er bei der sich ergebenden Gesamtnote für die schriftliche Prüfung von 4,0 auch bei Beibehaltung der Note für die mündliche Prüfung mit einem Gesamtergebnis von 4,14 die Steuerberaterprüfung bestanden hätte. Deshalb beantragt er nunmehr vorrangig, die Prüfung für bestanden zu erklären, und begehrt nur noch hilfsweise die Wiederholung der mündlichen Prüfung.
Auf einen entsprechenden zusätzlichen Antrag des Klägers setzte das Finanzgericht (FG) das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus und gab dem beklagten Ministerium auf, eine Entscheidung des Prüfungsausschusses für Steuerberater in der Besetzung des schriftlichen Teils der Prüfung des Klägers über dessen Einwendungen gegen die Bewertung der Aufsichtsarbeit auf dem Gebiet des Ertragssteuerrechts einzuholen. Der Beschluß des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1995, 81, 82 und 93 bis 95 veröffentlicht.
Mit der Beschwerde macht das Ministerium geltend, der Beschluß könne keinen Bestand erlangen, weil
a) der Vorsitzende des FG-Senats unter Berufung auf die Vorschrift des § 79 a Abs. 1 Nr. 1 FGO, die verfassungswidrig sei, allein entschieden habe,
b) das gerichtlich angeordnete Verfahren zur Einholung einer Entscheidung des Prüfungsausschusses über die Einwendungen des Klägers gesetzlich nicht vorgesehen sei,
c) die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für ein "Überdenken" der Prüfungsbewertungen in einem weiteren Verwaltungsverfahren nicht vorlägen und
d) das gerichtlich angeordnete Verfahren zu Unrecht die Überprüfung (auch) durch unbeteiligte Prüfungsausschußmitglieder oder gar unbeteiligter Prüfungsausschüsse -- Nachfolger der ausgeschiedenen Mitglieder -- vorschreibe.
Der Kläger beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Ministeriums gegen die Aussetzung des Klageverfahrens zur Durchführung eines verwaltungsinternen Kontrollverfahrens hinsichtlich der Einwendungen des Klägers gegen die Bewertung seiner Ertragsteuerklausur ist unbegründet.
1. Der angefochtene Beschluß des FG ist nicht deshalb aufzuheben, weil der Senatsvorsitzende, der zugleich Berichterstatter ist, nach § 79 a Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 4 FGO allein entschieden hat.
a) Der Senat teilt nicht die verfassungsrechtlichen Bedenken, die von der Beschwerde unter Hinweis auf den Beschluß des FG Rheinland-Pfalz vom 3. August 1993 5 K 1670/92 (EFG 1993, 807) gegen die Gültigkeit des § 79 a Abs. 1 FGO geltend gemacht worden sind. Das FG Rheinland-Pfalz vertritt die Auffassung, die Einzelrichterzuständigkeit für Entscheidungen im vorbereitenden Verfahren nach § 79 a Abs. 1 FGO sei willkürlich (Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes -- GG --), weil es entsprechende Zuständigkeiten des Einzelrichters weder für die oberen Bundesgerichte noch für die anderen oberen Landesgerichte (außer dem FG) gebe; außerdem sei die Auswahl der Fälle, die in § 79 a Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 FGO dem Einzelrichter zugewiesen seien, willkürlich. Die vorstehende Begründung vermag angesichts der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers -- insbesondere im Verfahrensrecht -- einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz und gegen das Willkürverbot nicht zu begründen; im übrigen Schrifttum wird demgemäß trotz kritischer Beurteilung der Neuregelung des § 79 a Abs. 1 FGO der Vorwurf des Verfassungsverstoßes nicht erhoben (vgl. FG Bremen, Beschluß vom 23. Dezember 1993 293290K2, EFG 1994, 258 m. w. N.).
