Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine AdV nach Verfahrensabschluß; Eröffnung einer Zweigniederlassung im Beitrittsgebiet
Leitsatz (NV)
1. Nach Zurückweisung der NZB kann keine AdV mehr gewährt werden.
2. Eine Kompensation im Revisionsverfahren darf nicht zu einer Verböserung für den Revisionskläger führen.
3. Die Frage, ob die Eröffnung einer Zweigniederlassung im Beitrittsgebiet durch ein in Westdeutschland ansässiges Unternehmen gemäß § 9 DBStÄndG DDR begünstigt wird, ist ernstlich zweifelhaft.
4. Hat das FG einen Antrag auf AdV nicht bearbeitet, sondern nach Erlaß des Urteils an den BFH abgegeben, und kann der BFH aus verfahrensrechtlichen Gründen keine AdV mehr gewähren, so werden Gerichtskosten nicht erhoben.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3; StÄndG DDR § 9; GKG § 8
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Antragstellerin (Antragstellerin), eine in Westdeutschland ansässige GmbH, eröffnete im Beitrittsgebiet 1990 eine Betriebsstätte. Sie erhob Klage gegen die Festsetzung der Steuerrate 1990, soweit ihr der Beklagte und Antragsgegner (das Finanzamt -- FA --) die Berücksichtigung der Akkumulationsrücklage gemäß § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer -- StÄndG DDR -- (Gesetzblatt -- GBl -- DDR I 1990, 136) bei Ermittlung des Gewerbeertrags und des Steuerabzugsbetrags gemäß § 9 der Durchführungsbestimmung zum Steueränderungsgesetz -- DBStÄndG DDR -- (GBl DDR I 1990, 195) versagt hatte. Sie beantragte ferner mit Schreiben vom 30. Juni 1993 beim Finanzgericht (FG) Aussetzung der Vollziehung, nachdem das FA trotz eines entsprechenden Antrags auf Aussetzung der Vollziehung vollstreckte. Am 27. Oktober 1993 erging das Urteil. Danach hatte die Klage insoweit Erfolg, als das FG die Akkumulationsrücklage auch bei Ermittlung des Gewerbeertrags berücksichtigte. Soweit die Antragstellerin den Steuerabzugsbetrag gemäß § 9 DBStÄndG DDR wegen Eröffnung einer Betriebsstätte begehrte, wies dieses allerdings die Klage ab. Unter Nr. 4 des Urteilstenors ließ das FG die Revision zu. Die Revisionszulassung ist in den Entscheidungsgründen wie folgt begründet: "Der Senat hat die Revision wegen der Nichtberücksichtigung der Akkumulationsrücklage zugelassen, denn diese Frage ist von grundsätzlicher Bedeutung, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO."
Im Anschluß an das Ergehen des Urteils setzte das FA den angefochtenen Bescheid insoweit von der Vollziehung aus, als die Steuerrate ohne Berücksichtigung der Akkumulationsrücklage festgesetzt worden war.
Die Antragstellerin legte gegen das Urteil Nichtzulassungsbeschwerde ein. Die Nichtzulassungsbeschwerde sei nach Auffassung der Antragstellerin geboten, weil die Revision nur wegen der Frage der Akkumulationsrücklage zugelassen worden sei. Das FG half der Beschwerde nicht ab.
Das FA hat gegen das Urteil des FG Revision eingelegt.
Am 25. Mai 1994 verwies das FG den Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung vom 30. Juni 1993 an den Bundesfinanzhof (BFH), weil das Hauptsacheverfahren aufgrund der Revision des FA nunmehr beim BFH anhängig sei.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung war abzulehnen.
Gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Recht mäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ein Bescheid kann daher, wie dem Wortlaut der Bestimmung zu entnehmen ist, nur insoweit von der Vollziehung ausgesetzt werden, als er (noch) angefochten ist. Nach Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde kann daher grundsätzlich keine Aussetzung der Vollziehung mehr gewährt werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 20. April 1993 IV S 1/93, BFH/NV 1993, 556 m. w. N.; vom 25. Februar 1993 I S 2/92, BFH/NV 1993, 674).
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Antragstellerin, mit der diese eine Zulassung der Revision in Sachen Steuerabzugsbetrag gemäß § 9 Abs. 2 DBStÄndG DDR begehrt, ist mit Beschluß vom heutigen Tag als unzulässig abgewiesen worden. Da die Antragstellerin keine Revision eingelegt hat, steht damit fest, daß der Bescheid, soweit der Steuerabzugsbetrag versagt wurde, nicht mehr angefochten ist. Zwar hat das FA gegen das Urteil des FG Revision eingelegt und damit im Grundsatz -- sofern nicht gesonderte Streitgegenstände vorliegen sollten -- das Eintreten der Rechtskraft des Urteils verhindert. Die Revision des FA beschränkt sich aber inhaltlich nur auf die vom FG bei Ermittlung des Gewerbe ertrags angesetzte Akkumulationsrück lage. Zwar könnte der Senat, wenn er die Berücksichtigung der Akkumulationsrücklage für rechtswidrig halten würde (vgl. aber gegenteilige BFH-Urteile vom 15. März 1994 XI R 10/93, BFHE 174, 241 und vom 16. März 1994 I R 146/93, BFHE 175, 22, BStBl II 1994, 941), im Rahmen von Kompensationsmöglichkeiten prüfen, ob der Antragstellerin der Steuerabzugs betrag zu gewähren wäre. Eine Kompensation dürfte aber nie zu einer Verböserung für den Revisionskläger, hier des FA (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, § 118 FGO Tz. 64), führen, so daß sich der Steuerabzugsbetrag allenfalls in Höhe der auf die Akkumulationsrücklage entfallenden Steuer auswirken würde. In dieser Höhe wurde der Bescheid über die Steuerrate aber bereits vom FA von der Vollziehung ausgesetzt.
Kosten werden gemäß § 8 des Gerichtskostengesetzes nicht erhoben. Die Antragstellerin hat rechtzeitig vor Ergehen der Hauptsacheentscheidung beim FG Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zulässigerweise gestellt. Diesem Antrag hätte das FG zeitgerecht wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides stattgeben müssen, die sich daraus ergeben, daß ein Widerspruch zwischen dem Wortlaut des § 9 DBStÄndG DDR und des § 58 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes besteht. Der Senat hat aus diesem Grund in einem gleichgelagerten Fall den Bundes minister der Finanzen zum Beitritt aufgefordert.
Fundstellen
Haufe-Index 420287 |
BFH/NV 1995, 679 |