Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Notwendigkeit, einen Einspruch gegen einen Bescheid über Eingangsabgaben auch unter Billigkeitsgesichtspunkten zu prüfen
Leitsatz (NV)
- Die Frage, "Ist die Zollbehörde, wenn im Rechtsbehelfsverfahren gegen Einfuhrabgabenbescheide Tatsachen geltend gemacht werden, die auf ‘besondere‘ Umstände im Sinne des Art. 239 ZK schließen lassen, verpflichtet, den Rechtsbehelf auch unter Berücksichtigung der in Art. 239 Abs. 1 ZK enthaltenen allgemeinen Billigkeitsklauseln zu prüfen?", hat keine grundsätzliche Bedeutung.
- Es ist nur dann sinnvoll, über Einspruch und Erlassantrag in einem Bescheid zu entscheiden, wenn der Erlassantrag erfolgreich ist. Ist dagegen der Erlassantrag nur zum Teil oder gar nicht erfolgreich, ist darüber ebenso wie über den Einspruch gesondert zu befinden.
- Entscheidet die Behörde über den sich aus dem Rechtsbehelfsvorbringen ebenfalls ergebenden Antrag auf Erlass der Eingangsabgaben aus Billigkeitsgründen nicht, so kann dies im Wege einer Untätigkeitsklage geltend gemacht werden.
Normenkette
EWGV 1430/79 Art. 13; EWGV 2913/92 Art. 239, 243; AO 1977 § 347 Abs. 1 Nr. 1; FGO § 44 Abs. 1, § 46 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ließ als Hauptverpflichtete am … 1992 bei einer Zollstelle in den Niederlanden … Mio. Stück Zigaretten mit Versandschein T1 zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren mit Bestimmungsstelle A/Deutschland abfertigen. Die Sendung wurde keiner Bestimmungsstelle wiedergestellt.
Einem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts X gegen H wegen Steuerhinterziehung in Bezug auf diese Zigaretten ist zu entnehmen, dass sich H zusammen mit seinem Aushilfsfahrer am … 1992 in die Niederlande begab, wo er die Zigaretten in seinen Auflieger laden ließ. Den Auflieger übergab er ebenso wie die zugehörigen Zollpapiere in Deutschland an andere Personen. Nach einigen Stunden Wartezeit erhielt er den leeren Auflieger, an dem die Zollverschlüsse erbrochen waren, zurück. Die Zollpapiere erhielt er später mit dem Ausfuhrvermerk der in Z/Niederlande tätigen, bestochenen Zöllner zurück. Die Zigaretten blieben, wie H wusste, im Zollgebiet.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt ―HZA―) nahm die Klägerin mit Steuerbescheid vom … in Gestalt des Steueränderungsbescheides vom … wegen der Eingangsabgaben in Anspruch. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) führte aus, die Zoll-, Tabak- und Einfuhrumsatzsteuerschuld sei durch Entziehen der Zigaretten aus der zollamtlichen Überwachung in Deutschland entstanden. Die Klägerin sei als Hauptverpflichtete auch Abgabenschuldnerin geworden. Nicht erheblich in diesem Verfahren sei, ob die Klägerin gegebenenfalls einen Anspruch auf Erlass der entstandenen Eingangsabgaben nach Art. 239 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex ―ZK―) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 302/1) i.V.m. Art. 905 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (ZKDVO) der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 253/1) habe. Ein Erlass von Einfuhrabgaben habe keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit einer Abgabenfestsetzung, sondern bedeute nur, dass auf die Erhebung der Abgaben verzichtet werde. Ein Erlassantrag sei nicht Gegenstand des anhängigen Verfahrens. Weder in der Einspruchsentscheidung noch im Steueränderungsbescheid vom 27. Juni 2001 sei eine Billigkeitsentscheidung des HZA zu sehen. Der Erlass sei in einem besonderen Verfahren bei der Zollstelle zu beantragen. Wolle die Klägerin ihr Vorbringen vor Gericht als Antrag auf Erlass der festgesetzten Eingangsabgaben ansehen, wäre dieser mangels Vorverfahren unzulässig.
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der streitigen Rechtsfrage: "Ist die Zollbehörde, wenn im Rechtsbehelfsverfahren gegen Einfuhrabgabenbescheide Tatsachen geltend gemacht werden, die auf 'besondere' Umstände im Sinne des Art. 239 ZK schließen lassen, verpflichtet, den Rechtsbehelf auch unter Berücksichtigung der in Art. 239 Abs. 1 ZK enthaltenen allgemeinen Billigkeitsklauseln zu prüfen?".