Das FG Bremen (EFG 1994, 258) weist im übrigen zu Recht darauf hin, daß die Besonderheiten des Revisionsverfahrens einen einleuchtenden Grund dafür ergeben, bei den obersten Gerichtshöfen des Bundes von der Einführung einer Einzelrichterzuständigkeit abzusehen, daß aber -- entgegen der Begründung des FG Rheinland-Pfalz -- bei den anderen oberen Landesgerichten vergleichbare Einzelrichterzuständigkeiten des Vorsitzenden bzw. des Berichterstatters wie beim FG gegeben sind (vgl. § 87 Abs. 1, § 125 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung -- VwGO --, § 349 Abs. 2, § 524 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --, § 155 Abs. 2, 4 des Sozialgerichtsgesetzes -- SGG --). Soweit der Zuständigkeitskatalog des § 79 a Abs. 1 FGO für den Einzelrichter auf bestimmte Entscheidungen beschränkt ist, während andere, regelmäßig einfach liegende Beschlüsse vom Senat zu treffen sind, hält sich auch dies im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessens und begründet keinen Verstoß gegen das Willkürverbot. Das gilt auch hinsichtlich der in § 79 a Abs. 1 Nr. 1 FGO genannten Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens (§ 74 FGO), die -- wie der Streitfall zeigt -- zwischen den Beteiligten umstritten und von komplizierter Art sein kann. Auch insoweit wird zur näheren Begründung auf den Beschluß des FG Bremen in EFG 1994, 258 Bezug genommen.
b) Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, waren im Streitfall die Voraussetzungen für eine Entscheidung über den Aussetzungsantrag des Klägers durch den Vorsitzenden nach § 79 a Abs. 1 Nr. 1 FGO gegeben. Zwar war bereits durch den Senat ein Verbindungsbeschluß (mit einem anderen Verfahren) und ein Beweisbeschluß (Vernehmung von Zeugen) erlassen worden. Aufgrund der anschließenden Aufhebung des Beweisbeschlusses, verbunden mit der Abtrennung des Verfahrens des Klägers, ist das Verfahren jedoch wieder in das Vorbereitungsstadium zurückgefallen. In Rechtsprechung und Literatur wird überwiegend die Auffassung vertreten, daß das vorbereitende Verfahren erneut beginnt, wenn nach dem Ende der mündlichen Verhandlung keine Endentscheidung ergeht (z. B. Vertagung, Absetzung), sondern zu einem späteren Zeitpunkt noch eine Entscheidung nach § 79 a Abs. 1 Nr. 1 bis 5 FGO erforderlich wird (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 79 a Rz. 5; FG Bremen in der Streitsache, EFG 1995, 91, 92 m. w. N.). Entsprechend ist -- wie das FG ausgeführt hat -- das Verfahren des Klägers infolge der Aufhebung des Beweisbeschlusses und der Abtrennung seines Verfahrens wieder in das Vorbereitungsstadium zurückgefallen, und die Senatszuständigkeit für die Entscheidung über den Aussetzungsantrag des Klägers ist nicht mehr gegeben, so daß nach § 79 a Abs. 1 Nr. 1 FGO der Vorsitzende, der mit dem Berichterstatter identisch ist, allein entscheiden konnte.
2. Das Klageverfahren des Klägers ist zu Recht nach § 74 FGO ausgesetzt worden.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- (Beschluß vom 17. April 1991 1 BvR 419/81 und 213/83, BVerfGE 84, 34), des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- (Urteil vom 24. Februar 1993 6 C 35.92, BVerwGE 92, 132) und des beschließenden Senats (Beschluß vom 10. August 1993 VII B 68/93, BFHE 172, 273, BStBl II 1994, 50) folgt aus Art. 12 Abs. 1 GG bei berufsbezogenen Prüfungen ein Anspruch des Prüflings auf effektiven Schutz seines Grundrechts der Berufsfreiheit durch eine entsprechende Gestaltung des Prüfungsverfahrens; danach muß er das Recht haben, substantiierte Einwände gegen die Bewertungen seiner Prüfungsleistungen bei der Prüfungsbehörde rechtzeitig und wirkungsvoll vorzubringen und derart ein "Überdenken" dieser Bewertungen unter maßgeblicher Beteiligung der ursprünglichen Prüfer zu erreichen. Der Anspruch des Prüflings gegenüber der Prüfungsbehörde auf "Überdenken" der Prüfungsentscheidung stellt einen unerläßlichen Ausgleich für die nur eingeschränkt mögliche Kontrolle von Prüfungsentscheidungen durch die Gerichte dar, die sich daraus ergibt, daß der Bewertungsvorgang von zahlreichen Unwägbarkeiten bestimmt ist und den beteiligten Prüfern ein Entscheidungsspielraum verbleibt.
Ist -- wie im Streitfall -- ein Widerspruchs- bzw. Beschwerdeverfahren gegen Prüfungsentscheidungen deshalb nicht gegeben, weil der Prüfungsbescheid von der obersten Landesbehörde erlassen wird (§ 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO, § 349 Abs. 3 Nr. 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 --), so schließt diese Rechtslage nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung das Recht des Prüflings nicht aus, das Prüfungsamt auf vermeintliche Irrtümer und Rechtsfehler bei der Bewertung seiner Prüfungsleistungen rechtzeitig und wirkungsvoll hinzuweisen, um damit ein Überdenken der bereits getroffenen Prüfungsentscheidung zu erreichen. Das gilt auch dann, wenn bereits Anfechtungsklage gegen die Prüfungsentscheidung erhoben worden ist.
Solange die gesetzliche Regelung eines eigenständigen verwaltungsinternen Kontrollverfahrens fehlt, sind die Verwaltungsgerichte und die FG verpflichtet, den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 12 Abs. 1 GG dadurch Rechnung zu tragen, daß sie bei substantiierten Einwendungen des Prüflings gegen Bewertungen seiner Prüfungsleistungen auf seinen Antrag das gerichtliche Verfahren unverzüglich gemäß § 94 VwGO, § 74 FGO aussetzen, damit zunächst die Prüfungsbehörde die Prüfungsentscheidungen in eigener Zuständigkeit und Sachverantwortung unter Einschaltung der betroffenen Prüfer "überdenken" kann; auf diese Möglichkeit eines Antrags auf Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens ist der Prüfling gemäß § 86 Abs. 3 VwGO, § 76 Abs. 2 FGO alsbald hinzuweisen (Senat in BFHE 172, 273, BStBl II 1994, 50, 51).
b) Im Streitfall hat der Kläger beantragt, das Klageverfahren zum Zwecke der Einholung einer Entscheidung des Prüfungsausschusses über seine Einwendungen gegen die Bewertung seiner Ertragsteuerklausur auszusetzen. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen für die Verfahrensaussetzung und Durchführung des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens liegen vor, weil der Kläger substantiierte Einwendungen gegen die Bewertung seiner Prüfungsleistung erhoben hat. Der Aussetzungsbeschluß des FG ist somit rechtlich nicht zu beanstanden.
Ob die Voraussetzungen für die Anwendung des § 74 FGO -- Abhängigkeit der Entscheidung von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses, das ... von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist -- bei wortlautgetreuer Auslegung erfüllt sind, was mit der Beschwerde bestritten wird, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Die Aussetzungsvorschrift, die im übrigen stets weit ausgelegt worden ist (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 74 FGO Tz. 2 m. w. N.), findet nach der vorstehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung bei Prüfungsstreitigkeiten der vorliegenden Art jedenfalls für eine Übergangszeit, solange der Gesetzgeber kein eigenständiges behördliches Kontrollverfahren geschaffen hat, aus übergeordneten verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten Anwendung, um zum Ausgleich für die nur unvollkommene gerichtliche Kontrolle von prüfungsspezifischen Wertungen und zur Wahrung eines effektiven Schutzes des Grundrechts der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) des Prüflings ein nochmaliges "Überdenken" der Prüfungsleistungen durch die Prüfungsbehörde unter maßgeblicher Beteiligung der Prüfer zu ermöglichen.