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die gestellte Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, weil sie schon nach dem Wortlaut der maßgebenden Vorschriften so eindeutig zu beantworten ist, wie es das FG getan hat und sie daher keiner besonderen Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 28, m.w.N.).
1. Anders als das FG meint, ist im Streitfall zwar nicht Art. 239 ZK, sondern noch Art. 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 (VO Nr. 1430/79) des Rates vom 2. Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABlEG Nr. L 175/1) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom 7. Oktober 1986 (ABlEG Nr. L 286/1) die für den Erlass der Eingangsabgaben maßgebende materiell- rechtliche Vorschrift. Denn Art. 239 ZK ist erst mit Wirkung vom 1. Januar 1994 in Kraft getreten (Art. 253 ZK) und hat keine rückwirkende Wirkung (vgl. Urteil des Gerichts 1. Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 19. Februar 1998 Rs. T-42/96, EuGHE 1998, II-401 Rndnr. 56). Für den im Streitfall vor dem 1. Januar 1994 im Jahre 1992 entstandenen Sachverhalt sind daher die in diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften über den Erlass von Eingangsabgaben anzuwenden (vgl. auch Gellert in Dorsch, Zollrecht, Vor Art. 235 - 242 ZK Rz. 18). Lediglich das bei Anwendung des Art. 13 VO Nr. 1430/79 zu beachtende Verfahren richtet sich seit dem 1. Januar 1994 nach Art. 905 bis 909 ZKDVO (vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ―EuGH―, Urteil vom 7. September 1999 Rs. C-61/98, EuGHE 1999, I-5003, Rndnr. 24). Zu diesen Verfahrensvorschriften gehören auch die Vorschriften über die Form des Antrags nach Art. 878 ZKDVO.
Unabhängig davon stellt sich aber die aufgeworfene Frage in gleicher Weise, weil die Art. 13 VO Nr. 1430/79 und Art. 239 ZK einander, soweit im Streitfall von Bedeutung, inhaltlich entsprechen.
2. Die gestellte Frage ist nach dem eindeutigen Wortlaut der genannten Vorschriften zu verneinen.
Sowohl nach Art. 13 Abs. 2 VO Nr. 1430/79 als auch nach Art. 239 Abs. 2 ZK setzt der Erlass von Eingangsabgaben aus Billigkeitsgründen einen entsprechenden Antrag des Zollschuldners voraus (vgl. auch Bundesfinanzhof ―BFH―, Urteil vom 12. Oktober 1999 VII R 6/99, BFHE 190, 507, 513, und Beschluss vom 20. Februar 2001 VII B 279/00, BFH/NV 2001, 1154). Dieser ist fristgebunden und gemäß Art. 878 ZKDVO an bestimmte Formvorschriften gebunden, von deren Einhaltung allerdings im Rahmen des Art. 881 ZKDVO abgesehen werden kann. Das Antragserfordernis bedeutet, dass die Zollbehörde nicht von Amts wegen zu prüfen hat, ob die Voraussetzungen für einen Erlass der Abgaben aus Billigkeitsgründen erfüllt sind, sondern nur auf einen entsprechenden Antrag hin tätig werden kann.
Dieser Antrag unterscheidet sich von dem Einspruch gegen den Steuerbescheid (§ 347 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung ―AO 1977), mit dem die Eingangsabgaben festgesetzt wurden, dadurch, dass es sich bei diesem um einen Rechtsbehelf (zweite Stufe des Verwaltungsverfahrens) handelt, auf den hin eine Rechtsbehelfsentscheidung ergeht, gegen die bei für den Betroffenen negativem Ausgang gemäß § 44 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Klage zu den FG gegeben ist. Während es sich bei dem Antrag um ein Begehren auf der ersten Stufe des Verwaltungsverfahrens handelt, das erst nach durchgeführtem teilweise oder ganz erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Klage weiter verfolgt werden kann (§ 44 Abs. 1 FGO). Antrag und Einspruch sind daher von verfahrensrechtlich unterschiedlicher Qualität und können nicht gleichgesetzt werden. Das tut auch das Gemeinschaftsrecht nicht, das nach Art. 243 ZK deutlich zwischen einem Antrag und einem Rechtsbehelf unterscheidet, der eine Entscheidung der Zollbehörde voraussetzt. Eine solche liegt im Falle des nach Art. 13 Abs. 2 VO Nr. 1430/79 antragsgebundenen Erlasses von Eingangsabgaben erst vor, wenn die Zollbehörde über den Erlassantrag entschieden hat.