Dieses für einen effektiven Rechts- und Grundrechtsschutz gebotene Überdenken der Prüfungsbewertungen auf die Einwendungen des Prüflings hin kann nur unter Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens in einem zwischengeschalteten verwaltungsinternen Kontrollverfahren erfolgen. Denn das Gericht kann angesichts des Entscheidungsspielraums, der den Prüfern bei prüfungsspezifischen Wertungen verbleibt -- das gilt insbesondere für die hier streitige Punktvergabe für die Klausurlösungen --, insoweit nicht selbst entscheiden (vgl. Senat in BFHE 172, 273, 277, BStBl II 1994, 50). Deshalb scheidet auch die mit der Beschwerde -- entgegen der Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens -- vorgeschlagene Verfahrensmöglichkeit aus, nach der das Gericht die mit der Bewertung der Aufsichtsarbeiten betrauten Prüfer als Gutachter bestellt und sich dann deren "gutachterliche Stellungnahme" zu den Einwendungen des Prüflings "mehr oder weniger zu eigen macht ". Denn auch in diesem Falle würde letztlich das Gericht über die den Prüfern vorbehaltenen prüfungsspezifischen Bewertungen befinden. In der Beschwerde wird verkannt, daß das FG die von den Prüfern "überdachten" Bewertungen nicht mehr zu kontrollieren, d. h. -- abgesehen von Rechts- oder Verfahrensverstößen -- nicht mehr über sie zu entscheiden hat. Führen die Einwände des Klägers gegen die Bewertung seiner Prüfungsleistungen im verwaltungsinternen Kontrollverfahren nicht zum Erfolg und damit nicht zu einer Änderung des Prüfungsergebnisses, so hat das Gericht in dem fortzuführenden Klageverfahren nur noch eine (zusätzliche) Rechtmäßigkeitskontrolle der Prüfungsentscheidung vorzunehmen (Senat in BFHE 172, 273, 276, BStBl II 1994, 50).
3. Soweit mit der Beschwerde vorgetragen wird, im Streitfall lägen auch die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für ein Überdenken der prüfungsspezifischen Bewertungen in einem besonderen Verwaltungsverfahren nicht vor und das FG habe in dem angefochtenen Beschluß die Besonderheiten des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens verkannt, vermag der Senat dem nicht zu folgen.
a) Die Durchführung des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens scheitert nicht daran, daß der Kläger seine Einwendungen gegen die Bewertung der Ertragsteuerklausur und den Antrag auf Aussetzung des Klageverfahrens erst mit Schriftsatz vom 2. August 1994 und damit ca. ein Jahr und fünf Monate nach Klageerhebung und etwa ein halbes Jahr nach einer entsprechenden Anfrage des FG vorgebracht hatte. Wenn auch -- wie ausgeführt -- dieses Verwaltungsverfahren dazu dienen soll, die Prüfungsbehörde "rechtzeitig" auf vermeintliche Irrtümer und Fehler bei der Bewertung der Prüfungsleistungen hinzuweisen, so folgt daraus nicht, daß der Prüfling mit seinen Einwendungen gegen die Bewertung, die jedenfalls doch im Klageverfahren vorgebracht werden können, nach einem bestimmten Zeitablauf ausgeschlossen wäre.
Im Streitfall ist ferner zu berücksichtigen, daß die verfahrensmäßige Behandlung von Einwendungen gegen die Bewertung von Prüfungsleistungen (Aussetzung des Klageverfahrens gemäß § 74 FGO zur Durchführung des verwaltungsinternen Kontrollverfahren) gesetzlich nicht geregelt und für die Steuerberaterprüfung erst durch den Ende Januar 1994 veröffentlichten Beschluß des Senats in BFHE 172, 273, BStBl II 1994, 50 geklärt worden ist. Unter diesen Umständen ist es verständlich und nicht zu beanstanden, daß der Kläger erst mit Schriftsatz vom 2. August 1994 die entsprechenden Einwendungen erhoben und den Antrag auf Aussetzung des Klageverfahrens gestellt hat.
Die sachgerechte Durchführung des Kontrollverfahrens ist durch diesen Zeitablauf nicht unmöglich geworden. Zwar haben die Prüfer beim "Überdenken" der Einwendungen gegen ihre Bewertung im Hinblick auf die Chancengleichheit die für die Prüfungsleistungen der übrigen Prüflinge angelegten Beurteilungsmaßstäbe mitzuberücksichtigen. Das kann aber jedenfalls in den Fällen, in denen -- wie bei der vom Kläger angeführten Ertragsteuerklausur -- die Bewertung nach einem von vornherein festgelegten Punkteschema durchgeführt worden ist, auch noch längere Zeit nach Ablauf des Beurteilungsverfahrens erfolgen. Denn aufgrund des Punkteschemas für die Klausurlösung sind die für alle Prüfungsteilnehmer geltenden und angewandten Maßstäbe auch später noch nachvollziehbar und können somit von den Prüfern beim Überdenken ihrer Prüfungsbewertung für den Kläger zugrunde gelegt werden.
b) Entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde hat der Kläger auch konkrete und nachvollziehbare Einwendungen gegen die Bewertung seiner Ertragsteuerklausur erhoben, die einem Überdenken der Beurteilung durch die Prüfer in einem verwaltungsinternen Kontrollverfahren zugänglich sind (vgl. hierzu den in der Vorentscheidung zitierten Beschluß des Senats vom 31. Mai 1994 VII B 42/94, der den Beteiligten bekannt ist). Mit dem Schriftsatz vom 2. August 1994 hat er nicht nur generell und pauschal die Bewertung der Klausur beanstandet. Der Kläger hat vielmehr substantiierte Einwendungen gegen die anhand der Musterlösung vorgenommene Bewertung erhoben. Diese Einwendungen können auch heute noch unter Heranziehung der Musterlösung und des Punkteschemas überprüft werden, ohne daß vom Kläger erwartet wird oder zu besorgen ist, daß von den Beurteilungskriterien, die auch bei anderen Kandidaten angewandt worden sind, abgewichen wird.
Im einzelnen beanstandet der Kläger,
daß er für sachlich zutreffende Ausführungen einen nach der Langtextmusterlösung vorgegebenen Punkt nicht erhalten habe,
daß bei der Punkteverteilung ein wesentlicher Aspekt der Aufgabenstellung und der Musterlösung unberücksichtigt geblieben sei,
daß die Prüfer einen Beurteilungsspielraum, der von der Aufgabenstellung und der Musterlösung her bestand, nicht ausgefüllt hätten,
daß inhaltlich zutreffende Antworten entgegen der Musterlösung nicht gewertet worden seien -- übersehen oder vergessen --,
daß Ausführungen in der Lösung der Aufgabe nicht genau erfaßt und deshalb nicht mit der vorgesehenen Punktezahl bewertet worden seien,
daß die zutreffende Darstellung der Verteilung des Abwicklungs-Endvermögens, die nach der Aufgabenstellung verlangt wurde, bei der Bewertung (Punktevergabe) nicht ausreichend berücksichtigt worden sei.
Die Einwendungen betreffen prüfungsspezifische Wertungen, die nur einer Kontrolle im Wege des Überdenkens durch die Prüfer, nicht aber einer rechtlichen Überprüfung durch das Gericht zugänglich sind. Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, scheitert die Durchführung des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens -- entgegen der Auffassung des Ministeriums -- auch nicht daran, daß der Kläger seine Auffassung über die richtige Vergabe der Punkte nach dem für die Ertragsteuerklausur vorgesehenen Punkteschema nicht ausreichend begründet hat.
c) Nach dem Tenor des angefochtenen Beschlusses des FG muß der Prüfungsausschuß bei der ihm aufgegebenen Überprüfung der Einwendungen des Klägers gegen die Bewertung der Ertragsteuerklausur in der Besetzung des schriftlichen Teils der Prüfung des Klägers tätig werden; für ein zwischenzeitlich ausgeschiedenes oder abberufenes Mitglied ist dessen für den Rest der Amtszeit berufener Nachfolger zur Mitwirkung verpflichtet. Die Beschwerde wendet sich zu Unrecht gegen die Heranziehung eines Nachfolgers für den Fall des Ausscheidens oder der Abberufung eines Prüfungsausschußmitglieds, das bei der Prüfung des Klägers mitgewirkt hat.