Etwas anderes ist auch dem Urteil des EuGH vom 18. Januar 1996 Rs. C-446/93 (EuGHE 1996, I-73) nicht zu entnehmen. Darin hat sich der EuGH nicht zu dem Verhältnis zwischen Rechtsbehelf und Antrag geäußert, sondern nur ausgeführt, dass ein Erlassantrag unter allen Gesichtspunkten zu würdigen ist, aus denen sich ein Erlass der Abgaben rechtfertigen lässt.
3. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Zollbehörde Billigkeitsgründe nicht zu prüfen hat, falls sich solche aus der Einspruchsbegründung ergeben und ihr zu entnehmen ist, dass der Einspruchsführer auch einen Erlass der Eingangsabgaben aus Billigkeitsgründen erstrebt. Sie kann allerdings darüber einheitlich in der Einspruchsentscheidung nur befinden, wenn die Billigkeitsgründe durchgreifen und zum Erlass der Eingangsabgaben führen.
a) Das in Art. 13 Abs. 2 VO Nr. 1430/79 festgelegte Antragserfordernis führt nicht dazu, dass der Antrag auf Erlass nicht gleichzeitig mit dem Einspruch gegen die Steuerfestsetzung gestellt werden könnte. Dafür enthält weder der Wortlaut dieser Vorschrift noch der des Art. 239 Abs. 2 ZK irgendwelche Anhaltspunkte. Auch unter allgemeinen verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten spricht nichts dagegen, dass ein Antrag auf Erlass der Eingangsabgaben aus Billigkeitsgründen innerhalb der Antragsfrist zusammen mit dem gegen den Steuerbescheid einzulegenden Einspruch gestellt wird. Ist der Einspruchsbegründung daher zu entnehmen, dass ein solcher Antrag gestellt wird, hat die Zollbehörde nicht nur über die Rechtmäßigkeit der Festsetzung der Abgaben, sondern auch über einen etwa bestehenden Anspruch des Abgabenschuldners auf Erlass der Eingangsabgaben aus Billigkeitsgründen zu entscheiden (vgl. EuGH in EuGHE 1999, I-5003).
b) Verfahrensrechtlich ist aber ―wie bereits ausgeführt― zu berücksichtigen, dass die Rechtsbehelfsentscheidung über den Einspruch unmittelbar mit der Klage angegriffen werden kann (§ 44 Abs. 2 FGO), während gegen die den Antrag auf Erlass der Eingangsabgaben ablehnende Entscheidung die Klage erst zulässig ist, nachdem das Vorverfahren ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist (§ 44 Abs. 1 FGO). Deshalb ist es nur dann sinnvoll, über Einspruch und Erlassantrag in einem Bescheid zu entscheiden, wenn der Erlassantrag erfolgreich ist. Nur diesen Fall regelt die Dienstvorschrift des Bundesfinanzministeriums -(VSF) in Z 11 02 Abs. 7 Unterabs. 5. Ist dagegen der Erlassantrag nur zum Teil oder gar nicht erfolgreich, ist darüber ebenso wie über den Einspruch gesondert zu befinden, um es dem Abgabenschuldner zu ermöglichen, das jeweils in Betracht kommende Rechtsmittel (Einspruch bzw. Klage) gegen die betreffende Entscheidung einzulegen.
c) Hat die Behörde dagegen über den zusammen mit dem Einspruch gestellten Antrag auf Erlass der Eingangsabgaben nach Art. 13 VO Nr. 1430/79 nicht entschieden, so könnte dies nur unter den Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 FGO im Wege einer Untätigkeitsklage gerügt werden. Wird im Rahmen einer solchen Klage geltend gemacht, ein Antrag auf Erlass aus Billigkeitsgründen sei gestellt, aber nicht beschieden worden, so gehört es zu den tatrichterlichen Aufgaben des FG festzustellen, ob ein solcher Antrag auf Erlass der Eingangsabgaben aus Billigkeitsgründen vom Abgabenschuldner tatsächlich gestellt worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 779818 |
BFH/NV 2002, 1327 |