Wie der Senat in BFHE 172, 273 (276, 277), BStBl II 1994, 50 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG ausgeführt hat, entscheidet die Prüfungsbehörde im Rahmen dieses Kontrollverfahrens in eigener Zuständigkeit und Sachverantwortung unter "maßgeblicher Beteiligung" der ursprünglichen Prüfer. Daraus folgt, daß ein Überdenken der vom Prüfling beanstandeten prüfungsspezifischen Wertungen "in aller Regel" nur durch die betreffenden Prüfer selbst erfolgen kann (so BVerwG in BVerwGE 92, 132, 138). Das ist -- wie das FG ausführt -- im Streitfall unproblematisch, soweit es um die Bewertung der Ertragsteuerklausur durch den Erst- und Zweitprüfer nach § 24 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften (DVStB) geht, da beide Prüfer dem Prüfungsausschuß unverändert angehören. Damit ist im Hinblick auf die herausgehobene Sellung des Erst- und Zweitprüfers für die Bewertung der Aufsichtsarbeit (vgl. § 24 Abs. 2 bis 4 DVStB) das Erfordernis, daß das Kontrollverfahren unter "maßgeblicher Beteiligung" der usprünglichen Prüfer erfolgt, im Streitfall bereits erfüllt.
Die im FG-Beschluß angesprochene Nachfolgeregelung hinsichtlich eines ausgeschiedenen bzw. abberufenen Prüfungsausschußmitglieds betrifft nach den Ausführungen des FG den früheren Ausschußvorsitzenden, der zwischenzeitlich aus dem öffentlichen Dienst ausgeschieden ist und deshalb dem Prüfungsausschuß nicht mehr angehört. Soweit es neben den Bewertungen des Erst- und Zweitprüfers für die (Neu-)Festsetzung der Note auf die Entscheidung durch die übrigen Mitglieder des Prüfungsausschusses überhaupt noch ankommen sollte (vgl. § 24 Abs. 2 bis 5 DVStB), ist die vom FG ausgesprochene Nachfolgeregelung für das ausgeschiedene Ausschußmitglied rechtlich nicht zu beanstanden. Die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Grundsätze für die (Neu-)Benotung von Aufsichtsarbeiten bei endgültiger Verhinderung eines Prüfers (vgl. Urteil vom 9. Juli 1991 VII R 21/91, BFHE 165, 156, BStBl II 1991, 893) sind -- wie das FG zutreffend ausführt -- für das verwaltungsinterne Kontrollverfahren entsprechend anzuwenden.
An einer Änderung in der Zusammensetzung des Prüfungsausschusses kann im übrigen die Wahrnehmung der verfassungsrechtlichen Rechte und Kontrollmöglichkeiten des Prüflings bei berufsbezogenen Prüfungen nicht scheitern. Da der Prüfungsausschuß über Einwendungen gegen seine Bewertung in eigener Zuständigkeit zu entscheiden hat, kann auch nicht -- wie die Beschwerde meint -- ein ausgeschiedenes Prüfungsausschußmitglied als Zeuge oder Sachverständiger zu dieser Frage gehört werden.
Die Vorentscheidung ist deshalb insgesamt nicht zu beanstanden.
Eine Kostenentscheidung hat nicht zu ergehen, weil die Entscheidung über die Aussetzung nach § 74 FGO in einem unselbständigen Nebenverfahren ergeht (BFH-Beschluß vom 4. August 1988 VIII B 83/87, BFHE 154, 15, 16, BStBl II 1988, 947 m. w. N.).
Fundstellen
Haufe-Index 420731 |
BFH/NV 1995, 1021 |